Steuerfreies Spesengeschenk für Parlamentsmitglieder
Mehr als die Hälfte des Schweizer Parlaments beschäftigt keine persönlichen Mitarbeitenden, kassiert aber dafür geschaffene Spesen. Konkret geht es um die steuerfreie Jahresentschädigung für Sach- und Personalausgaben. Nachweise, wofür das Geld verwendet wird, werden nicht gefordert.
33’000 Franken Spesen erhalten Schweizer Parlamentsmitglieder pro Jahr steuerfrei, um etwa eine persönliche Hilfskraft anzustellen. Eine Auswertung von CORRECTIV in der Schweiz zeigt: Mehr als die Hälfte des aktuellen National- und Ständerats beschäftigt keine persönlichen Mitarbeitenden. Das Geld erhalten die Gewählten trotzdem. Somit fliessen knapp 4,5 Millionen Franken pro Jahr in die Taschen der Parlamentsmitglieder, die keine Angestellten mit Zugang zu vertraulichen Dokumenten beschäftigen. Während einer vierjährigen Amtszeit sind das fast 18 Millionen Franken – bezahlt durch Steuergeld.
Dabei ist der Lohn eines Parlamentsmitglieds nicht gerade gering. Eine Nationalrätin erhält für ihr Amt durchschnittlich rund 12’500 Franken pro Monat, ein Ständerat beinahe 14’000 Franken. Zusätzlich verdienen viele mit ihrem ausserparlamentarischen Job oder indem sie in Verwaltungsräten sitzen. Zu den Entschädigungen im politischen Amt gehören Sitzungsgelder, Spesen für Essen in Höhe von 115 Franken pro Sitzungstag sowie für Übernachtungen, Reisekosten oder eben für persönliche Mitarbeitende. Diese Beiträge erhalten sie grundsätzlich ohne jegliche Prüfung, wofür das Geld tatsächlich verwendet wird.
Politikerinnen und Politiker sollen angemessen bezahlt werden – keine Frage. Doch viele im National- und Ständerat nutzen ihre Spesen, um ihr Einkommen zu verbessern. Zu diesem Schluss kommt das Büro des Nationalrats in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen. „Etliche würden die Beiträge für persönliche Mitarbeitende beanspruchen, um so ihr Einkommen steuerfrei zu optimieren, statt damit eine Unterstützungskraft anzustellen“, heisst es in einem Bericht von 2022. Illegal ist das nicht, fragwürdig durchaus.
Seit 2002 Spesen für persönliche Mitarbeitende
Grundlage für die Jahrespauschale der persönlichen Mitarbeitenden ist das Parlaments-Ressourcengesetz zur Deckung der Personal- und Sachausgaben. Diese soll der Erfüllung des parlamentarischen Mandates dienen. 1972 wurde die sogenannte Jahresvergütung für die Vorbereitungsarbeiten erhöht und in Jahresentschädigung umbenannt. Seitdem gilt sie auch als Ersatz für allgemeine Kosten und Sekretariatsausgaben. Seit 2002 können Ratsmitglieder ihre Mitarbeitenden aus den Geldern der Jahresentschädigung bezahlen. Laut der Verwaltung handelt es sich hierbei um eine Spesenentschädigung, deshalb ist umgangssprachlich von „Spesen für persönliche Mitarbeitende“ die Rede.
Viele Ratsmitglieder stellen persönliche Mitarbeitende ein, die einen eingeschränkten Zugang zu Kommissions-Unterlagen erhalten. Laut Parlamentsverwaltungs-Verordnung muss diese Liste, die Basis unserer Berechnungen ist, von den Behörden veröffentlicht werden. Diese werde laut einer Sprecherin jeden Monat aktualisiert, jedoch nicht archiviert. Auf Nachfrage, wieso nicht, ändert die Verwaltung auf einmal ihre Aussage: Jetzt heisst es, die Liste werde archiviert und sei der Öffentlichkeit auf Anfrage zugänglich.
Was bei der aktuellen Liste vom November auffällt: Bürgerliche Politikerinnen und Politiker verzichten besonders oft auf persönliche Mitarbeitende. In der SVP und Mitte-Fraktion beschäftigt gemäss der Liste der Verwaltung nur ein Drittel persönliche Mitarbeitende. Bei der FDP nutzt mehr als die Hälfte die Spesen für etwas anderes, bei Grünen und GLP weniger als die Hälfte. In der SP erhalten 40 Prozent die Spesen, obwohl sie keine persönlichen Mitarbeitenden beschäftigen.
Wie profitabel die Spesen für Parlamentsmitglieder sind, zeigt eine Studie der Universität Genf von 2017. Laut dieser verdient eine Nationalrätin, die niemanden beschäftigt, 93 Franken pro Stunde vor Steuern. Mit einer persönlichen Mitarbeitenden sinkt der Verdienst um fast ein Drittel auf 65 Franken. Dabei handelt es sich um den Median, das heisst: Eine Hälfte im Rat erhält jeweils mehr, die andere weniger. Ein Ständerat ohne Hilfskraft bekommt 96 Franken pro Stunde vor Steuern, mit einer Angestellten sind es 67 Franken. Auch hier verdient eine Ratshälfte jeweils mehr, die andere weniger.
