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Boateng-Prozess: Geld gegen Schweigen?

Jérôme Boatengs Ex-Freundin sollte ihre Aussagen gegen ihn zurückziehen – und bekam dafür offenbar Geld angeboten. Darauf deuten Chatnachrichten, die CORRECTIV und SZ vorliegen. Im Gerichtsprozess geht es ab heute um Gewaltvorwürfe gegen den Fußball-Star.

von Gabriela Keller , Maike Backhaus

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”Nimm einfach sein Geld”, heißt es in einer Nachricht, die Sherin S. erhielt. Illustration: Mohamed Anwar

Am 18. Oktober 2020 gehen auf Sherin S.’ Handy eine Reihe von Nachrichten ein, in denen aufgelistet ist, was sie alles haben könnte: Ein Haus. Geld. Reisen mit ihren Kindern. „Ein gutes Auto“, vielleicht: „einen netten Audi.“ Allerdings steht dort auch, was dafür von ihr offenbar erwartet wird: „Sag ihm einfach, ok, kauf mir ein Haus und bezahle meine Anwälte aus, und sag ihnen, ich bin nicht mehr interessiert.“ Mit einem Vertrag ließe sich das regeln – außerhalb des Gerichts: „Sherin, hol einfach etwas für dich raus, und versuche zu sagen, dass du nicht mehr interessiert bist, die Sache noch weiter zu treiben.“

In den ursprünglich auf Englisch vorliegenden Chats zwischen Sherin S. und ihrer Gesprächspartnerin geht offenbar um eine Strafanzeige, die Sherin S  gegen den Fußball-Weltstar Jérome Boateng gestellt hatte. Boateng soll seine frühere Lebenspartnerin S. während eines Karibik-Urlaubs 2018 angegriffen haben. Laut Anklage soll er sie geschlagen, geboxt, auf den Boden geworfen und in den Kopf gebissen haben. Boateng wies die Vorwürfe zurück. Am heutigen Donnerstag treffen die beiden erneut vor Gericht aufeinander. Boatengs Anwalt teilte auf Anfrage mit, man sehe dem Verfahren zuversichtlich entgegen: „Wir sind optimistisch, dass es in wesentlichen Fragen zu neuen Erkenntnissen kommen wird.“

In der vergangenen Woche deckten CORRECTIV und Süddeutsche Zeitung (SZ) mehrere Fälle von psychischer und körperlicher Gewalt gegen frühere Freundinnen und Ehefrauen zum Teil prominenter Profi-Fußballspieler auf, darunter mehrere frühere Nationalspieler. Wie die Recherche aufzeigt, fühlten sich viele der Frauen von den Spielern und deren Umfeld unter Druck gesetzt und gedrängt, sich nicht juristisch zu wehren oder Vorwürfe publik zu machen, unter anderem mit sogenannten Verschwiegenheitsverpflichtungen.

Boatengs heutige Verlobte schrieb : „Hör auf dich rächen zu wollen”

Wie CORRECTIV und SZ berichteten, gibt es bei Boateng Hinweise auf Gewalt gegenüber einer weiteren Frau: Vorliegende Dokumente und Fotos legen nahe, dass er auch seine frühere Lebensgefährtin Kasia Lenhardt geschlagen und massiv unter Druck gesetzt haben soll. Im Februar 2021 starb Lenhardt, vermutlich Suizid. Aus Chats und Aussagen aus ihrem Umfeld ergibt sich der Eindruck, dass er sie wenige Wochen zuvor aufgesucht mit Gewalt zur Unterzeichnung einer Verschwiegenheitsverpflichtung gebracht haben soll. Boateng und sein Anwalt ließen Fragen hierzu unbeantwortet.

Sherin S. hat offenbar keine Schweigeklausel unterzeichnet. Die Chatverläufe, die CORRECTIV und der SZ vorliegen, vermitteln aber den Eindruck, dass Sherin S. mehrfach lukrative Angebote erhielt – für den Fall, dass sie ihre Anzeige zurückzieht. „Nimm einfach Geld von ihm“, heißt es in einer Nachricht, „und hör auf, dich rächen zu wollen.“ Die Frau, die ihr schrieb, heißt Rebecca S. und soll inzwischen mit Jérôme Boateng verlobt sein. Auf Anfrage der SZ teilte Rebecca S. mit, sie habe versucht, Boateng zu überzeugen, Sherin S. zu finanziell helfen und ihr Treffen mit ihren Kindern zu ermöglichen. Die gemeinsamen Zwillingstöchter leben bei Boateng.

Sherin S. ließ ihre Anzeige nicht fallen. Im September 2021 verurteilte das Münchner Amtsgericht Boateng wegen vorsätzlicher Körperverletzung an Sherin S. zur Zahlung von 1,8 Millionen Euro. Boateng bestreitet die Taten und ficht das Urteil an.

Große Versprechen unter einer Bedingung

Im erstinstanzlichen Verfahren hatte S. ausgesagt, Boateng habe versucht, sie dazu zu bewegen, ihre Vorwürfe zurückzunehmen. Sie habe tatsächlich mit ihm diskutiert, ob sich eine öffentliche Hauptverhandlung vermeiden ließe – etwa bei einem Täter-Opfer-Ausgleich. Boateng dagegen behauptete, S. habe vor der Anzeige eine Geldforderung gestellt und gedroht, zur Polizei zu gehen. S. widersprach dieser Darstellung.

Was aber steckt hinter den Chat-Nachrichten, die Sherin S. im Herbst 2020 von Rebecca S. erhielt, die damals von Boateng getrennt war? Die Frage, ob er sie angestiftet habe, auf Sherin S. einzuwirken, ließen der Spieler und sein Anwalt unbeantwortet. Auch Sherin S. und ihre Anwälte sprachen nicht mit CORRECTIV. Agierte Rebecca S. also in Boatengs Auftrag? Die Influencerin bestreitet das. Boateng habe sie sogar versucht, davon abzuhalten, mit S. zu sprechen. Allerdings lesen sich ihre Nachrichten so, als habe sie sich zuvor mit Boateng besprochen: „Er hat allem zugestimmt, was ich dir gesagt habe.“

Sherin S. indes diskutiert mit Rebecca S. ihre Optionen und schreibt, Boateng solle öffentlich sagen, sie sei mit ihm verlobt, möglicherweise ein Verweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht. Rebecca S. kommt in weiteren Nachrichten immer wieder auf das Thema zu sprechen. Sie scheint vieles zu versprechen: „Das Haus, die Rechnungen deiner Anwälte, Urlaub mit den Kindern, er hat zu allem Ja gesagt.“

Auf Anfrage der SZ teilt Rebecca S. mit, sie habe nur helfen wollen; auch sei Boateng durchaus bereit gewesen, sie zu unterstützen. Sherin S. aber habe dies nicht gereicht. Sie habe gefordert, dass Boateng sich wieder mit ihr verloben und das öffentlich bekannt geben solle. In den Chats mit Sherin S. vom Herbst 2020 scheint Rebecca S. sehr viele große Versprechen zu machen, solange sie nicht mehr aussagt. Es könne aber auch anders laufen. Boateng habe ihr gesagt, dass er „Krieg führen würde“, wenn S. Krieg gegen ihn führe.

 

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