Yellow Bar Mitzvah: Sun Diego über Rap und Rapper
Dimitri Chpakov provoziert. Er ist Jude, Rapper und Künstler. Unter dem Namen Sun Diego prägt er den Sound des heutigen Deutschrap. In seiner Zweitkarriere als SpongeBOZZ revolutionierte er im Vorübergehen die Battle-Rap-Kultur. Er gilt als einer der erfolgreichsten Musiker des Landes. Wir sprechen mit ihm über Identität, Verantwortung und sein Buch: „Yellow Bar Mitzvah“
CORRECTIV: Sunny, was heißt Heimat oder Identität für dich?
Sun Diego: Ich wurde in der Ukraine geboren, damals noch in der Sowjetunion. Ich kam sehr jung nach Deutschland, noch vor der Wende in den 90er Jahren. Wir sind zuerst in ein Lager gekommen und dann direkt nach Osnabrück. Seitdem lebe ich hier. Für mich ist Osnabrück, ist Deutschland Heimat. Aber ich habe auch diesen sowjetischen, ethnischen Hintergrund. Wir sprechen zu Hause russisch. Auch das ist für mich Identität.
CORRECTIV: Du bekennst Dich sehr offen zum Judentum. Dein Buch heißt „Yellow Bar Mitzvah“.
Sun Diego: Ich bin als Kind mit meiner Mutter in die Synagoge gegangen. Auch wenn ich da als Junge natürlich nicht wirklich die Wahl hatte, glaube ich schon, dass es einen Erschaffer gibt. Ich glaube auch an Recht und Unrecht. Aber deswegen bin ich nicht religiös im traditionellen Sinn. Ich habe mehr meinen eigenen Stil. Die Ästhetik des Judentums hat für mich auch einen künstlerischen Wert. Ich nehme die Symbolik in meinen Grafiken auf; ich spiele damit in meinen Videos. Das sind meine Wurzeln, die Wurzeln meiner Familie und dazu fühle ich mich hingezogen. Da unterscheide ich mich nicht von anderen, die das gleiche mit ihren Wurzeln machen. Egal ob sie Muslime oder Christen sind. Nur wird es bei einem Juden komischerweise anders aufgenommen. Mehr hinterfragt.
CORRECTIV: Deine Großmutter, deine Baba, fand es nicht so klug, so offen mit Deinem Judentum umzugehen. Sie sagte, das sei gefährlich in Deutschland.
Sun Diego: Sie hat immer noch ein Trauma. Einmal wurde sie von einem meiner Freunde am Tisch gefragt, ob wir als Juden nach Deutschland gekommen sind. Sie hat gesagt: ‚Nein, nein. Wir sind keine Juden. Wir sind nur bei einer Reise einfach in Deutschland geblieben.‘ Ich meine, sie hat sich nicht getraut, einem meiner Kindheitsfreunde zu sagen, dass wir Juden sind. Für mich ist es heute keine krasse Strategie, zu sagen, dass ich Jude bin. Ich bin es einfach. Das ist meine Identität und dazu stehe ich. Ich mache das nicht anders als die Kollegen im Musikgeschäft. Jeder hat seine Identität und ist stolz drauf.
Immer mit dem Schlimmsten rechnen
CORRECTIV: Zu Deiner Identität gehören viele Dinge, über die etliche Menschen nicht einfach sprechen würden. Das Verhältnis zu Deinem Stiefvater etwa. Er war kriminell, drogensüchtig und hat Dich, hat Deine Mutter im Stich gelassen.
Sun Diego: Diese Erfahrungen haben meinen Charakter auf jeden Fall beeinflusst. Darüber kann ich reden. Das gehört zu mir. Ich habe zum Beispiel gelernt, zu verzichten. Durch ihn. Immer wenn er weg war, sind wir finanziell komplett abgestürzt. Wir hatten nichts mehr. Wenn er in den Knast ging, dann hatten wir kein Backup — nichts. Wir mussten immer mit dem Schlimmsten rechnen. Irgendwelche Leute sind zu uns nach Hause gekommen, haben unsere Sachen durchwühlt und uns bedroht. Meine Mutter musste mit mir in andere Städte fliehen, um sicher schlafen zu können. Ja, das hat mich extrem beeinflusst.
CORRECTIV: Irgendwann musstest Du Dich entscheiden. Deine Mutter hat Dich vor die Wahl gestellt. Entweder bekommst Du eine Spielfigur geschenkt oder ihr geht in den Knast und besucht Deinen Stiefvater.
Sun Diego: Ich wusste in dem Moment nicht, dass er im Knast ist. Man hat mir damals verkauft, er sei in einem Krankenhaus und hätte Gelbsucht.
Aber egal. Ich habe mich in dem Moment, als ich mich entscheiden musste, entschieden, zu ihm zu gehen. Ich hatte mir zwar den Roboter wirklich gewünscht. Aber es war mir wichtiger, meinen Stiefvater zu sehen. Er war für mich ein Held, ein extremes Vorbild. Er war ein Mann und ich der Junge. Das ist heute bei mir und meinem Sohn nicht anders. Er liebt mich auch. Wahrscheinlich auch, weil ich ein Mann bin. Man spürt, dass er ein Papakind ist.
