Pretzell und Petry in Erklärungsnot
Frauke Petry und Marcus Pretzell haben geheiratet. In den Augen eines wichtigen Rechtsexperten ist das ein Riesenproblem, wie das ZDF-Magazin Frontal 21 herausgefunden hat. Verheiratete dürfen nur einen Hauptwohnsitz haben. Damit können sich Petry und Pretzell nicht gleichzeitig in Sachsen und NRW in den jeweiligen Landtag wählen lassen. Einer von beiden müsste abtreten.
Das Problem ist sehr einfach zu beschreiben. Wer eine Ehe eingeht, muss sich einen gemeinsamen Hauptwohnsitz aussuchen. Das Bundesmeldegesetz ist da ziemlich eindeutig. Nun sind Frauke Petry und Marcus Pretzell seit einiger Zeit verheiratet. Doch die AfD-Bundesprecherin Frauke Petry ist mit ihrem Hauptwohnsitz in Sachsen gemeldet – und ihr Ehemann, der NRW-AfD-Chef Marcus Pretzell, in Bochum.
Das muss so sein, damit Petry in Sachsen im Landtag sitzen darf und Pretzell in NRW für den Landtag kandidieren kann. Nur wer in dem jeweiligen Land gemeldet ist, darf bei den dortigen Wahlen antreten.
Doch genau diese Konstruktion ist nach der Hochzeit der beiden nun eigentlich unmöglich. Verheiratete dürfen laut Gesetz nur einen Hauptwohnsitz haben. Diese Auffassung vertritt Joachim Wieland, Professor für Öffentliches Recht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und Mitglied des NRW-Verfassungsgerichtshof.
Das Dilemma
„Das Ehepaar Petry Pretzell muss sich entscheiden, wo es seinen Hauptwohnsitz nimmt – sei es in Sachsen oder in Nordrhein-Westfalen“, sagt Wieland im Interview mit dem ZDF-Magazin Frontal 21. Nur in dem Bundesland, wo der einheitliche Wohnsitz der Familie liege, könne jemand aus der Familie Landtagsabgeordneter werden oder sein. Der Konflikt mit den Melde- und Landeswahlgesetzen könnte für das AfD-Politiker-Ehepaar weitgehende Folgen haben: Wenn der Hauptwohnsitz der beiden Leipzig wäre, könnte Pretzell in NRW nicht kandidieren. Wäre der Hauptwohnsitz Bochum, würde Petry die Mitgliedschaft im sächsischen Landtag rückwirkend verlieren. Beide Landtage verlangen von ihren Angehörigen den Hauptwohnsitz im eigenen Land.
Petry und Pretzell hatten im Dezember über Facebook ihre Heirat bekanntgegeben – und dass sie ein gemeinsames Kind erwarten. Frauke Petry führt die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen und lebt in Leipzig. Pretzell will als AfD-Spitzenkandidat in den NRW-Landtag gewählt werden und hat nach eigenen Angaben seinen Hauptwohnsitz in Bochum. Frauke Petry antwortete auf Anfragen der Redaktion Frontal 21 nicht. Marcus Pretzell ließ mitteilen, dass er „die wahlrechtlichen Voraussetzungen für das Land NRW“ erfülle.
Es gibt eigentlich nur zwei Lösungen für das Dilemma. Entweder werden die Gesetze geändert – oder Petry und Pretzell lassen sich direkt wieder scheiden.
UPDATE (2.2.17): Schlupfloch für die Eheleute
Neben der Auffassung von Rechtsprofessor Joachim Wieland gibt es weitere Auslegungen der Gesetzeslage. Die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung“ zum Bundesmeldegesetz (BMG) könnte für das Paar Petry/Pretzell die Rettung des politischen wie ehelichen Glücks bedeuten. In der Bundesrats-Drucksache Nr. 341/15 unter Punkt „22.1.2 – Fehlende gemeinsame Wohnung von Ehegatten oder Lebenspartnern“ heißt es:
„Unterhalten Ehegatten oder Lebenspartner je eine eigene Wohnung, von denen keine vorwiegend gemeinsam benutzt wird und haben sie auch keinen gemeinsamen Schwerpunkt der Lebensbeziehungen, ist § 22 Absatz 1, 3 und 4 BMG nicht einschlägig. In diesem Fall ist für jeden Ehegatten oder Lebenspartner eine alleinige Wohnung im Melderegister einzutragen.“
Demnach besteht unter bestimmten Voraussetzungen auch nach der Heirat die Option, getrennte Hauptwohnsitze angeben zu können.
