Faktencheck: Könnte ein Bauer mit der Kraftstoffmenge einer Flugzeug-Tankfüllung 12 Jahre lang arbeiten?
Statt eine Boeing 747 vollzutanken, könnte man mit der Menge Treibstoff 20 Millionen Liter Milch und 132.000 Kilogramm Fleisch produzieren, heißt es im Netz. Der Vergleich hinkt etwas, denn Flugzeuge tanken Kerosin. Doch wenn man eine bestimmte Betriebsgröße annimmt, seien die Mengenangaben gar nicht so falsch, schreibt uns der Bauernverband.
Auf Facebook heißt es, mit dem Kerosin, welches man für eine Boeing 747 benötige, könne ein Bauer innerhalb von 12 Jahren 20 Millionen Liter Milch erzeugen und 132.000 Kilogramm Fleisch produzieren. Es existieren mehrere solcher Beiträge; sie wurden mehrere Tausend Mal geteilt.
Unser Recherche zeigt: Der Vergleich ist zu pauschal, weil es bei der Menge des verbrauchten Treibstoffs und der produzierten Lebensmittel auf die Größe des Betriebs ankommt. Unter bestimmten Voraussetzungen können die Mengenangaben zutreffen, jedoch müsste es sich um einen überdurchschnittlich großen Milchviehbetrieb handeln.
Wir haben die Behauptung unter anderem dem Deutschen Bauernverband vorgelegt. Die Antwort: Auch wenn Kerosin nicht mit Diesel gleichzusetzen sei, könne ein Milchbetrieb mit einer Größe von 180 Hektar diese Menge Kraftstoff nutzen, um 12 Jahre zu arbeiten und damit in etwa die angegebenen Mengen Milch und Rindfleisch zu erzeugen. Zudem müsste der Betrieb ungefähr 185 bis 200 Kühe besitzen.
Betrieb bräuchte rund 200 Kühe, um diese Menge Milch zu erzeugen – nur wenige Betriebe haben so viele Tiere
216.000 Liter sind etwa die Menge Treibstoff, die laut Hersteller in eine Boeing 747-400 passen, jedoch verbrennt Kerosin bei höheren Temperaturen als Diesel und kann unter anderem deshalb nicht in herkömmlichen Traktoren oder Autos eingesetzt werden. Lässt man das außer Acht, wäre als nächste die Frage zu beantworten, wie viele Kühe ein Betrieb bräuchte, um in 12 Jahren 20 Millionen Liter Milch zu produzieren.
Laut dem Bundeszentrum für Ernährung gab eine Milchkuh in Deutschland im Jahr 2020 durchschnittlich 8.457 Kilogramm Milch. Das entspricht rund 8.211 Litern, da in Deutschland gesetzlich jeder Liter Milch mit dem Faktor 1,03 in Kilogramm umgerechnet werden muss. Man bräuchte demnach rund 203 Milchkühe, um in 12 Jahren 20 Millionen Liter Milch zu produzieren.
Aus dem Situationsbericht des Bauernverbandes für 2021/2022 (Kapitel 3) geht hervor, dass in Deutschland nur wenige Betriebe so viele Milchkühe haben. Von 55.829 Betrieben haben demnach 14 Prozent mehr als 100 Milchkühe, und nur fünf Prozent mehr als 200. In Deutschland wären also die meisten Betriebe nicht in der Lage, in 12 Jahren so viel Milch zu erzeugen, wie auf Facebook behauptet.
Mit 216.000 Litern Diesel kann man einen 180 Hektar großen Betrieb 12 Jahre lang bewirtschaften
Wie viel Kraftstoff man benötigen würde, um die Flächen für die Kühe zu beackern, teilte uns der Bauernverband auf Anfrage mit: „Nach Angaben des KTBL (Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft) werden in der Landwirtschaft im Durchschnitt rund 100 Liter Diesel je Hektar verbraucht“, schreibt uns Axel Finkenwirth, Sprecher des Verbands. Mit 216.000 Litern Diesel könne man umgerechnet einen Betrieb von 180 Hektar 12 Jahre lang bearbeiten.
Wie viele so große oder größere Betriebe es in Deutschland gibt, geht ebenfalls aus dem Situationsbericht des Bauernverbandes hervor. Demnach bewirtschafteten im Jahr 2021 9,5 Prozent aller Betriebe eine Fläche zwischen 100 und 200 Hektar. Nur 5,1 Prozent der Betriebe bewirtschafteten noch größere Flächen.
Wie uns Axel Finkenwirth weiter schrieb, bedürfe es für die Ernährung einer Kuh und dem dazugehörigen Jungvieh- und Nachzuchtbestand zwischen einem und zwei Hektar Land. Er bezeichnet die Rechnung auf Facebook als „durchaus plausibel“, geht dabei allerdings von einer höheren Milchleistung von 9.000 Liter pro Jahr und Kuh aus: „So gesehen würde bei 180 Hektar und 185 Kühen das Verhältnis von etwa einer Kuh je Hektar eingehalten.“
Auch Zahlen zur Fleischproduktion sind „nicht falsch“ – aber Vergleich lässt Treibstoff für Futtermittelanbau und Transport außer Acht
Aus der Betriebsgröße und der Anzahl der Kühe könne zudem auf die Möglichkeiten der Fleischproduktion rückgeschlossen werden, so Finkenwirth. „In einem solchen Betrieb mit 180 Kühen würden jährlich rund 40 Schlachtkühe anfallen, mit einem Schlachtgewicht von durchschnittlich 300 kg wären das 12 Tonnen pro Jahr und in 12 Jahren etwas über 140 Tonnen Schlachtkörpergewicht. Die Rechnung für den Fleischanfall bezieht sich also nur auf Rindfleisch und ist ebenfalls nicht falsch.“
Bei der Rechnung auf Facebook gerate jedoch aus dem Blick, dass „zum Aufwuchs von 180 Hektar als Tierfutter und zur Erzeugung von 20 Millionen Liter Milch viel mehr gehört als 100 Liter Diesel pro Hektar“. In Deutschland würden 4,7 Millionen Hektar genutzt, um darauf Futtermittel für Tiere anzubauen. Auch dieses muss natürlich mit „Maschinen bearbeitet und geschnitten werden“, so der Sprecher des Bauernverbands.
Dazu kommt, dass auch die Kühe und die Milch transportiert werden müssen. Ebenso wie das Futter für die Tiere. Wie viel Kraftstoff dafür benötigt wird, lässt sich nicht genau sagen. Klar ist jedoch, dass der Vergleich auf Facebook zu stark vereinfacht ist.
Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann