
Wenn über die Autokraten dieser Welt berichtet wird, dann wirkt das doch immer recht abstrakt: Was haben Trump oder Milei mit mir zu tun? Aber die Wahl dieser Männer macht auch was mit der Stimmung bei uns.
„Ein kleines bisschen mehr Milei wagen“, sagte Christian Lindner vor Kurzem. Er meint damit die Pläne des argentinischen Ober-Populisten, die Bürokratie abzubauen und die Inflation zu senken. Aber Lindner transportiert damit gleichzeitig etwas anderes: ein bisschen mehr Kettensäge, denn das ist ja das Markenzeichen des Argentiniers. Und auch das schwingt mit, auch wenn Lindner es sicher nicht meint: ein bisschen mehr Hass auf diese Demokratie, deren Maxime es ist, alle mitzunehmen und gerade die zu stärken, denen es schlechter geht.
Politische Führung strahlt immer auch auf die Stimmung in einem Land ab. Bei Trumps erster Amtszeit war die Stimmung in den USA ein bisschen breitbeiniger, machohafter. In Deutschland regierte Merkel und viele bewunderten ihre zivilisierte Abwehrhaltung dagegen. Insofern haben diese Autokraten doch etwas mit uns zu tun. Weil sie irgendwann mit am Küchentisch sitzen.
Meine Kollegin Annika Joeres beschreibt am Ende dieses Spotlights, wie der Argentinier Milei es geschafft hat, einigen FDP-Politikern als Vorbild zu dienen. Dazu haben wir gestern eine Recherche veröffentlicht. Darin beschreiben meine Kolleginnen, wie sich Netzwerke auch in Deutschland bilden, die Klimaschutz für lästig halten und Trumps Ölbegeisterung feiern.
Es gibt ja Beispiele, wie sich Gesellschaften doch wieder an sich selbst erinnern und nicht das Radikale nach vorn stellen. Großbritannien oder Polen haben das gezeigt. Auch da schmerzen die Mühen der täglichen Politik, aber diese Regierungen definieren sich nicht dadurch, dass sie gegen bestimmte Gruppen hetzen.
Wir werden im Februar die Wahl haben, bei der sich entscheidet, ob Autokraten mehr oder weniger Platz an unseren Küchentischen einnehmen werden.
Ein Hinweis noch in eigener Sache: Wir sind diese Woche mit unserem Faktenforum gestartet, bei dem Sie mitmachen können. Unser Ziel: mehr Aufklärung und gemeinsame Abwehr gegen Desinformation. Unten lesen Sie dazu mehr.
Ihnen wünsche ich ein erholsames Wochenende in der Adventszeit und eine spannende Lektüre unserer Empfehlungen der Woche!
Herzliche Grüße,
Justus von Daniels
Wollte Marsalek einen Journalisten ermorden lassen?
Jan Marsalek war als Vorstandsmitglied des Finanzkonzerns Wirecard maßgeblich am Anlegerbetrug des „Wirecard-Skandals“ beteiligt. Mit seiner Flucht entging er den Strafverfolgungsbehörden – später stellte sich heraus, dass er unter anderem auch für den russischen Geheimdienst gearbeitet haben soll. Ein Prozess gegen einen mutmaßlichen Handlanger Marsaleks in London enthüllt nun: Der Ex-Wirecard-Vorstand soll in Chats überlegt haben, den Investigativjournalisten Christo Grozev entführen oder sogar zu ermorden zu lassen.
Jan Marsalek soll Entführung oder Tötung von Journalist Grozev überlegt haben (standard.at)
Einschränkungen bei der Bezahlkarte für Geflüchtete
14 Bundesländer führen eine Bezahlkarte für Geflüchtete ein. Interne Dokumente zeigen, dass es bei deren Ausarbeitung vor allem eines diskutiert worden sei: Wie ginge es, die Karte noch einschränkender zu gestalten. Etwa mit einer Bezahlsperre von Tabak, Alkohol und Großeinkäufen? Oder mit einer regionalen Begrenzung auf einen oder mehrere Orte in Deutschland?
Wie die Bezahlkarte Geflüchtete einschränken soll (zeit.de, €)
Saudi-Arabien: Massiver Einfluss durch Sportsponsoring
Mit Sport das eigene Image aufpolieren: Was Katar kann, macht auch Saudi-Arabien – so wird die Fußball-Weltmeisterschaft 2034 dort stattfinden, mit Stimme des Deutschen Fußballbunds. Der Versuch der Einflussnahme geht weit über einzelne Sportveranstaltungen hinaus. Die dänische Initiative Play the Game hat analysiert, wie das saudische Königreich seine Investitionen in weltweite Sportevents massiv ausgeweitet hat.