Ich habe als Kind sicher auch unbewusst die fragwürdige Moralvorstellung meines Stiefvaters angenommen. Er ging mit mir in den Wald und bewegte da ein paar Kilogramm Koks. Ich sehe das alles mit an und er lächelt mir ins Gesicht, als sei es das Normalste der Welt. Vielleicht habe ich dadurch einen anderen Zugang zur Kriminalität erfahren. Es war einfach etwas, das natürlich in meinem Leben war. Nichts unheimliches. Später kamen dann andere Geschichten dazu. Überfälle, Entführungen. Und schließlich hat er einen Menschen getötet. Für mich hat sich dadurch viel geändert. Meine Mutter hatte sich inzwischen auch von ihm getrennt. Er hatte meiner Oma einen Kinnhaken gegeben. Irgendwann war er nicht mehr er selbst. Das waren alles Dinge, die nicht gut waren. Aber es gab auch die andere Seite. Wenn er aus dem Knast herauskam, sind wir in den Zoo gefahren oder waren auch mal Pilze suchen oder Angeln hier in Osnabrück an einem See.
CORRECTIV: War das so ein Vater-Sohn-Ding?
Sun Diego: Das auch wieder nicht. Insgesamt war er kaum am Start. Er war ein imaginärer Dad, den man am Abend mal gesehen hat nach dem Kindergarten oder so. Meistens waren wir unterwegs mit Freunden, meine Mutter, er und andere Kinder.
CORRECTIV: Wart Ihr eine größere Gemeinschaft?
Sun Diego: Wir sind ja zuerst in Deutschland in ein jüdisches Lager gekommen. Ich weiß jetzt nicht, wie das korrekte deutsche Wort dafür ist. In jedem Fall sind aus diesem Heim viele Familien mit uns nach Osnabrück gekommen. Mit einigen sind wir bis heute in Kontakt geblieben. Es gibt heute so eine Art Community der russisch-ukrainischen Juden. Wir haben auch eine Synagoge, in der sich immer wieder alle treffen.
Scheißkind vom Nervfaktor her
CORRECTIV: Als dein Stiefvater weg war, hatte Deine Mutter eine ziemlich harte Zeit. Sie musste Dich durchbringen. Was hat das mit Dir gemacht?
Sun Diego: Das war sehr krass. Meine Mutter ist teilweise vor mir auf die Knie gefallen, hat geweint und gesagt, irgendwann wird alles gut. Ich hatte einen ganz komischen Traum. Ich dachte, wir sind normale Menschen und meine Mutter fährt in einem schwarzen BMW 3er. Das war der Wagen, den ich in meinem allerersten Musikvideo hatte. Das war dieser BMW, von dem ich als Kind geträumt habe.
Die Zeiten damals waren bitter. Teilweise war kein Strom da. Meine Mutter war alleinerziehend und den Job, den sie gelernt hatte, konnte sie nicht ausüben. Sie war Dirigentin. Sie musste umschulen zur Einzelhandelskauffrau, hat auch bei McDonald’s gearbeitet. Das war bitter, wenn nichts im Kühlschrank war. Ich war aber auch ein nerviges Kind. Ich hab immer gesagt, bring mir Mac’es, bring mir BurgerKing. Ich war echt ein Scheißkind vom Nervfaktor her. Ich wollte und wollte immer. Aber ich hab auch einfach nichts bekommen.
CORRECTIV: Ich glaub, Du hast eine Menge bekommen. Die Lust auf Musik etwa.
Sun Diego: Vielleicht eine Veranlagung dazu ja. Aber dennoch musste ich mir die Musik am Ende des Tages selbst erarbeiten.
CORRECTIV: Deine Mutter war Klavier- und Gesangslehrerin, Dirigentin. Du schreibst in deinem Buch, dass Du aus einem musikalischen Haus kommst.
Sun Diego: Das stimmt. Aber sie konnte mir nicht unbedingt etwas beibringen.
CORRECTIV: Wie meinst Du das?
Sun Diego: Sie wollte mich ans Klavier setzen. Wir haben es wirklich ein paar mal versucht. Aber Mutter und Sohn, das hat nicht funktioniert. Wir streiten uns, sind zu ungeduldig.
CORRECTIV: Wie bist Du zum Gesang gekommen?
Sun Diego: Kann man sagen, dass ich ein Sänger bin?
Es kommt auf die Technik an
CORRECTIV: Ich find doch.
Sun Diego: Ich bin eigentlich Rapper. Klar mache ich melodische Refrains. Das ist für mich die einzig logische Art und Weise, Musik zu machen. Musik bestand für mich schon immer aus Melodien, selbst wenn Leute nur rappen. Der Beat selbst hat ja auch irgendwelche Melodien. Klar gibt es auch Rap, der nur auf einzelnen Samples gerappt wird. Aber ich finde Melodie muss irgendwie rein. Sonst wäre es nicht wirklich komplett.
CORRECTIV: Du bist auf dem Basketballplatz zum Rap gekommen?
