Europawahl 2024: AfD verbreitet Tabelle, die anderen Parteien falsche Positionen unterstellt
Mit einer Tabelle will die AfD vor der Europawahl zeigen, dass sie acht Positionen vertritt, denen andere Parteien widersprechen. Die großen Parteien wollten zum Beispiel nicht die „Außengrenzen schützen“ oder „Bargeld erhalten“. Doch ein Faktencheck zeigt, dass die Positionen der AfD nicht so exklusiv sind, wie behauptet.
Anlässlich der bevorstehenden EU-Wahl kursierte im April 2024 eine Tabelle, die in ähnlicher Form bereits vor der EU-Wahl im Jahr 2019 die Runde machte. Die Facebook-Seite „AfD im EU-Parlament“ teilte die Liste mit einem Wahlaufruf. Dort werden unter dem Logo der „Identität und Demokratie“, der Rechts-Außen-Fraktion im Europäischen Parlament, acht politische Positionen von fünf deutschen Parteien einander gegenübergestellt. Es geht vor allem um Außenpolitik, etwa um Aussagen wie „Außengrenzen schützen“ oder „Diplomatie statt Waffen“. Die AfD würde diese Punkte alle bejahen, Union, FDP, SPD und Grüne wären dagegen. Andere Parteien, die für die Europawahl in Deutschland am 9. Juni 2024 antreten, kommen auf der Liste nicht vor.
Zur Tabelle schrieb etwa der AfD-Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen, Markus Wagner, auf Facebook: „Dafür stehen nur wir.“ Das stimmt so aber nicht, wenn man sich die Europawahl-Programme der fünf Parteien anschaut.
Die ID, deren Logo sich oben rechts im Bild befindet, ist ein Parteienbündnis rechtspopulistischer, nationalistischer und rechtsextremer Parteien im Europäischen Parlament. Dazu gehören zum Beispiel die französische Rassemblement National und die italienische Lega. Am 23. Mai schloss die ID die AfD aus ihrer Fraktion aus. Parteimitglieder der AfD werden auf der Webseite des EU-Parlaments inzwischen als fraktionslos gelistet.
Auf unsere Anfrage, ob die AfD die Tabelle bei der ID-Fraktion in Auftrag gegeben hatte und woher die Informationen stammen, erhielten wir bis zur Veröffentlichung keine Antwort.
Wir haben die EU-Wahlprogramme der AfD, der Union, FDP, SPD und der Grünen überprüft: Nur drei der acht Positionen nimmt von den genannten Parteien ausschließlich die AfD ein – das trifft zu auf die Punkte „Nationalstaat vor EU-Zentralismus“, „Diplomatie vor Waffen“ und bei der Forderung, Nord Stream instand zu setzen. In den anderen fünf Punkten vertreten auch andere Parteien die genannten Positionen in ihren Wahlprogrammen.
Die Tabelle ist also größtenteils falsch. Was sich hinter den jeweiligen Punkten verbirgt und wie die einzelnen Parteien in ihren Wahlprogrammen dazu stehen, haben wir im Folgenden aufgeschlüsselt.