A Kingdom’s football ambition: The road to 2034 (pretix.eu, Englisch)
Spanien: Nach der Flut
Die Flutkatastrophe in der Region Valencia ist einen Monat her. Die Menschen stehen vor einer Mischung aus Schlamm und ihrem finanziellen Ruin. Der Artikel der Süddeutschen Zeitung dokumentiert die Zeit nach der Flut mit Fotos der Menschen, die mit Aufräumen und Wiederaufbau beschäftigt sind – doch dafür fehlt es an Geld. Die Versicherungen zahlen nicht – Hilfen der Politik kommen nur teilweise an. Die Wut der Menschen wächst.
Die Wut sitzt tief (sueddeutsche.de, €)
China nutzt Russlands Sanktionen zur eigenen Taiwan-Strategie
Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kann Wladimir Putin auf einen wichtigen Unterstützer zählen: China. Russland hat in China einen wichtigen Abnehmer für Öl und gleichzeitig Verkäufer für Mikroelektronik. Das Wallstreet Journal berichtet nun davon, dass China Russlands Umgang mit den Sanktionen der USA und Europa genau analysiert. Ziel soll es sein, die Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft bei einer möglichen Invasion von Taiwan abzuschätzen.
China Is Studying Russia’s Sanctions Evasion to Prepare for Taiwan Conflict (wsj.com, Englisch)
Putins Netzwerk in Europa
Wie weitreichend hat Putin im letzten Jahrzehnt sein Netzwerk in Europa gespannt? Die zweiteilige Dokumentation von Arte legt nahe, wie Russland schon Jahre vor dem Einmarsch in die Ukraine an der Wiederherstellung der alten Grenzen gearbeitet hat. Von der Errichtung der Nordstream-Pipeline bis zu einem Angebot, in den Abspaltungsprozess Kataloniens einzugreifen. Hier finden Sie den ersten Teil:
Putins Netzwerk in Europa (arte.de, Video)

CORRECTIV Inside
Vor ein paar Monaten haben wir mit unserem Lieblingstheater-Autor Calle Fuhr rumgesponnen, welche Denkfabriken mal dringend unter die Lupe gehörten. Wer also weltweit sehr erfolgreich Klimaschutz ausbremst. Schnell fiel die Wahl auf das Atlas-Netzwerk in den USA, mit aktuell rund 600 meist marktradikalen, manchmal auch klimaleugnerischen Mitgliedern eines der einflussreichsten Verbände der Welt.
Kaum in unsere Recherche eingestiegen, schien sich genau dieses amerikanische Universum in Deutschland breit zu machen: Auf zahlreichen Veranstaltungen, auf denen Amerikaner und Deutsche in Maggi Thatcher-Zelten diskutierten und der argentinische Libertär Javier Milei gehuldigt wurde, entfaltete sich vor unseren Augen ein wachsendes Netzwerk. Wir fanden enge Verbindungen zur FDP, und beim Weitergraben auch Ökonomen und CDU- und CSUler, die zusammen die öffentliche Debatte beeinflussen wollen. Zugespitzt wollen Sie mehr von argentinischer Kettensägenpolitik, mehr Drill nach Öl – und weniger Klimagesetze.
Dann gewann auch noch Donald Trump, ein Leugner des Klimawandels. Auch seine Verbände, wie die Heritage-Foundation, wollen mit Trumpschen Rückenwind deutsche Debatten drehen – und docken bei einer Gruppe von CDUlern an. Die Recherche drehte sich weiter, bis wir schließlich bei Viktor Orbàn und Friedrich Merz anlangten. Genau, beim CDU-Kanzlerkandidaten. Unsere Netzwerkkarte zeigt erstmals, wer wo wen trifft, sponsert und unterstützt. Das Ganze ist so spektakulär, dass die Recherche auch auf die Bühne kommt: Am 30. Januar 2025 feiert das Stück „ATLAS” Premiere am Schauspielhaus Hamburg.
