„Servus-TV“ verbreitet unbelegte Aussage zur Quote falsch-positiver PCR-Tests
In einem Beitrag von „Servus-TV“ auf Facebook wird behauptet, das Testen von Gesunden auf das Coronavirus führe in etwa einem Prozent der Fälle zu falsch-positiven PCR-Testergebnissen. Dafür gibt es jedoch keine Belege.
„Werden PCR-Tests an Gesunden vorgenommen, können sie in etwa einem Prozent der Fälle falsch-positive Ergebnisse liefern“, wird in einem Beitrag des österreichischen Privatsenders Servus-TV auf Facebook behauptet. Darum gebe es aktuell Kritik am Testen von Personen ohne Symptome aus den Reihen der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Der Beitrag wurde laut Facebook mehr als 2.300 Mal geteilt.
Unsere Recherchen ergaben: Die Behauptung, das Testen von Menschen, die nicht mit SARS-CoV-2 infiziert sind, führe in etwa einem Prozent der Fälle zu falsch-positiven Ergebnissen, ist unbelegt.
Der Beitrag von Servus-TV auf Facebook warb für die Sendung „Servus am Abend“ am 20. Oktober 2020. Beiträge von Servus-TV sind nur eine Woche online verfügbar, daher ist der zugehörige TV-Beitrag nicht mehr öffentlich einsehbar. Dies bestätigte uns auch ein Mitarbeiter des Senders.
Wir haben zudem beim Sender nachgefragt, auf welche Quelle sich die Aussagen zu den falsch-positiven Tests bezieht. Servus-TV nannte uns zwei Quellen: Die erste ist ein Bericht von Addendum von Juli 2020, in dem Andreas Sönnichsen vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien mit den Worten zitiert wird, in Laborleistungstests bekomme man „bis zu 1,5 Prozent“ falsch-positive Ergebnisse. Als mögliche Gründe nannte er jedoch zum Beispiel Verunreinigungen, Laborfehler oder vertauschte Proben.
Die zweite Quelle, die Servus-TV uns nannte, ist Karina Reiß, die „von einer bis zu 2-prozentigen Fehlerquote“ spreche. Karina Reiß von der Klinik für Dermatologie der Universität Kiel hat mit Sucharit Bhakdi das umstrittene Buch „Corona Fehlalarm?“ veröffentlicht.
Bhakdi ist Infektionsepidemiologe im Ruhestand und hat in den vergangenen Monaten mehrfach unbelegte Behauptungen zum Coronavirus aufgestellt. Die Universität Kiel hat sich inzwischen von den aufgestellten Forderungen und Behauptungen von Bhakdi und Reiß distanziert. Wo Reiß von einer PCR-Fehlerquote von zwei Prozent gesprochen haben soll, konnten wir nicht nachvollziehen.
Zudem nannte uns Servus-TV mehrere Medienberichte, in denen es um Kritik an der Teststrategie in Österreich geht. Ein Text der österreichischen Tageszeitung Die Presse nennt unter anderem eine Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin als Quelle, ein anderer zitiert ebenfalls Andreas Sönnichsen, der zudem Vorsitzender beim Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin ist.
Die Fachgesellschaft Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin hatte sich tatsächlich kritisch zu falsch-positiven Testergebnisse geäußert. In Bezug auf PCR-Tests forderte sie eine „systematische Aufarbeitung vorhandener Evidenz“ und „weitere Forschung“. Auf diese Kritik bezog sich auch die Österreichische Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in ihrer Stellungnahme, wie aus einer Fußnote hervorgeht (Fußnote 3).
Das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin wurde für seine Aussagen offenbar auch seinerseits kritisiert. Als Reaktion stellte die Fachgesellschaft in einer Erwiderung klar: „Die Überlegungen in der Stellungnahme zur Aussagekraft von positiven Testergebnissen im Szenario des anlasslosen Testens im Niedrigprävalenzbereich waren in der Tat theoretischer Natur – da es uns nicht gelungen ist, valide Daten zur Testgenauigkeit der PCR im alltäglichen Setting aufzufinden.“
Was ist ein PCR-Test?
PCR steht für Polymerase-Ketten-Reaktion. Mit diesem Verfahren werden im Labor ganz bestimmte Sequenzen des Erbguts von SARS-CoV-2 vervielfältigt, um sie nachweisen zu können. Die Proben dafür werden mit einem Abstrich (meist durch die Nase im Rachen eines Menschen) entnommen und untersucht. Ein PCR-Testergebnis ist der Nachweis einer Infektion – es bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Person ansteckend oder krank ist.
