Bochumer Vergewaltigungen: Wir haben Angst
Nach den Vergewaltigungen zweier chinesischer Studentinnen in der Nähe der Ruhr-Universität Bochum hat die Polizei einen irakischen Asylbewerber als Tatverdächtigen festgenommen. Viele Studentinnen fürchten sich vor weitere Vergewaltigungen. Im Wäldchen an der Uni kam es schon früher zu sexuellen Übergriffen.
Irina ist eine Studentin an der Ruhr-Uni Bochum. Sie wohnt in einer Studentensiedlung ganz in der Nähe des Wäldchens, in dem das zweite Opfer vergewaltigt wurde. Eine chinesische Studentin. Irina sagt: „Wir machen uns alle mehr Sorgen. Alle Studentinnen an der Uni reden über das Thema und alle fürchten, dass so etwas wieder passiert.“ Irina wohnt mit ihrem Freund Boris nur einen Steinwurf vom zweiten Tatort entfernt. Sie gehen beide täglich durch ein Wäldchen zur Universität. Der Weg ist schlecht beleuchtet.
Die Angst geht wieder um an Bochums Hochschule. Ein 31-jähriger Iraker wurde wegen des dringenden Tatverdachts festgenommen, zwei chinesische Studentinnen vergewaltigt zu haben. Eine Tat geschah im August, eine Mitte November. Der mutmaßliche Täter wohnte ganz in der Nähe der Ruhr-Universität in der Flüchtlingsunterkunft „Auf der Heide“. Die Containersiedlung ist von einem Zaun umgeben.
Dass die beiden Opfer wie der Täter aus dem Ausland kommen, ist kein Zufall: In den preiswerten Zimmern der Hochhaussiedlung des Studentenwerks leben vor allem ausländische Studenten, die sich die Wohnungen in der Bochumer Innenstadt nicht leisten können. Die Siedlung am Wäldchen heißt Studentendorf. Auch Theresa wohnt in dem Studentendorf und geht nicht mehr mit einem sicheren Gefühl am Wald entlang zur Uni: „Ich fühle mich jetzt unsicher. Aber immerhin haben sie den Täter ja verhaftet.“
Boris ist der Freund von Irina. Er sagt: „Natürlich fühlen wir uns jetzt nicht wohl.“ Aber der Weg am Wald entlang sei nunmal der kürzeste Weg zu den Vorlesungen. Dass die Tat zu mehr Ausländerfeindlichkeit führt, glaubt Boris nicht: „Bislang ist es kein Thema, dass der Täter aus dem Irak kommt. Es geht nur darum, dass es wieder Vergewaltigungen hier im Wäldchen gab. Die Erinnerung an das Phantom kommt hoch.“
Ein Ort der Unsicherheit
Übergriffe auf Frauen gab es auch in der Vergangenheit auf dem unübersichtlichen Gelände der Ruhr-Uni Bochum. Ein so genanntes „Uni-Phantom“ vergewaltigte zwischen 1994 und 2002 im Umfeld der Hochschule 21 Frauen. Der Täter wurde nie gefasst, obwohl Profiler von Scotland Yard hinzugezogen und über 10.000 Speichelproben genommen wurden. Einige der Opfer überfiel das „Uni-Phantom“ im Wäldchen. Damals hatten Studenten eine Zeit lang einen Wachdienst gebildet, der Frauen zu Vorlesungen brachte. Noch heute können sich Frauen auf dem Campus auf Wunsch begleiten lassen. Der Service der Ruhr-Uni gilt jedoch nur auf dem Hochschulgelände. Den Weg zu den Wohnheimen müssen die Frauen alleine hinter sich bringen. Auch an dem Wäldchen vorbei, in dem schon etliche Frauen vergewaltigt wurden.
Nur zwei Tage vor der zweiten Vergewaltigung fand eine Informationsveranstaltung des Akademischen Förderungswerkes (AKAFÖ) statt. Das Förderwerk betreibt im Umfeld der Ruhr-Uni 19 Wohnheime. Genug Platz für 4000 Mieter. Die meisten davon Studierende. Das Förderwerk weiß, dass es Probleme mit sexuellen Übergriffen in der Gegend gibt.
