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Einseitiger Polizeibericht

Am Montag, bei der großen Pegida-Demonstration in Dresden, zog eine Gruppe von mehreren hundert Rechtsradikalen weitgehend unbehelligt durch die Stadt. Mit Feuerwerkskörpern griffen sie Gegendemonstranten und Polizisten an. Aber: Im Polizeibericht wird die Präsenz einer organisierten rechtsradikalen Gruppierung verschwiegen. Alexej Hock, unser Autor, hat zusammen mit Johannes Filous Straßengezwitscher gegründet, das seit März rechte Aufmärsche in Ostdeutschland per Twitter begleitet. Zur Zeit arbeitet Hock im Berliner CORRECT!V-Büro.

von Alexej Hock

Pegida-Demo: Eine Hundertschaft der Polizei im Dresdner Zwingerpark

Pegida-Demo: Eine Hundertschaft der Polizei im Dresdner Zwingerpark© Alexej Hock

Hunderte Rechtsradikale marschierten am vergangenen Montag durch Dresden, um zu zeigen, wer dort Herr im Hause ist – anlässlich des einjährigen Jubiläums von Pegida. Ihre Route lässt sich leicht nachverfolgen: Dort, wo sie waren, hat es geknallt. Rufe wie „Hier marschiert der nationale Widerstand“ begleiteten die Angriffe auf Gegendemonstranten und Polizisten. Die Gewalt war organisiert und von langer Hand geplant.

Das Problem: Im Polizeibericht war davon später nichts zu lesen. 

Rund 15 bis 20.000 Menschen demonstrierten am Montag für Pegida, ähnlich zahlreich waren die Gegendemonstranten. Beide Seiten hatten bundesweit mobilisiert. Antifa aus Berlin und Leipzig war angereist, Hooligans und Neonazis aus Deutschland und offenbar auch aus dem Ausland waren gekommen. Es war ein Abend, auf den sich beide Seiten seit langem vorbereitet hatten.

Auch wir von Straßengezwitscher. Mit sechs Reportern wollten wir von allen Zügen der Gegendemo berichten, die als Sternmarsch die Pegida-Veranstaltung auf dem Dresdner Theaterplatz umzingeln sollten. Vor allem bei der An- und Abreise erwarteten wir Zusammenstöße.

Hier die Chronologie der Ereignisse:

18:30 Uhr. „Dresden macht sich grade – für Deutschland“, steht auf dem Front-Transparent der Rechtsradikalen. Als sich ihr Demozug dem Theaterplatz nähert, kommt es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Pegida-Anhängern, Polizei und Gegendemonstranten – aus der Menge der Rechtsradikalen werden Böller geworfen.

Die Polizei trennt die Lager vorerst, die Rechtsradikalen werfen weiter unbehelligt Chinaböller. Als der Durchgang zum Theaterplatz geöffnet wird, ziehen die Pegida-Anhänger an uns vorbei. Dabei fliegen Feuerwerkskörper direkt vor unsere Füße. Einer unserer Reporter wird getreten. Der Angreifer ist auf einem Video festgehalten, eine Anzeige haben wir erstattet. Die Polizisten stehen mit dem Rücken zu den Angreifern. Sie handeln nicht.

19:15 Uhr. Über Umwege sind wir zum Theaterplatz gelangt. Auffällig ist, dass am Rand der Veranstaltung junge Männer patroullieren, sie scheinen die Umherlaufenden genau zu mustern. Pressevertreter werden ständig fotografiert und mit Beleidigungen und Drohungen überzogen. Wir können uns nur am Rande der Pegida-Veranstaltung bewegen und fürchten uns um unsere Sicherheit.

Gegen 19:30 Uhr verlassen wir den Theaterplatz. Zwischen Zwinger und Semperoper haben sich rund 100 Gegendemonstranten zusammengefunden. Sie wollen Pegida-Anhänger an der Abreise hindern. Die Polizei hält sie auf Abstand. Durch den Zwingerpark streifen viele dunkel gekleidete junge Leute, es ist unklar, welcher Seite sie angehören. 

