Datenbank zu Schwangerschaftsabbrüchen
Welche öffentlichen Kliniken keine
Abbrüche durchführen
Wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht, ist die öffentliche Versorgung in Deutschland mangelhaft. Das zeigt erstmals eine Datenbank von CORRECTIV.Lokal. Nur rund 60 Prozent aller öffentlichen Krankenhäuser mit Gynäkologie gaben an, überhaupt Abbrüche vorzunehmen. Zudem entscheidet jede Klinik für sich, wann ein solcher legitim ist und wann nicht.
Von Antonia Groß, Jonathan Sachse, Max Donheiser, Miriam Lenz und Sophia Stahl
Die Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen ist schlecht – und öffentliche Krankenhäuser sorgen nicht dafür, die Lücken im medizinischen System zu schließen. Das ist das Ergebnis einer umfassenden Recherche von CORRECTIV.Lokal.
Zum ersten Mal zeigen bundesweite Daten, wie knapp die Angebote sind, die das öffentliche Gesundheitswesen bei Schwangerschaftsabbrüchen zur Verfügung stellt. CORRECTIV.Lokal hat in Kooperation mit lokalen Medienpartnern und der Transparenzinitiative FragDenStaat alle öffentlichen Kliniken mit gynäkologischer Abteilung nach der Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen in ihrem Haus gefragt.
Nur rund 60 Prozent der befragten Krankenhäuser gaben an, überhaupt Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen – trotz gynäkologischer Fachabteilung. Unsere Recherche zeigt zudem: Einige Kliniken bewerten die rechtlichen Gründe für einen Abbruch unterschiedlich. Ausgerechnet die rechtliche Begründung, nach der am häufigsten Abbrüche stattfinden, scheinen die wenigsten Kliniken zu akzeptieren: Nur 38 Prozent der angefragten Kliniken gibt an, Abbrüche nach der sogenannten Beratungsregel durchzuführen.
In der Datenbank von CORRECTIV.Lokal werden regionale Unterschiede sichtbar. Außerdem zeigt sie, welche Kliniken die Auskunft über die Leistung gänzlich verweigert haben.
Bedarf nach Schwangerschaftsabbrüchen ist groß – das Angebot zu klein
Dass es einen großen Bedarf an medizinischer Versorgung gibt, zeigen die jährlich rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche, die das Statistische Bundesamt erfasst. Die meisten Schwangerschaftsabbrüche finden in niedergelassenen Praxen statt. Doch immer weniger Einrichtungen nehmen Abbrüche vor, die Zahl der Gynäkologinnen und Gynäkologen, die Abbrüche vornehmen und öffentlich dazu stehen, schrumpft.
Krankenhäuser in privater und freier Trägerschaft sind nicht verpflichtet, die medizinische Versorgung regional sicherzustellen. Christliche und der Kirche verbundene Krankenhäuser führen in der Regel keine Schwangerschaftsabbrüche durch. Deswegen nehmen die öffentlichen Krankenhäuser eine Schlüsselrolle ein. Sie sind Teil der staatlichen Gesundheitsvorsorge. Doch die bisherige Datenlage zur öffentlichen Versorgung ist dünn. CORRECTIV.Lokal hat sich für die Recherche deshalb darauf fokussiert.
Zusammen mit Lokalmedien und FragDenStaat hat CORRECTIV.Lokal 1.257 Nachrichten mit öffentlichen Kliniken zum Thema geschrieben. Neben den Auskunftsanfragen führte das Netzwerk zahlreiche Gesprächen mit Menschen, die einen Schwangerschaftsabbruch erlebt haben. Auf unserer Themenseite fassen wir alle Recherchen zusammen.