Ein Spanner
Zum Beispiel hatte erst vor Kurzem ein Spanner in der Nähe der Wohnheime sein Unwesen getrieben. Er hat Frauen durch die Fenster beobachtet. Peter van Dyk, Sprecher des AKAFÖ, sagt, die Stimmung an der Uni und in den Wohnheimen sei zur Zeit von Unsicherheit geprägt: „Die Vergewaltigungen sind das große Thema an der Ruhr-Uni. Frauen, die sich nicht kennen, schließen sich jetzt manchmal für den Heimweg zusammen. Wir können die Sicherheit nicht gewährleisten, das ist Aufgabe der Polizei, aber wir können informieren.“ Oft würden Übergriffe nicht der Polizei angezeigt. Auch der Spanner sei nicht jedes mal gemeldet worden. „Wir sagen allen: Ruft immer sofort die Polizei an.“ Um das Studentendorf hat das Förderwerk nun einen Zaun errichten lassen. Peter van Dyk sagt, „seitdem ist nichts mehr passiert.“
Aber nicht nur Studierende sind von den Vergewaltigungen an der Ruhr-Uni verunsichert. Birgit Steinhoff wohnt schon lange in einem Wohnviertel nahe der Ruhr-Uni und geht oft am Rand des kleinen Wäldchens spazieren. Gegenüber liegt ein Einkaufszentrum. Wer hier wohnt, kennt die gefährlichen Orte. Die Mittsechzigerin ist beunruhigt: „Wir sind besorgt. Besonders schlimm ist es für die jungen Frauen. Es ist schlimm, dass so etwas passiert, jetzt haben alle Angst.“ Erkan Azari wohnt seit 31 Jahren im Uni-Viertel. Für den gebürtigen Perser mit den schütter werdenden dunklen Haaren ist auch die deutsche Politik schuld an den Vergewaltigungen: „Die Politiker haben sehr viel falsch gemacht, als sie jeden ins Land haben kommen lassen, ohne auch nur zu wissen, wer da kam.“ Er fordert Abschiebungen von Migranten, die sich nicht an die Gesetze halten: „Deutschland muss zu diesen Leuten viel härter sein und sie nach Hause schicken, wenn sie gegen Gesetze verstoßen.“
Sexualisierte Gewalt ernst nehmen
Tatsächlich gibt es Anzeichen dafür, dass etwas falsch läuft. Die Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) zum Beispiel weisen zwar eine rückläufige Zahl der Vergewaltigungen in Deutschland seit 2004 aus: Von 7.505 auf 5.934 Vergewaltigungen im vergangenen Jahr. Allerdings hat sich der Anteil der Zuwanderer unter den Tätern im gleichen Zeitraum von 2,6 auf 4,6 Prozent fast verdoppelt. Wie viele Flüchtlinge darunter sind, ist noch nicht klar. Genauere Zahlen wird das BKA erst zu Beginn des kommenden Jahres veröffentlichen.
Es gibt viele Unsicherheiten, was diese Zahlen angeht. Der Kriminologe Christian Pfeiffer weist zum Beispiel im Interview mit dem WDR auf ein bekanntes Phänomen hin, wenn es um Migranten in Kriminalitäts-Statistiken geht: Sie werden deutlich häufiger angezeigt als deutsche Täter. Auch das Phänomen der Massenübergriffe, wie sie in Köln an Silvester zu beobachten waren, sind kaum statistisch richtig zu erfassen.
Die Taten der Flüchtlinge zu ignorieren oder als Ausrutscher zu leugnen ist in jedem Fall gefährlich, mahnt Meera Jamal in der Süddeutschen Zeitung. Im Gegenteil. Jamal sagt: Die sexuelle Gewalt durch geflüchtete Männer müsse „ernst genommen werden“. Sie schrieb diese Mahnung, nachdem bekannt wurde, dass ein 17-Jähriger Junge, der aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet war, eine junge Frau in Freiburg vergewaltigt und dann getötet hatte. Meera Jamal ist eine pakistanische Journalistin. In ihrer Heimat schreib sie für die Zeitung ‘The Dawn’. Nach Drohungen flüchtete sie 2008 nach Deutschland und lebt heute in Wiesbaden.