Sun Diego: Damals hat man noch Tupac mitbekommen oder andere Sachen aus den Staaten. Rap-affin war ich da noch nicht wirklich. Ich habe dann irgendwann Savas gehört — der einzig coole Rapper aus Deutschland damals — und mir aber nie wirklich gedacht, dass ich das selber auch könnte. Einer der Jungs, mit denen ich Basketball gezockt habe, war dann in Rap-Foren unterwegs. Der hat mir den Tipp gegeben, mal reinzuschauen. Ich habe die Texte durchgelesen und selber begonnen zu schreiben. Er hat gesagt, ‚Hey, ich hab hier ein Headset, wir könnten theoretisch anfangen, Rap zu machen.‘ Dann hat er mir die Reimliga Battle Arena gezeigt. Das war so ein Turnier in dem immer zwei Künstler gegeneinander angetreten sind und sich gegenseitig gedisst haben. Dort war einer, der andere ganz besonders brutal platt gemacht hat. Da dachte ich: ‚Cool Alter, das gefällt mir.‘ Ich hab dann halt einen Text geschrieben, eingerappt und bei der Liga eingereicht und ab ging es.
CORRECTIV: Was war das Besondere?
Sun Diego: Das erste Stück, das ich geschrieben habe, war flüssig. Ich habe sehr schnell verstanden, dass es auf eine gute Technik ankommt, dass man Doppelreime braucht. Er hat mir gesagt: ‚Schau mal, du hast ein Wort, das besteht aus so und so viel Silben oder es setzt sich aus so und so vielen einzelnen Wörtern zusammen. Und dann muss sich das auf dies reimen.‘ Er hat mir das Prinzip erklärt. Das habe ich direkt gepeilt. Mein Selbstbewusstsein war immer extrem hoch. Ich weiß nicht, woher das kam, aber ich dachte immer, die Texte der ganzen deutschen Rapper sind so simpel, das kann ich auf jeden Fall besser.
Ich habe dann mein ganzes altes Leben aufgegeben. Ich habe die Schule hingeschmissen und mich komplett auf die Musik konzentriert.
CORRECTIV: Wie alt warst Du da?
Sun Diego: So 15 oder 16 Jahre.
Kein Diplom als Backup
CORRECTIV: Du bist direkt von der Schule ab?
Sun Diego: Nein, ich war auf dem Gymnasium. Aber durch die ganzen Fehltage bin ich sitzengeblieben, dann auf die Realschule befördert worden. Schließlich war ich noch zwei-, dreimal Alibimäßig auf einer Hauptschule. Das aber auch nur, weil meine Oma mich immer wieder krampfhaft an Schulen angemeldet hat. Sie wollte nicht wahrhaben, dass ich mich entschieden habe, Rapper zu werden. Das war meine Schullaufbahn. Aber tatsächlich ist es komplizierter irgendwie. Ich habe nicht nur wegen der Musik aufgehört, die Schule ernst zu nehmen. Ich weiß nicht was los war. Ich hatte einfach keinen Bock mehr. Ich war jetzt nicht dumm oder so. Ich konnte mich nur nicht anpassen oder in eine Struktur einfügen. Ich wollte mein eigener Chef sein. Und das habe ich heute geschafft. Ich habe keinen Arbeitgeber über mir.
CORRECTIV: Wie sieht die Beziehung zu Deiner Oma aus? Du hast bei ihr gewohnt. Sie hat sich um Dich gekümmert. Sie war Ärztin, mit einem doppelten Doktortitel. Sie war bestimmt nicht begeistert von Deinen Anfängen.
Sun Diego: Sie wollte immer, dass ich ein Diplom habe. Als Backup. Aber seit ein paar Jahren akzeptiert sie meine Karriere. Ich gehe ja jetzt auch schon auf die 30 zu. Sie will jetzt nur, dass ich in Immobilien investiere. Sie muss sich eben einmischen. Das geht nicht anders. Ist aber auch kein Problem. Jeder Tipp kann kommen.
CORRECTIV: Am Anfang hattest Du kein Geld für nichts. Den Poppschutz für Dein erstes Mikro hast Du aus einem Teesieb und einer alten Strumpfhose selbst gebaut.
Sun Diego: Das Kamera-Equipment war zusammengehustelt. Wir haben in Diskotheken damals kurze Image-Filme gedreht und so nach und nach das Gerät erbaut, erkauft, abgestaubt. Es gab auch kein Invest für das erste Video. Ich habe mir durch diese Club-Image-Filme angeeignet, Videos selbst zu produzieren, zu schneiden, alles selber zu machen.
Das erste Equipment hat vielleicht 2000 Euro insgesamt gekostet. Für die Ausstattung von SpongeBOZZ hab ich dann nur das Kostüm gekauft bei Amazon für vielleicht 40 oder 50 Euro. Da hab ich eine Brille drauf genäht. Die Kosten für Sprit innerhalb von Osnabrück lagen vielleicht bei fünf Euro. So teuer war das Video. Mit diesem Invest habe ich dann alles aufgebaut. Als SpongeBOZZ nahm ich auch einem dieser Turniere teil. Dem JBB. (JuliensBlogBattle wird seit 2012 vom Youtuber Julien Sewering als Rap-Battle organisiert. d.Red) Die Runden, die ich dort eingereicht hatte, habe ich auch gleichzeitig bei iTunes hochgeladen. Und damit Cash gemacht. Den Erlös habe ich in weitere Videos gesteckt. Irgendwann war dann das Album fertig. Zu dem Zeitpunkt war aber schon genug Geld vorhanden und genug Status, um mit dem Vertrieb überhaupt ein Geschäft machen zu können.
