Nein, Deutsche sollen nicht das Arbeitslosengeld von Griechen und Spaniern zahlen
Auf Facebook wird behauptet, Olaf Scholz wolle einführen, dass Deutsche das Arbeitslosengeld für andere EU-Länder zahlen. Das stimmt so nicht.
Auf Facebook kursierten Mitte September, kurz vor der Bundestagswahl, mehrere Beiträge, die einen Bericht der Bild-Zeitung und von Bild-TV aufgreifen. Es wurde behauptet, dass Olaf Scholz als Kanzler dafür sorgen werde, dass Deutsche „das Arbeitslosengeld für Griechen und Spanier“ zahlen müssten. Grund dafür sei eine geplante EU-Arbeitslosenversicherung. Unter anderem verbreitete der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert diese Aussage auf seiner Facebook-Seite und bezog sich als Quelle auf die Bild.
In einem weiteren Beitrag auf Facebook kommentierte eine Person zu dem Bild-Artikel: „Die SPD will zum Beispiel eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung. Steht dort im Wahlprogramm.“
Tatsächlich steht das jedoch nicht im SPD-Wahlprogramm. Im Wahlprogramm ist von etwas anderem die Rede: einer Arbeitslosenrückversicherung. Es gibt einen Unterschied zwischen einer Versicherung und einer Rückversicherung – dies bleibt bei den Facebook-Beiträgen unberücksichtigt.
Der Unterschied zwischen einer Versicherung und einer Rückversicherung ist folgender: Bei einer Versicherung zahlen Versicherte, in diesem Fall also Angestellte in Deutschland, Beiträge ein, um im Schadensfall (der Arbeitslosigkeit) Geld von der Versicherung zurückzubekommen.
Was ist eine Rückversicherung?
Im Gegensatz dazu steht die Rückversicherung: In sie zahlen nicht die Arbeitnehmenden ein, sondern die Arbeitslosenversicherung selbst. Sie zahlt Beiträge an die Rückversicherung für den Fall, dass sie selbst zahlungsunfähig wird – was der Fall wäre, wenn sehr viele Leute auf einmal arbeitslos würden, die Arbeitslosenversicherung also sehr viel Geld ausschütten müsste. Die Rückversicherung springt dann ein, wenn die Arbeitslosenversicherung selbst nicht mehr zahlen kann; sie ist ein Sicherheitsnetz für den Notfall und hat mit den deutschen Angestellten nichts zu tun, da diese bei der Rückversicherung nicht unmittelbar einzahlen. Insofern stimmt es auch nicht, dass deutsche Angestellte das Arbeitslosengeld für andere EU-Länder aufbringen müssten, denn die anderen Länder haben selbst ihre eigenen nationalen Arbeitslosenversicherungen.
Der Vorschlag für eine „europäische Arbeitslosenrückversicherung“ findet sich im aktuellen SPD-Wahlprogramm (PDF, S. 57): „Um die Eurozone vor ökonomischen Schocks zu schützen, treten wir ein für eine dauerhafte europäische Arbeitslosenrückversicherung, die zudem sicherstellt, dass alle Mitgliedstaaten auch in Zeiten schwerer wirtschaftlicher Krisen wichtige soziale Sicherungsfunktionen erfüllen können.“
Gerät also ein Land in eine wirtschaftliche Krise, würde die EU-weite Arbeitslosenrückversicherung sicherstellen, dass das Arbeitslosengeld für die Angestellten in diesem Land weitergezahlt werden kann.
Auszahlungen der Arbeitslosenrückversicherung wären lediglich Kredite
Julia Camerer, die Pressesprecherin von Olaf Scholz schreibt in ihrer E-Mail an uns, dass es sich bei den potenziellen Zahlungen lediglich um Kredite handele, die Länder das Geld aus der Rückversicherung also später zurückzahlen müssten: „Nationale Arbeitslosenversicherungen sollen bei schweren Abschwüngen europäisch mit Krediten unterstützt werden können, ohne dass es hierbei zu dauerhaften Transfers kommt. […] Auch käme es im angedachten Modell eben nicht zu dauerhaften Transferzahlungen deutscher Arbeitnehmer für Arbeitslose in anderen Mitgliedstaaten.“ Olaf Scholz habe zudem „zu keinem Zeitpunkt“ vorgeschlagen, nationale Arbeitslosenversicherungen abzuschaffen.
Dass Angestellte in Deutschland das Arbeitslosengeld von Angestellten in Griechenland oder Spanien zahlen müssten, wie auf Facebook behauptet, ist also eine Irreführung: Sie zahlen nur in die deutsche Arbeitslosenversicherung ein, und bleiben über sie versichert.
Das Versicherungskonzept sei zudem nicht allein von Olaf Scholz vorgeschlagen worden – auch die Union habe es in der vorigen Regierung mitgetragen. Scholz habe zwar im Jahr 2018 einen entsprechenden Vorschlag gemacht, so Julia Camerer, jedoch sei die „Prüfung eines derartigen Modells […] in die deutsch-französische Erklärung von Meseberg vom 19. Juni 2018 aufgenommen [worden] und war somit auch gemeinsame Haltung der Bundesregierung.“
Zudem gibt es momentan bereits ein ähnliches Konzept, das von der CDU/CSU, der SPD, der FDP, den Grünen und der Linken im Bundestag verabschiedet wurde: Das Instrument heißt SURE und wurde zu Beginn der Corona-Pandemie gestartet. SURE (Kurzform für „Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency“) stellt den EU-Ländern Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Verfügung „damit diese vor allem Kurzarbeitsprogramme über ihre nationalen Arbeitslosenversicherungen finanzieren können.“ Wie auch bei der Arbeitslosenrückversicherung kommt das Geld der EU letztlich von den Bürgerinnen und Bürgern der einzelnen Mitgliedstaaten. Mit einer unmittelbaren Finanzierung der Arbeitslosen anderer Länder durch Angestellte in Deutschland hat das jedoch nichts zu tun.
Redigatur: Matthias Bau, Tania Röttger