Darin sieht die Politologin von der Universität Zürich, Sarah Bütikofer, kein grundsätzliches Problem. „In einem Milizparlament ist es allen freigestellt, ob sie persönliche Mitarbeitende beschäftigen oder nicht.“ Schliesslich falle für alle dieselbe Arbeit an. „Wer niemanden angestellt hat, muss die Arbeit einfach selbst erledigen.“ Somit handeln die Mitglieder im National- und Ständerat, die die Spesen für sich selbst nutzen, juristisch korrekt. Doch steht ihnen das Geld auch moralisch zu?
Parlamentsmitglieder mit hohen Einkommen
Mitte-Nationalrat Markus Ritter verdient als Präsident des Schweizerischen Bauernverbands zusätzlich zu Lohn und Spesen aus der Bundeskasse 104’000 Franken pro Jahr. Sein Partei- und Ratskollege Lorenz Hess erhielt als Verwaltungsrats-Präsident der Visana 166’750 Franken im letzten Jahr. Das ist im Geschäftsbericht der Krankenkasse nachzulesen, er selbst deklariert das nicht. Neben etlichen weiteren Mandaten führt er eine eigene PR-Firma. Ritter beantwortet unsere Anfrage nicht. Hess sagt lediglich: „Meine ‘persönlichen Mitarbeitenden’ wurden immer entschädigt, sei es im Angestelltenverhältnis oder auf Mandatsbasis.“
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Selbst einer der aktuell 300 Reichsten im Land, der im Parlament sitzt, verzichtet laut der Liste auf persönliche Mitarbeitende. SVP-Nationalrat Thomas Matters Vermögen wird laut dem Wirtschaftsmagazin Bilanz auf 175 Millionen Franken geschätzt. Er ist Verwaltungsrats-Präsident der Helvetischen Bank, mehrerer Immobiliengesellschaften sowie seiner eigenen Investmentfirma. Auf Anfrage sagt er: „In meinem Family-Office arbeiten zwei Assistentinnen in Teilzeit, die unter anderem auch politische Aufgaben übernehmen, welche ich entsprechend privat vergüte.“ Diese seien nicht auf der Liste der Verwaltung, da sie keinen Zugang zu vertraulichen Unterlagen benötigten. Ausserdem spende er sein gesamtes Gehalt als Nationalrat gemeinnützigen Organisationen.
Problematisch ist auch: Zuständig für die Gesetze und Verordnungen der Entschädigung sind die Parlamentsmitglieder selbst. Eine Revision in naher Zukunft sieht die Politologin nicht. „Änderungen, wie dass der Bund für die Anstellung von Mitarbeitenden pro Parlamentsmitglied zuständig wäre, haben wenig Chancen auf eine Mehrheit“, sagt Bütikofer. Dafür bräuchte es einen Systemwechsel – weg vom Milizparlament.
Ein SP-Vorstoss forderte, die 33’000 Franken pro Jahr auf 10’000 zu senken und persönliche Mitarbeitende direkt auf Kosten des Bunds anzustellen. Damit könnten Ratsmitglieder mit Angestellten weiterhin einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, sich auf das Politische konzentrieren und Administratives den Mitarbeitenden überlassen, so das Argument der Befürworter. Doch bereits in der ersten Diskussion im Nationalrat 2018 scheiterte das Anliegen deutlich.
Bürgerliche Politiker befürchteten höhere Kosten, weniger Flexibilität als mit der heutigen Spesenpauschale und den Verlust des Milizsystems. So warnte SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor damals im Namen der Mehrheit vor einem „kostspieligen Weg der Professionalisierung“ des Parlaments.
„Pseudo-Milizparlament“ sei eine Gefahr für die Unabhängigkeit
Dabei handle es sich laut Bütikofer auf Bundesebene bereits um ein „Pseudo-Milizparlament“, da die Zahl der Vollzeit-Parlamentsmitglieder stetig zunehme. Dies schwäche die Chancengleichheit. Lobbyistinnen und Lobbyisten gewönnen an Einfluss. „Im nationalen Parlament sitzen vorwiegend selbständig tätige Personen, die es sich erlauben können, eine zeitlich befristete und intensive Tätigkeit auszuüben sowie keinen externen Arbeitsplan und keine Vorgesetzte zu haben.“
Viele andere müssten sich beruflich stark zurücknehmen und seien auf ein zusätzliches Einkommen angewiesen. Häufig geschehe das über ein Nebenmandat, wie einen Sitz in einem Verwaltungsrat. „Dies führt nachweislich zu einem stärkeren und intransparenten Einfluss von Einzelinteressen“, sagt Bütikofer. Somit könnten die 33’000 Franken im Jahr einzelnen auch helfen, nicht von Lobbyistinnen und Lobbyisten abhängig zu sein. Wie viele andere Fachpersonen spricht sich die Politologin dafür aus, Parlamentsmitglieder fachlich und finanziell besser zu unterstützen, damit sie nicht auf zusätzliche Einkommen durch Verbände oder Firmen angewiesen sind.
In einem Berufsparlament wie in Deutschland oder der EU ist streng reguliert, welche Nebenmandate Mitglieder ausüben dürfen. Anders in der Schweiz. Zu sehr hängen besonders bürgerliche Politikerinnen und Politiker am idealisierten Milizsystem. Die 33’000 Franken steuerfreie Spesen ohne jede Nachweispflicht nehmen sie aber auch gerne mit.
Text & Recherche: Sven Niederhäuser
Redaktion: Marc Engelhardt
Faktencheck: Hanna Fröhlich, Sofie Czilwik, Elena Schipfer
Datenaufbereitung & Grafiken: Michel Penke, Sven Niederhäuser
Kommunikation: Valentin Zick