Wie der Anti-Korruptions-Fonds von Siemens beste Bedingungen für Vetternwirtschaft schafft
Der Korruptionsskandal kostete Siemens Milliarden. Eine der Auflagen: Sich künftig zu beteiligen am weltweiten Kampf gegen die Bestechlichkeit. Unter anderem finanziert Siemens darum die IACA, eine Anti-Korruptions-Akademie in Österreich. Doch die will sich möglichst wenig in die Finanzen schauen lassen. Neben Siemens fühlen sich an der Akademie vor allem eine österreichische Seilschaft und die Vertreter korrupter Regime wohl. Eine gemeinsame Recherche von CORRECTIV und dem österreichischen Nachrichtenmagazin „News“.
Vor zehn Jahren sorgte Siemens für einen der größten Korruptionsskandale der deutschen Wirtschaft. Der Konzern wurde zu heftigen Geldstrafen und Auflagen verdonnert. Um die Affäre hinter sich zu lassen, machte Siemens außerdem einen Deal mit der Weltbank: über einen Zeitraum von 15 Jahren 100 Millionen US-Dollar für die Bekämpfung von Korruption auszugeben. Die „Siemens Integrity Initiative“ sollte Organisationen fördern, die gegen Korruption kämpfen. Um ein Umfeld zu schaffen für saubere Geschäfte, so der Gedanke. Etwa in Zentralasien, wo sich autoritäre Regime wenig um Transparenz scheren.
Unter anderem unterstützt Siemens mit mehreren Millionen Euro die 2011 gegründete International Anti-Corruption Academy (IACA) in Wien. Diese Förderung zeigt, dass die Siemens-Initiative den eigenen Ansprüchen nicht genügt.
Geleitet wird die IACA auf geheimnistuerische Weise von Martin Kreutner, einem ehemaligen Militär und Beamten des österreichischen Innenministeriums. Wesentliche Aspekte ihrer Finanzen hält die IACA unter Verschluss. Mitglieder einer skandalumwitterten Seilschaft sitzen in Schlüsselpositionen. Wie diese Recherche erstmals zeigt, interessieren sich für deren Aktivitäten inzwischen, ausgerechnet, Anti-Korruptions-Ermittler. Es sind jene Kreise, denen die Siemens Integrity Initiative doch eigentlich das Wasser abgraben wollte.
Was ist die IACA? Die IACA sitzt in Laxenburg vor den Toren Wiens. In der ehemaligen Sommerresidenz der Habsburger hat Österreich der Akademie einen Palast für elf Millionen Euro saniert.
Hier bietet die IACA Sommerkurse und ein Masters-Programm für Anti-Korruptions-Experten aus aller Welt an. Für Staatsanwälte, Anwälte, Mitarbeiter von Rechnungshöfen. Sie sollen lernen, wie sie Korruption aufklären und verhindern können.
Das zentrale Mittel im Kampf gegen Korruption ist Transparenz. Dieses Prinzip sollte erst recht für eine Einrichtung wie die IACA gelten, die anderen die Grundsätze sauberen Arbeitens beibringen will. Doch die IACA-Verantwortlichen verweigern selbst auf mehrmaliges Nachfragen, ihre Finanzberichte zu veröffentlichen.
Eine Akademie für Intransparenz
Wofür die IACA ihr Geld ausgibt, wie viel Geld sie überhaupt zur Verfügung hat, ob unabhängige Buchprüfer ihre Finanzen kontrollieren – niemand kann es gegenchecken. Das dürfte einmalig sein in der Welt der Korruptionsbekämpfer.
Ein Sprecher der IACA bietet eine kuriose Erklärung an: Man könne die Finanzberichte nicht veröffentlichen, weil die Mitgliedsstaaten der IACA sie noch nie angefordert und damit auch noch nie gesehen hätten.
Die IACA funktioniert ähnlich wie die Vereinten Nationen: Staaten treten bei, indem sie die Charta ratifizieren. Mehr als 70 Länder haben das offiziell gemacht. Sie sollen eigentlich die IACA finanzieren.
