Tag der Pressefreiheit: Faktencheck-Redaktionen stehen im Visier von Hass und Hetze – doch wir lassen uns nicht unterkriegen
Hass und Beleidigungen gehören zum Alltag vieler Journalistinnen und Journalisten, auch zu unserem. Doch wir machen trotzdem weiter, denn unsere Demokratie braucht objektiv und transparent recherchierte Fakten. Am Tag der internationalen Pressefreiheit wollen wir betonen, dass freie Berichterstattung unersetzlich ist.
April 2021: „Ihr seid dumme Hirngnome die ausgerottet gehören.“
April 2022: „Euch sollte man alle standrechtlich erschießen.“
April 2023: „Von dir könnte so mancher Nazi noch viel lernen.“
Das sind Nachrichten, die regelmäßig in unserem E-Mail-Postfach eintrudeln. Solche verbalen Angriffe versuchen uns einzuschüchtern und wollen uns davon abhalten, unsere Arbeit zu machen oder zu bestimmten Themen zu recherchieren. Immer wieder treffen uns Wellen des Hasses. Unbekannte beschmierten unser Büro nach einer Recherche zu einem rechten Youtuber. Einer Autorin wünschte man, ihre Mutter hätte sie damals doch abgetrieben. Der Name eines Kollegen steht aufgrund seiner Recherchen auf einer rechten Feindesliste.
Und wir sind kein Einzelfall. Faktencheck-Redaktionen auf der ganzen Welt sind solchen Angriffen ausgesetzt, jeden Tag. Vorläufige Ergebnisse einer großflächigen Umfrage in ganz Europa zeigen, wie sehr.
Freie und unabhängige Berichterstattung ist Grundlage einer demokratischen Gesellschaft. Aber Hass und Hetze schädigen und bedrohen sie. Am internationalen Tag der Pressefreiheit wollen wir darauf aufmerksam machen.
Hass- und Droh-Mails sind für Faktencheck-Redaktionen alltäglich – auch bei CORRECTIV
Die kroatische Faktencheck-Organisation Faktograf veröffentlichte Ende März vorläufige Ergebnisse einer Umfrage unter Faktencheckerinnen und Faktencheckern in Europa zum Thema Belästigungen und Bedrohungen (PDF zum Download). Neben CORRECTIV.Faktencheck nahmen daran 39 Organisationen aus 28 Ländern teil.
90 Prozent der Befragten wurden schon einmal belästigt, mehr als die Hälfte wird es regelmäßig. Gezielte Hasskampagnen, Beleidigungen und das Veröffentlichen privater Daten im Netz gehören zum Alltag vieler. Das Ausmaß reicht in einigen Fällen sogar bis zum Stalking. Manche hetzen offen, nutzen dafür ihren echten Namen, andere bleiben anonym. Auch Politikerinnen und Politiker greifen Faktencheckerinnen und Faktenchecher teils heftig öffentlich an – einige Befragte erfuhren Belästigungen aus höchster politischer Riege, darunter dem Staatsoberhaupt oder dem Parlamentschef.
Beispiele aus unserem Alltag spiegeln diese Erfahrungswerte wider, auch wenn es Redaktionen in anderen Ländern oft härter trifft. Besonders häufig richten sich Mails und Beiträge gegen Frauen in unserem Team. So wurde im Zuge einer Recherche zu einem viralen Video während der Corona-Pandemie die Telefonnummer einer Mitarbeiterin bei Telegram und in unterschiedlichen Blogs veröffentlicht. Sie erhielt daraufhin Anrufe, Hassmails und Todesdrohungen.
Warum braucht es Faktenchecks?
„Desinformation im Netz ist ein zentrales Problem des 21. Jahrhunderts. Es hat das Potenzial, Demokratien zu zerreiben. Falschinformationen können Angst und Hass schüren, Menschen verunsichern, sie davon abbringen, zum Arzt zu gehen oder ihr Wahlverhalten beeinflussen.
CORRECTIV.Faktencheck hat 2017 damit begonnen, ihnen etwas entgegenzusetzen. Desinformation ist die absichtliche Verbreitung von falschen Informationen, mit dem Ziel, die Gesellschaft zu polarisieren und zu spalten. Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass Menschen sich von Fakten überzeugen lassen. Faktenchecks wirken.
In unserer Arbeit verpflichten wir uns zu Transparenz und legen unsere Recherchewege offen.
Nicht jede Kampagne ist so persönlich; bei anderen geht es darum, den Ruf von CORRECTIV insgesamt zu schädigen. So versuchte eine auf Telegram koordinierte Kampagne Anfang 2023, das Rating unserer Internetseite auf der Bewertungswebseite Trustpilot mit gezielten Negativbewertungen zu senken. Durch die beherzte Eigeninitiative und Rückendeckung vieler Leserinnen und Leser schlug dieser Versuch fehl. Wir waren nicht die einzige betroffene Faktencheck-Redaktion.
Die Corona-Pandemie war ein Brandbeschleuniger für Hass und Hetze gegen Faktencheck-Redaktionen
„Das Nürnberger Tribunal 2.0 ist euch sicher.“ (14. November 2022)
Während Medienschaffende in vielen Ländern Repressionen ausgesetzt sind, Gefängnis- und Todesstrafen fürchten müssen und auch von staatlicher Seite bedroht werden, garantiert in Deutschland das Grundgesetz das Recht auf freie Berichterstattung und Meinungsäußerung.
