Vergleich des Impfstatus von Covid-19-Intensivpatienten führt ohne Berücksichtigung der Altersgruppen in die Irre
In Sozialen Netzwerken werden die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zum Impfstatus von Covid-19-Erkrankten auf Intensivstationen falsch interpretiert. Es wird suggeriert, die dritte oder vierte Impfung erhöhe das Risiko für einen schweren Verlauf, anstatt zu schützen. Das stimmt nicht. Den Daten fehlt wichtiger Kontext, der Vergleich wird durch die fehlende Aufteilung in Altersgruppen verzerrt.
Am 9. Juli veröffentlichte ein Twitter-Nutzer ein Diagramm mit dem Titel „Covid-19-Intensivpatienten in Deutschland“. Darauf ist zu sehen, dass der prozentuale Anteil der Menschen auf Intensivstationen, die dreifach oder vierfach geimpft sind, höher ist als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Der Rückschluss: Die Auffrischungsimpfungen schützen nicht gegen schwere Erkrankungen, sondern im Gegenteil, die Geimpften seien sogar überproportional auf Intensivstationen vertreten. Der Tweet wurde mehr als 1.100 Mal geteilt und kursierte anschließend auch auf Facebook.
Unsere Recherche zeigt: Die Grafik enthält zwar korrekte Daten, ergibt aber ein verzerrtes Gesamtbild und führt somit zu falschen Schlussfolgerungen. Für einen aussagekräftigen Vergleich müssen die Daten aufgeschlüsselt nach Altersgruppen betrachtet werden, denn die Impfquote ist bei Menschen über 60 Jahren am höchsten – und diese Gruppe macht auch den Großteil der Intensivpatienten aus. Berechnungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) von Juni, die die Altersgruppen berücksichtigen, zeigen, dass die Impfungen das Risiko einer Hospitalisierung wegen Covid-19 senken.
RKI-Daten zu Covid-19-Intensivpatienten und Bevölkerungsanteile sind korrekt, lassen so aber keine Schlüsse über Impfschutz zu
Der Grafik auf Twitter zufolge ist der Anteil der dreimal und viermal Geimpften auf Intensivstationen angeblich höher als ihr Anteil an der Bevölkerung. Die in der Grafik abgebildeten Zahlen lauten im Einzelnen:
- Nicht-Geimpfte: Anteil an der Bevölkerung 22,2 Prozent / Anteil auf Intensivstationen: 14,4 Prozent
- Zweimal Geimpfte: Anteil an der Bevölkerung: 14,5 Prozent / Anteil auf Intensivstationen: 12,5 Prozent
- Dreimal Geimpfte: Anteil an der Bevölkerung 54,5 Prozent / Anteil auf Intensivstationen: 56,4 Prozent
- Viermal Geimpfte: Anteil an der Bevölkerung: 7,2 Prozent / Anteil auf Intensivstationen: 13,1 Prozent
Die Zahlen stammen wie angegeben aus dem wöchentlichen Covid-19-Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 7. Juli. Es handelt sich um die „Covid-19-Aufnahmen“ auf Intensivstationen im Zeitraum vom 8. Juni bis 3. Juli (knapp vier Wochen), deren Impfstatus bekannt war. Bei 32,9 Prozent der Fälle war der Impfstatus unbekannt. In dem Balkendiagramm auf Twitter fehlen die Werte zu einmal Geimpften: diese machten 3,7 Prozent der Covid-19-Intensivpatienten aus. Die anderen Daten sind korrekt.
Als nächstes haben wir überprüft, ob die Anteile der Geimpften und Ungeimpften an der Gesamtbevölkerung auf Twitter richtig wiedergegeben wurden. Das kann man im Impfdashboard des RKI nachschauen. Im Internet Archiv haben wir die archivierte Version vom 7. Juli 2022 abgerufen. Die Werte stimmen mit der Grafik überein. Mindestens einmal geimpft waren 77,8 Prozent, 76,2 Prozent waren „grundimmunisiert“, also zweimal geimpft. Die Differenz aus diesen Werten ergibt den Anteil der einmal Geimpften an der Bevölkerung: 1,6 Prozent.
Die Impfquoten sind bei älteren Menschen viel höher
Aus dem Vergleich der Impfquoten und dem Anteil der Geimpften an der Gesamtbevölkerung lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, wie wirksam die Covid-19-Impfung ist. Dafür muss man die Daten nach Altersgruppen aufschlüsseln. Das liegt zum einen daran, dass die Impfquoten in den verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich hoch sind und zum anderen daran, dass ältere Menschen ein größeres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben.
Wie viele Menschen in welcher Altersgruppe wie oft geimpft sind, steht ebenfalls im Impfdashboard: Mit Stand 7. Juli waren 91,2 Prozent der Über-60-Jährigen mindestens zweimal geimpft – aber nur 82,1 Prozent der 18- bis 59-Jährigen. Die Gesamt-Impfquoten sind also ein Durchschnittswert, der durch die jüngeren Menschen nach unten gezogen wird. Die allermeisten Menschen, die als Covid-19-Fälle auf Intensivstationen liegen, sind jedoch älter als 60 Jahre. Somit ergeben die Daten in dem Balkendiagramm ohne Altersgruppen ein verzerrtes Bild.
Unterscheidung nach Altersgruppen ist wichtig
Der Twitter-Nutzer weist selbst darauf hin, dass die Daten in seiner Grafik nicht nach Altersgruppen aufgeschlüsselt sind. Er schreibt jedoch, das Robert-Koch-Institut (RKI) liefere diese Daten nicht; sie tauchten in dem Monitoring-Bericht des RKI zum Impfgeschehen nicht auf. Das stimmt nicht ganz – solche Daten sind in dem monatlich erscheinenden Monitoring-Bericht vorhanden.
