Bundestagswahl 2025

Keine Angst vor Atomkrieg mit Russland? Aussage von Friedrich Merz aus dem Kontext gerissen

Anders als online behauptet, sagte Friedrich Merz nicht, dass er keine Angst vor einem Atomkrieg mit Russland habe. Im Mai 2022 verneinte er die Frage, ob er Angst habe, Deutschland könne wegen Waffenlieferungen an die Ukraine von Russland zur Kriegspartei erklärt werden.

von Matthias Bau

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CDU-Vorsitzender Friedrich Merz sprach am 16. Oktober 2024 im Deutschen Bundestag und warf Bundeskanzler Olaf Scholz vor, er lasse sich von Russlands Drohungen mit Nuklearwaffen einschüchtern (Quelle: Frederic Kern / Geisler-Fotopress / Picture Alliance)
Behauptung
Friedrich Merz habe gesagt: „Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg mit Russland.“
Bewertung
Falsch. Friedrich Merz hat sich wörtlich so nicht geäußert. Das bestätigt ein CDU-Sprecher. Merz verneinte gegenüber dem Sender N-TV im Mai 2022 die Frage, ob er Angst habe, Deutschland könne wegen Waffenlieferungen an die Ukraine von Putin zur Kriegspartei erklärt werden.

Noch im Oktober 2024 forderte Friedrich Merz im Deutschen Bundestag, den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine zu liefern, wenn Putin nicht aufhöre, die zivile Infrastruktur der Ukraine zu zerstören. Immer wieder sprach er dabei von Angst, die er der Bundesregierung vorwarf: „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Drohungen mit dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen im ganzen Westen – auch bei ihnen – doch erhebliche Wirkung erzielen.“ Angst sei „die Mutter aller Grausamkeiten“, so Merz. Doch die Bundesregierung blieb dabei: Keine Taurus-Lieferungen für die Ukraine (Stand: 9. Dezember 2024). 

Als Russland seine Nukleardoktrin am 19. November 2024 verschärfte und damit die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen senkte, kursierten schon erste Beiträge in Sozialen Netzwerken, die Friedrich Merz dazu ein vermeintlich passendes Zitat in den Mund legten: „Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg mit Russland.“

Dann, am 21. November, feuerte Russland eine Mittelstreckenrakete auf die ukrainische Stadt Dnipro ab, die laut Putin selbst und laut Einschätzung von Frank Sauer, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, nuklearwaffenfähig ist. Die Beiträge im Netz mit dem angeblichen Zitat von Merz häuften sich. Sie erreichten auf Facebook, X,Youtube und Telegram hunderttausende Aufrufe

Unsere Recherche zeigt: Merz hat sich aktuell so nicht geäußert, wie es ihm unterstellt wird. Die Aussage ist irreführend verkürzt und über zwei Jahre alt. 

Im November 2024 ging dieses Sharepic über Friedrich Merz viral. Merz hat sich so aber nicht geäußert.
Im November 2024 ging dieses Sharepic über Friedrich Merz viral. Merz hat sich so aber nicht geäußert. (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Fake-Zitat verdreht Aussage von Friedrich Merz aus dem Mai 2022

Suchen mit dem angeblichen Zitat bei Google und in der Pressedatenbank Genios führen zu keinen belastbaren Quellen. Ein Sprecher der CDU schrieb uns: „Die kursierende Kachel ist eine unzulässige Verkürzung der Position von Friedrich Merz. Aus dem Kontext wird ersichtlich, dass er zu diesem Thema eine klare, aber differenzierte Meinung hat.“

