Die Nullnummer: AfD-Stimmen für Migrantenpartei
Sind bei der NRW-Landtagswahl in einigen Stimmbezirken Zweitstimmen für die AfD nicht korrekt gezählt worden? CORRECTIV.RUHR hat Online-Meldungen der Stimmbezirke von knapp 75 Prozent der Städte und Gemeinden ausgewertet: In über 20 Stimmbezirken liegt die AfD demnach um die null Prozent. In derzeit 15 erhielt die AfD den Daten zu Folge zwar Erststimmen, aber keine Zweitstimme. Es geht derzeit um knapp 1000 Stimmen. Insgesamt sind in NRW nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis rund 13 Millionen Menschen wahlberechtigt. Ihre Stimme gaben über 8,5 Millionen Menschen ab. Die AfD erhielt laut Landeswahlleiter 624.552 Zweitstimmen.
Bei der Landtagswahl am Sonntag hat die AfD nach dem vorläufigen Endergebnis 7,4 Prozent der Stimmen und 16 Sitze im Landtag erhalten. Die CDU und FDP könnten mit einer Stimme Mehrheit eine Koalition gründen. Die Parteien der potenziellen Koalition hätten fast 50.000 Stimmen mehr erhalten als die übrigen Parteien, die in den Landtag eingezogen sind.
Der Stern stellte nun allerdings Ungenauigkeiten in wenigen Stimmbezirken fest. Stimmen für die AfD seien nicht korrekt gezählt worden. Eine CORRECTIV.Ruhr-Auswertung zeigt: Es sind möglicherweise mehr Bezirke betroffen, als bislang bekannt. In 23 Stimmbezirken von allerdings über 15.000 Stimmbezirken in NRW liegt die AfD um die null Prozent der Zweitstimmen, obwohl sie bei der Erststimme gut abschnitt. Bei 15 erhielt die AfD zwar Erststimmen, aber keine Zweitstimme.
CORRECTIV.Ruhr hat bis dato knapp 75 Prozent der Ergebnisse ausgewertet, die die Städte und Gemeinden online zur Verfügung stellen. Bislang haben die eventuell nicht bei der Auszählung berücksichtigten wenigen Hundert bis über 1000 Zweitstimmen keinen Einfluss auf das Wahlergebnis. Laut Landeswahlleiter zog die AfD mit insgesamt 624.552 Zeitstimmen in den Landtag ein.
Die auffälligen Stimmbezirke, bei denen die AfD angeblich nur null Prozent erhalten haben soll, sind über das ganze Bundesland verteilt und reichen von Korschenbroich bis Dortmund. Die Stimmbezirke sind unterschiedlich groß. In dem Bezirk 1000 in Erkelenz wählten 1046 Menschen, in dem in dem Bezirk 124 Oberschönhagen in Detmold nur 27. Aber in beiden liegt die AfD bei 0,0 Prozent.
Das ist merkwürdig.
Einige Gemeinden haben ihre Angaben bereits korrigiert. In Gütersloh erklärt der Pressesprecher der Stadt gegenüber CORRECTIV.Ruhr die Nullnummer mit einem Übertragungsfehler – der AfD wurden nachträglich 106 Stimmen mehr zugesprochen. In Bonn habe die AfD nach der Überprüfung über 100 Stimmen mehr, sagt eine Sprecherin der Stadt.
Geheimnisvoller Stimmenschwund
Der Pressesprecher von Dortmund sagt, dass in acht Fällen nachträglich „die Werte zugunsten der AfD“ korrigiert wurden – das Wahlergebnis habe sich dadurch aber nicht signifikant geändert.
Der Sprecher des Landeswahlleiters sagt, dass ihnen bisher zwölf Hinweise auf Unregelmäßigkeiten vorliegen, die sie alle entsprechend prüften.
Ein Grund für den geheimnisvollen Stimmenschwund wurde in Bonn und Gütersloh genannt. Er liegt in einer Namensähnlichkeit. Die Stimmen der AfD seien der ähnlich klingenden Partei AD-Demokraten bei der Übertragung zugeschlagen worden. Das hat eine besondere Ironie.
Die Allianz Deutscher Demokraten ist eine Partei für Menschen mit Migrationshintergrund, die zudem als Erdogan-nah gilt. Nach der Datenauswertung von CORRECTIV.Ruhr konnte sich die AD-Allianz in fünfzehn Stimmbezirken über überproportional viele Zweitstimmen freuen, während die AfD schlechter abschnitt, als ihr Ergebnis bei den Erststimmen vermuten lassen würde.
Spannend sind auch die Stimmbezirke 603 (Marxloh) und 1001 in Duisburg: Dort hat die AfD zwar mal 9 Prozent und 5,03 Prozent erhalten, aber die ADD hat dort mit 11 und 23 Prozent überdurchschnittlich abgeschnitten.
