Das lange Warten auf das AfD-Gutachten
Das AfD-Gutachten dürfte weiter auf sich warten lassen, denn aktuell gibt es keinen Verfassungsschutzchef. Wer die Nachfolge von Thomas Haldenwang an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz antritt, wird erst die künftige Bundesregierung entscheiden.

Thomas Haldenwang hat sechs Jahre den Inlandsgeheimdienst geleitet und trat im November zurück. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte daraufhin angekündigt, „zeitnah“ und möglichst noch vor Jahresende 2024 über seine Nachfolge zu entscheiden.
Doch nun steht fest, dass der oder die neue Geheimdienstchefin erst durch die künftige Bundesregierung bestimmt wird. Das teilte das Bundesinnenministerium auf Nachfrage von CORRECTIV mit.
„Über die Nachfolge im Amt des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz wird durch die nächste Bundesregierung entschieden,“ schreibt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums per E-Mail.
AfD-Gutachten vom künftigen Geheimdienstchef erwartet
Auf die künftige Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz kommen große Herausforderungen zu. Seit einem Jahr wird das sogenannte „AfD-Gutachten“ erwartet, das zeigen wird, ob der Verfassungsschutz die AfD bundesweit als „gesichert rechtsextrem“ einstuft oder nicht. (CORRECTIV hatte im Dezember vergeblich einen Eilantrag zur Offenlegung des Gutachtens gestellt).
Seit vier Jahren gilt die AfD auf Bundesebene als Verdachtsfall und wird durch den Verfassungsschutz beobachtet. Grundlage dafür ist das AfD-Gutachten von 2021. Nun wird eine Bewertung durch den Verfassungsschutz erwartet: Ist die AfD rechtsextrem oder nicht?
Eine Einstufung als „erwiesen extremistisch“ könnte die Debatte um ein AfD-Verbotsverfahren neu entfachen. Denn die Einstufung durch den Verfassungsschutz bildet die wesentliche Grundlage für ein Parteiverbotsverfahren. Einige Bundestagsabgeordnete hatten ihre Unterstützung für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren an das ausstehende AfD-Gutachten geknüpft.
Die künftige Verfassungsschutz-Chefin wird mitentscheiden, ob und wann das AfD-Gutachten veröffentlicht wird und damit indirekt Einfluss auf ein mögliches Verbotsverfahren nehmen.
Neuer Verfassungsschutz-Chef frühestens im April
Innenministerin Nancy Faeser hatte noch im November gesagt, es sei nicht zu verantworten, dass der Posten angesichts der großen Bedrohungen für eine „längere Zeit“ unbesetzt bleibt. Die Dringlichkeit scheint inzwischen verflogen. „In Zeiten von Regierungswechseln gibt es eine besondere Zurückhaltung bei wesentlichen Personalentscheidungen,“ erklärt die Sprecherin des Bundesinnenministeriums in ihrer E-Mail.
Wann die künftige Bundesregierung ihr Amt antritt und dann einen neuen Verfassungsschutz-Chef ernennt, ist noch offen. Nach erfolgreichen Sondierungsgespräche wollen die CDU, CSU und die SPD nun einen Koalitionsvertrag ausarbeiten. Die Regierungsbildung hat in den letzten Legislaturperioden zwischen einem und fünf Monaten gedauert, das wäre zwischen Ende März und August. Mit der Ernennung des obersten Verfassungsschützers ist also frühestens ab April zu rechnen.

Warum die Personalentscheidung entgegen vorheriger Ankündigung verschoben wurde, erklärt die Sprecherin des Innenministeriums in ihrer E-Mail nicht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird übergangsweise durch die Vizepräsidentin Silke Willems und den Vizepräsidenten Sinan Selen geleitet.
Verfassungschef wird von der Innenministerin vorgeschlagen
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist ein Beamter. Er wird nicht gewählt, sondern von der Innenministerin im Kabinett vorgeschlagen und anschließend vom Bundespräsidenten ernannt.
Die Leitung des Verfassungsschutzes kann eigene Schwerpunkte setzen, wie die Vergangenheit zeigt. Hans-Georg Maaßen, inzwischen als Rechtsextremist eingestuft, leitete die Behörde von 2012 bis 2018 und geriet parteiübergreifend in Kritik, unter anderem weil er bezweifelte, dass es rassistische Hetzjagden in Chemnitz gegeben hatte. Auf ihn folgte Thomas Haldenwang, der bis Dezember 2024 den Verfassungsschutz leitete und – im Gegensatz zu seinem Vorgänger – einen Fokus auf Rechtsextremismus legte.
Recherche: Marie Bröckling
Faktencheck und Redigat: Anette Dowideit
Foto: Ivo Mayr
Korrektur, 10. März um 11.50 Uhr: In einer früheren Version stand fälschlicherweise der Verfassungsschutz-Chef sei ein „parteiloser Beamter“. Das haben wir korrigiert. Richtig ist, dass es kein parteipolitisches Amt ist.