Rechtsanwälte und Rechtsextreme: Die aktuellen Klagen gegen CORRECTIV
Im Visier der Neuen Rechten: Wir ordnen die Verfahren ein.
Am Dienstag, den 19. November, wurde vor dem Landgericht Hamburg über zwei fast gleichlautende Klagen gegen CORRECTIV verhandelt. Da die Gegenseite rund um die Verfahren gegen CORRECTIV offensiv kommuniziert, möchte CORRECTIV transparent darstellen, worum es in diesen Fällen geht, wer klagt, wer die Kläger vertritt – und wie diese Klagen insgesamt einzuordnen sind, über die das Landgericht Hamburg im Dezember entscheiden will.
Auch die aktuellen Rechtsstreits stehen im Zusammenhang mit der Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“, die CORRECTIV im Januar 2024 veröffentlicht hatte. Sie reihen sich ein in eine Serie von Verfahren, mit denen allen voran Ulrich Vosgerau, Rechtsanwalt und selbst Teilnehmer des Treffens, seit fast zwei Jahren versucht, die Recherche juristisch anzugreifen um „eine Gegenerzählung in die Öffentlichkeit zu bekommen“, wie Vosgerau selbst in einem Interview einräumte.
Die vielfach preisgekrönte Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ zählt zu den einflussreichsten Enthüllungen der vergangenen Jahre – ihr Nachhall prägt Politik und Öffentlichkeit bis heute. Zentral ist der politisch hoch aufgeladene Kampfbegriff der völkischen Ideologie der „Remigration“: einst Wahlkampfversprechen der AfD, inzwischen Auslöser von Machtkämpfen innerhalb der Partei und ihren Vordenkern. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Verfahren gelesen werden, die weit über medienrechtliche Detailfragen hinausreichen. Es geht um politische Strategien der Neuen Rechten, Machterhalt – und den Versuch, die Narrative zu kontrollieren.
Politischer Hintergrund: Bei dem „Remigrationskonzept“ von Martin Sellner geht es um die verfassungswidrige Zielsetzung der völkischen Ideologie, die vom Trugbild der Homogenität ausgeht, und diese wiederherstellen will. Genau das beschreibt die Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit, wenn diese „politische Zielsetzung“ die rechtliche Gleichstellung von Staatsbürgern in Frage stellt, wie das Oberverwaltungsgericht Münster 2024 feststellte. Die Frage, ob Gerichte die Einordnung der AfD als gesichert rechtsextremistisch bestätigen, und daraus sogar ein Verbotsverfahren erwachsen könnte, entscheidet sich an dem Punkt, inwieweit sich die AfD diese „politischen Zielsetzung“ aus der völkischen Ideologie heraus zu eigen macht oder sich davon trennt. Dabei kommt es nicht darauf an, was im Parteiprogramm steht, sondern was eine große Zahl von AfD-Mitgliedern, Mandatsträgern oder Funktionären fordert. Diese Debatte hat die Recherche „Geheimplan gegen Deutschland” ausgelöst.
Wie in anderen Verfahren geht es in den aktuell diskutierten Klagen gegen CORRECTIV nicht um den faktischen Kern der Recherche, sondern um deren journalistische Einordnungen und damit um Wertungen des Kampfbegriffes der Neuen Rechten „Remigration“. Auch wenn die Gegenseite anderes behauptet – aber dazu später mehr.
Wer steht hinter diesen Klagen?
Geklagt haben der eingangs erwähnte Jurist Ulrich Vosgerau sowie der Zahnarzt Gernot Mörig – ein völkischer Netzwerker und Mitveranstalter des Treffens im Landhaus Adlon im November 2023. Vosgerau ist – neben seiner Teilnahme am Treffen – heute vor allem dafür bekannt, Medienberichte über das Treffen und seine Beteiligung daran juristisch anzugreifen. Er führt eine ganze Reihe von Verfahren nicht nur gegen CORRECTIV, sondern auch gegen dritte Medien, die über die Recherche berichtet haben. Vosgerau ist selbst anwaltlich tätig und vertritt prominente Figuren aus dem neurechten Spektrum. Unter anderem hat er den Rechtsextremisten und AfD-Politiker Björn Höcke in einem Verfahren wegen der Verwendung verbotener Nazi-Parolen vertreten und Jürgen Elsässer, Gründer und Chefredakteur des rechtsextremen Monatsmagazins Compact, im Zusammenhang mit dem gekippten Verbot von Compact.
