Naher Osten

Iran: Hijab-Pflicht wurde nicht aufgehoben

Auf X heißt es, im Iran sei das Tragen des Kopftuches für Frauen jetzt freiwillig. Das stimmt nicht – ein Video, das dieses Gerücht belegen soll, ist drei Jahre alt.

von Steffen Kutzner

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Im Iran müssen Frauen per Gesetz ihren Körper und ihre Haare verhüllen. Insbesondere in Großstädten, wie hier in Teheran, halten sich viele Frauen aus Protest aber nicht mehr daran. (Foto: Fatemeh Bahrami / Anadolu / Picture Alliance)
Behauptung
Eine Video zeige, wie Frauen im Iran ihre Hijabs verbrennen, nachdem die Pflicht zur Verschleierung gekippt worden sei.
Bewertung
Falsch. Das Video stammt aus dem Jahr 2022 und zeigt Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, die mutmaßlich durch Misshandlungen der iranischen Sittenpolizei starb. Im Mai 2025 wurde ein Gesetzentwurf mit strengeren Strafen bei Verstößen gegen die Hijab-Pflicht gestoppt, die Hijab-Pflicht selbst wurde jedoch nicht abgeschafft.

Im Iran sei die Hijab-Pflicht aufgehoben worden, woraufhin die Frauen vor Ort ihre Kopftücher in den Straßen verbrannt hätten, heißt es Ende Oktober in einem Beitrag des Accounts „Zentrale Ermittlungstelle“ auf X mit 250.000 Aufrufen. Der Account verbreitet regelmäßig insbesondere pro-russische Desinformation. Die deutschen Medien würden über die Aufhebung der Hijab-Pflicht schweigen, schreibt er in einem weiteren Beitrag. Die Behauptung und das Video kursieren international.

Doch das Video ist alt und die Behauptung falsch: Die Hijab-Pflicht im Iran wurde nicht abgeschafft. 

Das Video in diesem Beitrag belegt nicht die angebliche Abschaffung der Hijab-Pflicht, sondern zeigt Proteste nach dem gewaltsamen Tod einer jungen Frau, die von der sogenannten Sittenpolizei wegen des Hijabs festgenommen worden war (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Hijab-Verbrennungen: Video schon mehrere Jahre alt

Das Video, das in einem der Beiträge als Beleg beigefügt wurde, zeigt eine nächtliche Straßenszene, in der Frauen anscheinend Kopftücher verbrennen und dabei von Umstehenden beklatscht werden. Allerdings ist zu sehen, dass viele von ihnen Masken tragen, wie sie zur Corona-Zeit vorgeschrieben waren. 

Dazu passt auch, dass das Video schon im September 2022 auf Instagram zu finden ist. Dem Beitrag zufolge zeigt es Proteste, die auf den Tod der 22-jährigen Iranerin Jina Mahsa Amini folgten. Sie war von der iranischen Sittenpolizei verhaftet worden, weil sie ihr Kopftuch nicht vorschriftsmäßig getragen hatte. Die Sittenpolizei misshandelte sie mutmaßlich so stark, dass sie anschließend starb. Daraufhin begannen im Iran unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ Massenproteste. Auch auf Youtube ist das Video in diesem Kontext zu finden.

Hijab-Pflicht im Iran umstritten, aber nicht gekippt

Im Iran ist das Tragen eines Hijabs für Frauen seit der Übernahme des muslimischen Regimes im Jahr 1979 Pflicht. Mädchen ab neun Jahren müssen einen sogenannten Manteau tragen, ein langes Kleid, das ihren Körper bis zu den Knöcheln und Handgelenken verhüllt, der Hidschab oder Hijab, das Kopftuch, oder ein Tschador, ein bodenlanges Tuch, muss Haare und Nacken bedecken. Der Hijab kann unterschiedlich, mal locker, mal enganliegend, getragen werden. Männer müssen lange Hosen tragen und an Orten wie Moscheen die Arme bedeckt haben.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Pflicht zum Tragen eines Kopftuches aufgehoben wurde. Im Mai 2025 gab es einen Entwurf zum sogenannten Hijab- und Keuschheitsgesetz, das härtere Strafen für Verstöße gegen die Pflicht vorsah. Der Entwurf wurde aber vom Sicherheitsrat nach Protesten verworfen, wie unter anderem die Tagesschau berichtete. 

Ausgangspunkt der Behauptungen auf X ist vermutlich eine Aussage von Mohammadreza Bahonar, Mitglied einer Institution, die im iranischen Machtgefüge bei Streitigkeiten vermitteln soll. Bahonar erklärte Anfang Oktober, dass das Gesetz zur Hijab-Pflicht in Iran rechtlich nicht mehr durchsetzbar sei und nicht mehr eingehalten werden müsse. In Berichten wurde die Äußerung als seine persönliche Meinung und vor dem Hintergrund der Entscheidung des Sicherheitsrats im Mai 2025 interpretiert. Unabhängig davon ist der Schlichtungsrat, in dem Bahonar sitzt, keine gesetzgebende Institution – sie gibt lediglich Empfehlungen ans Staatsoberhaupt. Bahonar ruderte mit seiner Aussage zudem wenige Tage später zurück. Am 11. Oktober wurde berichtet, dass er die Hijab-Pflicht doch als Notwendigkeit betrachte.  

Nach Artikel 638 des iranischen islamischen Strafgesetzbuches droht einer Frau, die ihren Hijab nicht richtig trägt, eine Geldstrafe oder Gefängnis. Dass die Hijab-Pflicht nach wie vor in Kraft ist, erklärte auch Bahar Ghandehari, Leiterin für Medien am Center for Human Rights in Iran, der AFP in einem Faktencheck. „Die obligatorische Hijab-Pflicht wurde nicht gesetzlich abgeschafft. Sie bleibt weiterhin geltendes Recht. Lediglich der Grad der Durchsetzung hat sich geändert, aber selbst dieser ist uneinheitlich und variiert je nach Stadt und Provinz im Iran“, erklärte sie.  

Mehr Sittenpolizisten und neue Methoden bei der Verfolgung der Hijab-Pflicht

Bereits nach der Aussetzung des strengeren Gesetzesentwurfs im Mai hatten laut Medienberichten mehr Frauen im Iran ihre Kopftücher abgenommen. Auch Bahonars Äußerung führte laut Medienberichten vermehrt dazu. 

Das Center for Human Rights in Iran berichtete jedoch Mitte Oktober von neuen Taktiken, Verstöße gegen die Pflicht zu bestrafen. „Die iranischen Behörden verzichten vielleicht – zumindest vorerst – auf öffentliche und gewalttätige Razzien gegen Frauen wegen ‚unsachgemäßen Hijabs‘, aber sie haben ihren Kampf gegen die Freiheit der Frauen in keiner Weise aufgegeben. Sie haben nur ihre Taktik geändert“, sagte Ghandehari. Dazu gehöre etwa, dass Geschäfte, die eine Frau ohne Hijab bedienen, geschlossen und ihre Eigentümer strafrechtlich verfolgt würden. Zudem intensivierte sich die elektronische Überwachung und der Einsatz von Undercover-Agenten. 

Zuletzt berichteten unter anderem das Handelsblatt und der Tagesspiegel, dass allein in Teheran 80.000 neue Sittenpolizisten eingesetzt werden sollen, um die Kleidungsvorschriften durchzusetzen. Zum Vergleich: In Teheran leben 8,7 Millionen Menschen. In Berlin (3,9 Millionen Einwohner) arbeiten knapp 20.000 Polizeivollzugsbeamte.

Redigatur: Matthias Bau, Paulina Thom

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