Punkt 1: „Nationalstaat vor EU-Zentralismus“
In der ersten Zeile der Tabelle steht: „Nationalstaat vor EU-Zentralismus“, nur bei der AfD steht dann das Wort „Ja“ in der Spalte – bei Union, FDP, SPD und Grünen steht „Nein“. Richtig ist: Die AfD fordert in ihrem Wahlprogramm „EU-Parlament abschaffen“. (Seite 11)
Die Übersicht suggeriert, die AfD sei die einzige Partei, die Interessen des einzelnen Staates über die der EU stellt. Im Europawahlprogramm der AfD wird die EU-Feindlichkeit der Partei immer wieder deutlich. Sie fordert etwa die Wiedereinführung der Deutschen Mark und eine Neugründung der EU, in der den Nationalstaaten mehr Entscheidungsgewalt zufallen soll: „Die AfD strebt eine neue Europäische Wirtschaftsgemeinschaft souveräner Nationalstaaten an“. (Seite 22)
Im Europawahlprogramm der CDU und CSU finden sich derlei Forderungen nicht. Dort heißt es gleich auf Seite 1: „Wir brauchen Europa und Europa braucht uns“. Der Terminus „Nationalstaat“ taucht im ganzen Programm in nur einem einzigen Satz auf: „Die Europäische Union, getragen von starken Nationalstaaten, bietet alle Voraussetzungen, um uns Europäerinnen und Europäer verlässlich zu schützen.“ (Seite 2)
Im Europawahlprogramm der FDP steht auf Seite 2, Europa müsse stärker, einfacher und marktwirtschaftlicher werden. Dass sich bestimmte politische Probleme auf Ebene der Nationalstaaten regeln lassen, ist laut FDP unrealistisch: „All diese Herausforderungen lassen sich nicht allein national meistern.“ (Seite 1)
Auch die SPD setzt sich für eine Stärkung der EU gegenüber den Nationalstaaten ein. Im Europawahlprogramm findet sich dazu ein eigenes Kapitel mit dem Titel: „Die Handlungsfähigkeit der EU stärken“. Dort heißt es: „Schon heute – mit 27 Mitgliedsstaaten – erschweren die Entscheidungsprozesse das Vorankommen der Union und ihre Reaktionsfähigkeit in Krisenzeiten. Angesichts globaler Herausforderungen braucht es effiziente demokratische Entscheidungsstrukturen, die der steigenden Komplexität Rechnung tragen.“ (Seite 26)
Das Europawahlprogramm der Grünen zeugt ebenfalls von der EU-freundlichen Einstellung der Partei. Sie will die Erweiterung der EU vorantreiben (Seite 76) und Europa stärken (Seite 5), denn so heißt es im Programm: „Wo die Durchsetzungskraft des einzelnen Nationalstaates endet, fängt die der Europäischen Union erst an. Vor diesem Hintergrund wollen wir Europa schützen, damit es uns schützt. Wir wollen es stärken, weil es uns stark macht. Wir wollen seine Handlungsfähigkeit sichern, um Freiheit zu wahren.“ (Seite 4)
Fazit: Die AfD steht mit ihrer Haltung zum Konzept des Nationalstaats und zur EU allein da, auch wenn einige Parteien EU-Reformen in verschiedenen Bereichen anstreben.
Punkt 2: „Außengrenzen schützen“
Im Programm der AfD klingt die Frage nach dem Schutz der EU-Außengrenze so: „Wegen der fehlenden Sicherung der Außengrenzen findet immer noch ein unkontrollierter Zustrom von illegal einreisenden Ausländern statt.“ Die Lösung sei dass die EU ihre Außengrenze schütze, „die einzelnen Mitgliedstaaten aber auch zusätzlich in Eigenregie Grenzkontrollen durchführen und andere verhältnismäßige Maßnahmen zur rechtsstaatlichen Abwehr illegaler Migration an ihren eigenen Staatsgrenzen treffen dürfen“. (Seite 15)
Dass die AfD nicht die einzige Partei ist, die die Außengrenzen gegen widerrechtliche Migration schützen möchte, zeigt sich am Wahlprogramm der Union: „Gleichzeitig stellt die irreguläre Migration die gesamte EU und besonders Deutschland vor erhebliche Probleme. Wir wollen diese Zuwanderung stoppen.“ Dafür werden sogar bauliche Maßnahmen vorgeschlagen, die europäische Grenzschutzagentur Frontex brauche 30.000 Grenzschützer, und bis der Außengrenzschutz funktioniere, sollen Kontrollen an den Binnengrenzen möglich sein. (Seite 7)
Auch im Programm der FDP finden sich klare Ziele, irreguläre Migration einzudämmen: „Die Voraussetzung für offene Grenzen im Innern ist jedoch ein starker, effektiver Schutz der EU-Außengrenze. Wir setzen uns für geeignete Grenzschutzmaßnahmen sowie eine moderne Sicherheitstechnik zur Überwachung des Grenzbereichs an den EU-Außengrenzen ein.“ Dafür brauche die Grenzschutzagentur Frontex 10.000 Einsatzkräfte. (Seite 9)
Im Wahlprogramm der SPD heißt es: „Damit die EU-Außengrenzen rechtsstaatlich und sicher sind, braucht es weiterhin eine umfassende Prüfung der systematischen und strukturellen Probleme der größten EU-Agentur.“ (Seite 34) Gemeint ist damit ebenfalls Frontex. Es brauche „Ordnung und Humanität“ an den Außengrenzen, heißt es an anderer Stelle.