Tatsächlich sind es laut den spärlichen Informationen auf der Webseite der IACA nur zwei Dutzend Länder, die zum Budget der Akademie beitragen. Darunter Länder, bei denen Korruption einen festen Platz im eigenen Herrschaftssystem hat. Russland zum Beispiel. Und Aserbaidschan. Ihnen ist offenbar daran gelegen, mit ihrem Beitrag an die IACA ihr Image aufzupolieren. Wobei: Viel Geld kommt dabei nicht zusammen. Die meisten Staaten zahlen nur fünfstellige Beträge.
Anti-Korruption: hinter Gittern
Unklar ist auch, ob die Finanzen der selbst ernannten Transparenz-Akademie von unabhängigen Buchprüfern kontrolliert werden. Denn die Finanziers der IACA reden bei der Auswahl der Buchprüfer mit. Ein Interessenkonflikt. Von den drei internationalen Buchprüfern wird einer von Russland entsandt. Doch es mangelt offenbar an guten Kandidaten: Zwei russische Buchprüfer wurden in den vergangenen Jahren nach kurzer Zeit schon wieder abberufen.
Auch im akademischen Betrieb gibt es eine Nähe der IACA zu ihren autokratischen Förderern. In einem der Master-Studiengänge nahmen rund 30 Menschen aus aller Welt teil. Darunter fünf Studenten aus Aserbaidschan, einem der Förderer der IACA. Das zentralasiatische Land wird von Machthaber Ilham Aliyev autoritär geführt. Ein Großteil der Wirtschaft steht unter seiner kleptokratischen Kontrolle. Kritik und Transparenz sind nicht erwünscht.
Unter den Studenten der IACA fand sich auch aserbaidschanischer Staatsanwalt. Er arbeitet in jener Ermittlungsbehörde, die die aserbaidschanische Journalistin Khadija Ismayilova mit erfundenen Vorwürfen hinter Gitter brachte. Ismayilova hatte dem Vermögen des Diktators nachgespürt: alltägliche Arbeit im Kampf gegen Korruption.
Studenten entsetzt
Andere Teilnehmer des Master-Studiengangs waren entsetzt, als sie sich mit Beamten des Aliyev-Regimes im gleichen Klassenzimmer wiederfanden. Das berichten Augenzeugen. Der aserbaidschanische Staatsanwalt durfte auf der Graduiertenfeier seines IACA-Jahrgangs sogar die Abschlussrede halten. Darin lobte er Fürst Clemens von Metternich. Jenen österreichischen Politiker, der im 19 Jahrhundert mit eiserner Hand versuchte, Europa die Reste des Geistes der Französischen Revolution auszutreiben.
Die IACA hat offenbar keine Berührungsängste vor Kleptokraten – und hielt eine ihrer Vollversammlungen in Aserbaidschan ab.
Kenner der IACA erklären ihre mangelnde Transparenz mit dem Führungsstil von Martin Kreutner. Er leite die IACA hierarchisch und geheimniskrämerisch. Jeden Handgriff müssten die Mitarbeiter gegenüber der Leitung der Akademie rechtfertigen, während man selber keinerlei Einblicke in die Finanzen bekommen habe, so der Tenor der Gespräche.
Ein weiteres Indiz: Einige prominente Akademiker haben die IACA nach nur kurzer Verweildauer wieder verlassen. Sie sind aus ihren akademischen Einrichtungen Offenheit und Freiheit gewohnt, etwas, das sie bei der IACA nicht vorfanden. Aus Angst vor Nachstellungen wollte sich niemand namentlich zitieren lassen.
Während man auf der Webseite der IACA vergeblich nach detaillierten Informationen über ihre Finanzen sucht, ist das Geltungsbedürfnis von Kreutner dort nicht zu übersehen. Die Pressemitteilungen und Bildergalerien bestehen vor allem aus einer endlosen Prozession der Botschafter aus den Mitgliedsstaaten, die Kreutner bei der IACA ihre Aufwartung gemacht haben. Die IACA soll offenbar im weltweiten Konzert der UN-Organisationen mitspielen.