Es gibt falsch-positive oder falsch-negative Tests. Falsch-positiv bedeutet: Eine nicht infizierte Person bekommt trotzdem ein positives Testergebnis. Falsch-negativ bedeutet, dass eine tatsächlich infizierte Person nicht erkannt wird und ein negatives Testergebnis bekommt.
Warum es Kritik am Testen von Personen ohne Symptome gibt
Insbesondere wenn das Virus in der Bevölkerung seltener vorkommt (niedrige Prävalenz), muss die verwendete Testmethode sehr genau sein. Das war es, worauf das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin offenbar hinaus wollte: Wenn sehr viele Menschen, die nicht infiziert sind, getestet werden, fallen auch sehr geringe Fehlerquoten stärker ins Gewicht. Über dieses (theoretische) Problem der sogenannten Vortestwahrscheinlichkeit hat auch CORRECTIV bereits berichtet.
In der Praxis gehen Experten jedoch davon aus, dass falsch-positive Tests die Fallzahlen nicht nennenswert verzerren, wie wir im September für Deutschland recherchierten. Es gibt nicht nur einen einzigen PCR-Test, sondern verschiedene Hersteller. Sie verwenden zum Nachweis von SARS-CoV-2 verschiedene Gen-Sequenzen. In der Praxis testen viele Labore in Deutschland nicht nur auf ein Zielgen, sondern auf mindestens zwei. Man spricht vom „Dual-Target“-System. Das reduziert die Möglichkeit für falsch-positive Ergebnisse drastisch. Mehr darüber lesen Sie hier ausführlich.
Für Österreich liefert unsere Recherche ganz ähnliche Ergebnisse: Auch hier betonen Experten, falsch-positive Tests seien in der Praxis extrem selten.
Kritiker sehen Testen von Personen ohne Symptome auch als Vergeudung von Ressourcen
In dem Facebook-Beitrag schreibt Servus-TV, es gebe Kritik an der österreichischen Teststrategie. Auf Anfrage von CORRECTIV teilte der Sender mit, dass die Quelle dafür unter anderem ein Medienbericht der österreichischen Tageszeitung Die Presse sei.
Am 20. Oktober berichtete Die Presse von einem „Ruf nach Teststopp für Personen ohne Symptome“. Die Gründe dafür werden im Text erläutert: Es gehe darum, dass mit dem großflächigen Testen asymptomatischer Personen die Wahrscheinlichkeit für falsch-positive Tests steige und gleichzeitig „wertvolle Ressourcen, die beim Contact Tracing [Anm. d. Red.: Nachverfolgen von Kontakten] fehlten“, vergeudet würden. In diesem Zusammenhang werden mehrere Fachleute zitiert, darunter Franz Allerberger, Leiter des Geschäftsfeldes Öffentliche Gesundheit der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit). Diese betreibt im Auftrag des Gesundheitsministeriums das Dashboard mit Statistiken zum Coronavirus in Österreich.
Studie betont die Wichtigkeit eines zweiten Bestätigungstests
In dem Bericht von Die Presse wird außerdem eine „Studie der britischen University of Cambridge“ genannt, aus der hervorgehe, dass „bei Testungen ausschließlich asymptomatischer Menschen in Regionen mit grundsätzlich niedriger Prävalenz […] 44 Prozent der positiven Ergebnisse falsch sein“ könnten. Die Studie ist in dem Text nicht verlinkt, es handelt sich mutmaßlich um diese Auswertung vom 13. Oktober von Forschern der Cambridge Universität und des Klinischen Labors für Mikrobiologie in Cambridge.
Die Studie lässt sich jedoch nicht einfach auf die Lage in Österreich übertragen. Die Presse schreibt, in Österreich seien derzeit acht Prozent aller Tests positiv. Die Forscher aus Cambridge untersuchten jedoch 19.597 Proben aus ihrem Labor und fanden nur 107 positive, das entspricht rund 0,55 Prozent. Bei 52 davon war es der erste Test, sie wurden also erstmals positiv getestet. Alle Proben wurden noch ein zweites Mal getestet – und bei 23 von 52 wiederholte sich das positive Ergebnis nicht. Die Forscher schlussfolgerten, dass bei niedriger Prävalenz ein zweiter Bestätigungstest sinnvoll sei, um das Risiko falsch-positiver Ergebnisse zu reduzieren.
