Kampf um Wasser

Reaktion auf CORRECTIV-Recherche: Leag leugnet Schweigedeal – zu Unrecht

Am Samstag hatte CORRECTIV berichtet, dass sich der Kohlekonzern Leag Schweigen über verunreinigtes Trinkwasser erkauft. Die Leag und die Stadt Frankfurt (Oder) widersprechen öffentlich – mit falschen Behauptungen. CORRECTIV fordert nun die Leag und die Oderstadt auf, die schriftliche Vereinbarung zwischen Konzern und Stadt zu veröffentlichen.

von Annika Joeres , Elena Kolb , Katarina Huth

kurzmeldung

Die CORRECTIV-Redaktion bekräftigt ihre Recherche: Für die Aufrüstung des Wasserwerks Müllrose erhielt Frankfurt (Oder) sowie seine städtische Wassergesellschaft FWA fünf Millionen Euro von der Leag– Teil der Vereinbarung ist eine Schweigeklausel: Demnach dürfen sich die Stadt und ihr Wasserversorger auf unbegrenzte Zeit nicht mehr dazu äußern, wenn Vorhaben der Leag ihre Trinkwasserversorgung erschweren oder gefährden. Auch dürfen sie laut dem Deal nicht mehr gegen die Folgen des Cottbuser Ostsees klagen. Sie dürfen also ausgerechnet nicht mehr gegen das Leag-Projekt vorgehen, das aktuell und auch in Zukunft ihr Trinkwasser gefährden könnte.

Nun widersprechen sowohl die Leag als auch die Stadt Frankfurt (Oder).

Umweltrechtler: Verschwiegenheitspflicht gilt uneingeschränkt und zeitlich unbegrenzt

Die Stadt Frankfurt (Oder) nennt die vertragliche Schweigeklausel in ihrer Pressemitteilung eine „logische Loyalitätserklärung im üblichen Rahmen.“ Der Bürgermeister hätte auch nach dem Abschluss des Vergleichs das Recht, darüber zu sprechen, wenn der Bergbau künftig das Trinkwasser in seiner Stadt bedrohe. Die Stadt räumt ein, dass sie zugesagt habe, „verschiedene Arten von Maßnahmen gegen die Leag künftig zu unterlassen.“ Dies sei laut Stadt streng auf den Gegenstand des Vergleiches bezogen, also die Folgekosten der Flutung des Cottbuser Ostsees.

CORRECTIV hat den Passus drei Juristen zur Einschätzung vorgelegt. Den vollständigen Vergleich können wir aus Quellenschutzgründen nicht veröffentlichen.   

Alexander Brade, Umweltrechtler von der Universität Leipzig, sagt auf CORRECTIV-Anfrage: „Sowohl die Stadt Frankfurt (Oder) als auch die Frankfurter Abwassergesellschaft FWA verpflichten sich, sich künftig gegenüber Dritten nicht mehr dazu zu äußern, wenn die Tätigkeiten der Leag die Trinkwasserversorgung Frankfurts gefährdet oder erschwert. Die Klausel beinhaltet eine Verschwiegenheitspflicht, die über den eigentlichen Gegenstand des Vertrages – den Folgekosten der Flutung des Cottbuser Ostsees – hinausgeht.“ Sie gelte „uneingeschränkt und zeitlich unbegrenzt,“ so Brade. 

Verschwiegenheitsklausel schränke Handlungsmöglichkeiten der Stadt „massiv“ ein

Auch der Berliner Umweltrechtler Philipp Schulte bezeichnet den Absatz als eine „Schweige- und Stillhaltevereinbarung“. Laut Schulte spreche alles dafür, dass diese Absätze unwirksam seien, weil staatliche Aufsichtspflichten nicht mehr erfüllt werden können. 

Der Kölner Anwalt Christian Mertens, der sich auch mit Umweltstrafrecht beschäftigt, sagt, dass die „Regelung nicht jegliche negative Äußerung des Bürgermeisters verbietet. Es bedeutet allerdings auch, dass der Bürgermeister nicht frei in seinen Äußerungen ist, wenn Maßnahmen der Leag einen Einfluss auf die Trinkwasserversorgung haben.“ Die Regelung gelte über die Flutung des Cottbuser Ostsees hinaus. 

