Datenschutz

Wenn Städte Bürgerdaten an Parteien verkaufen

In Dortmund bekommen derzeit Erst- und Jungwähler Wahlwerbung von der AfD per Post. Die Stadtverwaltung hat die Adressdaten der Partei gegen Geld zur Verfügung gestellt. Wir haben nachgeforscht: Weshalb ist das legal? Und: Machen Stadtverwaltung so etwas ständig?

von Anette Dowideit , Tobias Hauswurz , Samira Joy Frauwallner , Jacob Jargon

Bundestagswahl _ (AfD)
Briefkästen von AfD-Sympathisanten – hier wäre wohl keine Wahlwerbung mehr nötig. Quelle: picture alliance / Georg Wendt/dpa | Georg Wendt

Rund 26.000 Erst- und Jungwähler in Dortmund erhalten dieser Tage Post von der AfD. Zunächst wurde darauf der lokale Radiosender Radio 91,2 aufmerksam. Er fragte bei der Stadtverwaltung nach: Wie kam es dazu, wieso hat die AfD Zugriff auf die Adressdaten?

Die Antwort der Verwaltung: Die AfD habe für den Zugriff auf die Adressen 2.000 Euro an die Stadtverwaltung gezahlt. Der Grund, weshalb solche Adressweitergaben legal sind: das seit 2015 geltende Bundesmeldegesetz. Dort heißt es in § 50:

„Die Meldebehörde darf Parteien, Wählergruppen und anderen Trägern von Wahlvorschlägen im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen auf staatlicher und kommunaler Ebene in den sechs der Wahl oder Abstimmung vorangehenden Monaten Auskunft aus dem Melderegister (…) erteilen.“

CORRECTIV hat aus Anlass des Dortmunder Falls auch in anderen Städten nachgefragt, ob auch sie regelmäßig Adressdaten gegen Geld an Parteien herausgeben – und wieviel Geld sie damit einnehmen.

Gefragt haben wir in Hamburg, München und Berlin – den drei größten deutschen Städten – sowie in Gelsenkirchen (dem Sitz der ersten CORRECTIV-Lokalredaktion) und Bottrop (dem Hauptstandort unserer Jugendredaktion Salon5).

Das kam heraus:

– Die Stadt München teilte auf CORRECTIV-Anfrage mit, sie habe vor der Bundestagswahl 2025, der Europawahl 2024 und der Landtagswahl 2023 Wählerdaten gegen Gebühr weitergegeben – und zwar zur Bundestagswahl an die Grünen und die CSU, zur Europawahl im vergangenen Jahr an die SPD und zur  Landtagswahl 2023 an Grüne, CSU und FDP.

Herausgegeben worden seien insgesamt rund 340.000 Datensätze – damit habe die Stadtverwaltung etwa 34.000 Euro eingenommen.

Berlin hat der Auskunft der Stadtverwaltung zufolge 2023 (Wiederholungswahlen zum Abgeordnetenhaus), 2024 (Europawahl) und 2025 (Bundestagswahl) Adressdaten an Parteien gegeben.

„Auskünfte wurden erteilt an die Parteien CDU, SPD, AfD, Bündnis 90/Die Grünen Berlin, Die Linke, FDP“, schreibt die zuständige Senatsverwaltung für Inneres. Im Vorfeld der genannten Wahlen seien insgesamt rund 4,8 Millionen Datensätze herausgegeben worden. Dafür seien Verwaltungsgebühren in Höhe von insgesamt rund 30.000 Euro verlangt worden. „Entsprechend der gesetzlichen Regelung wird Auskunft erteilt über Familiennamen, Vornamen, Doktorgrad und derzeitige Anschrift“, schreibt die Behörde.

– Gelsenkirchen schrieb CORRECTIV, man habe in diesem Januar, kurz vor der Bundestagswahl, der SPD eine Auskunft zu Bürgerdaten erteilt. Herausgegeben worden seien 7.293 Datensätze – dafür seien 2.000 Euro in die Stadtkasse geflossen.

– Bottrop schrieb, man habe in den Jahren 2024 und 2025 Datensätze an die SPD gegeben. Wie viele Datensätze es im einzelnen waren, könne man „nicht mehr nachvollziehen, weil sowohl wir als Behörde als auch der Empfänger die weitergegebenen Daten nach einer gewissen Zeit zu löschen haben“. Es seien aber erfahrungsgemäß einige hundert Datensätze.

Die Gebühren für solche Gruppenauskünfte ergäben sich aus der Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit der Verwaltungsgebührensatzung der Stadt Bottrop. „Sie betragen 200 Euro, das ist der Mindestbetrag für bis zu 10.000 Datensätze“, schreibt die Stadtverwaltung. Vereinfacht gesagt, seien diese Gebühren in allen Städten in NRW gleich hoch.

– Hamburg antwortete bislang nicht auf die Fragen der Redaktion. Dort teilt lediglich der Datenschutzbeauftragte allgemein mit, die Herausgabe der Daten sei legal – wenngleich sich sicher „aus datenschutzrechtlicher Sicht diskutieren ließe“, ob die Informationspflichten und Wahlmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger verbessert werden könnten.

– Auch in Dortmund hat CORRECTIV noch einmal genauer nachgefragt, wie häufig Adressdaten der Bürgerinnen und Bürger an Parteien weitergegeben wurden. Die Stadtverwaltung teilt mit: Im aktuellen Kommunalwahlkampf habe sie lediglich Daten an die AfD gegeben, nicht an andere Parteien – weil keine andere angefragt habe. Somit habe sie im aktuellen Wahlkampf lediglich 2.000 Euro eingenommen.

Bei der vergangenen Bundestagswahl seien keine entsprechenden Anträge von Parteien eingegangen. Zuletzt habe die Stadtverwaltung im Bundestagswahlkampf 2021 Adressdaten weitergegeben: an die Grünen, ebenfalls für 2.000 Euro.

Das heißt: Die Adressweitergaben sind nichts Neues – aber durch die Weitergabe an die AfD stören sich vermutlich mehr Bürgerinnen und Bürger daran als bei anderen Parteien.

Verkauft oder nicht?

Auffällig ist, dass alle von CORRECTIV befragten Städte großen Wert darauf legen, die Adressdaten würden nicht „verkauft“ – sondern lediglich „gebührenpflichtig zur Verfügung gestellt“ werden. So formuliert es zum Beispiel die Hamburger Datenschutzbehörde.

Das Bundesmeldegesetz schreibt übrigens vor, dass die Stadtverwaltungen ihre Bürgerinnen und Bürger einmal pro Jahr aktiv darüber informieren müssen, dass die Möglichkeit der Weitergabe ihrer persönlichen Daten besteht. Auch hierzu haben wir die Städte gefragt: Kommen sie dieser Informationspflicht nach?

Dazu schreibt zum Beispiel die Stadt München: Die „ortsübliche Bekanntmachung“ sei jederzeit über muenchen.de abrufbar, wenn man den entsprechenden Suchbegriff eingibt. In Bottrop gibt es immerhin einmal im Jahr eine amtliche Bekanntmachung (zuletzt zum Beispiel hier), die man auf der Internetseite der Stadt prominent sieht.

Wie kann man widersprechen?

Bürgerinnen und Bürger können der Weitergabe ihrer Adressen widersprechen. Ein paar Beispiele:

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Mitarbeit: Mirjam Borzymski, Mario Büscher

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