
Liebe Leserinnen und Leser,
kurz bevor sich Friedrich Merz im Mai zum Kanzler wählen lassen möchte, bricht in seiner Partei ein Streit über den Umgang mit der AfD aus. Soll man sie behandeln wie alle anderen Parteien oder nicht? Meine Kollegin Marie Bröckling und ich haben bei den Unions-Abgeordneten nachgehakt – und klären im Thema des Tages eine der wichtigsten Fragen: Erhält die AfD über das Kontrollgremium womöglich Zugang zu Geheimdienstinformationen?
Außerdem im SPOTLIGHT: Nicht nur aus dem rechten Lager hört man immer wieder die Forderung, es müsse unter die Verbrechen des Holocaust doch mal ein Schlussstrich gezogen werden. Warum das in die Irre führt und das Gedenken besonders für Jugendliche wichtig ist, lesen Sie in „Endlich verständlich“. Und: Wie sich radikale Väterrechtler weltweit mit autoritären Rechte vernetzen.
Sie haben Anregungen für den SPOTLIGHT? Schreiben Sie mir gern unter sebastian.haupt@correctiv.org. (Ich lese alle Mails, schaffe es aber leider nicht, auf alle zu antworten.)
Thema des Tages: CDU: Offener Streit über Umgang mit AfD
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Faktencheck: Jede Woche ein neues Kohlekraftwerk? Trump verbreitet Falschbehauptung über Deutschland
Jens Spahn wirbt für eine Normalisierung der AfD, prominente Parteikollegen stimmen ihm zu – etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sowie Philipp Amthor und Johann Wadephul. Andere, wie das CDU-Urgestein Roderich Kiesewetter, widersprechen vehement. Offenbar hat die Union keine klare Linie im Umgang mit der teils extremistischen Partei. Was man dazu wissen sollte:
Worum geht es nochmal?
Nachdem Jens Spahn für eine Normalisierung geworben hatte, sagte auch Fraktionsvize Johann Wadephul: Er sei „dafür, AfD-Kandidaten für Ausschussvorsitze zu wählen, wenn sie in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen sind.“ Bislang war die AfD damit in der Regel gescheitert. Kritiker halten entgegen, dass man der Partei dadurch Macht geben würde, demokratische Spielregeln zu missbrauchen.
Für Bald-Kanzler Friedrich Merz ist die Debatte gefährlich: Im Koalitionsvertrag schlossen die künftigen Partner „auf allen politischen Ebenen jede Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien“ aus. Noch vor Regierungsantritt stellt die von Spahn ausgelöste Debatte aber in Frage, wie fest die Union dabei bleibt.
Hier verläuft die Grenze
Und: Wie weit soll die Normalisierung gehen? Soll die AfD etwa auch einen Kandidaten im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) bekommen? Die Abgeordneten im PKGr kontrollieren unter anderem den Verfassungsschutz, der seinerseits die AfD beobachtet. Die Rechtsaußenpartei würde damit womöglich Zugang zu sensiblen Informationen erhalten, die sie selbst betreffen.
CDU-Politiker Roderich Kiesewetter (stellvertretender Vorsitzer im letzten PKGr) warnte seine Parteikollegen, man solle die AfD nicht verharmlosen oder normalisieren. Er stellte klar:

Meine Kollegin Marie Bröckling hat bei Jens Spahn nachgefragt: Was genau meint Spahn mit „Normalisierung“? Soll die AfD seiner Meinung nach einen Sitz in diesem sensiblen Gremium bekommen? Seine (vollständige) Antwort: „Nein.“ So normal ist die Partei dann wohl doch nicht. Hier verläuft offenbar die rote Linie – allerdings erst auf Nachfrage.
Selbstverständlich ist das nicht. In Sachsen haben CDU und BSW bereits gemeinsam einen AfD-Kandidaten in die sächsische Kontrollkommission hineingewählt, die den Verfassungsschutz überwacht. Offenbar störte es dabei nicht, dass die AfD in Sachsen als gesichert rechtsextrem eingestuft ist.

