Städte in der Klimakrise

Zwischen Asphalt und Beton

Seit Jahren wollen Kommunen graue Flächen durch Grün ersetzen. Doch tun sie das wirklich? CORRECTIV und Vertical52 haben drei Städte mit Hilfe einer aufwändigen Satellitenrecherche untersucht. Sie zeigt: Tatsächlich findet Entsiegelung nicht ausreichend statt, um Menschen vor Klimafolgen wie Hitze und Hochwasser zu schützen. 

Wer in deutschen Großstädten nach Grünflächen sucht, ist mancherorts lange unterwegs: Straßen und Radwege sind asphaltiert, Bäume und Wiesen weichen Neubauten und Parkplätzen. Und täglich färben sich neue Flächen grau.

Fachleute sehen Kommunen vor einer Mammutaufgabe: Um die Menschen vor Folgen der Klimakrise wie Hitzewellen und Hochwasser zu schützen, müssen die Städte umgebaut werden. Aber passiert das auch?

CORRECTIV hat gemeinsam mit Vertical52, einer Plattform für Satellitenjournalismus, die Versiegelung der drei deutschen Städte Leipzig, Hamburg und Stuttgart untersucht.

Erstmals zeigen wir anhand von Aufnahmen des Sentinel 2 Satelliten, welche Stadtteile besonders von Asphalt und Beton betroffen sind und wo die Versiegelung am stärksten zugenommen hat. Und haben, stellvertretend für viele Metropolen in Deutschland, überraschende Ergebnisse.

Trotz offizieller Bekenntnisse zur Klimaanpassung nimmt die Versiegelung in allen drei Städten zu. Beispielsweise hat sich Leipzig als Ziel gesetzt, jährlich 1.000 neue Bäume zu pflanzen. Zugleich gingen zwischen 2018 und 2024 acht Quadratkilometer Grünfläche verloren, das ist so groß wie 1.120 Fußballfelder. 

Das oft als „grüne Oase“ wahrgenommene Leipzig ist insgesamt versiegelter als man vielleicht denkt. Zwischen 2018 und 2024 stieg der Anteil betonierter und asphaltierter Flächen von 29,2 auf 31,2 Prozent – ein Zuwachs von etwa sechs Quadratkilometern. 

Stuttgart hingegen, oft als Inbegriff einer Industriestadt wahrgenommen, überrascht: Seit 2018 nahmen die Grünflächen immerhin um einen Quadratkilometer hinzu, das sind etwa 0,5 Prozent der Stadtfläche. Bemerkenswert ist die gezielte Entsiegelung in bereits stark bebauten Vierteln wie dem Europaviertel oder rund um das Rathaus. Doch insgesamt steigt auch in der baden-württembergischen Hauptstadt die Versiegelung um einen Quadratkilometer an. 

Keine der drei Städte hat so viel betoniert und asphaltiert wie die Hansestadt Hamburg: 14 Quadratkilometer – eine Fläche etwa fünfmal so groß wie der Stadtteil St. Pauli – wurden zwischen 2018 und 2024 neu versiegelt.

Satellitendaten

Wir haben für die Analyse mit der Firma Vertical52 zusammengearbeitet. Vertical52 verwendete Satellitenbilder von Sentinel 2 mit einer Auflösung von zehn Metern, um die Änderung der Versiegelung zwischen 2018 und 2024 zu berechnen. Die Aufnahmen stammen jeweils aus dem Monat Mai. Vertical52 wertete zusätzlich Bilder von PlanetScope-Satelliten mit einer höheren Auflösung von drei Metern aus, um die Versiegelung im Jahr 2024 genauer zu bestimmen. Auch diese Aufnahmen wurden im Mai gemacht. Die PlanetScope-Bilder waren leider nicht für einen Vergleich mit Bildern aus früheren Jahren nutzbar.  

 

Die Fläche werden anhand ihrer unterschiedlichen Reflexion klassifiziert. Vertical52 hat ein KI-Modell anhand von hunderten Bodenpunkten darauf trainiert, die verschiedenen Bodenarten voneinander zu unterscheiden. Als Trainingsdaten wurden möglichst eindeutige Flächen gewählt – also beispielsweise eine grüne Wiese und eine Straße.

 

Folgende Einschränkungen sind häufig:

  • Wenn etwa ein Baum entlang einer Straße im Monat Mai (dem Zeitpunkt unserer Aufnahmen) schon Blätter trägt, ist der Asphalt nicht mehr von oben sichtbar, die versiegelte Fläche wird fälschlicherweise als Grünfläche bestimmt.
  • Die räumliche Auflösung des Satellitenbildes bestimmt, wie exakt wir die Bodenarten unterscheiden können. Bei den Satellitenbildern von Sentinel 2 ist ein Pixel zehn mal zehn Meter groß. Sehr kleinteilige Flächen, wie etwa teilversiegelte Flächen, können deshalb nicht eindeutig erkannt werden.

CORRECTIV nutzte die Ergebnisse von Vertical52, um die Versiegelung pro Stadtteil zu bestimmen und mit Hitzedaten zu vergleichen.

Hitzedaten

Für unsere Analyse haben wir die Abweichung der durchschnittlichen Oberflächentemperatur eines Stadtteils von der durchschnittlichen Oberflächentemperatur der gesamten Stadt berechnet. So konnten wir die überdurchschnittlich heißen Stadtteile identifizieren. Die Messungen stammen von Satelliten aus der Landsat Kollektion 2 der US-amerikanischen Geological Survey und haben eine Auflösung von 30 Metern. 

Wir haben Bilder ohne Wolken und aus dem Zeitraum von Mai bis September verwendet. Alle Bilder wurden 2023 und 2024 an Tagen aufgenommen, an denen die maximale Lufttemperatur am selben Tag oder Tag vorher mindestens 25 Grad betrug.

Wir bedanken uns beim Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) für die wissenschaftliche Beratung. 

Für Entsiegelung wird anderswo betoniert

Die drei Städte stehen beispielhaft für einen Trend in ganz Deutschland: Wo einst Grünflächen und Brachland als natürliche Klimaanlagen fungierten, Regenwasser aufnahmen und Lebensraum für Insekten, Vögel und kleine Nagetiere boten, dominieren heute Beton und Asphalt. Doch gerade städtische, dicht bebaute Wohngebiete sind besonders von Extremwetter wie Hitze und Starkregen betroffen. 

Laut Anja Bierwirth, Expertin für nachhaltige Stadtentwicklung am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, müssten Städte mehr ent- als versiegeln, um sich an die Folgen der Klimakrise anzupassen. Das oft propagierte Ziel der „Netto-Null“, also gleichermaßen viel Fläche von Beton und Asphalt zu befreien, wie versiegelt werde, sei nicht ausreichend. Denn jede versiegelte und verbaute Fläche sei verloren und brauche „viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte, um nach einer Entsiegelung wieder denselben ökologischen Wert zu erreichen, wie vor der Versiegelung“, sagt sie. 

Unsere Satellitenauswertung zeigt: Gerade die stark versiegelten Stadtteile wie Hamburg-Altstadt, der Hauptbahnhof in Stuttgart oder das Leipziger Zentrum-Ost werden im Sommer zur Sauna. Dort, das zeigt unsere Auswertung, ist es durchschnittlich bis zu sieben Grad heißer als in den anderen Vierteln, worunter vor allem Vorerkrankte, ältere Menschen und Kinder leiden. Besonders Obdachlosen fehlt es an Schutz. Und die Belastung nimmt zu: 2024 war der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen vor über 80 Jahren. 

Die betonierten Flächen werden auch bei Starkregen zum Problem: Kanalisationen laufen über, Keller und Parkhäuser mit Wasser voll. Schlimmstenfalls sind nicht nur Gesundheit, sondern Existenzen und Sicherheit der Menschen bedroht, wie das Hochwasser im Ahrtal zeigte. 

 

Kommunen und Städte steuern ungeschützt in die Klimanotlage

Es sind vor allem Städte und Kommunen, die ihre Bewohnerinnen und Bewohner vor Extremwettern schützen und Straßen und Plätze begrünen können: Sie entscheiden darüber, ob Flächen entsiegelt oder bebaut werden. Doch bislang steuert man vielerorts sehenden Auges ungeschützt in die Klimanotlage.

2023 gab bei einer Umfrage von CORRECTIV, BR, NDR und WDR nur jeder dritte Landkreis an, Flächen zu entsiegeln, um die Städte bei Hitzewellen abzukühlen. Vermutlich sind es noch weniger: In der Statistik fehlen mehr als 70 von 400 Kreisen und kreisfreien Städte, die gar nicht geantwortet haben. 

Der Bund weiß um das Problem. Das Bundesumweltministerium schreibt auf seiner Webseite, dass es ein zentrales umweltpolitisches Anliegen sei, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Täglich verliert Deutschland 52 Hektar an Fläche an neuen Wohnsiedlungen und Verkehrswege – das entspricht 72 Fußballfeldern. 

Doch sang- und klanglos verschob die Bundesregierung das Ziel ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, weniger Fläche zu verbrauchen, von 2020 auf 2030. Die „Netto-Null“, also nur noch so viel zu versiegeln, wie auch von Beton und Asphalt befreit wird, will Deutschland und die Europäische Union sogar erst 2050 erreichen.

CORRECTIV vor Ort 

Vom 25. bis 27. Oktober 2024 laden wir Sie zu einer interaktiven Ausstellung auf dem Nikolaikirchhof in Leipzig ein. Erkunden Sie die auf Satellitendaten basierende Versiegelungskarte der Stadt auf einem 120 Quadratmeter großen, bedruckten Teppich. An verschiedenen Stationen erfahren Sie, wie es um die Flächenversiegelung in Leipzig steht. Kommen Sie vorbei! Es ist keine Anmeldung notwendig. 

Weitere Informationen finden Sie unter diesem Link.

Kommunen müssen Klimaanpassung mitdenken

Doch warum tun sich die Städte so schwer damit, die Versiegelung zu stoppen? Ein Grund: Die Abteilungen in den Stadtverwaltungen sind strikt voneinander getrennt. Klimaschutz und -anpassung betreffen jedoch alle Bereiche der Verwaltung. Dennoch werden sie oft nur einer einzigen Abteilung oder der Stelle für Klimamanagement zugewiesen. Ergebnis ist eine widersprüchliche Stadtentwicklung: Ein grüner, naturnaher Platz entsteht neben einem Kaufhaus mit ebenerdigen Parkplätzen statt platzsparender Tiefgarage oder Dachstellplätzen.

Bei Neubauprojekten gehen Bauherren oft radikal vor: Jahrzehnte alte Bäume und Sträucher werden gerodet und die Baufläche betoniert. Später setzt ein Landschaftsplaner zum vermeintlichen Ausgleich einzelne Büsche. Hauptsache pflegeleicht. Das ist unter anderem ein Problem an Schulen: Statt Grün zu erhalten, muss die Schule auf dem Hof Sonnensegel kaufen und spannen, um die Kinder und Jugendlichen vor Hitze zu schützen.

Stadtexpertin Bierwirth kritisiert: „Wie ist denn der Plan, unsere Schulen an den Klimawandel anzupassen – einfach öfter hitzefrei?“ Sie warnt: „Dann gehen manche Kinder nach Hause in eine enge, aufgeheizte Wohnung ohne Garten oder Park vor der Tür, während andere in einem gut klimatisierten Haus mit Garten lernen können.“ In der Stadtentwicklung müssten alle die Dimension Klimafolgenanpassung mitdenken – und zwar von Anfang an.

Deutschland sei grundsätzlich gut im Neu- und Wiederaufbau, sagt die Stadtexpertin Bierwirth. „Uns fehlt es aber an Erfahrungen und auch an Instrumenten, wie man Städte umbaut und auf neue Situationen anpasst.“ Als Kriegsfolge gab es viele zerstörte Städte, die Deutschland wieder aufgebaut habe. 

Für Bierwirth steht Deutschland aktuell vor einer Umbauaufgabe, „deren Dimension wir noch nie hatten.“

Leere Büros, fehlende Wohnungen: Baurecht verschärft Flächennot

Ein weiteres Problem: die Baugesetzgebung. Bisher ist das Bau- und Planungsrecht kaum an die Folgen des Klimawandels angepasst. Wenn beispielsweise ein Eigentümer auf seinen Flächen ein Wohnhaus bauen möchte und dieses in die Umgebung passt, kann die Kommune dies nicht einfach aus Klimaschutzgründen ablehnen. Hinzu kommt: In vielen Städten herrscht akute Wohnungsnot. Unsere Auswertung von Satellitendaten zeigt, dass gerade Wohnungsbau einer der Hauptgründe ist, warum neue Fläche versiegelt wird. 

So auch in Stuttgart: Eine Sprecherin der Stadt schreibt CORRECTIV auf Anfrage, dass eines der größten Projekte das Wohnquartier Böckinger Straße ist. Auf 5,5, Hektar werde dort bisher vor allem landwirtschaftlich oder gartenbaulich genutzte Fläche neu versiegelt, um 400 Wohneinheiten zu schaffen. Das Quartier befindet sich im Stadtteil Rot, eines der Viertel, in denen die Versiegelung zwischen 2018 und 2024 am stärksten zugenommen hat. 

Der BUND Stuttgart kritisiert das Projekt scharf: Die Stadt missachte ihre eigene Vorgabe, nicht auf der grünen Wiese zu bauen, schreibt er in einer Stellungnahme. Gleichzeitig stehen in der Innenstadt tausende Büroflächen leer – doch diese in Wohnraum umzuwandeln, ist schwierig. „In den 7 größten Städten Deutschland – darunter auch Stuttgart – könnten 60.000 neue Wohnungen durch Umwandlung von leerstehenden Büroflächen geschaffen werden“, sagt Pfeifer. Und zwar ohne neu zu versiegeln oder den ohnehin eng bebauten Innenstadtbereich noch weiter zu verdichten. Dafür müssten Städte jedoch die Bebauungspläne ändern, was in größeren Städten Jahre dauern könne. 

Aktuell arbeitet das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen unter Klara Geywitz (SPD) an einer Novelle des Baugesetzbuches, um solche Konflikte zu entschärfen. Kommunen sollen mehr Spielraum bekommen, um Gewerbeflächen in Wohnraum umzuwandeln. Ob dies in der Praxis gelingt, bleibt abzuwarten. 

 

Hamburg verschleppt sein Entsiegelungskonzept seit vier Jahren

Auch in Hamburg gewinnt der Wunsch nach neuem Wohnraum gegen das Grün. „Städtebauliche Projekte wie in Oberbillwerder oder Fischbecker Rethen, bei denen zusammengenommen 170 Hektar landwirtschaftliche Flächen bebaut werden, sind problematisch“, sagt Christian Gerbich Naturschutzreferent beim Umweltverband NABU Hamburg. Dabei gebe es Alternativen: „An den Magistralen, den Hauptverkehrsstraßen Hamburgs, gibt es oft einstöckige Häuser oder Supermärkte mit ihren Parkplätzen, die man effektiver für zusätzlichen Wohnraum nutzen könnte“, sagt Gerbich. 

In allen drei Städten, so schildern es Umweltverbände und Beteiligte vor Ort, treibt die Abhängigkeit von Investoren die Versiegelung voran: Wenn ein Bezirk etwa überlegt, ob ein neuer Lidl oder Edeka her muss, steht schnell Gewerbegebiet statt Grünfläche auf dem Plan. Um Investoren nicht zu verschrecken, schreibt sie nicht vor, dass beispielsweise in den Etagen über dem Supermarkt Wohnungen und eine Tiefgarage gebaut werden müssen. Dann wird – wie so oft üblich – ein neuer Parkplatz nebendran gebaut. 

„Die Bezirke sind für die Bebauungsplanung zuständig“, sagt Gerbich, „da hat der Senat nichts zu sagen.“ Die Regierung könne sich zwar theoretisch Ziele setzen, doch die Bezirke würden sich gegen konkrete Vorgaben von oben wehren. Ein rechtliches Instrument, das eine Umsetzung nationaler Ziele auf lokaler Ebene sicherstellt, fehlt. 

Diese Dezentralisierung führt dazu, dass sich die Bezirke darauf verlassen, dass die anderen schon etwas tun werden. Das Ergebnis: Der ganzheitliche Blick auf die Stadt fehlt. 

Besonders bitter: Schon 2020 versprach der Senat einen Plan, wie die Entsiegelung in Hamburg gelingen soll. Vier Jahre später liegt immer noch kein Konzept vor. Wann es kommt? „Veröffentlichungstermine stehen noch nicht fest“, schreibt die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft auf CORRECTIV-Anfrage. 

Immerhin richtete die Stadt vergangenes Jahr ein Hitze-Telefon für Bürgerinnen und Bürger ein und arbeitet an einem Hitzeaktionsplan.

Ausgerechnet Stuttgart begrünt mehr als andere

Und noch eine Überraschung brachte unsere Auswertung: Wenn neu versiegelt wird, dann oft in reichen Bezirken außerhalb der Innenstadt, wie dem Stadtteil Freiberg im Norden Stuttgarts. Dort hat die versiegelte Fläche zwischen 2018 und 2024 um rund elf Hektar zugenommen – so viel wie 15 Fußballfelder.

Dabei fehlt es Deutschland nicht an Häusern: Mittlerweile leben im Durchschnitt nur noch zwei Personen in einem Haushalt. Oft sind es ältere Menschen, für die die Fläche zu groß geworden ist. Gleichzeitig suchen junge Familien in vielen Großstädten verzweifelt nach bezahlbarem Wohnraum. Die Lösung könnte in günstigem und sinnvollen Wohnungstausch liegen. Doch bisher fehlen dafür die nötigen Instrumente.

 

Immerhin ist Stuttgart insgesamt auf dem richtigen Weg: Zwar wurde zwischen 2018 und 2024 ein Quadratkilometer Stadtfläche von rund 207 insgesamt neu versiegelt. Doch seit Jahren weise Stuttgart keine neuen Flächen für Industrie- und Gewerbegebiete aus, schreibt eine Sprecherin auf CORRECTIV-Anfrage. Unsere Satellitenauswertung zeigt, dass Stuttgart – anders als Hamburg und Leipzig – bereits stark versiegelte Stadtteile wie Europaviertel, Bruckwiesen oder Am Rosensteinpark eher entsiegelt als versiegelt.

Auch plant die Stadt, ihre Bürgerinnen und Bürger mit Grünanlagen gegen Hitzewellen zu schützen. Doch der Fortschritt ist schleppend – bisher kam ein Quadratkilometer Grünfläche in sechs Jahren hinzu, zeigt unsere Satellitenanalyse. „Es gibt erhebliche Widerstände, wenn Parkplätze wegfallen, insbesondere von den Geschäften, die befürchten, dass dies ihre Existenz gefährdet“, sagt Gerhard Pfeifer, Geschäftsführer des BUND Regionalverband Stuttgart. 

Dabei könne vor allem Stuttgarts Kessellage bei Starkregen gefährlich werden. Dann bilden sich regelrechte Sturzbäche, die Richtung stark versiegelter Ort wie dem Hauptbahnhof, Rathaus oder Europaviertel stürzen. „Wir haben mehrere überdimensionierte Straßenzüge vorgeschlagen, die man zurückbauen könnte, um Flächen zu entsiegeln“, sagt Pfeifer. „Sie sind in den Hanglagen von Stuttgart, die bei Starkregen anfällig für Überschwemmungen sind.“

Leipzig im Hochwassergebiet: Versiegelung nimmt auch im Zentrum zu

Auch Leipzig muss sich vor Hochwasser schützen. Die seit 20 Jahren am stärksten wachsende Stadt Deutschlands gehört zu den zehn am stärksten von Flusshochwasser bedrohten Kommunen in Deutschland. Vor allem, um Wohnraum zu schaffen, schreitet hier die Versiegelung voran und ehemalige Kriegsbrachen werden verbaut.

Besonders betroffen sind die Stadtteile Neulindenau, Plaußig-Portitz sowie Zentrum-Südost und -Ost, zeigt die Satellitenauswertung von CORRECTIV und Vertical52. 