Die Universität Cambridge führt selbst auch breit angelegte Screening-Tests bei ihren Studierenden durch, um asymptomatische Infizierte zu entdecken. Sie hat auf ihrer Internetseite Fragen und Antworten dazu veröffentlicht, und dort heißt es: „Wir schätzen das Risiko eines falsch-positiven Screening-Tests auf weniger als 1/1.000. In der Praxis werden auf positive Screening-Tests immer individuelle Bestätigungstests folgen […]. Wir schätzen, dass das Risiko, dass auf einen falsch-positiven Screening-Test ein falsch-positiver individueller Bestätigungstest folgt, weniger als 1/1.000.000.“
Österreichische Laborgesellschaft über falsch-positive PCR-Ergebnisse: „Eine absolute Rarität“
Das Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien fungiert als nationales Bestätigungslabor für SARS-CoV-2-positive Laborbefunde in Österreich. Wir haben die dort beschäftigte Virologin Monika Redlberger-Fritz gefragt, ob das Testen von Personen ohne Symptome zu „vielen falsch-positiven“ Testergebnissen führen könne. „Nein, das kann es überhaupt nicht, denn es gibt ganz selten falsch-positive Ergebnisse und meist hatten die mit einer Probenverwechslung oder so etwas zu tun“, sagte sie uns in einem Telefonat am 4. November 2020. Dass bei der PCR selbst ein falsches Ergebnis entsteht, könne sie sich in einem Labor mit Qualitätskontrolle nicht vorstellen.
Die Österreichische Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin und Klinische Chemie (ÖGLMKC) schrieb am 28. Juli über PCR-Labordiagnostik bei SARS-CoV-2: „Im Realbetrieb großer, hoch-qualitativ arbeitender medizinischer Labore sind falsch-positive PCR-Ergebnisse eine absolute Rarität“ (Stand: 28. Juli 2020).
Gesundheitsministerium in Österreich: „Es werden keine großflächigen Testungen von Personen ohne Symptome durchgeführt“
Das österreichische Gesundheitsministerium (BMSGPK) wies uns am 3. November 2020 per E-Mail darauf hin, dass die Teststrategie regelmäßig evaluiert und adaptiert werde. „Es werden von Seiten des BMSGPK keine großflächigen Testungen von Personen ohne Symptome durchgeführt. Dies ist auch klar in der Teststrategie vermerkt: von einem Testen ohne Anlassfall wird auch dort abgeraten“, schrieb uns ein Sprecher. Es würden aber in sensiblen Bereichen wie etwa dem Gesundheitsbereich und der Pflege auch Personen ohne Symptome getestet, um etwaige Infektionen frühzeitig zu erkennen.
Die AGES äußerte sich CORRECTIV gegenüber nicht zu dieser Debatte. Sie wies uns lediglich auf eine offizielle Statistik im Internet hin, die zeigt, dass der Anteil asymptomatisch getesteter Personen in Österreich Anfang Oktober in der Kalenderwoche 42 bei 29 Prozent lag und in der Kalenderwoche 43 bei 22 Prozent (siehe „Indikatoren zur Risikoeinstufung“ vom 13. und 20. Oktober).
Fazit:
Für die Behauptung, dass PCR-Tests an Gesunden zu einem Prozent falsch-positive Ergebnisse verursachen, gibt es keine Belege. Experten in Deutschland und Österreich zufolge sind solche Fehler in der Praxis extrem selten, genaue Daten sind jedoch nicht verfügbar.
Es gibt in Österreich tatsächlich Kritik am Testen von Personen ohne Symptome. Doch diese beziehen sich auf das theoretische Problem, dass die Wahrscheinlichkeit falsch-positiver Ergebnisse bei einem solchen Vorgehen steigt. Das Gesundheitsministerium Österreichs rät jedoch nach eigener Aussage von einem Testen ohne Anlass ab.
Redigaturen: Uschi Jonas, Alice Echtermann
Die wichtigsten öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Was ist die PCR? Link
- Was bedeuten die Begriffe Dual-Target-PCR und Ct-Wert? Link
- Hinweise zur Testung auf Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus, Robert-Koch-Institut (11.08.2020): Link
- Teststrategie Österreich, Gesundheitsministerium: Link
- PCR-Labordiagnostik bei SARS-CoV-2, Österreichische Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin und Klinische Chemie (28.07.2020): Link
- Stellungnahme und Erwiderung auf Kritik, Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (08.09.2020): Link & Link