Gegen 20:40 Uhr sehen wir eine Straßenbarrikade aus Müllcontainern und Baumaterial. Minuten später wird sie von einer Hundertschaft beiseite geräumt. Die Polizei bereitet sich auf die Abreise der Pegida-Teilnehmer vor. Vor dem Landtag sind Wasserwerfer und viele Polizeikräfte zusammengezogen. Antifa-Anhänger liefern sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei: Sie stellen Baugerüste auf die Straße und rennen weg, wenn die Polizisten anrücken. Mehrere Hundertschaften der Polizei rennen im Laufschritt durch die Straßen und ändern dann plötzlich ohne erkennbaren Grund ihre Richtung. 

Kurz vor 21 Uhr versuchen Gegendemonstranten, durch den Park am Zwingerteich zum Theaterplatz zu kommen. Eine Hundertschaft drängt sie ab. Die Polizei ist rabiat. Einer unserer Reporter wird aus dem Weg geschubst, einem anderen wird die Kamera nach unten gedrückt. Inzwischen sind viele Pegida-Anhänger auf dem Heimweg, rund um den Zwingerteich vermischen sich beide Lager, die Lage ist unübersichtlich. Auch Vermummte sind unter den Umherlaufenden zu sehen.

21:15 Uhr. Gegendemonstranten, die ein Stück weiter weg stehen, um die abziehenden Pegida-Demonstranten mit Pfiffen und Sprechchören zu begleiten, werden von einem Wasserwerfer herab aufgefordert, die Straße zu räumen. Die Gegendemonstranten weichen daraufhin zurück, die Wasserwerfer rücken in Begleitung der Polizei vor.

21:20 Uhr. Mehrere Hundert Rechtsradikale machen sich auf in Richtung Zwingerteich. Das ist auf Video festgehalten. Koordiniert füllen sie den von der Polizei geräumten und verlassen daliegenden Platz und starten von hinter den Wasserwerfern hervor einen Angriff gegen Polizei oder Gegendemonstranten oder beide: Sie werfen Explosionskörper und schießen Leuchtraketen ab. Dazu Sprechchöre: „Hier marschiert der nationale Widerstand.“ Die Polizei scheint überfordert.

Zur gleichen Zeit erfahren wir per Twitter, dass das „Postplatzkonzert“ – hier treten Musiker und Redner auf, um gegen Pegida zu protestieren – abgebrochen werden musste, da es angegriffen wurde. Zwischen 21 und 21:45 Uhr griffen Rechtsradikalen den Platz mit Böllern an – und rühmten sich dessen später auf Facebook. Niemand hindert sie, Polizisten sind nicht in der Nähe.

Als schließlich einige Hundertschaften anrücken, kommt es erneut zu Auseinandersetzungen. Auf einem Video der „Dresdner Morgenpost“ ist zu sehen, wie ein Polizist von einem breit gebauten Mann geschubst wird. Die Polizei hält sich auch hier zurück, Festnahmen sind nicht zu beobachten. Daraufhin entfernen sich die rechten Angreifer und die Lage entspannt sich allmählich.

Gegen 23 Uhr veröffentlicht die Dresdner Polizei einen ersten Bericht. Darin ist nichts von dieser Auseinandersetzung zu lesen. Erst am nächsten Tag sieht sich die Polizei gezwungen, weitere Informationen herauszugeben: „Im Umfeld der gestrigen Versammlungen hat es wiederholt Auseinandersetzungen unterschiedlichster Intensität zwischen den beiden Lagern gegeben. Die Dresdner Kriminalpolizei arbeitet die Vorkommnisse auf“, heisst es da, ohne dass konkrete Fälle genannt werden.

Auch der Zusammenstoß beim Postplatzkonzert taucht im ersten Polizeibericht nicht auf. Hier heißt es nur: „Der Schutz aller Versammlungen konnte gewährleistet werden“.

Der erste Polizeibericht wirkt geschönt. Das fällt auch anderen Medien auf. Wir schreiben:

In der Nacht: Die „Freien Aktivisten Dresden“, selbst ernanntes Sprachrohr für die rechtsradikalen Gruppierungen der Stadt, feiern die Krawalle in einem langen Eintrag auf Facebook: „Wir haben gezeigt, dass Dresden unsere Stadt ist und auch bleibt.“.