Im Programm der Grünen steht: „Selbstverständlich muss die EU ihre Außengrenzen kontrollieren“, allerdings liegt der Fokus hier auf Rechtsbrüchen gegenüber Migranten, die beendet werden sollen: „Doch leider treffen viele andere Asylsuchende an EU-Grenzen nicht auf rechtsstaatliche Kontrollen, sondern auf Unrecht und Gewalt.“ Dafür soll auch Frontex besser überwacht werden. (Seite 103)
Fazit: Der Schutz der EU-Grenze kommt in den Wahlprogrammen aller genannten Parteien vor. Binnengrenzkontrollen sind nicht nur von der AfD vorgesehen, sondern etwa auch von der CDU.
Punkt 3: „Abschiebungen durchsetzen“
Die konsequente Abschiebung von Migrantinnen und Migranten ist eine zentrale Forderung der AfD und wird auch im Wahlprogramm angesprochen. So sollen „Straftäter und Terroristen“ auch in unsichere Herkunftsstaaten abgeschoben werden. Gehe das nicht, „sind sie hilfsweise in aufnahmebereite Drittstaaten zu überführen“. (Seite 14)
Im Wahlprogramm der Union kommt das Wort Abschiebung nicht vor, aber es wird der sogenannte Ruanda-Plan aus dem Grundsatzprogramm übernommen, wonach Asylbewerber nicht in der EU um Asyl bitten sollen, sondern in Drittstaaten außerhalb der EU. Dort soll dann auch das Asylverfahren für Deutschland durchlaufen werden. (Seite 7) Ergänzend erklärte Armin Peter, stellvertretender Pressesprecher der CDU Deutschland via E-Mail: „Asylbewerber ohne Schutzberechtigung müssen unser Land wieder verlassen. Wenn dies nicht freiwillig geschieht, muss die Ausreisepflicht staatlich durchgesetzt werden.“
Die FDP spricht sich im Wahlprogramm für eine „grundlegende EU-Asylreform“ aus, „insbesondere mit schnelleren Asylverfahren und konsequenten Rückführungen“ – mit Rückführungen sind Abschiebungen gemeint. Die Partei spricht sich auch für die Drittstaatenregelung aus, wonach das Asylverfahren in sicheren Drittstaaten außerhalb der EU beantragt und durchlaufen werden soll. (Seite 10)
Die SPD lehnt diese Drittstaatenregelung explizit ab, bezieht im Programm aber keine klare Stellung zu Abschiebungen (Seite 33-35). Allerdings hat sich die SPD-Fraktion im Bundestag erst im Januar dafür ausgesprochen, besonders Straftäter und Gefährder schneller abschieben zu wollen.
Bei den Grünen wird betont, dass ein abgelehntes Asylverfahren zu einer zügigen Ausreise führen solle. „Rückführungen sind immer mit besonderen menschlichen Härten verbunden. Wir wollen, dass die freiwillige Rückkehr Vorrang vor zwangsweisen Rückführungsmaßnahmen hat. Deshalb setzen wir uns für eine europaweite, ergebnisoffene und unabhängige Rückkehrberatung ein.“ (Seite 104-106)
Fazit: Schnellere Abschiebeverfahren und eine allgemein konsequentere Abschiebung ist nicht nur der AfD ein Anliegen – auch die FDP und die Union thematisieren diese Themen in ihren Wahlprogrammen. Die Behauptung, die Einstellung der AfD sei exklusiv, ist falsch.
