Faktencheck

„Kopftuch ist Symbol der Unterdrückung“: Zitat von Claudia Roth wird aus dem Kontext gerissen

Auf Instagram und Facebook wird behauptet, Claudia Roth habe gesagt, das Kopftuch sei ein Symbol der Unterdrückung. Das Zitat lässt den Kontext weg, dass sich die Grünen-Politikerin dabei auf die aktuellen Proteste im Iran bezieht. Der Beitrag kann dadurch irreführend verstanden werden.

von Marc Steinau , Viktor Marinov

Porträt von Claudia Roth
Ein Zitat von Grünen-Politikerin Claudia Roth zum Thema Kopftuch wird in Sozialen Netzwerken ohne Kontext wiedergegeben. Die Politikerin bezog sich auf das Regime im Iran. (Symbolbild: Picture Alliance / Sven Simon / Malte Ossowski)
Behauptung
Claudia Roth habe gesagt: „Das Kopftuch ist ein Symbol für ein verkommenes, zutiefst autoritäres System, ein Versuch der Unterdrückung von denen, die sagen, das Kopftuch sei ein Zeichen der Ehre und Würde und die selbst Ehre und Würde schon lange durch Repression, Korruption und brutale Gewalt verloren haben.“
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Das Zitat von Claudia Roth bezieht sich ausdrücklich auf die Situation im Iran, wo seit September Massenproteste gegen die sogenannte Sittenpolizei stattfinden.

Am 11. Oktober 2022 veröffentlicht der Instagram-Account „Realität Islam“ einen Beitrag mit einem längeren und einem verkürzten Zitat der Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Das kurze Zitat lautet: „Das Kopftuch ist ein Versuch der Unterdrückung!“ Im Text zum Beitrag wirft der Account der Grünen-Politikerin „Islamhass“ vor. Zitate wie das von Roth seien „politische Hetze“ und führten dazu, dass muslimische Frauen auf deutschen Straßen „bespuckt, beleidigt“ und „getötet werden“. 

Das Zitat wird in unterschiedlichen Formen auch auf Facebook verbreitet. Die Gruppierung „Realität Islam“ wird von deutschen Verfassungsschutzbehörden dem Islamismus zugeordnet

Unsere Recherche zeigt: Das ausführliche Zitat von Roth ist korrekt, aber in den Beiträgen in Sozialen Netzwerken fehlt wichtiger Kontext. Roth bezog sich mit ihrer Aussage auf die Situation im Iran. Die Kritik gilt der Regierung in Teheran und dem Zwang zur Verschleierung. 

Instagram-Beitrag von „Realität Islam“, wo Claudia Roth zitiert wird: Das Kopftuch ist der Versuch der Unterdrückung
Dieses Zitat von Claudia Roth wird auf Instagram von „Realität Islam“ verbreitet – eine Organisation, die der Verfassungsschutz dem Islamismus zuordnet (Quelle: Instagram; Screenshot am 14. Oktober: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Zitat wurde vom Spiegel in einer Vorabmeldung veröffentlicht

Als Quelle geben die Beiträge einen Artikel der Welt vom 8. Oktober an, der wiederum auf einen Artikel des Spiegels verlinkt. In beiden Texten geht es um Demonstrationen im Iran gegen die dortige Sittenpolizei. Das ausführliche Zitat Roths steht wie behauptet im Welt-Artikel. Allerdings: im Spiegel-Artikel sind die angeblichen Äußerungen Roths weder wörtlich, noch in indirekter Form zu finden. Was steckt dahinter? 

Wir haben nach dem vollständigen Zitat bei Google gesucht und neben dem Welt-Artikel weitere Medienbeiträge gefunden, zum Beispiel vom Deutschlandfunk. Darin wird Roth übereinstimmend mit Verweis auf den Spiegel so zitiert: „Das Kopftuch ist ein Symbol für ein verkommenes, zutiefst autoritäres System, ein Versuch der Unterdrückung von denen, die sagen, das Kopftuch sei ein Zeichen der Ehre und Würde, und die selbst Ehre und Würde schon lange durch Repression, Korruption und brutale Gewalt verloren haben.“

Die Medienberichte beziehen sich auf ein Interview im Spiegel, das im Welt-Artikel auch verlinkt ist. Dort finden sich zwar Zitate von Claudia Roth, aber nicht der Absatz mit dem Kopftuch als Symbol oder Versuch der Unterdrückung. Wir haben bei der Pressestelle im Kulturstaatsministerium gefragt, ob das Zitat so gefallen ist. Eine Sprecherin erklärte uns, dass das Zitat vorab von Claudia Roth autorisiert, also zur Veröffentlichung im Spiegel freigegeben wurde. Der Spiegel verbreitete das Zitat in einer sogenannten Vorabmeldung, die am Tag vor der Veröffentlichung an andere Medien verschickt wurde. CORRECTIV.Faktencheck liegt die Vorabmeldung vom 7. Oktober 2022 mit den Zitaten von Claudia Roth vor. 

Wir haben bei der Pressestelle des Spiegel-Verlags gefragt, warum das Zitat nicht im Artikel steht. Eine Sprecherin antwortete uns: „Das Zitat ist von Frau Roth autorisiert worden und war Teil einer Vorabmeldung. Beim Kürzen des Artikels ist das Zitat dann nicht übernommen worden.“

Zitat von Claudia Roth steht im Kontext zu den aktuellen Protesten im Iran

In dem Instagram-Beitrag von „Realität Islam“ und auf Facebook fehlt Kontext zu der Aussage von Roth: Die Grünen-Politikerin bezog sich auf die aktuelle Situation im Iran, nicht auf Deutschland, wie von „Realität Islam“ suggeriert. Im ersten Satz der Vorabmeldung heißt es: „Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hat im Zusammenhang mit den Protesten in Iran scharfe Kritik am Regime in Teheran und dem Zwang zur Verschleierung geübt.“ 

Dieser Kontext wird auch in anderen Medienberichten deutlich gemacht. So heißt es etwa im Welt-Artikel: „Mit Blick auf die Demonstrationen im Iran hat Claudia Roth das Kopftuch als einen ‘Versuch der Unterdrückung’ bezeichnet“; beim Deutschlandfunk heißt es: „Kulturstaatsministerin Roth hat die Kopftuch-Pflicht für Frauen im Iran angeprangert.“ Diesen Kontext erwähnt „Realität Islam“ an keiner Stelle.

Die Sprecherin des Kulturstaatsministeriums schrieb uns, dass sich das Zitat nicht allgemein gegen das Kopftuch richte: „Das Zitat bezieht sich explizit auf den Kopftuchzwang im Iran und auf das dortige Regime“. Claudia Roth habe sich immer gegen einen Kopftuchzwang ausgesprochen. Jede Frau solle selbstbestimmt entscheiden können, was sie auf dem Kopf trägt oder nicht.

Im September 2022 begannen im Iran landesweite Massenproteste, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie gegen die Kleiderordnung verstoßen haben soll. Drei Tage nach ihrer Festnahme, am 16. September, starb Amini. Die Umstände sind nicht endgültig geklärt. Medienberichten zufolge führen viele ihren Tod auf Polizeigewalt zurück. Im Iran sind seit Beginn der Proteste laut der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) mindestens 200 Menschen getötet worden.

Redigatur: Uschi Jonas, Sarah Thust