Auf Basis des Krankenhausverzeichnisses des Statistischen Bundesamtes von 2019 hat CORRECTIV.Lokal einen Datensatz von 309 öffentlichen Krankenhäusern identifiziert, die gynäkologische Abteilungen im Haus haben, also fachlich die Möglichkeit hätten, Abbrüche durchzuführen. Diesen Krankenhäusern hat das Netzwerk CORRECTIV.Lokal über die Transparenzinitiative FragDenStaat Auskunftsanfragen geschickt und gefragt, ob und unter welchen rechtlichen Bedingungen sie in ihren Häusern dem Bedarf nach Schwangerschaftsabbrüchen nachkommen. Als Einrichtungen, die zu mindestens 50 Prozent in öffentlicher Trägerschaft sind, sind sie im weiteren Sinne als Behörden zu verstehen und zur Auskunft gegenüber der Presse verpflichtet.
Öffentliche Kliniken gewichten rechtliche Bestimmungen unterschiedlich
Unsere Datenabfrage zeugt von einem gewaltigen Missstand. Das Problem liegt zum einen darin, dass nur 57 Prozent der angefragten Kliniken überhaupt Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Zum anderen gewichten viele der Kliniken rechtliche Bestimmungen offensichtlich unterschiedlich. Das zeigen die Antworten auf unsere Fragen zu den drei sogenannten Indikationen, also den strafrechtlich zulässigen Voraussetzungen für einen Schwangerschaftsabbruch: 19 Prozent der Krankenhäuser gab an, nur dann Abbrüche durchzuführen, wenn eine Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren vorliegt, oder die Schwangerschaft auf einen gewaltsamen Übergriff zurückgeht. Das sind die medizinische und die kriminologische Indikation.
Die häufigste Indikation allerdings ist mit rund 96 Prozent der Fälle der Abbruch nach der sogenannten Beratungsregelung. Bei dieser Regelung müssen ungewollt Schwangere die Gründe für ihre Entscheidung bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle ausführen. Sie ist die dritte juristische Kategorie, unter der ein Abbruch straffrei bleibt. Doch weniger als 40 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser mit Gynäkologie gibt an, Abbrüche nach dieser Indikation vorzunehmen. Das sind nur zwei von fünf.
Sie fühlten sich dem „christlichen Menschenbild“ verpflichtet, teilen manche Häuser mit, die keine Abbrüche nach Beratungsregelung vornehmen. Andere nennen sich „babyfreundliche Klinik“, und nehmen das als Argument, ungewollt Schwangeren die Versorgung bei einem Abbruch zu verweigern. Zur Erinnerung: Sie alle sind in öffentlicher Trägerschaft.
Ob Schwangerschaftsabbrüche als medizinische Leistung zum staatlichen Versorgungsauftrag zählen, ist umstritten.
Zwar legt es das Bundesverfassungsgericht bisher nicht so aus, gleichzeitig sind die Bundesländer nach §13 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes in der Pflicht, ein „ausreichendes Angebot“ sicherzustellen. „Ausreichend“, so hat es das Bundesverfassungsgericht 1993 festgelegt, bedeutet: Jede ungewollt Schwangere muss in der Lage sein, mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb eines Tages den Hin- und Rückweg zu einer Einrichtung zurückzulegen, die den Abbruch vornehmen kann. Was in diesem Urteil nicht ausgeführt wird: Dass an diesem Tag auch ein medizinischer Eingriff, teilweise unter Narkose und mit allen möglichen Nachwirkungen, stattfindet.
Die Gesundheitswissenschaftlerin Daphne Hahn untersucht an der Universität Fulda in einer laufenden, vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Studie die medizinische Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen. Laut Hahn könnten sich die Regierungen der Bundesländer auf die schwammige Definition zurückziehen. „Und dann sagen sie überwiegend, sie hätten kein Versorgungsproblem.“ In der Konsequenz würden sich Praxen und Kliniken gegenseitig die Verantwortung zuschieben.
Missstand ist in Bayern am größten – obwohl das Land anderes behauptet
So behauptete etwa das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal, es gebe in dem Bundesland kein Versorgungsproblem. Aus Sicht des Ministeriums sei „weiterhin ein ausreichendes Angebot an stationären und ambulanten Einrichtungen in Bayern vorhanden“.