Vosgerau und auch Mörig lassen die Verfahren rund um um die Recherche von der Kanzlei Höcker führen, die für ihre massive Einschüchterung unabhängiger Medienschaffender sowie zahlreichen Mandatierungen der AfD und deren Umfeld bekannt sind, auch für Klagen mit Nähe zum Flügel. Die Kanzlei greift CORRECTIV nicht nur juristisch an, sie setzt flankierend auf sogenannte „Litigation-PR“ und attackiert CORRECTIV in zahllosen Posts auf ihren eigenen Kanälen und setzt auf die Unterstützung von neurechten und verschwörungsnahen Multiplikatoren. Ralf Höcker selbst ist in zahlreichen Videointerviews auf den YouTube-Ablegern rechtspopulistischer Portale wie Nius, Tichys Einblick und Apollo News zu sehen und schreibt regelmäßig für die Junge Freiheit.
Worum genau geht es in den aktuell diskutierten Klagen und was sagt CORRECTIV zu den Vorwürfen?
Geklagt wird gegen drei Satz-Passagen des Textes, unter anderem gegen eine Passage am Schluss der Recherche, der unter der Überschrift „Epilog“ ausdrücklich als abschließende Einordnung ausgewiesen ist. Darin fassen wir das von Sellner in Potsdam vorgestellte Konzept der „Remigration“ als „Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ zusammen. Grundlage dieser Zusammenfassung ist der detaillierte und faktische Kern der Recherche, insbesondere zahlreiche wörtliche Zitate, unter anderem Sellners Erläuterungen des „Remigrationskonzepts“.
CORRECTIV hält diese Einordnung weiterhin ohne jeden Zweifel für zulässig. Der Einladungsbrief zu der Veranstaltung, der CORRECTIV vorliegt, spricht explizit von einem „Strategiekonzept im Sinne eines Masterplans“, das der rechtsextreme, führende Kopf der Identitären Bewegung, Martin Sellner, bei der Veranstaltung vorstellen werde.
Zudem hat Martin Sellner in öffentlichen Äußerungen selbst bestätigt, dass er in Potsdam „Remigration“ auch auf deutsche Staatsbürger bezogen hat. Noch am Tag der Veröffentlichung der Recherche erklärte Sellner am 10. Januar 2024 in einer E-Mail an die dpa, sein Plan umfasse „nicht nur Abschiebungen, sondern auch Hilfe vor Ort, Leitkultur und Assimilationsdruck“ und enthalte die Idee einer „Musterstadt“, „die als Sonderwirtschaftszone in Nordafrika gepachtet und organisiert werden könnte“. Sellner erläuterte in dieser Mail zudem, wie erreicht werden könne, dass mehr Ausländer und sogar Menschen mit deutschem Pass Deutschland verlassen und wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte stärker zur Assimilation gedrängt werden könnten.
Aus der Sicht von CORRECTIV sind ein solcher „Anpassungsdruck“ über „maßgeschneiderte Gesetze“ und die weiteren, in dem Artikel zitierten Elemente von Sellners „Remigrationskonzept“ staatliche Zwangsmaßnahmen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen wurde in Potsdam diskutiert. Zusammenfassend wird das im Epilog als „Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ eingeordnet.
Ein zweiter Satz, gegen den Vosgerau klagt: „An die Sache mit der Ausbürgerungsidee könne er sich nicht erinnern.“ Vor der Veröffentlichung der Recherche hatte CORRECTIV Vosgerau um eine Stellungnahme zu seiner Teilnahme an dem Treffen und Sellners Konzept der „Remigration“ auch für deutsche Staatsbürger gebeten. Vosgerau antwortete: „Es ist dort nach meiner Erinnerung von niemandem gesagt worden, es sollten Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, irgendwie repatriiert oder ausgebürgert worden. Dies wäre ja rechtlich normalerweise auch gar nicht möglich.“ Vosgerau selbst übersetzte „Remigration“ als „Ausbürgerung“ – CORRECTIV hat den Begriff in der eigenen Konfrontation nicht verwendet. Auch im Artikel wird nur deshalb von der „Ausbürgerungsidee“ geschrieben , weil CORRECTIV Vosgeraus Formulierung paraphrasiert.