Kein (rechtlicher) Anspruch auf Ausschussvorsitz
Auch, wenn der bestehende Unvereinbarkeitsbeschluss eine Kooperation mit der AfD eigentlich untersagt: Die Diskussion um das Verhältnis zur und die Abgrenzung von der AfD dürfte weitergehen.
Wird die AfD benachteiligt, wenn sie keine Ausschussvorsitzenden stellen darf? Kiesewetter verneint gegenüber CORRECTIV: „Die AfD hat die gleichen Rechte wie jede andere Fraktion, nur hat sie – wie jede andere Fraktion – kein Anrecht darauf, dass sie von den anderen gewählt wird.“ Diese Auffassung teilt auch Jens Spahn, wie er schriftlich bestätigt. Am Ende entscheiden die Abgeordneten, ob sie die konkreten Kandidaten für geeignet halten. Einen Rechtsanspruch auf den Ausschussvorsitz hat auch das Bundesverfassungsgericht zuletzt ausgeschlossen.
Russisches Gericht verurteilt vier Journalisten
Vier russische Journalisten wurden in Moskau zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Sie sollen mit einer Anti-Korruptions-Gruppe des Kreml-Gegners Alexej Nawalny zusammengearbeitet haben. Diese wird von Seiten des Kreml-Regimes als extremistisch eingestuft.
spiegel.de
Armeedienstverweigerer werden für Israel zum Problem
Laut israelischen Medienberichten verweigern mehr als 100.000 Reservisten den Armeedienst in Israel. Für die israelische Regierung wird die Verweigerung immer mehr zum Problem, da die Reservisten im Krieg gegen die Hamas nun fehlen.
tagesschau.de
Sachsen: Bedrohung durch Neonazis nimmt zu
Starker Anstieg an rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen: Neue Zahlen zeigen den Wachstum von Bedrohung und Angriffen durch Neonazis. Besonders im Fokus der Täter stehen politische Gegner und Minderheiten.
belltower.news
Recherche: Fleischskandal bei deutschem Viehvermarkter
Ein großer Viehvermarkter aus Deutschland soll Lieferpapiere von mehr als 1.100 Rindern manipuliert haben. Dabei soll die Haltung der Tiere verfälscht und fehlende Qualitätsstandards illegal nachgetragen worden sein.
sueddeutsche.de (€)/ t-online.de

Faktencheck

Bei einer Pressekonferenz am 7. April behauptete Donald Trump, in Deutschland werde jede Woche ein neues Kohlekraftwerk eröffnet, nachdem Windkraft und andere Energielösungen gescheitert seien. Das stimmt nicht.
correctiv.org
Endlich verständlich
Deutsche Erinnerungskultur – ein Thema, das bereits etliche Debatten gefüllt hat. Unsere Jugendredaktion Salon5 befindet sich gerade auf Bildungsreise in Polen, um das KZ und Vernichtungslager Auschwitz zu besuchen und sich so mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. In ihrem Podcast geht es heute darum, warum wir diese Erinnerungskultur brauchen.
Salon5 (Podcast)
So geht’s auch
Die Kassen vieler Kommunen sind klamm. Einige setzen deshalb auf Windkraft, wie die Gemeinde Mühlenfließ in Brandenburg. Sie generiert inzwischen rund ein Zehntel ihres Haushalts aus der Energieerzeugung. Dass sich das für viele andere Kommunen ebenfalls lohnen kann, rechnete im letzten Jahr eine Studie aus der Windkraftbranche vor.
tagesschau.de / ndr.de
Fundstück
Die Trump-Regierung und die Tech-Giganten gehen in den USA eine zerstörerische Allianz ein, doch es regt sich Widerstand. Im Silicon Valley nimmt das kuriose Formen an: Hacker haben die Sprachausgabe einiger Ampeln so programmiert, dass sie Trump, Musk und Co. verspotten.
latimes.com
Als Journalistin spreche ich fast jeden Tag mit Menschen, frage nach, höre zu. Aber es gibt Dinge, die ich nicht wieder aus dem Kopf kriege. Dazu gehört ein Mitschnitt, den mir eine Informantin vorgespielt hat: Zu hören ist ihr kleiner Sohn. Das Kind wird mit Gewalt aus seinem vertrauten Umfeld geholt und soll nun beim Vater leben, den es kaum kennt. Der Mann soll zugeschlagen haben, es traf vor allem die Mutter, das Kind kriegte alles mit. Trotzdem sprach das Familiengericht ihm das Kind zu. Auf dem Mitschnitt war zu hören, wie der Junge schrie, minutenlang, er weinte und rief immer wieder: „Ich habe Angst.”
Wer sich mit dem Thema nicht beschäftigt hat, würde vermuten, es handelt sich um einen Einzelfall. Ich wünschte, es wäre so. Wie unsere Recherchen zeigen, verlieren immer wieder Frauen vor Gericht ihre Kinder, vor allem, wenn sie Hinweise auf häusliche Gewalt vorlegen. Ein Grund ist, dass dort mit frauenfeindlichen Theorien hantiert wird – und es gibt antifeministische Lobbyisten, die diese Konzepte systematisch propagieren.
Nun hat ein Team für den Deutschlandfunk recherchiert, wie sich radikale Väterrechtler mit autoritären Rechten weltweit vernetzen – und belegt: Auch deutsche Gutachter und Vertreter der Justiz tauchen auf den internationalen Seminaren und Konferenzen auf.

Solarboom in Deutschland: Der Ausbau an Photovoltaik-Kapazität hat in den letzten Jahren noch einmal deutlich zugenommen.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Marie Bröckling, Till Eckers und Jule Scharun.
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