Sie sagt, viele Dinge müssten angesprochen werden. Zum Beispiel würden Frauen in vielen Orten der Welt, aus denen die Flüchtlinge kommen, „generell verdächtigt, Männer zur Sünde (sprich: Vergewaltigung) einzuladen“. Jede Frau, auf der Straße und sich den Blicken der Männer aussetze, stehe unter diesem Verdacht. Jamal sagt, die Flüchtlinge hätten oft Grauenhaftes erlebt und seien selbst traumatisiert. Sie könnten manchmal nicht mehr einschätzen, was richtig und falsch sei. Jamal erinnert daran, dass die meisten Männer, die Frauen vergewaltigen und ermorden, selbst Missbrauch in der Familie erfahren hätten. Sie sagt: „Ich glaube, dass viele Fälle von Missbrauch ans Tageslicht kommen, wenn Frauen aus Flüchtlingsfamilien erst einmal ihrer Rechte gewahr werden.“ Sie mahnt, die Flüchtlinge, Männer wie Frauen, „über die deutschen Gesetze zu unterrichten und ihnen klarzumachen, was das Wort ‘Einvernehmen‘ zwischen Mann und Frau wirklich bedeutet und was die Konsequenz solch abscheulicher Verbrechen ist.“ Jamal glaubt, das ein Burka-Verbot in Deutschland ein Schritt in die richtige Richtung wäre. Dies würde Grenzen aufzeigen. „Wenn die deutsche Bevölkerung und die Flüchtlinge nicht in Harmonie leben und sich gegenseitig respektieren, ist es – mit Blick auf die Sicherheit beider Seiten – sinnlos, sie überhaupt im Land aufzunehmen.“
Die Stimmung ändert sich
Dikran Mkhjian kommt aus Aleppo, einer Stadt, die gerade von den Truppen Assads mit Hilfe der Russen dem Erdboden gleich gemacht wird. Dirkan ist an diesem Abend in der Zukunftsakademie NRW, einem ehemaligen Jugendzentrum nahe des Bochumer Bermudadreiecks. Hier treffen sich Flüchtlinge, Migranten und Deutsche, um in dem Projekt des Schauspielhauses „United Voices“ zusammen zu singen. Dirkan ist wütend auf den Täter. „Wir haben aber auch Angst, dass die Tat uns allen zugeschrieben wird. Dabei war das Entscheidende an dem Täter, dass er ein Krimineller ist, und nicht, dass er ein Flüchtling war. Solche Menschen gibt es in jeder Gruppe.“
Claudia Marques singt ebenfalls im Chor der „United Voices“ mit. Aber sie macht noch mehr: Marques kocht gemeinsam mit Flüchtlingen, organisiert Partys und unterstützt Kunstaktionen wie die Performance „Lighthouse Square“, die im August vor dem Bochumer Rathaus stattfand. Sie glaubt, dass sich die beiden Vergewaltigungen auf die Arbeit mit Flüchtlingen auswirken werden: „Ich befürchte, dass die Vergewaltigungen Menschen abschrecken könnten, sich ehrenamtlich zu engagieren. Bei denen, die schon lange mit Geflüchteten zusammenarbeiten, wird sich wenig ändern. Wir wissen, dass diese Taten nichts damit zu tun haben, ob der Täter aus dem Irak kommt oder ein Geflüchteter ist. Wäre es ein Deutscher oder ein Schreiner würde das ja auch niemand schreiben.“ Marques Sorge ist, dass sich die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen verschlechtert: „Dabei ist doch klar, dass es unter den Geflüchteten nicht mehr und nicht weniger Kriminelle gibt als in jeder anderen Gruppe.“