Mörig klagt zudem gegen eine dritte Passage. Ein Jahr nach Veröffentlichung der Recherche greift er die Darstellung von CORRECTIV an, sein Vorschlag eines „Expertengremiums“ zur Ausarbeitung von Sellners „Remigrationskonzept“ unter „ethischen, juristischen und logistischen Gesichtspunkten“ habe sich auch auf deutsche Staatsbürger bezogen. Mörig gesteht zwar zu, er habe die Einrichtung eines Expertengremiums bzw. einer Expertenkommission vorgeschlagen – aber ausschließlich mit Blick auf Menschen ohne gültigen Aufenthalt oder straffällige Ausländer. Aus Sicht von CORRECTIV ist das eine unglaubwürdige Schutzbehauptung. Denn – wie in der Recherche nachlesbar – äußerte Mörig seinen Vorschlag unmittelbar im Anschluss an Sellners Erläuterungen, dass sich sein „Remigrationskonzept“ auch auf deutsche Staatsbürger beziehe. Die Umsetzung dieses Konzepts sollte – so Mörig – ein Expertengremium ausarbeiten. Mörig sagte nicht (und gab auch sonst nicht zu erkennen), dass sich dieses Gremium – in Abweichung von Sellners Konzept – ausschließlich mit nicht-deutschen Staatsbürgern beschäftigen oder für deutsche Staatsbürger eine Ausnahme vorsehen sollte. Mörigs Vorschlag bezog sich auf das gesamte „Remigrationskonzept“ Sellners – und damit auch auf deutsche Staatsbürger.
Gibt es andere Gerichtsentscheidungen, die im Zusammenhang mit den zivilgerichtlichen Verfahren gegen die Recherche wichtig sind?
Ja. Die Recherche hat gezeigt, dass Sellner in Potsdam im Rahmen des Masterplans ein Konzept der „Remigration“ vorgeschlagen hat, das auch deutsche Staatsbürger mit migrantischem Hintergrund umfasst, und das über „Anpassungsdruck“ durch „maßgeschneiderte Gesetze“ zur Abwehr „der ethnischen Wahl“ als „Jahrzehnteprojekt“ dienen soll. CORRECTIV hat dieses Konzept als grundgesetzwidrig bewertet. Die Einschätzung wird gestützt durch mehrere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die Sellners „Remigrationskonzept“ in anderen Kontexten analysiert haben. So stellte das Verwaltungsgericht München 2024 fest, die Remigrationsforderungen Sellners umfassten auch die Unterstützung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund. Von einer tatsächlichen „Freiwilligkeit“ könne bei der Umsetzung der von Sellner geplanten Maßnahmen nicht gesprochen werden. Das Bundesverwaltungsgericht bewertet das „Remigrationskonzept“ Sellners, dass auch Staatsbürger inkludiere, als verfassungswidrig. Die Richter beziehen sich in der schriftlichen Begründung des Compact-Urteils im wesentlichen auch auf die Elemente des „Remigrationskonzeptes“, die in der Potsdam-Recherche aufgeführt sind.
Die rechtlichen Schlussfolgerungen des Bundesverwaltungsgerichts
- „Nach alledem erweist sich das auf die Bewahrung einer „ethnokulturellen Identität“ ausgerichtete sogenannte „Remigrationskonzept“ Martin Sellners in Bezug auf die deutschen Staatsangehörigen als nicht egalitär und daher als „menschenwürdewidrig“.“
- „Demgegenüber wird deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund kein uneingeschränktes Bleiberecht zugestanden. Sie haben den Status von Staatsbürgern zweiter Klasse. Von ihnen wird Assimilation gefordert. Diejenigen, „die sich nicht assimilieren können oder wollen“ (COMPACT-Edition „Sellner – Geheimplan – Was ich wirklich will“ S. 46), können die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, jedenfalls aber sollen sie durch Druck zur „Remigration“ in ihre Herkunftsländer bewegt werden.“
- „Dieses Konzept sieht Ausbürgerungen als Mittel zur Schaffung eines ethnisch-deutschen Volkes auch vor dem Hintergrund künftiger Wahlen und Abstimmungen vor.“
Zusammengefasst: CORRECTIV hat die von Sellner geforderten Teilmaßnahmen eines „Masterplans“ wie „Anpassungsdruck“ und „maßgeschneiderte Gesetze“ im Epilog als langfristig geplante staatliche Zwangsmaßnahmen bezeichnet, die darauf ausgerichtet sind, auch Staatsbürger mit migrantischem Hintergrund aus Deutschland zu vertreiben. Diese wertende Einordnung deckt sich mit den juristischen Einschätzungen des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Verwaltungsgerichts München.
