Faktencheck

Boris Palmer der „letzte liberale Politiker“? Dieser Welt-Artikel ist eine Fälschung

Erneut hat der Politiker Boris Palmer einen rassistischen Begriff verwendet. Lobte ihn die Welt danach in einem Artikel mit der Überschrift „Rassismus ist Freiheit“? Nein, den angeblichen Artikel gab es nie.

von Matthias Bau

Welt Boris Palmer
Ein gefälschter Artikel der Welt über den Politiker Boris Palmer verbreitete sich im April 2023 auf Twitter. Die vermeintliche Autorin meldete sich noch am selben Tag zu Wort. (Symbolbild: Picture Alliance / Bildagentur-online / Schoening)
Behauptung
Die Welt habe am 30. April einen Meinungsbeitrag veröffentlicht mit dem Titel: „Rassismus ist Freiheit – Warum Boris Palmer der letzte wirklich liberale Politiker ist“.
Bewertung
Frei erfunden
Über diese Bewertung
Frei erfunden. Den Welt-Artikel gibt es nicht, die darin genannte Autorin sprach selbst von einem Fake. ​Mehrere Details enttarnen die Fälschung.

Auf Twitter kursierte Ende April das Bild eines angeblichen Kommentars der Welt mit dem Titel „Rassismus ist Freiheit – Warum Boris Palmer der letzte wirklich liberale Politiker ist“ (hier und hier). Autorin des Meinungstextes soll Welt-Chefreporterin Anna Schneider sein, Datum des Artikels der 30. April.

Doch der Artikel ist eine Fälschung, Schneider selbst wies darauf auf Twitter hin. 

Diesen Artikel über Boris Palmer gab es nie
Diesen Artikel über Boris Palmer gab es nie (Quelle: Twitter; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Angeblicher Welt-Kommentar zu Boris Palmer ist gefälscht – die Reporterin antwortete innerhalb von Stunden

Darauf, dass es sich bei dem Artikel um eine Fälschung handelt, deutet bereits dessen Veröffentlichungsdatum hin. Obwohl bereits am 29. April ein Tweet mit dem angeblichen Welt-Artikel kursierte, heißt es in der Artikelvorschau, der Text sei am 30. April erschienen. Ein offensichtlicher Widerspruch. 

Dieser löst sich auch durch eine Google-Suche nach dem Artikel auf der Internetseite Welt.de nicht auf. Auf der Homepage der Welt wurde kein Text mit dem Titel „Warum Boris Palmer der letzte wirklich liberale Politiker ist“ veröffentlicht. Auf der Profil-Seite der Welt-Journalistin Anna Schneider, die den Artikel geschrieben haben soll, fand sich im April kein solcher Meinungsbeitrag.

Schneider reagierte bereits am 29. April auf einen der Tweets mit dem Artikelbild, der später gelöscht wurde. In ihrem Twitter-Beitrag schrieb die Journalistin, dass der Artikel ein „Fake“ sei.

Auf Twitter weist die Journalistin Anna Schneider darauf hin, dass es sich bei dem angeblichen Artikel um eine Fälschung handelt
Auf Twitter weist die Journalistin Anna Schneider darauf hin, dass es sich bei dem angeblichen Artikel um eine Fälschung handelt (Quelle: Twitter; Screenshot am 8. Mai: CORRECTIV.Faktencheck)

Woran lässt sich erkennen, dass der Text über Boris Palmer eine Fälschung ist?

Es stimmt, dass in dem angeblich aktuellen Artikel ein älteres Foto von Anna Schneider zu sehen ist (hier im Januar, hier im April). Stellt man den „Fake“ anderen Meinungsbeiträgen der Welt-Autorin gegenüber, sind weitere Unterschiede zu erkennen. 

So haben Kommentare auf der Internetseite eine kursive Überschrift – das Bild im Netz dagegen nicht. Angaben zu Datum und Lesedauer werden ebenfalls in unterschiedlichen Schriftarten dargestellt. Auch die Dachzeile „Rassismus ist Freiheit“ weicht minimal ab, wie sich am Buchstaben „R“ darin erkennen lässt. 

Hier haben wir diese Details bei dem Fake-Artikel (oben) rot markiert und bei einem echten Kommentar (unten) grün hervorgehoben:

Oben der „Fake“, unten ein echter Text von Anna Schneider bei Welt.de: Rot markiert sind die Hinweise, die zeigen, dass der vermeintliche Artikel eine Fälschung ist. Das Schriftbild unterscheidet sich an mehreren Stellen.
Oben der „Fake“, unten ein echter Text von Anna Schneider bei Welt.de: Rot markiert sind die Hinweise, die zeigen, dass der vermeintliche Artikel eine Fälschung ist. Das Schriftbild unterscheidet sich an mehreren Stellen. (Quelle: Twitter, Welt; Screenshots, Collage und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Wer ist Boris Palmer?

„Der Tübinger Oberbürgermeister Palmer galt bei den Grünen lange als politisches Talent. Doch über die Jahre wurde er mehr und mehr zum Provokateur“, schreibt die Tagesschau am 4. Mai über den Politiker. Palmer fiel über Jahre immer wieder mit rassistischen und diskriminierenden Aussagen auf. Dazu gehörte auch seine Verwendung des N-Wortes.

Das von Palmer verwendete Wort wird inzwischen häufig als „N-Wort“ abgekürzt. Es ist ein abwertender Ausdruck, der vordergründig neutral wirke, aber eine Vielzahl rassistischer und eurozentristischer Stereotype beinhalte, wie die schweizerische Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus erklärt. Ursprünglich wurde das Wort im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Rassentheorien ins Deutsche übernommen. Solche Theorien teilten Menschen in „höhere“ und „niedrigere“ Rassen ein und rechtfertigten so die Verschleppung und Versklavung schwarzer Menschen.

Der gefälschte Artikel steht mutmaßlich in Zusammenhang mit Palmers Besuch an der Goethe-Universität Frankfurt am Main am 28. April. Dort trat er als Referent bei einer Veranstaltung zum Thema Migration auf, vor dem Gebäude warteten Demonstrierende auf ihn. Es kam zu einer Diskussion, wie zum Beispiel hier im Video der Frankfurter Neuen Presse zu hören ist. Dabei sagte Palmer erneut das N-Wort und kritisierte, er würde dafür pauschal als Nazi verurteilt. Das sei „nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi.“ 

Der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, reagierte darauf mit einer Stellungnahme: „Jede explizite oder implizite den Holocaust relativierende Aussage ist vollkommen inakzeptabel und wird an und von der Goethe Universität nicht toleriert – dies gilt gleichermaßen für die Verwendung rassistischer Begriffe.“ 

Am 2. Mai gab Palmer bekannt, dass er bei den Grünen ausgetreten sei und eine Auszeit nehmen wolle. Die Stadt Tübingen hatte laut DPA bestätigt, dass der Oberbürgermeister eine einmonatige Pause einlegen wolle. 

Redigatur: Sarah Thust, Sophie Timmermann