Ihre Fakten
Am Donnerstagabend war es voll bei uns. Zur Präsentation des Faktenforums kamen gut 200 Interessierte, denen wir unseren neuen Ort im Kampf gegen Desinformation vorstellen konnten: das Faktenforum. Auf dieser Online-Plattform können Sie sich ab jetzt beteiligen: Wenn Sie Fake News sehen oder Fakten beisteuern können, um Desinformation einzudämmen, können Sie ganz einfach Ihr Wissen teilen. Am Abend der Präsentation sind allein 100 neue Nutzerinnen und Nutzer dazugekommen. Schauen Sie gern rein und machen Sie mit:
faktenforum.org

Trumps Netzwerke in Deutschland
Wir haben offengelegt, welche Netzwerke oder Denkfabriken versuchen, klimaskeptische oder marktradikale Positionen aus dem Trump-Lager auch in Deutschland zu verbreiten. Im CORRECTIV.Inside gibt Ihnen meine Kollegin Annika Joeres einen Einblick hinter die Kulissen:
correctiv.org
Eilantrag gegen Bundesamt für VerfassungsschutzDas Medienhaus CORRECTIV hat heute beim Verwaltungsgericht Köln einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingereicht. Ziel ist es, die Behörde zur Offenlegung von Informationen über den aktuellen Prüfstatus der Alternative für Deutschland (AfD) zu bewegen.
correctiv.org / instagram.com

CORRECTIV Inside
Am 29. November fügte Russland Radio Sakharov – ein Online-Podcast-Radio von CORRECTIV – zur Liste der „ausländischen Agenten“ hinzu. Das ist eine Anerkennung. Putin hält uns für eine Bedrohung. Wir können in Deutschland lächeln und weiterarbeiten. Sie können uns nicht zum Schweigen bringen.
In Russland ist es anders. Jeden Freitag scrollen Tausende von Russen durch die Nachrichten, um zu sehen, wer als neuer „ausländischer Agent“ markiert wurde. Haben Sie einem Medium, das als „ausländischer Agent“ gilt, ein Interview gegeben? Inhalte eines „ausländischen Agenten“ geteilt? An einer internationalen Konferenz teilgenommen? Sie könnten auf der Liste landen – wenn Sie die Behörden kritisieren. Für alles, nicht nur für den Krieg.
Wenn Sie ein „ausländischer Agent“ sind, sind Sie ein Bürger zweiter Klasse. Sie dürfen nicht für ein Amt kandidieren, Wahlen beobachten oder in Schulen oder Universitäten arbeiten. Niemand will Sie einstellen. Sie gelten als Unruhestifter. Sie müssen monatlich Ihre Einkünfte melden. Jeder Social-Media-Post, Brief und jede Veröffentlichung muss mit einem 13 Wörter langen Hinweis in Großbuchstaben zu Ihrem Status versehen werden.
Wenn Sie die Regeln brechen, droht Ihnen eine Geldstrafe von bis zu 5.000 Euro. Zwei Geldstrafen im Jahr gelten als Straftat. Die Höchststrafe beträgt fünf Jahre Gefängnis. Ein Aktivist in Russland wurde beispielsweise dafür bestraft, dass er einen Beitrag über die Geburtstagsfeier seines Vaters nicht als „ausländischer Agent“ gekennzeichnet hat.
Schließlich ist das Wort „Agent“ im Russischen ein Synonym für „Spion“. Als 2012 das Gesetz über ausländische Agenten verabschiedet wurde, sagten die Behörden, es diene dazu, die Finanzierung von NGOs transparent zu machen. Doch sobald die Behörden Organisationen und Einzelpersonen markierten, folgten Verbote und Einschränkungen. Heute sind rund 2.000 Russen als „ausländische Agenten“ eingestuft. Viele von ihnen leben weiterhin im Land, stigmatisiert und diskriminiert.
Nicht nur Diktaturen haben solche Gesetze. Ungarn, ein EU-Mitgliedstaat, hat ein etwas milderes Gesetz. Und die Slowakei wird im nächsten Jahr folgen und die Bezeichnung „Agent“ in die mildere Version „Lobbyist“ verwenden. Selbst demokratische Länder sind versucht, sich mit ähnlichen Methoden gegen ausländischen Einfluss zu wehren. Aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern: Feindliche Aktivitäten müssen bekämpft werden – jedoch nicht, indem Menschen auf Listen gesetzt werden, nur weil sie Kontakte zu Ausländern haben oder Gelder aus dem Ausland erhalten.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Luis Beyerbach, Sven Niederhäuser und Finn Schöneck.
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