Integration & Gesellschaft

Rütli-Schule: Senatorin nach CORRECTIV-Recherche unter Druck

Der CORRECTIV-Artikel zu queerfeindlichen Hassbotschaften von Schülern hat eine politische Debatte in Berlin ausgelöst. An diesem Donnerstag soll das Thema im Abgeordnetenhaus diskutiert werden.

von Anette Dowideit , Miriam Lenz , Ulrich Kraetzer

Symbolisches Schild Queerfeindlich
Queerfeindlichkeit an Berliner Schulen – in welche Richtung bewegt sich nun die Politik? Quelle: picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE

Ein schwerer Fall queerfeindlichen Mobbings im Umfeld der bekannten Berliner Rütli-Schule beschäftigt nun die Berliner Politik – nachdem CORRECTIV ihn am Montag öffentlich gemacht hatte. Die Fraktionen der Linken und Grünen wollen dafür sorgen, dass sich an diesem Donnerstag das Berliner Abgeordnetenhaus mit dem Thema beschäftigt.

Im Fall ging es darum: Eine Gruppe offenbar derzeitiger und ehemaliger Schüler hatte den Ehemann eines Lehrers über Monate hinweg belästigt und beleidigt – mit Briefen, E-Mails und Anrufen. Das Paar hatte den Fall beim Berliner Landeskriminalamt (LKA) angezeigt. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft. Sowohl das Paar selbst als auch das LKA fühlten sich von der Schule, der Schulaufsicht und der Senatsverwaltung nicht unterstützt; die Schule machte den Fall auch nicht schulöffentlich. Auf Gesprächsbitten von CORRECTIV reagierte sie nicht.

Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch
Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) vergangene Woche im Berliner Abgeordnetenhaus. Quelle: picture alliance/dpa | Carsten Koall

Nun gerät Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) unter Druck. Sie ist die politisch Verantwortliche für den Fall. Aus Sicht von Grünen und Linken im Abgeordnetenhaus hätte sie deutlich proaktiver handeln und transparenter damit umgehen müssen.

Klaus Lederer, Sprecher für Queerpolitik der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, fordert: „Die Bildungssenatorin und die Schulverwaltung müssen endlich offen mit dem Problem umgehen und die Betroffenen unterstützen. Betroffene müssen Hilfe von der Schulverwaltung erhalten, statt als Störung des Betriebsfriedens behandelt zu werden.“ Es brauche eine unabhängige Beschwerdestelle für Fälle von Diskriminierung an Schulen – und mehr Aufklärungsarbeit: Sexuelle Vielfalt und queeres Leben müssten im Unterricht Thema sein, findet Lederer.

Louis Krüger, Sprecher für Schulpolitik und kulturelle Jugendbildung der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, fordert, dass der Fall an der Rütli-Schule parlamentarisch aufgearbeitet wird. „Für die Zukunft braucht es ein systematisches Monitoring von queerfeindlicher Diskriminierung an Schulen“, sagt Krüger. Denn es handele sich um ein strukturelles Problem und nicht nur um Einzelfälle. Vom Berliner Senat fordert er mehr Geld für Präventionsprojekte gegen Queerfeindlichkeit.

Sind muslimische Schüler queerfeindlicher als andere in Deutschland?

In der am Montag veröffentlichten Recherche ging es nicht nur um den aktuellen Berliner Fall, sondern auch um die dahinterstehende Frage: Haben Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund generell mehr Hass auf Minderheiten wie queere Menschen oder Transpersonen? Und: Weshalb wird dazu nicht mehr geforscht?

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Die Berliner Rütli-Schule, die mittlerweile offiziell Campus Rütli heißt, stand schon vor 20 Jahren im bundesweiten Fokus – weil sie schon damals warnte: Mit der derzeitigen Schulpolitik werde man den Herausforderungen der Migration nicht gerecht. Daraufhin wurde die Schule aufwändig modernisiert, ihr Lehrkonzept wurde überarbeitet und sie galt seither als Vorzeigeprojekt. Die CORRECTIV-Recherche, die mittlerweile auch eine Reihe anderer Medien aufgriffen, zeigte jedoch, dass sich Schulen und Bildungspolitiker weiterhin schwer mit dem Thema tun.

Seit der Veröffentlichung des Textes am Montag eskalierte die Lage weiter: Die Senatsverwaltung sagte kurzfristig ein für Dienstag angesetztes Schlichtungsgespräch zwischen dem Betroffenen, der Schulaufsichtsbehörde, einem Vertreter der zuständigen Senatsverwaltung und dem Queerbeauftragten Berlins ab – was aus Sicht des betroffenen Ehepaars eine weitere Eskalation bedeutet. Der betroffene Lehrer-Ehemann sagte gegenüber CORRECTIV, seiner Meinung nach müsse Günther-Wünsch von ihrem Amt zurücktreten.

Senatorin Günther-Wünsch: kein Interview

CORRECTIV hat Katharina Günther-Wünsch und ihre Senatsverwaltung heute erneut gefragt, weshalb sie bisher nicht in den offenen Dialog geht. Aus der Pressestelle heißt es, die Senatsverwaltung habe erst im Zuge von Presseanfragen und Berichterstattung von dem Fall an der Rütli-Schule erfahren und danach eine Aufklärung angestoßen. Dabei habe die Senatsverwaltung festgestellt, dass der Sachverhalt „durch Schulleitung und regionale Schulaufsicht bislang noch nicht zufriedenstellend bearbeitet wurde“. Nun sei ein Gespräch mit dem betroffenen Lehrer geplant.

Vergangene Woche hatte die Senatsverwaltung auf Fragen der Redaktion geantwortet, sie plane, sich nun ausführlich mit der Frage zu befassen, in welchen Schülergruppen Queerfeindlichkeit besonders verbreitet sei – ob sie also unter Schülern mit arabisch-muslimischem Hintergrund verbreiteter sei. Diese Frage, so schrieb Günther-Wünschs Sprecher damals, sei bisher von der Politik vernachlässigt worden. Sprich: von der Vorgängerregierung unter SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey.

Mehrere Bitten um ein Interview bei CORRECTIV sagte Günther-Wünsch ab. Ihr Sprecher verwies stattdessen auf ein Pressegespräch, das die Senatorin in den nächsten Wochen veranstalten wolle.

CORRECTIV fragte auch nach einer Einschätzung des Berliner Queerbeauftragten, Alfonso Pantisano, zu dem Vorfall. Die Sozialverwaltung des Senats, bei der Pantisanos Stelle angesiedelt ist, teilte jedoch mit, der Queerbeauftragte werde sich dazu zunächst nicht äußern.