Leidenschaft und Erfolg
CORRECTIV: Damals saßen bei Dir zu Hause Leute rum und wollten mit Dir ein Label aufbauen. Zwei Deiner vielleicht engsten Freunde damals hießen Sticky und Squirty. Dann gab es Stunk.
Sun Diego: Squirty ist für mich kein Mensch mehr. Diese Person hat öffentlich meine Mutter mit Namen beleidigt. Nach zehn Jahren Nehmen – ich habe ihm Texte geschrieben, hab ihn vermittelt, hab ihn aufgebaut. Ich habe ihn in meinen Räumlichkeiten geduldet. Na ja auf jeden Fall hat er auch meinen Bruder Sticky rausgeekelt. Sticky, die Geheimwaffe, mit dem ich mein erstes Musiklabel gegründet habe.
Squirty meinte damals zu mir: ‚Komm Bruder, ich bin Russe, er ist Türke, der labert nur Scheiße. Er hat sich im Leben noch nie geschlagen. Der kifft nur, der schadet uns.‚ Squirty meinte: ‚Der Sticky ist uns ein Stein im Weg, der wird uns noch manipulieren.‘ Und ich habe mich einwickeln lassen. Das Label ging dann ohne Sticky weiter. Er war draußen. Ich war jung und dumm genug, das mit mir machen zu lassen damals. Wir haben auch beide nicht miteinander geredet. Sticky war zu stolz, das bei mir anzusprechen und ich war eh Anti.
Mit Squirty habe ich dann das Label Moneyrain gemacht. Recht unerfolgreich. Ich wollte damals noch nicht an die Öffentlichkeit. Ich war noch nicht ready, um mich selbst in Videos darzustellen. Ich war noch nicht fresh genug. Ich wollte erstmal klarkommen im Leben. Ich musste mich auch um meine Familie kümmern. Mein Sohn kam. Und ich habe kein oder kaum Geld gesehen. Und dann kam auch noch Kollegah mit dem Album ‚Bossaura‘ dazwischen. Das habe ich mitproduziert. Da musste ich gucken, was abgeht. Die Jungs um Squirty wollten, dass ich diesen Fame und diesen Hype um ‚Bossaura‘ mitnehme, damit sie davon profitieren können. Sie haben mich vor die Kamera gedrängt. Und ich Idiot habe es gemacht. Ich habe mich quasi für die Gruppe geopfert. Ich bin so ein Typ. Ich brauche einen Freundeskreis, eine Gang. Ich liebe es, Menschen um mich herum zu haben. Klar kann ich als kreativer Mensch für mich alleine Texte schreiben. Aber ich kann nicht zusehen, wenn meine Bros Probleme haben. Und deswegen habe ich es gemacht. Ich kam frisch aus dem Projekt Bossaura und wollte eigentlich meine Ruhe. Stattdessen habe ich Texte für den Compagnon geschrieben.
Am Ende hab ich mir ins eigene Bein geschossen. Es kam ein halbes Produkt auf den Markt. Das war einfach nicht richtig, finde ich. Ich hätte mehr Zeit gebraucht, um die eigene Karriere und das eigene Label zu machen. Mit Moneyrain ging es zu Ende.
CORRECTIV: Du hast mit der Musik einen Job gewählt, in dem man sehr präsent ist, gleichzeitig versuchst Du Deine Privatsphäre zu wahren, möglichst unerkannt zu bleiben. Du bist bekannt unter Künstlernamen: Sun Diego und SpongeBOZZ. Du zeigst Dein Gesicht nicht. Ist das kein Widerspruch?
Sun Diego: Ich habe diesen Job unbewusst gewählt. Als ich angefangen habe zu rappen, war es kein Job. Ich wurde bekannt durch meine Leistung. Wenn ich schlecht gewesen wäre, dann wäre ich auch nicht bekannt geworden. Wenn du etwas aus Leidenschaft machst, dann siehst Du nicht den Euro dahinter, sondern Du willst das Lied machen und hören.
Ich bin kein Zirkuspferd
CORRECTIV: Du bist sehr erfolgreich geworden, ohne zu tun, was andere tun. Du bist nicht mit Deinem Namen aufgetreten. Du hast keine Tour gemacht. Warum eigentlich?
Sun Diego: Ich habe versucht, keine Sachen zu machen, bei denen ich mich unwohl fühle. Ich hab mich nicht verbogen. Ich hab mir gedacht, es geht um Musik. Wenn ihr irgendetwas anderes von mir wollt, bin ich nicht dabei. Ich habe keine Interview-Marathons gemacht. Keine Tourneen. Vielleicht habe ich ja mal Bock drauf, aber nicht in dieser Phase. Das müssen die anderen akzeptieren. Mir ist egal, ob sich die ganze Community gegen mich stellt. Mein Job ist es, Musik zu machen. Das ist meine Bringschuld gegenüber meiner Fanbase. Ich bin kein Zirkuspferd. Wenn ihr das wollt, geht in den Zirkus. Das ist so meine Meinung.
CORRECTIV: Gleichzeitig veröffentlichst du jetzt deine Biografie „Yellow Bar Mitzvah“.
