Faktencheck

Nein, ein Gesetz von Dezember 2021 führt nicht in eine Diktatur

Im Netz wird eine Gesetzesänderung aufgegriffen und behauptet, sie führe in eine Diktatur, weil Grundrechte eingeschränkt werden. Dass bei Gesetzen benannt wird, welche Grundrechte sie einschränken, ist jedoch üblich und wird „Zitiergebot“ genannt. Das hat nichts mit einer Abschaffung dieser Grundrechte oder der Demokratie zu tun.

von Matthias Bau

Bundesgesetzblatt_Titelbild
Eine Aussage im Bundesgesetzblatt wird in den Sozialen Medien fehlinterpretiert (Symbolbild: Picture Alliance /Peter Kneffel)
Behauptung
Ein Gesetz, das am 10. Dezember unterzeichnet wurde, schränke mehrere Grundrechte ein und führe wie 1933 in eine Diktatur.
Bewertung
Falsch. Dass Einschränkungen von Grundrechten benannt werden, geht auf das sogenannte „Zitiergebot“ zurück und hat nichts mit einer Abschaffung der Demokratie zu tun.

Die Diktatur formiert sich. Unsere Gesellschaft war seit 33 nie wieder in einer so großen Gefahr!“, heißt es auf Facebook. Ähnliche Beiträge verbreiten sich auf Twitter und erreichten uns mehrfach auf Whatsapp. Grund für die Behauptung ist ein Auszug aus dem Bundesgesetzblatt vom 11. Dezember, der als Foto geteilt wird. Markiert ist ein Abschnitt, in dem es heißt, dass ​​durch das Gesetz verschiedene Grundrechte eingeschränkt werden, die zum Beispiel die körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person und Versammlungsfreiheit betreffen. 

Um welches Gesetz es geht, ist nicht erkennbar, man sieht lediglich das Datum, an dem es unterzeichnet wurde: 10. Dezember 2021. Nach unseren Recherchen handelt es sich um die Bekanntmachung des „Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“, welches unter anderem zwei Änderungen des Infektionsschutzgesetzes beinhaltet. 

Die Beiträge in den Sozialen Netzwerken ziehen durch das Erwähnen des Jahres 1933 einen Vergleich zum sogenannten Ermächtigungsgesetz („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“), das 1933 die Verfassung untergrub und auf das Adolf Hitler seine Diktatur aufbaute. Solche Vergleiche werden seit Ende 2020 immer wieder aufgestellt. Wieso sie falsch sind, haben wir bereits im November 2020 in einem Hintergrundbericht erklärt.

Mit einer grundsätzlichen Einschränkung von Grundrechten oder dem Rückfall in eine Diktatur hat das Gesetz nichts zu tun: Das auf die Einschränkung der Grundrechte hingewiesen wird, liegt am sogenannten Zitiergebot. Demnach muss in Gesetzen oder Gesetzesänderungen, die bestimmte Grundrechte berühren, ein expliziter Hinweis beigefügt werden – auch wenn es sich nur um kleine Ergänzungen zu bereits bestehenden Gesetzen handelt. 

Auf Facebook wird dieser Ausschnitt des Bundesgesetzblattes vom 11. Dezember geteilt; er soll als Beweis dienen, dass Deutschland eine Diktatur drohe
Auf Facebook wird dieser Ausschnitt des Bundesgesetzblattes vom 11. Dezember geteilt; er soll als Beweis dienen, dass Deutschland eine Diktatur drohe (Quelle: Facebook; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Das abgebildete Gesetz ist das „Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19“

Auf dem Foto sind die Nummer der Ausgabe des Bundesgesetzblattes und das Datum 11. Dezember 2021 zu lesen. Damit fanden wir das entsprechende Gesetz: Am 11. Dezember wurde das „Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie“ im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. 

Das Gesetz, das der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats beschlossen hat, sieht unter anderem vor, dass Menschen, die in Krankenhäusern, Arztpraxen oder beim Rettungsdienst arbeiten, ab dem 15. März 2022 entweder gegen Covid-19 geimpft oder genesen sein müssen.   

Am Ende des Gesetzes wird darauf hingewiesen, dass durch Teile des Gesetzes bestimmte Grundrechte eingeschränkt werden. Das ist der Abschnitt, der ohne Kontext als Foto in  Sozialen Netzwerken verbreitet wird. Dort heißt es: „Durch Artikel 1 Nummer 3 wird das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und durch Artikel 1 Nummer 6 werden die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt.“

Gesetz beinhaltet zwei Änderungen des Infektionsschutzgesetzes

Wenn man sich anschaut, worum es in den genannten Abschnitten des Gesetzes geht, wird deutlich, dass sie nichts mit der Einführung einer Diktatur zu tun haben. Artikel 1 Nummer 3 und 6 beinhalten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IFSG). 

Durch die Änderung in Artikel 1 Nummer 3 wird der 20. Paragraph des IFSG so geändert, dass Menschen, die zu einer Masernimpfung verpflichtet sind, weil sie zum Beispiel in einer Kindertagesstätte arbeiten, bis zum 31. Juli 2022 einen Impfnachweis vorlegen müssen. Die vorherige Frist dafür war der 31. Dezember 2021. Da der 20. Paragraph regelt, wer verpflichtet ist, sich gegen Masern impfen zu lassen, betrifft er das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Das wird mit dem Hinweis am Ende des Gesetzes transparent gemacht. 

Durch die Änderung von Artikel 1 Nummer 6 wird Paragraph 28a des IFSG geändert. Dort ist nun geregelt, dass Bundesländer keine Ausgangsbeschränkungen mehr verhängen oder Versammlungen verbieten können, wenn der Bundestag zuvor nicht die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ausgerufen hat. Da der Paragraph ebenfalls regelt, dass der Bund Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen verhängen, oder Versammlungen und Reisen verbieten kann (Absatz 1), sind zum Beispiel die Grundrechte der Reisefreiheit und der Freizügigkeit durch das Gesetz berührt. 

 Redigatur: Uschi Jonas, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Paragraph 20 des Infektionsschutzgesetzes (seit Dezember 2021): Link
  • Paragraph 28a des Infektionsschutzgesetzes (seit Dezember 2021): Link
  • Auszug aus dem Bundesgesetzblatt vom 11. Dezember 2021: Link