„Wielange willst du verschissene, charakterlose und bösartige Drecksbrut jetzt noch Lügen ‘zum Thema’ verbreiten? Ihr kleinen Möchtergern-GöbbelZz?“ (15. Januar 2023)
Trotzdem rutscht Deutschland in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen weiter ab. 2022 verzeichnete die Menschenrechtsorganisation die höchste Anzahl von Angriffen auf Journalistinnen und Journalistin seit Beginn der Zählung. Die meisten Angriffe in der Bundesrepublik fanden in „verschwörungsideologischen, antisemitischen und extrem rechten Kontexten“ statt, meist auf Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen, heißt es.
Die Umfrage von Faktograf bestätigt: Die meisten Befragten gaben an, die Häufigkeit von Belästigungen hat mit der Corona-Pandemie zugenommen. Immer wieder tauchten in den vergangenen drei Jahren die Namen, Gesichter und E-Mail-Adressen unserer Journalistinnen und Journalistin in diffamierenden Blogbeiträgen und Videos auf. Einige Beiträge stammen von Verschwörungserzählern, an deren Weltbild wir rütteln, andere von Kritikerinnen der Corona-Maßnahmen oder bekannten Rechtsextremen, die uns einschüchtern wollen.
„IHR werdet eines Tages vor Gericht stehen und euch für euer niederträchtiges Verhalten verantworten müssen. Verdammte Hurenbande! Eure Namen und Daten sind ALLE gespeichert!“ (3. Oktober 2022)
Hass darf kein legitimes Mittel sein, das die Pressefreiheit bedroht
In Deutschland entschieden sich viele Journalistinnen und Journalisten nach Angriffen auf sie gegen eine Anzeige: ein Grund sei Angst, dass ihre Adressen aus Ermittlungsakten in gewaltbereite Hände geraten, schreibt Reporter ohne Grenzen.
Auch online florieren Hass und Drohungen frei, Ermittlungen gegen Verbreitende verlaufen oft ins Leere. Den befragten europäischen Faktencheck-Organisationen erscheinen die juristischen Mittel, digitalen Angriffen und Belästigungen nachzugehen, begrenzt wirksam. Das führt laut der Umfrage dazu, dass Faktencheckerinnen und Faktenchecker Bedrohungen eher nicht mehr Behörden melden – selbst, wenn die Handlungen in ihren Ländern unter das Strafrecht fallen. Ein Grund sei fehlendes Vertrauen in die Polizei, den Angriffen zeitig und konsequent nachzugehen.
In unserer Demokratie dürfen wir Hass und Hetze nicht als legitimes Mittel für den öffentlichen Diskurs gelten lassen. „Viele Menschen schweigen mittlerweile aus Angst vor Hass“, schreibt etwa Hateaid, eine gemeinnützige Organisation, die Betroffene von Hassrede und -kommentaren unterstützt. Doch „wenn einzelne Menschen nicht mehr ihre Meinung sagen, die laute Minderheit an Aufmerksamkeit gewinnt, Desinformation verbreitet wird, ist unsere Demokratie in Gefahr“.
Wir gehen daher in extremen Fällen den Rechtsweg gegen Urheber, auch wenn dieser Kraft, Zeit und Geld kostet. Zu konkreten Ergebnissen hat das bisher dennoch kaum geführt.
„Warum darf so etwas Widerliches wie du es bist, auf unserer schönen Erde und in unserer schönen Welt überhaupt Dasein berechtigt sein, etwas so Abstoßendes an Widerlichkeit und Geistesgestört durchseuchtes muss doch Kilometerweit stinken? Also Menschlicher Abfall einfach nur Gülle. […] Wegen solcher wie du haben sich Menschen umgebracht, dann bist du eigentlich ein Straftäter der vor Gericht gehört und dort auch landen wird, Menschenrechtsverletzung Grundrechtseinschränkungen und Verfassungsbrüche also Hochverrat an dem Volk hast du begangen und dafür wirst du dich verantworten.“ (19. April 2023)
Warum wir trotz Einschüchterungsversuchen nicht ans Aufhören denken
Die Ergebnisse der Umfrage unter Faktencheck-Redaktionen stehen laut Faktograf in starkem Gegensatz dazu, dass ihnen immer wieder vorgeworfen wird, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken und Zensur zu betreiben: „In Wirklichkeit sind sie es, die zum Schweigen gebracht oder eingeschüchtert werden sollen, auch mit rechtlichen Mitteln.“
Hitzigen Anschuldigungen begegnet man am besten mit Fakten. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Demokratie leistet. Denn nur auf Grundlage von objektiv und transparent recherchierten Fakten ist eine gesellschaftliche und politische Debattenkultur möglich.
Und es gibt viele Menschen, die uns bei unserer Arbeit unterstützen und dafür dankbar sind. Dieser Rückhalt ist es eigentlich, der am internationalen Tag der Pressefreiheit im Vordergrund stehen sollte. Er ist für uns Motivation und Motor, weiterzumachen und den öffentlichen Diskurs nicht einer Minderheit zu überlassen, die hetzt und die Gesellschaft spalten will.
„Dankeschön, dass ihr eure Lebenszeit dafür einsetzt, etwas Durchblick im Chaos zu schaffen!“ (Leser/in, 30. September 2022)
„Ich will Ihnen nur ein einfaches Danke sagen. Für Ihre Bemühungen, Ihre Arbeit, die Recherchen, die Statements, die vielfältigen Informationen und Aufklärungen.“ (Leser, 28. April 2023)
„Vielen lieben Dank für Ihre Arbeit. Sie ist so wichtig.“ (Leser, 25. März 2022)
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