Sun Diego: Die Fans haben viele Fragen. Und es gibt auch Sachen, die ich selber gerne sagen möchte. Aber halt nicht in den klassischen Formen eines Interviews oder von Videos. Das ist für mich Zirkus. Das Buch ist für mich ein Weg, den Leuten, die mich supported haben, zu geben, was sie wollen. Aber in einer Art, die zu mir passt. Das ist kein Problem für mich. Das Buch ist für mich eine Art Befreiung, es ist mein Sprachrohr. Das ist besser, als fünf Jahre lang Interviews zu geben. In dem Buch erzähle ich Sachen, die ich sonst gefragt worden wäre. Wie die Dinge entstanden sind; wie ich geworden bin, wer ich bin.
Kollegah: Erfolg und Beef
CORRECTIV: Lass uns noch mal zu Kollegah kommen. Ihr wart mit dem Album ‚Bossaura‘ sehr erfolgreich. Künstlerisch habt ihr gemeinsam Neuland betreten. Trotzdem seid ihr auseinander gegangen.
Sun Diego: Kollegah ist einer der besten Texter, die es gibt. Er ist vielleicht sogar besser als ich. Keine Ahnung. Wir haben gut zusammengearbeitet. Dann kam der Beef. Es ist schwierig, wenn man spürt, dass sich etwas verändert. Bei einer offenen Feindschaft ist immer die Frage, wie sehr es einem schadet, was der andere etwas über einen erzählt. Als Kollegah damals diese Dinge über mich erzählt hat, in seinem Genozid-Diss, war die Stimmung um mich herum jedenfalls Scheiße. Der Schaden war da.
Klar kann man von einem Beef auch profitieren. Die Frage ist aber: Wurde der Beef gemacht, um davon zu profitieren, oder hat er sich einfach entwickelt? In jedem Fall ist es schwer, mit der Situation umzugehen. Ich wurde nicht gefragt, ob wir mit dem Streit in die Öffentlichkeit gehen sollen. Und meine Fans wären enttäuscht von mir, wenn ich jetzt sagen würde, lass uns hinter den Kulissen irgendwie vertragen. Deswegen antworte ich natürlich öffentlich auf den Diss. Und greife selbst an. Damit zumindest jeder weiß, dass ich mich nicht einschüchtern lasse.
Du musst Dir das so vorstellen: Wenn mich jemand öffentlich angreift, werden 50 Ebenen überschritten. Kollegah hat missachtet, dass wir privat irgendwie gut standen. Er ist sich bewusst, dass er meinem Geschäft schaden möchte. Er ist sich bewusst, dass er meinem Image als Künstler und als Person schaden möchte. Er will mir auf vielen Ebenen schaden. Das ist wie ein offener Krieg. Selbst eine vorsichtige öffentliche Andeutung ohne eine frontale Beleidigung kann hinter den Kulissen als Krieg verstanden werden.
Das wirkt auf mich natürlich ganz anders als auf den Fan. Wenn Kollegah irgendwas über mich macht, denkt der Fan: ‚Schau mal, der hat den Schwamm nachgemacht.‘ Für mich ist das direkt Alarmstufe Rot. Was will der?
CORRECTIV: Künstlerisch steht ihr nah beieinander.
Sun Diego: Wir kennen uns seit Beginn unserer Karrieren. Ende 2004 haben wir uns fast gleichzeitig bei der RBA (Reimliga Battle Arena) angemeldet. Er einen Monat früher als ich. Wir haben dieselben Musiker gehört. Wir haben dasselbe Verständnis für Rap entwickelt. Wir haben dieselben Rapper gefeiert. Man kann sagen, wir haben dieselben Wurzeln.
CORRECTIV: Ihr seid zusammen aufgetreten. Bei einem Konzert in Hamburg haben Dich die Leute zuerst ausgebuht und Kollegah hat zu Dir gestanden.
Sun Diego: Bei dem Gig war es krass. Einer der Rapper dort, Favorite, meinte zu mir: ‚Geh da nicht raus. Glaub mir, ist besser.‘ Ich bin dann trotzdem auf die Bühne und die Leute haben mich alle erdrückt mit ihrem Hass – die haben wirklich alle ‚Hurensohn‘ geschrien. Dann habe ich meinen Doubletime gerappt und alle haben gejubelt. Das Thema war zu. Kollegah hat mich bei dem Konzert gut eingeführt. Er hat gesagt: ‚Jetzt kommt mein Bruder Sunny. Macht mal Lärm.‘
CORRECTIV: In deinem Buch dankst Du Kollegah explizit.
Sun Diego: In den prägnantesten Punkte meiner Karriere spielte er halt eine wichtige Rolle. Egal ob ich Musik produziert oder gehört habe. Er hatte mit mir zu tun. Wir waren zusammen im Studio. Wir haben innerhalb einer Minute Reimketten rausgeballert, die kriegt nicht jeder hin. Nur weil wir heute zerstritten sind, darf man die Vergangenheit nicht schlechter darstellen, als sie war. Wir hatten eine gute Zeit. Das ist ganz anders als bei so Leuten wie Squirty. Er wird schlecht dargestellt in meinem Buch. Aber Squirty war halt auch so wie beschrieben.
CORRECTIV: Kannst Du dir vorstellen, wieder mit Kollegah zu arbeiten?