Auf Anfrage schreibt das Leipziger Amt für Stadtgrün und Gewässer, dass die Stadt das städtische Wachstum flächensparend gestalten und grüne und freie Flächen erhalten will, beispielsweise durch Mehrfachnutzungen von Gebäuden und Freiräumen. Zwar sinke seit 2017 kontinuierlich die Grünfläche pro Leipzigerin und Leipziger. „Die Fläche der öffentlichen Grün- und Parkanlagen ist jedoch seit 2020 stabil.“ 

Laut Niclas-Robin Rosendahl vom Ökolöwen Umweltbund Leipzig ist die Stadt nicht so grün, wie sie auf den ersten Blick scheint. Als Beispiel für den verlorenen Kampf um Grünflächen nennt er das Jahrtausendfeld. Die 2,3 Hektar große brachliegende Fläche befindet sich in Lindenau, einem der zehn von insgesamt 63 Leipziger Vierteln, in denen die Versiegelung seit 2018 prozentual am meisten zugenommen hat. 

„Auf dem Jahrtausendfeld soll die International School Leipzig gebaut werden, Leipzigs größter Campus für 1.600 Schülerinnen und Schüler“, sagt Rosendahl. Die Privatschule sei ein viel zu großes Bauvorhaben auf der letzten großen Freifläche im Leipziger Westen. Ironischerweise habe die Stadt selbst diese Fläche in einer Klimaanalyse als besonders schützenswert eingestuft. Dennoch droht nun die Versiegelung.

Auch der Wilhelm-Leuschner-Platz sorgt für Kontroversen. Der Platz ist rund sechs Hektar groß und liegt südlich der Innenstadt im Viertel Zentrum-Süd. Ab Herbst 2024 bebaut die Stadt den Platz unter anderem mit Wohnungen, Büroflächen und Spielplätzen.

René Sievert, Vorsitzender des NABU Leipzig, kritisiert, dass für die Planung jahrzehntealte Bäume gerodet wurden – sogar dort, wo gar keine Gebäude entstehen. Ersatzpflanzungen seien niemals in der Lage, die alten Bäume zu ersetzen. „Im Vorfeld hat die Stadt, wie so oft, gar nicht untersucht, wie sich die Baupläne auf Natur und Biodiversität auswirken“, sagt er gegenüber CORRECTIV. 

Seit 2019 organisierte der NABU Kundgebungen und Mahnwachen, demonstrierte vor Ort, als 2023 die alten Bäume gerodet wurden, und reichte sogar Klage im Eilverfahren ein, die jedoch scheiterte. „Im Hauptverfahren wurden unsere Beweise inhaltlich gar nicht aufgegriffen“, sagt Sievert. Aktuell prüfe das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Berufung.  

Für Tobias Peter, Stadtrat und Grünen-Vorsitzender in Leipzig, weisen die Entwicklungen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in die richtige Richtung: „Es sind schon jetzt 70 Prozent des Platzes versiegelt, das ist alles andere als eine grüne Oase.“ Laut Entwurf sei eine weitgehende Entsiegelung und artenreiche Begrünung mit Hecken und Bäume vorgesehen. 

Die Grünen hätten im Stadtrat durchgesetzt, dass ab 2030 im gesamten Stadtgebiet nicht mehr ver- als entsiegelt werde. Rosendahl zweifelt: „Leipzig ist grundsätzlich gut darin, wohlklingende Konzepte aufzustellen. Doch bei der Umsetzung wird es dann schwierig.“

In allen drei untersuchten Städten Hamburg, Leipzig und Stuttgart sind es vor allem Umweltinitiativen, die um jeden Quadratmeter unversiegelten Boden ringen. Und stoßen dabei auf Widerstände und bürokratische Hürden. Sievert vom NABU Leipzig fasst zusammen: „Man muss einen maximalen Aufwand betreiben, um eine Kleinigkeit zu erreichen.“

 

Hinweis: Im Juli 2024 veröffentlichte die Deutsche Umwelthilfe eine Auswertung von Satellitendaten mit der Luftbild Umwelt Planung GmbH. Dabei wurden nicht alle versiegelten Flächen, sondern ausschließlich „Siedlungs- und Verkehrsflächen“ betrachtet. Bei unserer Recherche haben wir das gesamte Stadtgebiet analysiert. Die Ergebnisse lassen sich somit nicht vergleichen.

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