Die Graus-Verwaltung
Die Wohnungsnot macht's möglich: Seit zehn Jahren zockt in Berlin die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter ab. Falsche Nebenkostenabrechnungen, nicht erbrachte Leistungen, einbehaltene Kautionen. Gegen die Methoden sind die Betroffenen meist machtlos.
Der Artikel erscheint gleichzeitig in der „tageszeitung“ (taz), bei vice.com und im RTL Nachtjournal.
Der 30. Juni 2015 beginnt für Paula Weber* mit zwei Handwerkern, die ihr Zuhause im Berliner Wedding in eine Fäkaliengrube verwandeln. Sie sollten sich um die aufgeschwemmte Decke in Webers Bad kümmern, in die seit Monaten Abwasser aus einem Rohr läuft. Die 32-Jährige hofft, dass der Schaden endlich behoben wird. Doch mit den Handwerkern stimmt etwas nicht.
„Sie rochen nach Alkohol und schienen, als wüssten sie nicht, was sie tun sollen“, erinnert sie sich. Die Handwerker holen eine Säge und durchtrennen das freiliegende Rohr, ohne die anderen Hausbewohner vorzuwarnen.
Kot und Urin, literweise
Es ist acht Uhr morgens, die Mieter in den anderen Wohnungen gehen auf ihre Toiletten. Literweise Kot, Urin und Abwasser landen in Paula Webers Badezimmer. Plötzlich packen die Handwerker ihre Sachen und gehen. Zurück bleiben Weber und ein Zuhause voller Fäkalien. Sie flüchtet aus ihrer Wohnung und zieht mit ihrem sechsjährigen Sohn auf eigene Kosten in ein Hotel.
Weber hat den Vorfall dokumentiert, Fotos geschossen und Videos gedreht. Sie möchte hier nicht mit ihrem echten Namen auftreten. Nicht, weil sie eine bekannte Schauspielerin ist, sondern weil sie ihre Hausverwaltung nach dem Vorfall auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verklagt hat. Die Anwälte der Hausverwaltung bestreiten gegenüber Weber, dass der Vorfall jemals stattgefunden habe. Nicht nur das: Die Hausverwaltung behält die Kaution ein. Sie berechnet ihr sogar zusätzlich 1600 Euro, für „Schönheitsreparaturen“.
Wir haben die Hausverwaltung GMRE Cosultants GmbH und ihren Geschäftsführer Rouven Kerstan schriftlich zu den Vorwürfen befragt. Das Unternehmen war zu keiner Stellungnahme bereit.
Jede zweite Abrechnung falsch
Auf dem Mietmarkt wird mit harten Bandagen gekämpft: Neue Gesetze wie die Mietpreisbremse oder Reformen bei Modernisierungen haben die Rechte von Mietern gestärkt. Doch es gibt Vermieter, die an Grenzen des Rechts gehen. Oder darüber hinaus. „Klassiker unter den Problemen mit Vermietern sind Service, Mängelbeseitigung, Auszahlung von Kautionen und Schönheitsreparaturen“, sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund (DMB). Und bei Nebenkosten werde häufig getrickst: „Auch bei den großen Unternehmen ist jede zweite Betriebskostenabrechnung falsch“, sagt Ropertz.
Die Branchenverbände der Immobilienwirtschaft weisen die Kritik zurück. „Wir gehen davon aus, dass sich unsere Mitglieder an Regelungen halten und dass Abrechnungen stimmen“, sagt Katharina Burkardt, Sprecherin des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), dem größten Branchenverband. Nicht alle Wohnungsunternehmen seien allerdings in den Verbänden organisiert.
So wie die GMRE – Paradebeispiel eines dubiosen Unternehmens auf dem Mietmarkt.
„Berlins schlechteste Hausverwaltung“
Allein auf Facebook haben sich über 300 Mieter in einer Gruppe versammelt, um sich gemeinsam gegen die Firma zu wehren. Sie nennen die GMRE „Berlins schlechteste Hausverwaltung“. Ihr Geld müssen die Mieter oft über Gerichte zurückholen.
Die Methoden von Vermietern wie der GMRE wirken dreist: Das Unternehmen lockt zuerst mit günstigen Mieten im Internet und verschweigt dabei die sehr hohe Staffelmiete. Später schlägt die Verwaltung bei den Betriebskosten zu und kassiert über eigene Firmen für Leistungen. Die würden nicht erbracht, sagen mehrere Mieter unabhängig voneinander. Kautionen werden einbehalten, Reparaturen minderwertig und auf Kosten der Mieter durchgeführt. Dokumente, die CORRECTIV vorliegen, zeigen das. Auch zu diesen Fällen zog es GMRE auf Anfrage vor, zu schweigen.