Sun Diego: Ehrlich gesagt, aufgrund dieses Feuers ist es schwierig sich so etwas vorzustellen. Aus technischer Sicht wäre das sicher locker möglich. Die Zusammenarbeit ist ja prooft. Aber wie gesagt, wegen dem Feuer will ich mir gar nichts vorstellen.
Brüder – Geben und Nehmen
CORRECTIV: Du sagst immer wieder, dass ein enger Bezugsrahmen für Dich wichtig ist: Freunde und Familie. Du sprichst überraschend offen über Deine Frau, Dein Kind. Aber auch über Deine enttäuschten Hoffnungen.
Sun Diego: Ich lasse meine Brüder so eng an mich heran, dass ich sie quasi als Teil meiner Familie sehe. Aber natürlich steht mein Kind an oberster Stelle und meine Frau. Das wissen alle. Kein Bruder würde von mir verlangen, dass ich einen Bro meinem Kind vorziehen. Nur Squirty hat so was gemacht. Er hat gesagt: ‚Dass du Vater bist, heißt nicht, dass du deine Brüder vernachlässigen musst.‘ Ich finde, jeder muss diese Hierarchie von Kind, Familie und Bruder akzeptieren und verstehen. Ich würde ja auch nicht von einem meiner Brüder verlangen, dass er mich vor seine Mutter stellt. Dennoch ist man da für seine Brüder. Für meine Mutter würde ich ans Ende der Welt laufen und auch für meine Brüder. Genau das kriege ich aber auch zurück von meinen Bros. Es ist ein Geben und Nehmen.
CORRECTIV: Wie funktioniert das, wenn Du jetzt mit so schweren Jungs wie Salah Saado zusammen bist?
Sun Diego: Viel entspannter, als ich mir das jemals hätte vorstellen können. Das hat auch damit zu tun, dass wir nicht auf dem Schirm hatten, wer der jeweils andere ist, als wir uns kennengelernt haben.
Damals hatte Akay seine Künstler-Agentur SugaAgency schon und Salah war dort Security-Mann. (Die Essener SugaAgency organisiert die Social-Media-Aktivitäten etlicher deutscher Rapper. d.Red) Genau so habe ich Salah kennengelernt. Als einfachen Security-Mann. Ich hatte von Clan-Strukturen nicht viel Ahnung. Bei uns in Osnabrück gibt es schließlich keine arabischen Familienclans. Deswegen wusste ich auch nicht, was Salah für eine Power hat und was er für ein Mensch ist.
Grundsätzlich kenne ich aber die Szene, aus der er kommt. Auch das gehört ja zu meinen Wurzeln. Wir sind aus Lemberg mit vielen krassen Leuten gekommen. Darunter Endstufen-Mafiosi. Die heftigsten aus Russland und der Ukraine. Mein Stiefvater selbst gehörte dazu. Das ist mir vertraut. Wenn ich heute Salah Saado angucke, dann sehe ich ihn aber nicht in erster Linie als Clan-Größe. Ich sehe ihn als meinen Bro. Ich sehe in ihm das Herz und nicht die Fassade, wie irgendein Normalo, der vielleicht Angst hat vor ihm, aufgrund seiner Präsenz. Ich kann Menschen mit Salahs Hintergrund locker eine Chance geben, weil ich aus ihren Kreisen komme. Ich verstehe ihr Leben. Und nur aus diesem Grund funktioniert das auch.
Salah merkt, dass ich Verständnis und ein Gefühl habe für seine Geschichte, für seine Struktur und für seine Leute. Ich komme mit seinen Freunden übertrieben gut klar. Und ehrlich. Es sind wirklich herzensgute Menschen. Keine Leute, die irgendwem irgendwas tun wollen. Sie sagen auch selber: ‚Wir sind ganz friedlich. Kommt uns nicht zu nah, dann passiert auch nichts.‘ Fertig.
Sozialstunden und weinende Mütter
CORRECTIV: Du hast auch eine kriminelle Vergangenheit. Zu Beginn Deiner Karriere hast Du Sozialstunden abreißen müssen, weil Du Handy-Verträge manipuliert und Leute abgezogen hast.
Sun Diego: Das war jugendlicher Leichtsinn. In meinem Buch habe ich exakt beschrieben, wie wir darauf gekommen sind. Da wir sowieso Bock hatten auf Scheiße-Bauerei und auf Cash-Macherei und auf Adrenalin, haben wir die Nummern durchgezogen. So ist das, wenn Du in einer Gruppe bist. Du kommst automatisch auf dumme Gedanken. Weil Du mehr machen kannst. Du schickst drei Mann dahin, drei Mann hierhin und zwei Mann reden. Alleine kannst Du so Deals nicht durchziehen. Und wie gesagt, wir waren an sich schon ein bisschen kriminell geimpft. Wir wussten, dass es nicht so krass schlimm ist, wenn Du mit einem Tütchen Gras erwischt wirst.
Ich weiß nicht, wie es heute ist, da wo ich herkomme. Ich bin ja nicht mit so 12-Jährigen unterwegs, wie damals. Aber als ich so alt war, hab ich immer mit Älteren abgehangen. Auf dem Spielplatz hab ich zum ersten Mal gekifft. Die Hemmschwelle ging runter. Mit so kleinen Sachen fängt es an.