Der neueste Bericht ist vom 7. Juli. Die darin enthaltenen Daten sind allerdings ein paar Wochen älter als die im RKI-Wochenbericht. Sie bilden den Zeitraum von der 20. bis 23. Kalenderwoche ab (16. Mai bis 12. Juni), statt vom 8. Juni bis 3. Juli.
Die Daten im Impfbericht sind durchaus aussagekräftig
Die älteren Daten wäre nur dann nicht mehr relevant, wenn sich am Impfstatus der Intensivpatienten in der Zwischenzeit nennenswert etwas verändert hätte. Also haben wir einen Blick in den RKI-Wochenbericht vom 9. Juni geworfen und mit den Angaben im Wochenbericht vom 7. Juli verglichen. Die Anteile der verschiedenen Gruppen auf Intensivstationen für den Zeitraum 9. Mai bis 5. Juni wurden folgendermaßen angegeben:
- Nicht-Geimpfte: 15,5 Prozent (7. Juli: 14,4 Prozent)
- Einmal Geimpfte / Genesene ohne Impfung: 7,8 Prozent (7. Juli: 3,7 Prozent einmal Geimpfte, keine Angabe mehr zu Genesenen)
- Zweimal Geimpfte: 24,9 Prozent (7. Juli: 12,5 Prozent)
- Booster-Impfung: 51,8 Prozent (7. Juli: 56,4 Prozent dreimal Geimpfte und 13,1 Prozent viermal Geimpfte, zusammen also 69,5 Prozent)
Man sieht: Der Anteil der zweifach Geimpften war ein paar Wochen früher höher, und der der Menschen mit Booster-Impfung niedriger. In der Zwischenzeit hat sich aber auch die Quote der Menschen mit mindestens einer Booster-Impfung in der Bevölkerung erhöht: Sie lag am 8. Juni laut Impfdashboard bei 59,8 Prozent – am 7. Juli waren es 61,7 Prozent. Unter den Über-60-Jährigen ist der Wert wieder viel höher und auch stärker gestiegen: Am 8. Juni waren 80,2 Prozent geboostert – und am 7. Juli 85,6 Prozent. Es gibt also keinen Grund, die älteren Daten aus dem Impf-Monitoring-Bericht für irrelevant zu halten.
Daten aus dem Impf-Monitoring-Bericht zeigen: Ungeimpfte landen häufiger auf der Intensivstation
Der Anteil der Covid-19-Fälle, die hospitalisiert auf Intensivstationen behandelt wurden oder gestorben sind, wird in dem Impf-Monitoring-Bericht des RKI nach Impfstatus und Altersgruppe in Balkendiagrammen dargestellt (ab Seite 13). Ihr jeweiliger Anteil an der Gesamtbevölkerung ist daneben abgebildet. Man sieht: Der Anteil der Ungeimpften (rot) an den Hospitalisierten, Intensivpatienten oder Gestorbenen ist stets höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der Geimpften ist niedriger.
Das RKI schreibt zu der Grafik: „Für den dargestellten Zeitraum (MW 20-23/2022) war aus den übermittelten Angaben für 78 Prozent der aufgrund von Covid-19 hospitalisierten Fälle der Impfstatus bekannt. Auffallend ist zum einen, dass in den Altersgruppen 5-11 und 12-17 Jahre nur wenige schwere Verläufe übermittelt wurden und dass der Großteil der Fälle mit schwerem Verlauf bei ungeimpften Kindern und Jugendlichen auftraten.“ Auch bei den Erwachsenen werde deutlich, „dass der kleine Anteil der ungeimpften Bevölkerung einen verhältnismäßig großen Teil der Covid-19-Fälle mit schwerem Verlauf stellt“.
Die Daten zur Hospitalisierungen nach Impfstatus und Altersgruppen für denselben Zeitraum (20. bis 23. Kalenderwoche) können hier als Excel-Datei heruntergeladen werden. Hier berechnete das RKI folgende Hospitalisierungsinzidenzen (pro 100.000 Einwohner):
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12- bis 17-Jährige: ungeimpft 0,1 / zweimal geimpft 0,0 / mindestens drei Impfdosen 0,0
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18- bis 59-Jährige: ungeimpft 0,2 / zweimal geimpft 0,1 / mindestens drei Impfdosen 0,1
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Über-60-Jährige: ungeimpft 1,5 / zweimal geimpft 0,8 / mindestens drei Impfdosen 0,3
Das RKI berücksichtigt bei dieser Berechnung die Fälle, bei denen angegeben wurde, dass die Menschen aufgrund von Covid-19 ins Krankenhaus kamen. Das heißt: Die Hospitalisierungsinzidenz ist bei den ungeimpften Über-60-Jährigen am höchsten. Auch in allen anderen Altersgruppen ist sie bei den Ungeimpften jeweils am höchsten, bei insgesamt sehr niedrigen Werten. Somit landen Ungeimpfte im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung häufiger mit Covid-19 im Krankenhaus, als Geimpfte.
Redigatur: Matthias Bau, Sophie Timmermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
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Wöchentlicher Covid-19-Lagebericht des RKI vom 7. Juli 2022: Link
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Wöchentlicher Covid-19-Lagebericht des RKI vom 9. Juni 2022: Link
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Monatsbericht des RKI „Monitoring des COVID-19-Impfgeschehens in Deutschland“ vom 7. Juli 2022: Link (archiviert)
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Impfdashboard (archivierte Versionen vom 7. Juli und 8. Juni): Link 1, Link 2