Sechs Prozent Staffelmiete
Wie gerät man in eine solche Miet-Falle? Im November 2013 will Martha Ignor aus dem Ruhrgebiet nach Berlin ziehen, um eine Ausbildung als Veranstaltungskauffrau anzutreten. Eben noch hat sie mit Dutzenden anderen Interessenten eine Wohnung im Bezirk Wedding angesehen, jetzt sitzt sie in einem kleinen Büroraum. Vor ihr liegt ein über 20 Seiten dicker Mietvertrag. Die 25-Jährige braucht so dringend eine Wohnung, dass sie nach der Besichtigung mit dem Taxi in das Büro der GMRE gefahren ist. Ein Mitarbeiter der Hausverwaltung habe ihr dazu geraten, damit sie die Erste sei, sagt sie.
419 Euro für 48 Quadratmeter, das ist für sie viel Geld, scheint ihr aber auf dem umkämpften Berliner Wohnungsmarkt angemessen zu sein. Dann bemerkt Ignor, dass der Vertrag eine Staffelmiete vorsieht. Die sei ihr bei der Besichtigung verschwiegen worden, sagt sie. Rund sechs Prozent soll die Kaltmiete jedes Jahr steigen. Binnen zehn Jahren würde die Wohnung mehr als 700 Euro Kaltmiete kosten.
Die Mieten steigen durchschnittlich um drei Prozent pro Jahr in Berlin. Von einem sittenwidrigen Wucher, erklärt der Berliner Mieterverein, könne man sprechen, wenn der Vermieter zur Durchsetzung der Staffelmiete eine Notlage oder beschränkte Einsichtsfähigkeit des Interessenten ausnutze. Martha Ignor zögert, doch die sie braucht eine Wohnung. Sie unterschreibt den Vertrag – ein Fehler, der sie viel Geld kosten wird.
Viele GMRE-Mieter, mit denen CORRECTIV gesprochen hat, sind wie Martha Ignor: jung und dringend auf eine Wohnung angewiesen. Daher sehen sich viele genötigt, Risiken einzugehen. Und auf sie scheinen es Vermieter wie die GMRE abgesehen zu haben. Das Unternehmen drängt die Interessenten dazu, schnell einen Mietvertrag zu unterschreiben, berichten Betroffene. Zwei von ihnen erzählen, die GMRE-Vertreter hätten sie außerdem aufgefordert, eine Courtage schwarz zu bezahlen; ein ehemaliger Mieter versichert den Vorfall schriftlich.
Auch zum Fall Martha Ignor und den hier geschilderten Vorwürfen hat die GMRE keine einzige Frage beantwortet.
Die Nebenkosten explodieren
Martha Ignor zieht Anfang Dezember 2013 in die GMRE-Wohnung ein. Erst nach dem Einzug, bei genauerem Hinsehen, fällt ihr der schlechte Zustand der Wohnung auf: „Die Fenster ließen sich nicht öffnen, der Boden kam hoch, die Gas-Therme war seit über zehn Jahren nicht gewartet“, sagt sie.
Ein Dreivierteljahr später, im September 2014, schickt ihr die GMRE die erste Betriebskostenrechnung, also die Abrechnung von Hausbetreuung, Reinigungen, Müllentsorgungen. Ausgenommen sind hier Wasser- und Heizkosten. Allein für den Dezember 2013 soll Ignor bereits 34 Euro nachzahlen – zusätzlich zu den ursprünglich veranschlagten elf Euro. Ein Jahr später, im September 2015, kommt die nächste Rechnung. Die GMRE verlangt eine Nachzahlung von 291 Euro für das Jahr 2014.
Mehrere Betriebskostenabrechnungen anderer GMRE-Mieter liegen CORRECTIV vor. Sie belegen: Die Kosten steigen bei den Mietern systematisch. Die Nachzahlungen von Betriebskosten betragen pro Jahr bis zu 843 Euro. Und zwar für Leistungen, die nicht erbracht wurden, wie Mieter aus verschiedenen Berliner Bezirken berichten.
Häufig setzen Wohnungsunternehmen die Heiz- und Betriebskosten-Vorauszahlungen deutlich zu niedrig an, um eine günstigere Gesamtmiete vorzutäuschen. Das heißt: Den Interessenten werden die tatsächlich zu erwartenden Kosten verschwiegen.
„Betrug vorprogrammiert“
Christian Emmerich ist seit 34 Jahren Anwalt für Mietrecht und seit einiger Zeit auch im Radio als Experte zum Thema Miete zu hören. Er sagt: „Mieter haben in Sachen Betriebskosten kaum mehr Rechte.“ Der Aufwand sei kaum zu stemmen, der betrieben werden müsse, um dem Vermieter einen Fehler nachzuweisen. „Der Betrug durch Hausverwaltungen ist nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorprogrammiert“, sagt Emmerich.
