Es ist nicht klar, in wie viel Prozent der Fälle eine Chemotherapie versagt
Ein Artikel des Gesund-Magazins behauptet, dass Chemotherapie gegen Krebs angeblich in 97 Prozent der Fälle versage. Diese Zahl findet sich in keiner Statistik oder Studie.
Krebs kann heutzutage auf unterschiedlichste Arten behandelt werden. Eine davon ist die Chemotherapie. Ein Artikel des Gesund-Magazins behauptet jetzt, dass diese angeblich in 97 Prozent der Fälle versage. Außerdem werden in dem Text die Vorzüge einer Behandlung mit Cannabis gegen Krebs angepriesen.
Für viele Behauptungen nennt der Artikel keine Quellen. Unsere Recherchen zeigen: Sie lassen sich nicht belegen oder sind falsch.
Chemotherapie wirkt bei jedem Patienten unterschiedlich
Angelina Gromes, Pressesprecherin der Deutschen Krebsgesellschaft, schreibt in einer E-Mail an CORRECTIV: „Eine generelle Aussage, in wieviel Prozent aller Krebsfälle eine Chemotherapie versagt, ist so pauschal nicht zu beantworten, denn meist kommt eine Chemotherapie in Kombination mit weiteren Therapien oder Maßnahmen zum Einsatz.“ Dabei sei jede Erkrankung individuell zu betrachten.
„Chemotherapien können bei vielen Krebsarten auf vielfältige Weise zum Einsatz kommen“, schreibt Gromes. So werde sie beispielsweise als Ergänzung zu einer Operation verwendet, oder in Situationen, in denen es nicht um eine Heilung geht, sondern darum, eine Verschlimmerung zu verhindern oder Beschwerden zu lindern.
Bei Hodenkrebs gibt es mit Chemotherapie eine aktuelle 5-Jahres-Überlebensrate von 97 Prozent. Das schreibt das Robert-Koch-Institut auf seiner Webseite.
Keine Quelle für Behauptung von Peter Glidden
Bei Peter Glidden, der im Text des Gesund-Magazin als Quelle genannt wird, handelt es sich um einen amerikanischen Alternativmediziner. In einem Interview im Jahr 2011 sagte er: „Der einzige Grund, aus dem Chemotherapie immer noch genutzt wird ist, dass Ärzte damit Geld verdienen. Wirklich, sie funktioniert nicht, und zwar in 97 Prozent der Fälle! Wenn Ford ein Auto herstellen würde, das in 97 Prozent der Fälle explodieren würde, wären sie dann immer noch im Geschäft?“ (Video, ab Minute 2:13) Dabei bezieht er sich auf eine angebliche Studie, die 1994 erschienen sein soll. Für uns ist nicht nachvollziehbar, um welche Studie es sich handelt.
Die US-amerikanischen Faktenchecker von Snopes haben die Aussage von Peter Glidden in dem Interview bereits 2016 überprüft. Sie schrieben, er berufe sich auf eine Studie aus Australien von 2004, die auf Daten von 1998 beruhe. Darin kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass der Beitrag der Chemotherapie zu einer 5-Jahres-Überlebensrate bei Erwachsenen in Australien auf 2,3 Prozent und in den USA 2,1 Prozent geschätzt werde. Allgemein liege die 5-Jahres-Überlebensrate bei Krebs in Australien im Jahr 1998 bei über 60 Prozent, also sei der Beitrag der Chemotherapie eher gering. Die Studie zeigt also nicht, dass Patienten in 97 Prozent der Fälle trotz Chemotherapie sterben. Zudem unterscheidet sie nicht zwischen verschiedenen Krebsarten. Die Studie wurde deshalb unter anderem von diesem Blog kritisiert.
CORRECTIV untersuchte in der Vergangenheit auch schon Behauptungen, dass Chemotherapie Krebspatienten angeblich früher sterben ließe, zum Beispiel hier. Sie erwiesen sich jedoch als falsch.
Kritik an Chemotherapie verbunden mit Verkauf von alternativen Produkten
Während Gidden dafür plädiert, an alternativen Heilmethoden gegen Krebs zu forschen, scheint im Text des Gesund-Magazins schon eine Lösung gefunden zu sein – Cannabis. Dazu schreibt Angelina Gromes von der Krebsgesellschaft: „Bisher gibt es nur Zellexperimente, die zeigen, dass Cannabinoide das Wachstum von Tumorzellen gehemmt haben sollen.“ Diese Experimente hätten aber keine Aussagekraft für den menschlichen Organismus. Cannabis zeige eher zur Bekämpfung der Begleitsymptome einer Chemotherapie wie Übelkeit und Erbrechen positive Effekte.
Gromes bewertet den Text des Gesund-Magazins insgesamt kritisch: „Der Text arbeitet ohne Quellen, die die Aussagen belegen.“ Zudem sei fraglich, ob es der Webseite wirklich um das Vermitteln von Informationen gehe. „Informationsseiten, auf denen man gleichzeitig gegen Bezahlung Produkte bestellen kann, geht es möglicherweise nicht vorrangig um die Verbreitung nützlicher Empfehlungen, sondern um die Vermarktung bestimmter Produkte.“ Seriöse Webseiten würden klar zwischen redaktionellen Hinweisen und Anzeigen unterscheiden. Wer sich über Krebs informieren wolle, solle sich lieber an die Deutsche Krebsstiftung wenden.