Ist das ein Hinweis darauf, dass nicht nur bei den Wahlkreisen, wo die AfD bei null Prozent liegt, der Fehler gemacht wurde – sondern auch dort, wo die AD-Demokraten überproportional abgeschnitten haben? Insgesamt erhielt die ADD landesweit 13.653 Stimmen, was 0,2 Prozent entspricht.
Stimmbezirk | abgegeben | ADD (1) | ADD (1 in %) | AfD (1) | AfD (1 in %) | ADD (2) | ADD (2 in %) | AfD (2) | AfD (2 in %) |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Korschenbroich 110 | 860,0 | 0,0 | 0,0 | 40,0 | 4,67 | 52,0 | 6,16 | 0,0 | 0,0 |
Duisburg 603 | 156,0 | 0,0 | 0,0 | 12,0 | 8,0 | 17,0 | 11,04 | 14,0 | 9,09 |
Duisburg 1001 | 206,0 | 0,0 | 0,0 | 16,0 | 8,94 | 47,0 | 23,62 | 10,0 | 5,03 |
Bonn 241 | 755,0 | 0,0 | 0,0 | 28,0 | 3,74 | 38,0 | 5,05 | 0,0 | 0,0 |
Hagen 7312 | 623,0 | 0,0 | 0,0 | 46,0 | 7,42 | 54,0 | 8,7 | 2,0 | 0,32 |
Winterberg 50 | 143,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 8,0 | 5,59 | 0,0 | 0,0 |
Köln 30503 | 382,0 | 0,0 | 0,0 | 11,0 | 2,91 | 3,0 | 0,79 | 1,0 | 0,26 |
Köln 30601 | 326,0 | 0,0 | 0,0 | 6,0 | 1,84 | 2,0 | 0,62 | 0,0 | 0,0 |
Köln 40402 | 359,0 | 0,0 | 0,0 | 29,0 | 8,26 | 35,0 | 9,89 | 0,0 | 0,0 |
Erkelenz 1000 | 1.046,0 | 0,0 | 0,0 | 49,0 | 4,78 | 1,0 | 0,1 | 0,0 | 0,0 |
Gütersloh 31 | 543,0 | 0,0 | 0,0 | 27,0 | 5,04 | 35,0 | 6,51 | 0,0 | 0,0 |
Gütersloh 82 | 517,0 | 0,0 | 0,0 | 53,0 | 10,54 | 71,0 | 13,89 | 0,0 | 0,0 |
Hilchenbach 15.1 | 349,0 | 0,0 | 0,0 | 24,0 | 6,94 | 25,0 | 7,16 | 1,0 | 0,29 |
Hallenberg 10 | 358,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 15,0 | 4,23 | 0,0 | 0,0 |
Sankt Augustin 04B | 133,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 8,0 | 6,11 | 0,0 | 0,0 |
Mönchengladbach 11207 | 442,0 | 0,0 | 0,0 | 33,0 | 7,64 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Bonn 210 | 1.034,0 | 0,0 | 0,0 | 52,0 | 5,13 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Jülich 11.3 | 108,0 | 0,0 | 0,0 | 1,0 | 0,93 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Pulheim 22.9 | 347,0 | 0,0 | 0,0 | 21,0 | 6,1 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Aachen 6604 | 585,0 | 0,0 | 0,0 | 12,0 | 2,09 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Beverungen 11 | 97,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Detmold 123 | 34,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Detmold 124 | 27,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Düsseldorf 3390 | 1,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Düsseldorf 5491 | 206,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Fehler passieren, aber…
Für die Sprecherin der Stadt Bonn, Monika Hörig, sind diese Fehler kaum vermeidbar. In Bonn seien viele ehrenamtliche Kräfte ganztägig im Einsatz, sagt Hörig, „bei einer derartigen Anzahl von Ergebnissen kann es immer zu kleineren Fehlern kommen“. Zumal deren Prüfung dann in den folgenden Tage erfolge, „auch ohne Hinweise von außen wurden hierbei die fehlerhaften Angaben bemerkt und korrigiert“.
Fehler passieren natürlich, aber: Weder der Sprecher des Landeswahlleiters, noch der Sprecher von Gütersloh oder von Bonn konnten sich daran erinnern, dass es in zurückliegenden Wahlen zu ähnlichen Vorfällen gekommen sei – dass also jemals zuvor eine Partei durch einen Übertragungsfehler auf Null gerechnet wurde.
Noch hat die AfD Vertrauen in die Wahlleitung. „Aber es ist schon alarmierend wenn dieser Fehler landesweit und nur bei der AfD auftaucht“, sagt der Landessprecher Michael Schwarzer gegenüber CORRECTIV.Ruhr.
Die AfD in NRW geht derzeit 30 Verdachtsmomenten nach, sagte der AfD-Sprecher Schwarzer. Man rechne mit weit über 1000 Stimmen, die nicht gezählt worden seien.
Der Fehler wird das Wahlergebnis wohl kaum signifikant ändern. Für den demokratischen Diskurs ist es aber misslich, dass die möglichen Fehler ausgerechnet die AfD betreffen.