Vorsicht Satire!
Prüfen oder nicht prüfen, das ist hier die Frage, die sich Fact-Checker täglich stellen. Ab wann ist eine Falschmeldung einen Faktencheck wert? Welche Rolle spielt die Beliebtheit im Netz? Muss Satire geprüft werden?
Vor ein paar Tagen schickte mir ein Freund einen Link zum folgenden Facebook-Post.
Nein, es war keine Anfrage für einen Faktencheck. Selbstverständlich hatte er verstanden, dass es ein falsches Wahlplakat ist. Hier wurde das jüngste Wahlplakat der Bundeskanzlerin mit einem Foto von Migranten, die über Felder in Slowenien gehen, montiert. Das Bild hatte der Getty-Images-Fotograf Jeff J Mitchell im Oktober 2015 aufgenommen.
Auf das vermeintliche Wahlplakat haben schon viele Facebook-Nutzer reagiert: Mehr als 1 700 Facebook-Reaktionen (meistens lachende und empörte Smileys) – und 572 Shares erhielt der Post. Kommentiert wurde das Foto 685 Mal. Nicht schlecht, und genug um es im Rahmen eines Faktenchecks zu prüfen, wenn es keine Satire wäre.
Was meinem Freund und mir unter den vielen Kommentaren aufgefallen ist, sind die folgenden Reaktionen.
Wer sind denn diese Menschen, die in der Masse von Kommentaren ihre Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Montage äußern? Sind sie wirklich blauäugig oder ist das noch eine Form von Meta-Ironie? Ja, es stimmt: Jeder kennt eine Person aus dem Freunden- oder Familienkreis, die alles ernst nimmt, was man ihr sagt.
Dem Internet sei dank, gibt es aber manchmal nette Menschen, die sich Zeit nehmen, naiveren Nutzern den Witz als solchen zu erklären. Auch unter dem falschen Merkelplakat findet man solche Humorhelfer, wie Norbert K., der sogar die Originalquelle der Montage nennt. Das Bild habe das Morgengagazin erstellt. Wie der Name beim Lesen schon sagt, ist es eine Satirewebsite.
Für den Fact-Checker stellt sich aber dennoch eine schwierige Frage: Was soll er jetzt tun? Wenn er einen Faktencheck veröffentlicht, dann wird er von den anderen Lesern wegen seiner Humorlosigkeit und seiner Pingeligkeit kritisiert. Wenn nicht, dann kann es sein, dass diese satirische Geschichte langsam durch die Stille Post aus ihrem humoristischen Kontext gerissen und als wahre Informationen verstanden wird.
Wenn Satire zu Fake News gemacht wird
Satire darf alles – so Kurt Tucholsky. Im digitalen Zeitalter kann sie auch alles — wie sich etwa als Wahrheit zu verschleiern. So entstand während der französischen Präsidentschaftswahl der Mythos, nach dem sich Emmanuel Macron dreckig fühlt, wenn er die Hände von armen Menschen schüttelt.
Erst veröffentlichte die Satirewebsite „Le Gorafi“ im Juni 2016 ein falsches Interview, bei dem Macron gesagt haben soll: „Wenn ich die Hand eines Armen schüttle, fühle ich mich den ganzen Tag dreckig.“
Danach wurde, zweitens, der Link zum Artikel von militanten Facebook-Seiten verbreitet und von manchen von Followern schon ernst genommen. Hinzu kam ein Video auf dem Emmanuel Macron sich die Hände mit Reinigungstüchern wäscht, das in sozialen Netzwerken mit dem Titel „Macron wäscht sich die Hände, nachdem er Arbeiter getroffen hat“ veröffentlicht wurde. Das ist aber nicht wahr. Wenn man sich das ursprüngliche Video ansieht, erkennt man, Macron wäscht sich die Hände, weil er kurz vorher einen schleimigen Aal angefasst hat.
Die Geschichte ging aber noch weiter. Als drittes wurde der Kandidat während eines Besuchs im Nordfrankreich von einer Arbeiterin herausgefordert, ihre „saubere Hand“ zu schütteln. Emmanuel Macron antwortete ihr, dass er bisher jedem die Hand gegeben hat. Die Frau war davon nicht überzeugt und entgegnete ihm: „Das ist doch nicht, was Sie gesagt haben!“.
Hätten die französischen Fact-Checker den Artikel von „Le Gorafi“ schon nach seiner Veröffentlichung im Juni 2016 korrigieren müssen? Sicherlich nicht. Journalisten haben vermutlich Besseres zu tun, als Warnmeldungen für jeden neuen Postillon-Text zu schreiben. Aber sie müssen auch das Bauchgefühl haben für den Moment, in dem das Humor-Etikett der Satire von manchen Menschen nicht mehr lesbar wird und dem öffentlichen Diskurs schaden kann.
Im Fall des falschen Merkel-Plakates wäre ein Faktencheck nicht nötig gewesen. Ein Facebook-Nutzer hatte es schon unter den Kommentaren für uns gemacht.