Archivfoto dokumentiert keine Misshandlung einer Deutschen, sondern ein Pogrom in der Sowjetunion
Der 8. Mai 1945 gilt als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Im Netz kursiert in diesem Kontext das Foto einer Frau, die offenbar öffentlich misshandelt wird. Entstand es nach dem Einmarsch der Alliierten in Deutschland? Nein, das Foto zeigt eine jüdische Frau im Jahr 1941 in der damaligen Sowjetunion.

Hinweis: Dieser Beitrag beinhaltet Bilder, die Gewalt zeigen, und thematisiert Verbrechen während des Nationalsozialismus.
Ein Schwarz-Weiß-Foto wird in Sozialen Netzwerken mit dem Satz verbreitet: „Die Welt weiß alles, was die Deutschen getan haben sollen. Die Welt weiß nichts von dem, was den Deutschen angetan wurde.“ Es zeigt eine ausgemergelte Frau auf einem Bürgersteig, umringt von Menschen. Ihr Gesichtsausdruck wirkt verzweifelt und geschockt.
Das Foto wird seit Jahren in Sozialen Netzwerken genutzt, um auf Vergewaltigungen deutscher Frauen im Zweiten Weltkrieg durch alliierte Soldaten anzuspielen. Zum Beispiel schrieb ein Blogger, das Foto würde „eine von Millionen“ deutschen Frauen in den Ostgebieten zeigen. Auf der Webseite DeBeste hieß es zu dem Bild, der 8. Mai 1945 sei für Deutsche unter sowjetischer Besatzung „kein Tag der Befreiung“ gewesen.
Zu den Alliierten, die damals gemeinsam gegen Deutschland unter Adolf Hitler und den Nationalsozialisten kämpften, gehörten die USA, Großbritannien, Frankreich und die damalige Sowjetunion. Laut der Historikerin Miriam Gebhardt wurden mindestens 860.000 deutsche Frauen durch alliierte Truppen vergewaltigt. Schätzungen dazu gehen jedoch auseinander.
Foto zeigt Frau in Lemberg in der damaligen Sowjetunion nach Einmarsch der Wehrmacht im Juli 1941
Das Foto hat damit aber nichts zu tun, es entstand auch nicht in Deutschland. Über eine Bilderrückwärtssuche findet es sich bei zwei Bildagenturen: BPK von der Staatsbibliothek Berlin und AKG. Laut Bildbeschreibung zeigt es eine jüdische Frau im Juli 1941 nach Einmarsch der Wehrmacht in Lemberg (Lwiw), in der damaligen Sowjetunion. Damals kam es zu einem Pogrom gegen die jüdischen Bürgerinnen und Bürger der Stadt, die auf dem Gebiet der heutigen Ukraine liegt.

Was war das Pogrom von Lemberg?
CORRECTIV.Faktencheck hat das US-amerikanische Holocaust-Gedenkmuseum 2018 kontaktiert, um mehr Informationen über das Bild zu bekommen. Die Chefkuratorin für Akquisitionen Judith Cohen antwortete: „Das besagte Foto ist Teil einer bekannten Reihe, bei der wir fast sicher sind, dass sie das Pogrom von Lemberg darstellen. Die Fotos dieser Serie befinden sich in verschiedenen Archiven, darunter Yad Vashem, die Archive von Emanuel Ringelblum vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau und die BPK in Deutschland.“
Als Pogrom bezeichnet man gewaltsame Ausschreitungen gegen Mitglieder einer Minderheit – im Fall Lemberg beteiligten sich daran auch ukrainische Nationalisten. Im Archiv des Holocaust Memorial Museums steht: „Ukrainische Partisanen, die von deutschen Behörden unterstützt wurden, töteten während dieses Pogroms etwa 4.000 Juden in Lemberg.“
Zahlreiche Bilder von Pogromen zwischen 1939 und 1945 belegen das Leid, das das nationalsozialistische Regime und dessen Unterstützer in Deutschland und den Nachbarländern verursachte. Auch bei Pogromen in Deutschland, Polen und Tschechien wurden etliche Menschen aus der jüdischen Bevölkerung ermordet.
Der 8. Mai 1945 markierte mit der Kapitulation Deutschlands das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Ein Krieg, der laut Angaben der Bundeszentrale für Politische Bildung 60 Millionen Menschenleben kostete.
Redigatur: Steffen Kutzner, Max Bernhard