Punkt 4: „Diplomatie statt Waffen“
Kontext dieses Stichpunktes ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine. Dass die AfD nicht die einzige Partei ist, die eine diplomatische Lösung für den Krieg in der Ukraine anvisiert, lässt sich schon medialer Berichterstattung entnehmen. So hieß es in der Welt am 9. April 2024: „Kommunalpolitiker aus Brandenburg haben einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben. Sie fordern eine andere Ukraine-Politik. Verantwortlich dafür sind zwei CDU-Politiker – doch auch Vertreter von AfD und Linken haben unterzeichnet.“ Sie ist aber tatsächlich die einzige, die diese Position auch im Europawahlprogramm hat.
Im Programm der AfD heißt es zu dem Thema, Waffenlieferungen in Kriegsgebiete würden nicht dem Frieden dienen, und: Unter anderem wegen Deutschlands Wirtschaftsbeziehungen zu Russland sei es nötig, „mit diplomatischen Mitteln auf eine Beendigung des Krieges hinzuwirken und so auch für friedliche deutsch-russische Beziehungen zu sorgen“. (Seite 29)
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU hatte im Dezember 2023 gefordert, diplomatische Ansätze im Krieg in der Ukraine anzugehen. Allerdings setzt sich die CDU auch explizit für die Waffenlieferungen ein, wie es auf der Webseite heißt. Dort steht auch: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen – dies liegt im deutschen und europäischen Sicherheitsinteresse.“ Im Europawahlprogramm von CDU und CSU steht, die Ukraine brauche „unsere umfassende Unterstützung“. (Seite 4)
Im Programm der FDP klingt das sehr ähnlich: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen und ihre territoriale Integrität und Souveränität zurückerlangen. Dafür muss die EU die Ukraine weiterhin humanitär, finanziell, wirtschaftlich und militärisch stärker unterstützen – auch mit der zusätzlichen Lieferung dringend benötigter Waffensysteme wie dem Marschflugkörper Taurus.“ Die Kapazitäten der europäischen Rüstungsindustrie sollen dafür gesteigert und der Europäische Verteidigungsfonds ausgebaut werden. (Seite 12-14)
Auch vereinzelte SPD-Mitglieder sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, wie sich der Berichterstattung im Sommer 2023 entnehmen ließ. Die SPD als Partei steht jedoch zu den Waffenlieferungen. Erst im März 2024 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Ukraine mehr Waffenlieferungen in Aussicht gestellt. Die militärische Unterstützung betont die SPD auch im Wahlprogramm. (Seite 2)
Die Grünen unterstützen ebenfalls die Waffenlieferungen an die Ukraine. So heißt es auf der Webseite der Partei: „Die Lage der Ukraine ist dramatisch. Es braucht mehr Unterstützung in allen Dimensionen: diplomatisch, finanziell, humanitär, beim Wiederaufbau und aktuell akut mit mehr Waffen und mehr Munition.“ Das bekräftigt Moritz Schott, stellvertretender Pressesprecher der Grünen uns via E-Mail, Diplomatie sei das Mittel der Wahl. Doch: „Die Ukrainer*innen verteidigen auch unseren Frieden und Freiheit in Europa. Und deswegen unterstützen wir die Ukraine auch weiter politisch, finanziell und militärisch.“
Fazit: Einzelne Mitglieder anderer Bundesparteien sprachen sich ebenfalls für diplomatische Ansätze im Angriffskrieg gegen die Ukraine aus – nicht aber ganze Parteien.
