Faktencheck

Schwerin: Behauptungen zu einer Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger führen in die Irre

In viralen Beiträgen auf Instagram und Facebook heißt es, Schwerin habe als erste deutsche Stadt Bügergeldbeziehende zur gemeinnützigen Arbeit verpflichtet. Doch eine verbindliche Entscheidung gibt es bislang nicht. Die Stadtverwaltung hat lediglich den Auftrag bekommen, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten.

von Paulina Thom

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Nach einem Antrag der CDU sollen Bürgergeldbeziehende in Schwerin zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden, etwa in Kindergärten oder bei der Tafel. Beiträge in Sozialen Netzwerken suggerieren, die Regelung sei bereits in Kraft, doch das stimmt nicht. (Symbolbild: Swen Pförtner / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Schwerin habe als erste deutsche Stadt Bürgergeldempfänger zur gemeinnützigen Arbeit verpflichtet
Bewertung
Fehlender Kontext
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Fehlender Kontext. Bügergeldbeziehende in Schwerin sind bislang nicht zur Arbeit verpflichtet. Im Dezember 2024 hatte die Stadtvertretung einem CDU-Antrag mehrheitlich zugestimmt und damit die Verwaltung beauftragt, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten. Eine verbindliche Entscheidung gibt es bislang nicht.

Schwerin sei die erste deutsche Stadt, die Bürgergeldempfänger zur gemeinnützigen Arbeit verpflichte, heißt es in Beiträgen auf Instagram, Facebook und X. Die Beiträge wurden teils tausendfach geteilt. In manchen Beiträgen steht zusätzlich, wer sich weigere zu arbeiten, müsse mit Kürzungen der sozialen Leistungen rechnen. „Richtig so“, kommentieren manche Nutzerinnen und Nutzer, andere nennen die angebliche Regelung „Zwangsarbeit“. 

Doch gibt es eine solche Regelung in Schwerin überhaupt? 

Screenshot eines viralen Instagram-Beitrags mit der Behauptung
Mehr als 80.000 Nutzerinnen und Nutzern gefällt dieser Instagram-Beitrag, der behauptet, in Schwerin gebe es eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger. Doch eine solche Regelung ist bislang nicht in Kraft. (Quelle: Instagram; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

CDU in Schwerin stellt Antrag zur Arbeitspflicht für Asylbewerber und Bügergeldempfänger

Grundlage für die Behauptungen in Sozialen Netzwerken ist ein Beschluss der Schweriner Stadtverwaltung vom 9. Dezember 2024. Wie aus der Niederschrift der Sitzung (PDF, Download) hervorgeht, erweiterte die CDU einen ursprünglich von der AfD stammenden Antrag: Die AfD hatte bereits im März 2024 die Vorlage zu einer Arbeitsverpflichtung für Asylbewerbende nach Paragraph fünf des Asylbewerberleistungsgesetzes eingebracht. Dem Paragraphen nach können Asylbewerbende gegen eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent die Stunde dazu verpflichtet werden, eine Arbeitsgelegenheit zu übernehmen. Arbeitsgelegenheiten sind keine regulären Beschäftigungen, sondern gemeinnützige Jobs, die im öffentlichen Interesse liegen. Wer eine solche Arbeit unbegründet ablehnt, dem können Leistungen gekürzt werden. Solche Regelungen sind bereits etwa im Saale-Orla-Kreis oder in der Stadt Greiz in Thüringen in Kraft.

In Schwerin erweiterte die CDU den Antrag der AfD um eine Arbeitspflicht auch für Bürgergeldbeziehende – insbesondere, so steht es im Antrag der CDU, für anerkannte Asylbewerber und Asylbewerberinnen, die Bürgergeld beziehen. Eine solche Pflicht gibt es bundesweit bislang nicht. Der Antrag der CDU wurde mehrheitlich mit Stimmen der CDU und der AfD – wie der Spiegel berichtete – gegen den Willen des SPD-Bürgermeisters und seiner Fraktion beschlossen. 