CORRECTIV: Inwieweit war dieser kriminelle Einstieg prägend für Dich?
Sun Diego: Ich habe sehr viel über Freundschaft gelernt. Ich habe sehr viel über Geld gelernt. Ich habe sehr viel über Freiheit gelernt. Und ich habe sehr viel über Eltern gelernt – über ihre Sorgen. Du kannst dir die Finger verbrennen, wenn Du zuviel willst.
Wenn du eine Sache fokussiert und dafür alles andere im Leben ausblendest, dann ist das nicht gut. Man sollte im Blick behalten, warum man etwas tut. Wir haben unsere Sachen damals gemacht, weil wir mit unseren Brüdern in den Saunaclub gehen wollten, um abzufeiern. Aber irgendwann war der Fokus nicht mehr auf unserem gemeinsamen Erleben, sondern da drauf, wer mehr Umsatz gemacht hat. Das Geld hat die Leute auseinandergebracht. Irgendwann haben sich einige gegenseitig angeschissen. Alles ist zerbrochen. Man hat nach und nach Brüder verloren. Die haben dann zwei Jahre bekommen, vier Jahre, fünf Jahre. Vor Gericht habe ich Mütter weinen gesehen. Das waren extreme Erlebnisse. Das hat mich sehr geprägt.
Ich habe verstanden: Geld ist nicht alles. Du nimmst es nicht mit ins Grab.
Kunst ist die Rechtfertigung
CORRECTIV: In Deinen Texten gehst Du über alle möglichen Tabus hinweg. Mit Worten schießt Du auf Polizisten. Du beleidigst Menschen.
Sun Diego: Die Kunst ist meine Rechtfertigung.
CORRECTIV: Worum geht es Dir?
Sun Diego: Teilweise einfach um Unterhaltung. Teilweise ist es aber auch eine Reflektion. Es ist ja nicht alles frei erfunden. Erst vor kurzem hatte ich eine Razzia. Wegen Steuersachen. Auch über solche Themen rappe ich.
Auf der anderen Seite habe ich die Kunstfiguren, wie SpongeBOZZ, der über Deals in Puerto Rico oder was weiß ich wo rappt. Das ist auf jeden Fall Fiktion.
CORRECTIV: Du sagst in Deinem Buch, dass Du mit schwarzem Humor und Spannung wie im Horrorfilm spielst.
Sun Diego: Es kommt auf die Texte an. Wenn es um kriminelle Dinge geht, Drogen, Waffen, dann ist das schon Okay. Das sieht man auch im Fernsehen. Das ist keine neue Verpestung oder Polung der Jugend. Das ist Unterhaltung. Was anders ist es, wenn man politische oder religiöse Tabus überschreitet. Es ist eben nicht lässig, sich irgendwie über eine Kopftuch-Frau lustig zu machen.
CORRECTIV: Das ist ein Tabu für Dich? Wie wichtig sind für dich Tabus?
Sun Diego: Tabus verändern sich mit den Phasen, durch die man geht. Heute gibt es mehr Tabus als früher. Heute gibt es mehr Augen, die auf Dich schauen. Aber ich lass mir nicht gerne von außen Tabus setzen. Ich bin halt gerne selber derjenige, der selbst bestimmt, was ein Tabu ist und was nicht. Da kann die Öffentlichkeit oder auch meine Commmunity sagen, was sie denkt. Wenn es meiner Meinung nach kein Tabu ist, dann ist es kein Tabu für mich.
Keine Politik
CORRECTIV: Was ist denn im Moment für Dich ein Thema, über das Du nicht rappst?
Sun Diego: Dinge zur politischen Meinungsbildung etwa. Ich finde, es ist nicht OK, wenn man versucht, jemanden in seiner politischen Haltung zu beeinflussen. Zum Beispiel, wenn man irgendwie Anti-Israel rappt, ohne aber genug Wissen zu haben, was dort überhaupt passiert. Du bist Musiker. Du bist kein Politiker. Schuster bleib bei Deinen Leisten.
CORRECTIV: Worum geht es im Rap?
Sun Diego: Es geht viel um Images. Da erzählt der Rapper, dass er voll der krasse Drogenhändler ist. Aber in Wahrheit ist er Kindergärtner. Manchmal spielt der Rapper mit der Ironie im eigenen Leben. Der Rapper verkauft sich als sein eigener Superheld. Er spielt eine Person, die er immer sein wollte. Es gibt aber auch Leute, die einfach sie selbst sind. Am Ende ist es immer Selbstdarstellung. Mehr nicht.
CORRECTIV: Was hat Rap mit Verantwortung zu tun? Dir hören viele Menschen zu. Du kannst sie beeinflussen.
Sun Diego: Politisch wird es heiß. Wie gesagt, ich habe nicht genug Wissen, um meinen Fans zu sagen, was der richtige Weg ist. Deswegen mache ich es halt einfach nicht.
CORRECTIV: Inwieweit trägst Du Verantwortung, wenn Du über Gewalt, Drogen und Hass rappst?