Doch die Zahlen von CORRECTIV.Lokal zeichnen ein anderes Bild: Im Flächenland Bayern müssen Betroffene besonders weit reisen. Nur 35 von 83 öffentlichen Kliniken mit gynäkologischer Abteilung in Bayern geben an, überhaupt Schwangerschaftsabbrüche zu machen. Das entspricht rund 40 Prozent. Nur neun öffentliche Kliniken brechen Schwangerschaften nach der Beratungsindikation ab. Das ist nur jede zehnte Klinik mit Gynäkologie, und weit unter dem Bundesschnitt. Wer beispielsweise in Regensburg wohnt und einen Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungsindikation will, muss über 100 Kilometer weit fahren.
„Das ist die konfessionelle Bindung. Wir hören viel darüber, dass die Versorgung in Bayern wahnsinnig schlecht ist. Es scheint, dass es dort weniger Angebote gibt und die schwieriger erreichbar sind“, sagt Gesundheitswissenschaftlerin Daphne Hahn.
In Bayern gelten darüber hinaus eigene Regeln, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht. Das verkompliziert die Lage weiter: Nur in Bayern gibt es neben dem Ausführungsgesetz, in dem die Bundesländer ihre jeweilige Versorgung bestimmen, noch ein weiteres Gesetz: das sogenannte Schwangerschaftshilfeergänzungsgesetz. Es besagt, dass Gynäkologinnen und Gynäkologen eine zusätzliche Erlaubnis für den Eingriff nach Beratung brauchen.
Dies ziehen teils auch die öffentlichen Krankenhäuser als Erklärung ihrer Weigerung heran, Abbrüche durchzuführen, wie zum Beispiel eine Klinik in Altötting: Aufgrund der besonderen Auflagen in den bayerischen Gesetzen habe sich „ohnehin jede Schwangerschaftsterminierung für uns erledigt“.
Die Versorgungslage schwankt regional stark – Unikliniken sehen sich offenbar nicht in Vorbildrolle
Mit Blick auf das gesamte Bundesgebiet zeigen die Ergebnisse der CORRECTIV.Lokal-Recherche, dass die Versorgungssituation regional sehr unterschiedlich ist. Besser sieht es in den Metropolen aus. In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen geben alle öffentlichen Krankenhäuser an, Schwangerschaftsabbrüche nach allen drei Indikationen durchzuführen.
Unter den Krankenhäusern sind die renommiertesten Häuser die Unikliniken, sie gelten als Maximalversorger. Universitäten und ihre Einrichtungen haben einen besonderen Versorgungsauftrag, sie symbolisieren die Forschung. Doch sie scheinen sich nicht in einer Vorbildrolle zu sehen, den medizinischen Bedarf bei Schwangerschaftsabbrüchen zu decken. Unsere Daten zeigen: Ein Drittel der öffentlichen Unikliniken bietet keine Abbrüche nach der Beratungsregelung an.
Expertin sieht Versorgungsauftrag der öffentlichen Kliniken nicht erfüllt
Dass es Krankenhäuser gibt, die zwar Abbrüche nach kriminologischer und medizinischer Indikation durchführen, solche nach der Beratungsregelung aber ablehnen, bezeichnet Alicia Baier als kritikwürdig. Sie ist Ärztin und Vorsitzende des Vereins Doctors for Choice, der sich für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität einsetzt. „In dieser Unterscheidung schwingt mit, dass es gute und schlechte Gründe für einen Abbruch gibt. Letztlich sollte aber nicht der Grund das entscheidende Kriterium für eine gute medizinische Versorgung sein.“
Für einige Krankenhäuser scheint genau dies zu gelten. Es geht nicht um den Abbruch einer Schwangerschaft per se, der Eingriff wird stattdessen nach der Motivation der Schwangeren bewertet.