Stadt Schwerin: Eine verbindliche Entscheidung zur Arbeitspflicht gibt es bislang nicht 

Der Beschluss bedeutet aber nicht, dass die Regelung bereits in Kraft ist, wie die Beiträge in Sozialen Netzwerken suggerieren. Klargestellt hat dies die Stadt Schwerin in einer Pressemitteilung vom 7. Januar 2025. Darin heißt es, dass es nicht den Tatsachen entspreche, dass Bürgergeldempfänger in Schwerin ab sofort zur Arbeit verpflichtet wären. 

Richtig sei, dass die Stadtvertretung die Verwaltung beauftragt habe, ein Konzept zu erarbeiten, das in den kommenden Monaten in Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur und den Jobcentern ausgearbeitet werde. So stand es auch im Antrag der CDU. „Wir möchten betonen, dass bislang keine verbindlichen Entscheidungen über eine flächendeckende Arbeitsverpflichtung getroffen wurden“, heißt es in der Pressemitteilung der Stadt. 

Wie Medien berichten, ist es unklar, ob die Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger in Schwerin wirklich kommt. Es gibt an der Umsetzung finanzielle, juristische und bürokratische Bedenken. So müssen Bürgergeldbeziehende laut Gesetz im Unterschied zu Asylbewerbern beispielsweise eine höhere Entschädigung von mindestens einem Euro erhalten. Zu prüfen wäre auch, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Menschen zur Arbeit verpflichtet werden sollen, denn in Artikel 12 des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Der Schweriner Jobcenter-Geschäftsführer Frank Skowronek gab gegenüber dem Nordkurier zudem zu bedenken, dass es aktuell nur 20 offene Ein-Euro-Arbeitsgelegenheiten gebe, gegenüber 3.000 bis 4.000 potentiell zu verpflichtenden Bürgergeldbeziehenden. 

Medien berichteten teils irreführend über angebliche Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger in Schwerin

Die Stadt Schwerin veröffentlichte die Pressemitteilung am 7. Januar 2025 als „Richtigstellung zu der aktuellen Berichterstattung“. In überregionalen Medien sei ein falscher Eindruck erweckt worden.

Wer nach den Stichworten „Bürgergeld Schwerin Arbeit“ bei Google sucht, findet mehrere Medienberichte zum Thema, deren Titel ähnlich klingen wie die Beiträge in Sozialen Netzwerken. Der Sender NTV beispielsweise titelte am 4. Januar 2025 „In Schwerin gilt für Bürgergeldempfänger nun Arbeitspflicht“. In einem Artikel der Bild hieß es am selben Tag: „Erste Stadt verdonnert Bürgergeld-Bezieher zur Arbeit“. Während im NTV-Artikel der Kontext folgt, dass ein entsprechendes Konzept erst erarbeitet werde, fehlt eine solche Einordnung im Artikel der Bild

Wir haben bei der Bild nachgefragt, warum der Kontext in dem Artikel fehlt, erhielten aber bis zur Veröffentlichung keine Antwort. Der Account hinter dem viralen Instagram-Beitrag mit der Behauptung über eine angebliche Arbeitspflicht in Schwerin reagierte nicht auf Nachfragen von uns. Der Beitrag ist nach wie vor online (Stand: 22. Januar). 

Der Beschluss der Schweriner Stadtverwaltung erfuhr Anfang Januar vermehrte mediale Aufmerksamkeit, nachdem CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sich gegenüber der Bild für eine Arbeitspflicht für Bürgeldbeziehende auch auf Bundesebene aussprach. Offen für den Vorschlag zeigte sich auf Nachfrage der Welt Jens Teutrine, Sprecher für Bürgergeld der FDP-Fraktion. Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, lehnte den Vorschlag hingegen ab. 

Redigatur: Matthias Bau, Viktor Marinov

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Niederschrift der Sitzung der Schweriner Stadtverwaltung, 9. Dezmber 2024: Link (PDF, Download)
  • Pressemitteilung der Stadt Schwerin, 7. Januar 2025: Link (archiviert)