Lange galt: Wenn ein Mieter nachweisen kann, dass Betriebskosten vorsätzlich zu niedrig angesetzt wurden, hat er Anspruch auf Schadenersatz. Die Zeiten sind vorbei. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtspraxis im Jahr 2004 beendet und verwies auf die Vertragsfreiheit. Für den Mietvertrag gilt seither: Unterschrieben ist unterschrieben. Alle Beweislast liegt beim Mieter.
Parallelfirmen
Zuständig fürs Saubermachen und Reparieren sind in den von GMRE verwalteten Häusern die Firmen „Lan.Sky Hausmeisterservice“ und „G-Force Property Services“. Letztere hat den Fäkalienschaden in der Wohnung der Schauspielerin Paula Weber zu verantworten. Pikant: Beide Unternehmen gehören dem Chef der GMRE, Rouven Kerstan. Über diese Parallelfirmen kassiert die GMRE über die jährlichen Betriebskostenabrechnungen für Hof-, Haus- und Dachrinnenreinigung, Hausbetreuung und Winterdienst. Das bedeutet: Jede dritte Rechnung in der Betriebskostenauflistung schreibt sich Rouven Kerstan am Jahresende selbst.
In einem GMRE-Haus in der Triftstraße im Berliner Wedding haben sich mehrere Bewohner zusammengeschlossen, um die Miete zu kürzen. Maike Hochrath war dort Mieterin. Sie sagt: „Ein Zigarettenstummel lag ein halbes Jahr auf der Treppe. Es wurde nie gereinigt.“ Auch der Garten und die Dachrinnen sollen nie gereinigt worden sein, im Winter wurde kein Schnee geschippt. Abgerechnet wurde trotzdem alles. Hochrath und ihr Partner sollten für das Jahr 2014 insgesamt 567 Euro nachzahlen, allein die Reinigungskosten betrugen rund 200 Euro. Das klingt nach Peanuts. Doch bei Dutzenden Mietparteien im Haus ergeben sich so einige Tausend Euro für die GMRE. Für Ulrich Ropertz, den Sprecher des DMB, sind in großem Umfang nicht erbrachte Leistungen Betrugs-Fälle für den Staatsanwalt – aber eben kaum nachzuweisen.
„Massenhaft Beschwerden“
Bei Berlins Mietervereinen ist die GMRE keine Unbekannte. „Beschwerden über die GMRE gibt es massenhaft“, sagt Susanne Boettcher, Sprecherin des Berliner Mieterschutzbundes. Für die Mieter sei dort telefonisch zu keinem Zeitpunkt jemand zu erreichen, auf Schreiben der Mieter antworte die GMRE häufig nicht, Kautionen zahle sie schleppend oder gar nicht aus. Die Sprecherin des Berliner Mietervereins, Wibke Werner, ergänzt: „Reparaturen werden nicht gemacht, Betriebskosten sind unstimmig.“
Der Ton zwischen Eigentümern, Hausverwaltungen und der Mieterschaft in Berlin habe sich insgesamt verschärft, resümiert eine Sprecherin der Wohnungsaufsicht Tempelhof-Schöneberg. „Da sind auch die großen Verwaltungen wie DEGEWO, Deutsche Wohnen und GAGFAH (jetzt Marktführer Vonovia, Anm. d. Red.) nicht ausgenommen.“
3000 Euro für Schönheitsreperaturen
Frustrierte Mieter wollen oft nur noch eines: ausziehen. Doch die Scherereien gehen weiter. Johannes Bürder zieht im Dezember 2015 nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit der GMRE aus seiner Wohnung in Berlin-Neukölln aus. Monatelang wartet Bürder auf die Rückzahlung seiner Kaution. Dann berechnet ihm die GMRE knapp 3.000 Euro für Schönheitsreparaturen nach seinem Auszug. Für Maler-, Elektriker-, Sanitär- und Reinigungsarbeiten – all das, was G-Force und Lan.Sky für die GMRE erledigen. Nach Ablauf der Frist zur Auszahlung der Kaution klagt Bürder jetzt.