Auf diesen Kontext verweisen bereits manche der Beiträge in Sozialen Netzwerken. Sie zeigen einen Screenshot, auf dem es heißt: „Merz: Habe keine Angst vor Atomkrieg“. Dieser stammt von einem N-TV-Artikel vom 2. Mai 2022. In dem dazu veröffentlichten Interview wird Merz gefragt: „Haben Sie Angst, dass wir von Putin zur Kriegspartei erklärt werden, mit der möglichen Folge eines Atomkriegs?“ Er antwortete: „Ich habe keine Angst, aber wir machen uns natürlich alle Gedanken und haben Sorgen. Wir wollen keine Ausweitung dieses Kriegs und gerade deshalb haben wir uns ja entschlossen auch die Waffen an die Ukraine zu liefern […] Wir wollen, dass mit diesen Waffen der Angriff von Putin gestoppt wird.“

In dem Interview aus 2022 ging es also darum, ob Deutschland durch Waffenlieferungen an die Ukraine zur Kriegspartei werde. Medienberichten zufolge war das auch das zentrale Thema in den Diskussionen zu dieser Zeit. Merz hatte laut Eigenaussage keine Angst davor, Kriegspartei zu werden. Gleichzeitig ordnete er ein, er wolle keine Ausweitung des Kriegs. In der Woche zuvor hatte der Bundestag den Entschluss gefasst, schwere Waffen zu liefern. 

Im Folgenden erklären wir, in welcher politischen Lage sich Merz so äußerte. 

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine diskutierte Deutschland über die Lieferung schwerer Waffen 

Russland begann seine Invasion der Ukraine rund zwei Monate zuvor, am 24. Februar 2022. Zwei Tage nach dem Angriff kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz die Lieferung von Panzerabwehrwaffen und Boden-Luft-Raketen an. Begleitet wurden diese Waffenlieferungen von Anfang an von der Diskussion, ob Deutschland dadurch zu einer Konfliktpartei beziehungsweise Kriegspartei werde. 

In den folgenden Monaten drängte unter anderem die CDU darauf, weitere Waffen, vor allem schwere Waffen wie Panzer, an die Ukraine zu liefern. Bundeskanzler Olaf Scholz lehnte das am 22. April im Interview mit dem Spiegel ab. Dort deutete er an, Waffenlieferungen könnten zu einem Atomkrieg führen.

Die CDU legte am 25. April 2022 dennoch einen Antrag für einen Bundestagsbeschluss zur Lieferung schwerer Waffen vor. Für den Folgetag hatten die USA auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz 43 Länder eingeladen, um zum Krieg in der Ukraine zu beraten. Dort wurde bekannt, dass Deutschland Flugabwehr-Panzer an die Ukraine liefern wird – sich also doch zur Lieferung schwerer Waffen entschloss. 

CDU, SPD, Grüne und FDP stimmten im April 2022 gemeinsam für die Lieferung schwerer Waffen

Zwei Tage später, am 28. April 2022 stimmte der Bundestag der Lieferung schwerer Waffen zu. Danach sprach Friedrich Merz in einem Livestream der CDU unter anderem über die Waffenlieferungen an die Ukraine. Die CDU habe die Lieferung schwerer Waffen gefordert, wie das auch andere Staaten beim Treffen in Ramstein getan hätten, so Merz. Dennoch dürfe weder Deutschland noch dürften andere „Staaten des Westens“ Kriegspartei werden. Hinter dieser Schwelle müsse man deutlich zurückbleiben und dürfe „Putin kein Alibi liefern“, den Krieg auszuweiten.

Damit ist klar: Merz sagte in dem Interview mit N-TV im Mai 2022 zwar, er habe keine Angst, Kriegspartei zu werden, doch auch hier betonte er, dass sich der Krieg nicht ausweiten dürfe. Merz sagte auch: „Wir machen uns natürlich alle Gedanken und wir haben Sorgen.“

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Redigatur: Kimberly Nicolaus, Paulina Thom

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • CDU Live mit Friedrich Merz vom 29. April 2022: Link
  • N-TV Interview mit Friedrich Merz: „‚Müssen Putins Angriff stoppen.‘ Merz: Habe keine Angst vor Atomkrieg“, 2. Mai 2022: Link (archiviert)