Pressemitteilung der Leag fehlerhaft: Sulfatwerte am Wasserwerk Briesen steigen seit Jahren kontinuierlich an

Der Kohlekonzern Leag äußerte sich der Lokalpresse gegenüber unmittelbar nach unserer Publikation am vergangenen Samstag. Zuvor hatte CORRECTIV mehrfach versucht, telefonisch und per E-Mail eine Stellungnahme der Leag zu der Recherche zu erhalten – doch der Konzern antwortete nicht. Nun schreibt der Konzern in einer Pressemitteilung, dass die Leag die Trinkwasserversorgung nicht gefährde. Das Unternehmen hätte  gemeinsam mit dem Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg (LBGR) stets darauf hingewiesen habe, dass es zu „keiner Erhöhung der Sulfatbelastung des im Wasserwerk Briesen gewonnenen Trinkwassers kommen wird.“ 

Das ist falsch. Die Messwerte der Frankfurter Wassergesellschaft FWA zeigen, dass die Sulfatwerte seit Jahren kontinuierlich ansteigen. Im Jahr 2002 lag der Sulfatwert im Reinwasser, also dem aufbereiteten Wasser, bei 157,6 Milligramm pro Liter, im Juli 2023 erreichte er den Wert 250 Milligramm pro Liter. Ebenso hat das LBGR in einer Gefährdungsabschätzung für das FWA-Wasserwerk Briesen prognostiziert, dass die Wasserversorgung beeinträchtigt werden kann, etwa in unhgewöhnlich trockenen Zeiten. 

Der Grenzwert für Sulfate liegt laut Trinkwasserverordnung bei 250 Milligramm pro Liter

Weiter heißt es in der Pressemitteilung: „Für Sulfate gibt es keinen Grenzwert, von dem Salz geht keine Gefahr für den Menschen aus.“ Laut Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz Brandenburg schreibt die bundesweite Trinkwasserverordnung sehr wohl einen Grenzwert für Sulfate von 250 Milligramm pro Liter fest. Bei zu hohen Sulfatgehalten im Trinkwasser kann es zu Durchfällen kommen. 

CORRECTIV fordert die Leag und die Stadt Frankfurt (Oder) auf, den Vergleich zu veröffentlichen

Philipp Schönberger, Jurist bei der Transparenzinitiative FragDenStaat, schätzt die Vereinbarung als höchst problematisch ein: „Stadt und Wasserversorger dürfen nicht versprechen, nie wieder die Auswirkungen der Aktivitäten der Leag auf die regionale Wasserversorgung zu kritisieren.“ Die Vereinbarung stehe möglicherweise  im Widerspruch zu den Aufgaben der Daseinsvorsorge und der Pflicht, Mensch und Umwelt vor Gefahren zu warnen und zu schützen.

FragDenStaat hat bereits am 20. und 24. Juli 2023 je eine Anfrage nach Umweltinformationsgesetz an die Stadt Frankfurt (Oder) und die städtische Wassergesellschaft FWA gestellt, den Vergleich mit der Leag in der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von einem Monat herauszugeben. Die FWA hat heute – fünf Wochen nach Ablauf der gesetzlichen Frist – auf die Anfrage reagiert: Sie lehnt das „Auskunftsverlangen mangels gesetzlicher Grundlage“ ab. Es handele sich nicht um Umweltinformationen, außerdem seien bei Veröffentlichung die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Leag verletzt.

„Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, Zugang zu dieser Vereinbarung zu bekommen“, sagt Schöneberger. „Wir werden den Anspruch notfalls mit juristischen Mitteln durchsetzen.“

CORRECTIV fordert die Leag sowie die Stadt Frankfurt (Oder) dazu auf, den Vertrag der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 

Update 28. September 2023: Der erste Satz des Textes lautete ursprünglich „Die CORRECTIV-Redaktion bekräftigt die Kernaussagen ihrer Recherche.“ Wir haben „Kernaussage“ aus dem Satz genommen, da wir die gesamte Recherche bekräftigen.

Haben Sie Hinweise zu Schweigevereinbarungen zwischen Konzernen, Kommunen und Wasserverbänden? Melden Sie sich gern bei uns per E-Mail an: klima@correctiv.org.

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