Was hat es mit den gerichtlichen Verfahren gegen andere Medien auf sich?
Die Recherche erzielte bundesweit und international enorme Resonanz. Tausende Medienberichte griffen „Geheimplan gegen Deutschland“ sachlich korrekt auf. In Einzelfällen wurde diese Drittberichterstattung angegriffen. Die Verfahren betreffen nicht die Recherche selbst oder ihren Faktenkern, sondern einzelne Formulierungen Dritter – insbesondere Paraphrasierungen des völkischen Tarnbegriffes „Remigration“. Die Gegenseite und ihre Sprachrohre behaupten, Gerichtsentscheidungen gegen Dritte zeigten, dass die CORRECTIV-Berichterstattung irreführend sei. Der Vorwurf ist falsch, denn er übersieht jedoch das Missverhältnis zwischen der breiten Medienresonanz und den wenigen angegriffenen Berichten: Die große Masse der Medienberichte gibt die Recherche zutreffend wieder. Sellners Konzept, Millionen von Menschen aus Deutschland, darunter auch deutsche Staatsbürger, zu vertreiben, ist bis heute der unbestrittene Faktenkern der Recherche, der zu der breiten medialen Wirkung geführt hat.
Wie bewertet CORRECTIV das laufende Verfahren und wie geht es weiter?
Martin Sellner schlug also im November 2023 in Potsdam die „Remigration“ auch für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ vor. Die entsprechenden Absätze der CORRECTIV-Recherche, die dieses „Remigrationskonzept“ mit klaren Wortlautzitaten beschreiben, wurden juristisch auch fast zwei Jahre nach Veröffentlichung der Recherche nicht angegriffen. Vosgerau und die ihn vertretende Kanzlei werfen gezielte Nebelkerzen, indem sie vereinzelte Paraphrasierungen des Tarnbegriffes „Remigration“ durch Dritte angreifen.
Die beiden Klagen sind nach Überzeugung von CORRECTIV aussichtslos. Zwar soll das Urteil erst im Dezember verkündet werden, das Landgericht Hamburg hat in der mündlichen Verhandlung am 19. November 2025 aber deutlich zu erkennen gegeben, dass es die Berichterstattung von CORRECTIV für rechtmäßig hält.
Dass die Kläger aller Voraussicht nach verlieren werden, dürfte ihnen bewusst sein. Nur so lässt sich ihre aktuell wieder sehr aggressive Litigation-PR erklären. Sie führen gerichtliche Verfahren nicht, um Rechtsschutz zu erlangen, sondern um sie politisch zu instrumentalisieren und CORRECTIV in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Seit der Veröffentlichung der Recherche missbrauchen Vosgerau und die Kanzlei Höcker gerichtliche Verfahren für Desinformationskampagnen und politische Selbstinszenierung. Sie stellen gerichtliche Verfahren und anwaltliche Schriftsätze in der Öffentlichkeit falsch dar, zitieren sinnentstellend und irreführend.
Doch die Klagen beseitigen keine Fakten. Die sind in der CORRECTIV-Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ nachlesbar: Sellner hat in Potsdam sein „Remigrationskonzept” vorgestellt und sich dabei ausdrücklich auf deutsche Staatsbürger bezogen. Sellners Pläne sind verfassungswidrig. Den Kern der Recherche greifen auch die aktuell diskutierten Klagen nicht an; die Fakten sind und bleiben unangetastet – und zwar unabhängig vom Ausgang der beiden ausstehenden Urteile. Die Urteile sollen am 19. Dezember verkündet werden.