Punkt 5: „Nord Stream instandsetzen“
Im Wahlprogramm der AfD heißt es, Deutschland brauche friedliche Beziehungen zu Russland und zum ungestörten Handel gehöre auch die Instandsetzung der Nord-Stream-Leitungen. (Seite 29) An anderer Stelle heißt es: „Die Reparatur der durch einen Terroranschlag beschädigten Leitungen ist sofort zu veranlassen“. (Seite 35) Auch die AfD-Fraktion des Bundestags hatte im Oktober 2023 eine Reparatur der gesprengten Pipeline gefordert.Im Wahlprogramm der Union wird Nord Stream nicht erwähnt, aber dass eine Reparatur der Pipeline keine exklusive AfD-Forderung ist, lässt sich der medialen Berichterstattung entnehmen. So forderte etwa auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (CDU) eine Instandsetzung.
Im Programm der FDP heißt es: „Der deutsche Alleingang gegen die Interessen unserer europäischen Partner bei Nord Stream 1 und 2 war ein folgenschwerer Fehler.“ (Seite 14) Das ist zwar kein klares Nein gegen eine Instandsetzung, aber die FDP stellte bereits vor dem Anschlag auf die Pipeline zur Diskussion, dass man sie zurückbauen solle.
Im Wahlprogramm der SPD kommt die Pipeline nur am Rande vor: „Die Energiepreiskrise in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine war eine Krise der fossilen Energieträger. Durch einen gemeinsamen Kraftakt haben wir es geschafft, kurzfristig unsere Abhängigkeit von Russland zu verringern. So etwas darf uns nicht noch mal passieren.“ (Seite 9) Wir haben die SPD angefragt, wie sie zu einer Reparatur der Pipeline steht, erhielten jedoch keine Antwort.
Bei den Grünen liest sich die Passage zum Thema sinngleich: „Gleichzeitig hat uns insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt, wie abhängig wir noch von Erdgas sind und welche Schwierigkeiten das mit sich bringt.“ Die Forderung nach einer Reparatur der Pipeline gibt es auch dort nicht; stattdessen ist das Ziel der Grünen, vollständig auf fossile Energien zu verzichten. (Seite 9)
Fazit: Die AfD hat als einzige die Forderung, Nord-Stream zu reparieren, im Europawahlprogramm. Einzelne Mitglieder anderer Parteien unterstützen ebenfalls eine Reparatur der Pipeline.
Punkt 6: „Kernkraft und Verbrenner“
Der Begriff „Verbrennerverbot“ taucht bei der Berichterstattung über die Europawahl immer wieder auf – es handelt sich auch um ein Thema im Wahlkampf der AfD. Doch auch von anderen Parteien wird er genutzt – er ist aber irreführend. Er bezieht sich auf eine EU-Regelung, die die Zulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor jedoch weiterhin zulässt. Demnach sollen in der EU ab 2035 nur noch Neuwagen zugelassen werden, die CO2-frei fahren.
Bei der Frage danach, ob Energie durch Kernkraft und Verbrennungsmotoren weiter gefördert oder erhalten werden sollen, hat die AfD also kein Alleinstellungsmerkmal. In ihrem Programm schreibt sie: „Die AfD setzt sich generell für den Erhalt des Verbrennungsmotors ein.“ (Seite 35) Zur Kernkraft fordert sie die „Wiederaufnahme der Stromproduktion in den sechs seit dem Ende des Jahres 2021 außer Dienst gestellten deutschen Kernkraftwerken.“ (Seite 42)
Die CDU fordert im Wahlprogramm: „Zum Energiemix gehören für uns alle Erneuerbaren Energien sowie die Kernkraft – wir können auf diese Option derzeit nicht verzichten.“ (Seite 13) Und weiter: „Wir stehen zum Auto, unabhängig von der Antriebsart. Wir wollen das Verbrennerverbot wieder abschaffen und die deutsche Spitzentechnologie des Verbrennungsmotors erhalten und technologieoffen weiterentwickeln. Synthetische Kraftstoffe spielen dafür eine zentrale Rolle. Wir schreiben keine Technologien vor.“ (Seite 14)