Martha Ignor ist mittlerweile auch ausgezogen. Von ihrer Kaution von über 1000 Euro bleiben der Auszubildenden nur 28 Euro. Einen Teil behält die GMRE für „ausstehende Nebenkostenabrechnungen“ ein. Den Rest – 485 Euro – berechnet sie als Schadenersatz. Der GMRE-Außendienstler Marian A. vereinbart bei der Wohnungsabnahme mündlich mit Martha Ignor drei Besichtigungstermine, die die GMRE später bestätigen will, wie A. versichert habe. „Wir waren ganz nett per Du, dann war er nicht mehr erreichbar“, sagt Ignor. Später wird die GMRE gegenüber der Mieterin behaupten, sie hätte sich geweigert, ein Protokoll mit den Terminen zu unterschreiben. Ignor sagt: „Ich wusste gar nicht, dass es das Protokoll gibt.“ Wegen Besichtigungen gemeldet habe sich die GMRE zwischenzeitlich nicht.
Plötzlich ist das Gespräch zu Ende
CORRECTIV ruft den Außendienstler Marian A. auf seinem Handy an. Doch der kann die Aufregung nicht verstehen: „Das war eine einmalige Sache. Die Mieterin hat falsch reagiert, jetzt liegt das wie eine Narbe auf mir.“ Die Frage, ob er das Protokoll der Mieterin vorsätzlich nicht gezeigt hat, oder ob es ein Versehen war, beantwortet er nicht mehr. Plötzlich bricht das Gespräch ab, A. hat offenbar aufgelegt.
Bei einem anderen Mieter hat die Drohung mit seiner Anwältin ausgereicht, nachdem auch ihm die GMRE über 900 Euro von der Kaution als Schadenersatz abziehen wollte. Weil auch er angeblich keine Besichtigungstermine zulassen wollte – auch er sagt, dass er das Protokoll nie gesehen habe. Seine Anrufe und Mails seien ins Leere gegangen. Erst als die Anwältin des Mieters den zuständigen Sachbearbeiter Matthias N. erreicht habe, entschuldigte dieser sich: „Alles ein Versehen, eine Verwechslung.“ Monate später wurde der Betrag erstattet.
Anzeige abgelehnt
„Strafverfahren werden schnell eingestellt. Die Staatsanwälte haben zu viele andere Dinge zu tun“, sagt Mietrechtsexperte Christian Emmerich. Diese Erfahrung musste auch Johannes Bürder machen. Der Ex-Mieter wollte die GMRE wegen Betrugs anzeigen. Eine Polizeibeamtin in der Berliner Wedekindstraße nahm die Anzeige gar nicht erst an. Was Bürder erzähle, reiche nicht aus für eine Anzeige.
Welche Vorgaben die GMRE ihren Mitarbeitern macht, ist unklar. Eine ehemalige Mitarbeiterin sagt, dass der Job Dinge von ihr verlangt habe, die sie nicht für richtig hielt. Deshalb habe sie gekündigt.
Ein Firmengeflecht
Hinter der Hausverwaltung GMRE steckt eine Holding mit Sitz in London. Im Jahr 2006 kaufte ein Unternehmen namens Gabriel International 54 Häuser in Berlin. Im selben Jahr gründete Rouven Kerstan die Firma Gabriel Management, später GMRE Consultants GmbH, die die Häuser der Londoner Holding in Deutschland verwaltet. Ihren Sitz hat die GMRE in der Schillstraße in Berlin-Tiergarten. Die Kanzlei Jotzo Jung & Partner vertritt die GMRE häufig gegen ihre Mieterschaft.
Die GMRE verwaltet Wohnungen in ganz Berlin, von Tempelhof bis nach Pankow. 2008 waren es nach eigenen Angaben rund 3.000 Objekte. Wie viele es heute sind, will die Firma nicht sagen – nach CORRECTIV-Recherchen inseriert die GMRE auch Wohnungen in Häusern, die bisher nicht Gabriel gehörten. Gabriel International hat laut ihrem Geschäftsbericht in 2014 knapp 12 Millionen Euro Umsatz gemacht.
Rouven Kerstan schweigt
CORRECTIV hat den verantwortlichen Geschäftsführer Kerstan nicht nur mit den oben beschriebenen Vorwürfen der Mieter konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten. Wir waren sogar vor Ort und haben einen Fragenkatalog persönlich im Büro der GMRE abgegeben. Beim Besuch wurden wir gezwungen, uns hinzusetzen, danach wurden wir ohne Gespräch entlassen. Auf die 15 Sachverhalte und über 30 Fragen wollte die GMRE bis zum Redaktionsschluss nicht antworten – weder schriftlich noch mündlich.
*Name von der Red. geändert
Korrektur 19.5.2016: In einer früheren Version des Artikels stand, dass die Kanzlei Jotzo in der Schillstraße 9, neben der GMRE ihren Sitz habe. Tatsächlich befindet sich der Sitz der Kanzlei in der Schlüterstraße 37 in 10629 Berlin.