UPDATE II (2.2.17): Frontal21 veröffentlicht Pressemitteilung
Die Diskussion um den Hauptwohnsitz des Ehepaares Petry/Pretzell geht weiter. Die Redaktion des ZDF-Magazins Frontal21 veröffentlichte am Donnerstag, 2. Februar, eine Pressemitteilung zum Fall, in der sich Rechtsprofessor Wieland weiter äußert. Hier die Pressemitteilung im Wortlaut:
Verfassungsrechtler bleibt dabei: Ehepaar Petry/Pretzell muss sich für Hauptwohnsitz entscheiden
Professor Wieland: Verwaltungsvorschriften können Gesetze nicht außer Kraft setzen / Wählbarkeit in verschiedene Landtage nicht möglich
Berlin. – Nach Auffassung des Verfassungs- und Verwaltungsrechtlers Prof. Joachim Wieland ist es den AfD-Spitzenpolitikern Frauke Petry und Marcus Pretzell nicht möglich, jeweils ein Landtagsmandat in Sachsen und Nordrhein-Westfalen wahrzunehmen, da Verheiratete nur einen Hauptwohnsitz haben dürfen. „Der Bundesgesetzgeber hat 2013 bei der Verabschiedung des Bundesmeldegesetzes ausdrücklich an der Regelung festgehalten, dass Ehepaare eine Hauptwohnung dort haben, wo ihre vorwiegend benutzte Wohnung liegt“, sagte Wieland gegenüber dem ZDF. Allgemeine Verwaltungsvorschriften könnten dieses Gesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht außer Kraft setzen. Zudem verlange das Demokratieprinzip, dass Landtagsabgeordnete in dem Bundesland ihren Hauptwohnsitz vorweisen müssen, in dem sie sich zur Wahl stellen. Wieland lehrt Öffentliches Recht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und ist Mitglied des NRW-Verfassungsgerichtshof.
Das ZDF-Magazin „Frontal21“ hatte am 31.Januar 2017 berichtet, dass die im Mai stattfindende Wahl in Nordrhein-Westfalen möglicherweise anfechtbar ist, wenn das AfD-Spitzenduo in Konflikt mit dem Meldegesetz gerät. Die AfD-Führung hatte die Berichterstattung des ZDF als „Fake News“ zurückgewiesen. Sie bezog sich dabei auf eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur Durchführung des Bundesmeldegesetzes (Bundesrats-Drucksache Nr. 341/15). Nach der müssten Ehepaare angeblich nicht zwingend eine gemeinsame Wohnung anmelden.
Diese Auffassung der AfD hält Verfassungsrechtler Wieland für falsch. Das Bundesmeldegesetz bestimme eindeutig, dass in Zweifelsfällen die vorwiegend benutzte Wohnung dort liegt, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt. „Eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift kann nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes die gesetzliche Regelung nicht abändern“, so Wieland. Für Landtagsabgeordnete gelte das Melderecht in ganz besonderer Weise: „Für die Rechtsstellung von Abgeordneten sind die Landeswahlgesetze und die Regelungen im Meldegesetz maßgebend und nicht eine davon abweichende Verwaltungspraxis.“
Zum Nachlesen:
Wahlrecht in Sachsen: § 14 Nr. 2 und § 45 Abs. 1 Nr. 3 SächsWahlG
Wahlrecht in Nordrhein-Westfahlen: § 4 Abs 1 LWahlG NRW
Hauptwohnsitz Bundesmeldegesetz: §§ 20 bis 22 BMG