Kleine Kinder zurücklassen
Das Projekt „Kein Kind zurücklassen“ bleibt bislang ohne Wirkung. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Wer arm ist, bleibt auch arm. Das gilt vor allem für Kinder und Jugendliche, vor allem in NRW.
Vor zwei Wochen lachte Hannelore Kraft noch mit der Sommersonne um die Wette. Das Modellprojekt „Kein Kind zurücklassen“ mache einen tollen Job, sagte die Ministerpräsidentin auf dem NRW-Tag in Düsseldorf: „’Kein Kind zurücklassen‘ ist ein Erfolg und wir wollen die vorbeugende Politik in Nordrhein-Westfalen fortsetzen (…) ab dem Herbst dieses Jahres werden wir das Projekt sukzessive für alle Kommunen in NRW öffnen.“ Angesichts der neusten Zahlen zur Kinderarmut klingt die Ankündigung der Ministerpräsidentin fast wie eine Drohung.
Arm bleibt arm
Laut der aktuellen Bertelsmann-Studie leben mehr als 541.000 der unter 18-Jährigen im Bundesland in Haushalten, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. In den vergangenen fünf Jahren stieg diese Zahl um 36.500 Kinder und Jugendliche oder umgerechnet 1,7 Prozent. In Nordrhein-Westfalen wurde es in den vergangenen fünf Jahren für Kinder aus prekären Lebensverhältnissen also nicht besser, sondern schlechter. Und das in wirtschaftlich starken Zeiten. Von der Armut sind in NRW Kinder unter drei Jahren stärker als im Bundesdurchschnitt betroffen. Besonders düster ist die Lage in Städten des Ruhrgebiets wie Dortmund, Duisburg, Essen und Gelsenkirchen wo mehr als dreißig Prozent der Heranwachsenden in so genannten Bedarfsgemeinschaften leben. Arm bleibt Arm — dabei ist die Landesregierung angetreten, diese Regel zu durchbrechen.
Für die Präventionsrendite
2012 wurde dazu „Kein Kind zurücklassen“ (KeKiz) gestartet. 18 Kommunen von Bielefeld bis Düren mühten sich um eine besonders gute Betreuung von Kindern. Eine engmaschige „Präventionskette“ von der Schwangerschaft bis zum Eintritt ins Berufsleben sollte geschmiedet werden. Begleitet wurde das Projekt von Mitarbeitern der Landesministerien, von Staatskanzlei und vor allem der Bertelsmann-Stiftung, die jetzt ja auch die neusten Armutszahlen herausgibt. Nach vier Jahren zogen Stiftung und Landesregierung im Juni noch ein positives Fazit — trotz der steigenden Zahl von zurückgelassenen Kinder in beteiligten Modellkommunen wie Dortmund, Duisburg oder Gelsenkirchen. Erste Erfolge seien dennoch sichtbar, sagte etwa MP Kraft: „Mehr Kinder erhalten bessere Bildungschancen, wir investieren in Vorbeugung, um am Ende eine Rendite zu erzielen, eine Präventionsrendite.“ Und für die Bertelsmann-Stiftung sagte Brigitte Mohn, es sei nachgewiesen worden, „das Prävention den betroffenen Kindern hilft“.
Modellkommunen statistisch nicht erfolgreich
Die neuen Zahlen sprechen eine andere Sprache: Auch Modellkommunen schneiden in der Armutsstatistik nicht gut oder besser ab. In Gelsenkirchen, Duisburg und Dortmund stieg der Anteil armer Kinder, das Ziel des „gelingenden Aufwachsen“ wird verfehlt. In 13 größten der 18 Modellkommunen sind nach vier Projektjahren mehr als 180.000 Kinder von Armut und damit schlechteren Zukunftschancen betroffen. Von einer Flächenwirkung bei anderen versprochenen Investitionen in die Zukunft aller Kinder in NRW kann kaum die Rede sein. Jenseits des Modellprojektes sind die Probleme offenkundig. Zum Beispiel bei den Grundschulen, der wichtigsten Einrichtung für die Zukunft der Kinder. NRW ist hier bundesweit Schlusslicht bei den Investitionen. Kein Land gibt weniger je Grundschüler und Jahr aus. NRW investiert nur 4800 Euro. Zum Vergleich. Hamburg investiert rund 8700 Euro je Grundschulkind und Jahr.
An der Ausweitung von „KeKiz“ wird trotzdem festgehalten. Gerade sucht Landesfamilienministerin Christina Kampmann (SPD) 22 weitere Städte und Gemeinden, die sich für das Modellvorhaben zu bewerben: „Ausgehend von den positiven Ergebnissen und Erfahrungen des Modellvorhabens ‚Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor‘ wollen wir die Politik der Vorbeugung schrittweise in die Fläche des Landes bringen.“