„Öffentliche Krankenhäuser haben einen Versorgungs- und auch einen Lehrauftrag. Den sehe ich nicht erfüllt“, sagt Alicia Baier. „Es sollte dafür gesorgt werden, dass alle Krankenhäuser mit Gynäkologie Abbrüche anbieten.“
Und selbst, wenn etwa die Hälfte der öffentlichen Krankenhäuser mit gynäkologischer Station angibt, Schwangerschaftsabbrüche zu machen, erzähle das nicht alles darüber, wie gut die medizinische Versorgung oder wie zuverlässig das Angebot sei, sagt Alicia Baier. Es gebe oft Mitglieder der medizinischen Teams, die sich verweigerten. Und Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen, seien nicht durchgehend im Dienst. Komme eine Schwangere mit dem Wunsch nach einem Abbruch also zum falschen Zeitpunkt, erhalte sie womöglich keine Unterstützung.
CORRECTIV.Lokal sammelt Informationen darüber, wer Schwangerschaftsabbrüche durchführt
Manche Kliniken verweigern nicht nur die medizinische Leistung, sondern gleich die Auskunft darüber: Fast jedes vierte angefragte Krankenhaus verwehrte selbst auf mehrfache Nachfrage von CORRECTIV.Lokal und zahlreichen Lokal- und Regionalmedien jede Antwort zum Thema. Das Klinikum Dortmund argumentierte mit „Geschäftsgeheimnissen“. Die Pressestelle schrieb: „Im harten Wettbewerb mit kirchlichen Krankenhäusern“ könne man sich nicht erlauben, sich in der Öffentlichkeit zu dieser „emotionalen Debatte“ zu äußern.
35 Prozent der Kliniken, die nach der Beratungsregel Abbrüche anbieten, gaben keine Informationen zu den angewandten Methoden preis – auch wegen des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, der Ärztinnen und Ärzten derzeit noch die „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Die Bundesregierung möchte den Paragrafen abschaffen. Das Bundeskabinett hat die Streichung bereits beschlossen. Einige Krankenhäuser gaben an, aus Angst vor militanten Abtreibungsgegnern nicht öffentlich mit Schwangerschaftsabbrüchen in Verbindung stehen zu wollen.
„Die Krankenhäuser möchten vermutlich so wenig wie möglich darüber in die Öffentlichkeit tragen. Es ist so ein großes Problem, an Daten zu kommen, das ist völlig absurd“, sagt Wissenschaftlerin Daphne Hahn. Es sei die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, die eine gute medizinische Versorgung erschwere. „Es braucht ja nicht nur irgendein Angebot, sondern ein gutes.“
Es ist in Deutschland also allein schon schwer, überhaupt an sachliche Informationen zu gelangen. Die Definition des Schwangerschaftsabbruchs unter Paragraf 218 wird im Strafgesetzbuch unter „Straftaten gegen das Leben“ eingeordnet, in einer Reihe mit Mord und Totschlag. Ist der Abbruch nicht nach den drei Indikationen von einer Strafe befreit, kann es bis zu drei Jahren Haft geben. Wenig überraschend, dass viele lieber nicht über das Thema reden.
Diese Kliniken führen Schwangerschaftsabbrüche durch
Wir zeigen erstmals, welche öffentlichen Kliniken in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Sie können nach dem Namen einer Klinik suchen oder sich Krankenhäuser im Umfeld einer Postleitzahl anzeigen lassen. Mit einem Klick auf eine Klinik erhalten Sie vertiefende Informationen und können ein Ergebnis teilen.
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich eine Straftat. Es gibt aber drei Ausnahmen, in denen ein Abbruch nicht bestraft wird. Die Datenbank kann nach diesen drei sogenannten Indikationen durchsucht werden: Bei einer Beratungsindikation muss die Person sich vorher bei einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen. Wenn die Schwangerschaft auf einem gewaltsamen Übergriff beruht, liegt eine kriminologische Indikation vor. Wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist, wird von der medizinischen Indikation gesprochen.
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Mitarbeit: André Ricci, Emilia Garbsch, Hatice Kahraman, Pia Siber
Redaktion: Till Eckert
Illustration: Mohamed Anwar