Sun Diego: Diesen Teil der Verantwortung gebe ich gerne an die Eltern ab. Eine Drogen- oder Waffengeschichte kannst Du einem Erwachsenen mit ruhigem Gewissen vorsetzen. Er versteht, wie die Dinge gemeint sind. Ansonsten sind die Texte nach der FSK freigegeben. Entweder ab 12, oder 16 oder 18 Jahren. Hass, wie antisemitische Äußerungen, sind aber expliziter Content in jeder Hinsicht. So darfst du dich nicht äußern. Das ist unmoralisch.
Ich finde, man muss die Sachen auseinander halten. Man kann nicht alles miteinander vergleichen. Mit der Waffen- und Drogenverpestung sollen sich die Eltern befassen, nicht ich. Wir kennen Actionfilme und können damit umgehen. Wir kennen Unterhaltung aus Horrorfilmen. Das ist was anderes als eine politische Äußerung, bei der man sich auf eine Seite stellt und am Ende noch jemanden diskriminiert.
CORRECTIV: Dein Album ‚Planktonweed‘ kam auf den Index. Der offene Verkauf wurde verboten. Die Bundesprüfstelle sagt, die Texte seien verrohend, verherrlichten den kriminellen Lebensstil, den Drogenhandel und diskriminierten Frauen und Homosexuelle. Außerdem werde Gewalt gegen Polizisten bis hin zur Tötung befürwortet. Harte Worte.
Sun Diego: Ich lache bei diesem Thema. Die sind der Meinung, dass ich die Jugend verpestet habe. Dass die Jugend durch mich beeinflusst wird, gewalttätig zu werden und gegen Polizisten zu sein. Die sagen, ein Schwammkostüm reicht nicht aus, sich von den Inahlten zu distanzieren und den Leuten zu zeigen: ‚Vorsicht, Ironie.‘ Nochmal: Ich trage ein Schwammkostüm. Wie kann man glauben, dass ich Ernst meine, was ich da rappe?
Lass mich die Geschichte eines Fans erzählen. Der hatte einen Preis gewonnen und wir haben uns getroffen. Ich sollte ihm einen Disstrack schreiben, damit er eine Person seiner Wahl dissen kann. Aber das haben wir dann nicht gemacht. Erstens, weil der Fan gerade 14 Jahre alt war, und zweitens, weil sein Vater Erzieher ist. Beide wollten das nicht. Ich habe den Vater gefragt, wieso er seinem Sohn erlaubt, meine Musik zu hören und wieso er dem Meeting zugestimmt hat. Er hat dann gesagt: ‚Du bist ein Künstler, bei dem man hinter die Fassade schaut.‘ Das bedeutet, er lässt den Text nicht alleine für sich stehen, sondern beschäftigt sich mit der Person dahinter, beschäftigt sich mit dem Künstler. Der Vater hat gesagt: ‚Das hab ich bei meinem Sohn gesehen. Du bist greifbar.‘ Es geht um wirkliche Geschichten und die Personen dahinter. Es geht nicht um diesen stupiden Satz ‚Ich schmuggele Heroin in meinem Hintern‘, sondern um den Menschen, der diesen Satz rappt. Das war für ihn der Grund, warum er seinen Sohn meine Musik hören lässt.
Harte Musik für Erwachsene
CORRECTIV: Ich finde es sehr schwierig. Verstehen die Kids alles? Das sind ja keine alltäglichen Dinge, die Du rappst.
Sun Diego: Im Grunde ist es doch ganz einfach. Mach ein FSK-Aufkleber drauf. Und übergib die Verantwortung den Verantwortlichen. Den Eltern. Mein Sohn darf auch nicht alle Spiele zocken. Mein Sohn kennt jeden FSK-Aufkleber auswendig. Bei den Spielen die ab 12, 16 oder 18 sind, redet er immer darüber. Er ist komplett im Bilde, selbst wenn man ihn alleine erwischt. Im App-Store oder egal wo, weiß er, was er nicht kaufen darf. Das heißt: Er kauft das Zeug auch nicht. Er weiß, dass er sich Sachen nicht angucken darf, die er sich nicht angucken darf. Das ist Erziehung. Das haben meine Frau und ich bei unserem Sohn durchgesetzt. Wir haben unsere Verantwortung wahrgenommen. Als er noch nichts verstanden hat, durfte er SpongeBOZZ hören, weil er das Kostüm so abgefeiert hat. Aber ab den Zeitpunkt, ab dem er irgendwas verstanden hat, durfte er keinen SpongeBOZZ mehr hören. Fertig.
Wenn die anderen Eltern das nicht hinbekommen, obwohl ich selber hinkriege, dann weiß ich auch nicht. Ich meine, ich bin Rapper. Ich bin komplett Alltagsunfähig. Ich bin ein Chaot. Und ich kriege das hin. Die Freigaben ab 16 oder 18 sind doch eindeutig. Selbst bei Spotify steht drauf, dass die Songs explizit sind. Du als Elternteil musst das sehen und dann Deinem Kind verbieten. Fertig.
Warum soll ich aufhören für Erwachsene Content zu produzieren und davon zu leben. Warum soll ich aufhören, meine künstlerische Freiheit auszuleben, nur weil irgendwelche Eltern das nicht geschissen bekommen.
Das ist vollkommener Schwachsinn.
CORRECTIV: Sunny, ich danke Dir für das Gespräch und die offenen Worte.