Auch die FDP will Kernkraft und Verbrenner nicht abschreiben. Im Programm heißt es: „Wir wollen Verbrennungsmotoren klimafreundlich machen, nicht verbieten.“ (Seite 19). Zur Kernkraft heißt es: „Kernfusion bietet das Potential, Energie in Zukunft klimaneutral und sicher zu erzeugen. Wir wollen für die Kernfusion einen innovationsfreundlichen Rechtsrahmen außerhalb des Atomrechts schaffen, der den geringeren Risiken dieser Technik Rechnung trägt.“
Die SPD argumentiert nicht pauschal für das Verbrennerverbot, zielt aber in Richtung klimafreundlicher Energiequellen: „Wir wollen die Industrie dabei unterstützen, den Wandel hin zu klimaneutralen und kreislaufbasierten Verfahren zu vollziehen.“ (Seite 6) SPD-Fraktions-Vizepräsident Detlef Müller erklärte im Juni 2022: „Elektrische Antriebe sind die Zukunft.“ Die Frage nach der Kernkraft ist dagegen im Wahlprogramm eindeutiger: „Wir lehnen die Förderung der Atomenergie durch EU-Mittel ab. Es sollen keine Steuergelder in die teure und unzuverlässige Hochrisikotechnologie Kernenergie fließen. Die Zukunft gehört den Erneuerbaren, die schon heute unsere günstigsten Energiequellen sind.“ (Seite 10)
Die Grünen beziehen zu Atomkraft ebenfalls einen klaren Standpunkt im Wahlprogramm: „[Wir setzen] uns in der EU gegen die Atomkraft als taugliche Form der Energiegewinnung ein.“ (Seite 9-10) Zum Verbrenner-Aus heißt es: „Die EU hat in einer historischen Entscheidung beschlossen, dass ab 2035 keine fossilen Verbrennungsmotoren in Pkw mehr neu zugelassen werden dürfen. […] Die CO₂-Reduktion der Pkw-Antriebe bis 2035 soll dabei konsequent und noch ambitionierter als bislang beschritten werden. Das ist gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland, den Klimaschutz und die Verbraucher*innen.“ (Seite 31)
Fazit: Auch in diesem Punkt ist die AfD nicht Alleinvertreter ihrer Position. So sind auch die CDU und die FDP gegen den Kernkraftausstieg und das Verbrennerverbot.
Punkt 7: „Gegen eine EU-Schuldenunion“
Die AfD propagiert das Szenario einer sogenannten Schuldenunion immer wieder. Dahinter steht bei der AfD die Vorstellung, dass die Schuldenpolitik der EU-Mitglieder zentral von der EU gesteuert wird. Es geht dabei aber auch um die Frage, ob die EU an sich Schulden aufnimmt oder die Mitgliedstaaten sich gemeinsam verschulden. Im Wahlprogramm positioniert die AfD sich gegen eine „Vergemeinschaftung der Schulden“ und gegen eine „zentralistische Geld- oder Wirtschaftspolitik“. (Seite 20-21)
Im Wahlprogramm der CDU heißt es, sie sei „Für eine echte Stabilitätsunion, gegen eine Schuldenunion“. Und weiter: „Jeder Mitgliedstaat haftet für seine eigenen Schulden. Allen Formen einer Haftung Deutschlands für Schulden anderer Staaten oder für Spareinlagen in anderen Staaten (Einlagensicherung) erteilen wir eine klare Absage.“ (Seite 17)
Auch die FDP setzt bei dem Thema eine klare Grenze: „Mit der FDP wird es keinen Einstieg in eine Schuldenunion geben. […] Eurobonds lehnen wir ab.“ (Seite 16) Mit Eurobonds sind Europäische Staatsanleihen gemeint.
Die SPD bezieht dazu weniger eindeutig Position: „Auch Staaten mit einem höheren Schuldenstand müssen in der Lage sein, die klimaneutrale und digitale Transformation zu meistern und soziale Investitionen zu tätigen. Wir brauchen daher dringend eine entschlossene, koordinierte und solidarische europäische Investitionspolitik.“ (Seite 20) Wir haben die SPD zu dem Punkt angefragt, erhielten jedoch keine Antwort.
Im Programm der Grünen werden zumindest die bereits genannten Eurobonds erwähnt: „Erstens wollen wir die finanzielle Ausstattung der EU insgesamt durch neue Eigenmittel und höhere nationale Beiträge verbessern. Für die Bewältigung großer Herausforderungen haben sich zudem auch gemeinsame europäische Anleihen bewährt.“ (Seite 17) An anderer Stelle heißt es: „Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen sich für solide Schuldenrestrukturierungen und Schuldenerlasse für besonders belastete Länder einsetzen.“ (Seite 74)
Fazit: Den Begriff „Schuldenunion“ nutzen auch Parteien wie die CDU und die FDP in ihren Wahlprogrammen. Was die richtige Politik ist, um Investitionen und Verschuldung innerhalb der Europäischen Union besser zu steuern, das sehen die Parteien unterschiedlich – alle gehen darauf aber in ihren Programmen ein.
Punkt 8: „Bargeld erhalten“
Die AfD behauptet in ihrem Programm: „Unser Bargeld ist in Gefahr.“ Hintergrund sei der digitale Euro der Europäischen Zentralbank (EZB), „der ein Einfallstor für die schleichende Abschaffung des Bargelds wäre“. (Seite 21) Allerdings plant die EZB laut eigenen Angaben gar nicht, Bargeld abzuschaffen. Sie erklärt stattdessen, dass der digitale Euro lediglich eine ergänzende Bezahlfunktion sein soll. Auch beschlossen ist der digitale Euro nicht.
Bei der CDU heißt es im Wahlprogramm: „Der wichtige Kampf gegen Geldwäsche darf nicht mit einem unnötigen Kampf gegen Bargeld verwechselt werden. Wir setzen uns für den Erhalt des Bargelds ein.“ (Seite 18)
Die FDP findet pathetische Worte: „Bargeld ist geprägte Freiheit. Deshalb setzen wir uns für den uneingeschränkten Erhalt von Bargeld als Zahlungsmittel in der Europäischen Union ein und lehnen einheitliche Bargeldobergrenzen ab.“ (Seite 17)
Die SPD im EU-Parlament thematisierte den digitalen Euro bereits, auch wenn Bargeld nicht im Wahlprogramm erwähnt wird: „Ergänzt wird der Verordnungsentwurf mit einem Gesetzesvorschlag, der sicherstellen soll, dass Bargeld weiterhin breit akzeptiert wird und Verbraucher*innen flächendeckend Zugang dazu haben.“ Joachim Schuster, der finanzpolitische Sprecher der EU-SPD erklärte: „Wie der genaue Mehrwert eines digitalen Euros in Abgrenzung zu bestehenden Zahlungssystemen aussehen soll, ist allerdings noch unbeantwortet.“ Man sei sich aber einig, dass Bargeld dadurch nicht ersetzt werden soll.
Auch die Grünen wollen Bargeld nicht abschaffen. Im Programm heißt es: „Wir unterstützen die Einführung des digitalen Euros als Ergänzung zum Buchgeld der Geschäftsbanken und zum Bargeld, welches weiterhin als barrierefreies Zahlungsmittel möglich bleiben wird.“ (Seite 18)
Fazit: Keine der fünf Parteien spricht sich in ihrem Wahlprogramm für die Abschaffung von Bargeld aus.
Mitarbeit: Matthias Bau
Redigatur: Gabriele Scherndl, Sarah Thust
Alle Faktenchecks zur Europawahl 2024 finden Sie hier.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- EU-Wahlprogramm 2024 der AfD: Link (archiviert)
- EU-Wahlprogramm 2024 der CDU/CSU: Link (archiviert)
- EU-Wahlprogramm 2024 der SPD: Link (archiviert)
- EU-Wahlprogramm 2024 der FDP: Link (archiviert)
- EU-Wahlprogramm 2024 der Grünen: Link (archiviert)