Tatsächlich ist es die Republik Österreich, in der Kreutners Name jetzt bereits zum zweiten Mal in skandalträchtigem Umfeld auftaucht. Wie hier erstmals berichtet wird, waren Kreutner, der Vertreter Österreichs im Aufsichtsrat der IACA und ein österreichischer Buchprüfer der IACA rund um einen Fonds der öffentlichen Hand involviert, mit dem sich jetzt Staatsanwälte beschäftigen. Eine mögliche Beziehung zwischen den dreien wirft ernste Fragen in Bezug auf die Kontrollmechanismen der IACA auf, die sich zu einem Gutteil aus Steuergeldern finanziert.
Die lokalen Skandale
Es geht um Folgendes: Ein zum österreichischen Innenministerium gehörender Fonds soll nach einem Bericht des österreichischen Rechnungshofs aus dem Jahr 2015 rund 200 Wohnungen um sechs Millionen Euro zu günstig verkauft haben. Mit diesen Geschäften beschäftigen sich staatliche Ermittler bis heute.
Bereits im Jahr 2007 kam der Fonds auf die Idee, sich von externen Experten bei der Vorbeugung von Korruption beraten zu lassen. Und zahlte dafür laut dem Rechnungshofbericht 60.000 Euro plus Umsatzsteuer. Und das obwohl einer der Experten bereits beim Innenministerium arbeitete: eben jener Martin Kreutner, der heute die IACA leitet. Mit dabei war auch Hermann Feiner, der Österreich heute im Aufsichtsrat der IACA vertritt.
Das ist reichlich merkwürdig: Ein Beamter des Innenministeriums taucht in einem Projekt auf, für das seine Behörde ein kräftiges Honorar zahlt. Ermittler des österreichischen Bundesamts zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) warfen zuletzt die Frage auf, ob für das Honorar überhaupt angemessene Leistungen erbracht wurden.
„Aus den vom (Fonds) übermittelten Unterlagen kann aus Ermittlersicht nicht geschlossen werden, dass hier von (…) zu wenig verrechnet wurde, ganz im Gegenteil besteht viel eher der Verdacht, dass dem Betrag von € 60.000 keine entsprechenden Leistungen gegenüberstanden“, heißt es in einem Zwischenbericht der BAK-Ermittler.
Die Strasser-Clique
Kreutner erklärte zu dem Fonds, er habe in seiner dienstlichen Tätigkeit im Rahmen der Präventionsarbeit für mehrere Behörden Vorträge gehalten – und zwar unentgeltlich. Er habe keinem Fonds dafür ein Entgelt verrechnet. Zu dem heutigen IACA-Aufsichtsrat Feiner habe er nie eine „geschäftliche Beziehung“ gehabt. Feiner, der heute im Innenministerium arbeitet, reagierte nicht auf eine Anfrage.
Kreutner und Feiner sind nicht die einzige personelle Connection zwischen der IACA und dem skandalträchtigen Fonds. Es handelt sich um ein Geflecht, das rund um den früheren Innenminister Ernst Strasser entstand. Der Politiker der konservativen ÖVP-Partei wurde 2014 als Abgeordneter des Europäischen Parlaments wegen Bestechlichkeit zu drei Jahren Haft verurteilt.
In diesem Umfeld bewegt sich auch noch der frühere Steuerberater des Integrationsfonds, der seit Jahren auch für die IACA tätig ist. Pikanter Weise kaufte der Steuerberater einst eine jener Wohnungen, die in den aktuellen Ermittlungen eine Rolle spielen.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem Fonds richten sich gegen keinen der drei. Strafrechtliche Vorwürfe stehen nicht im Raum. Kreutner sagte auf Anfrage, er habe den Steuerberater nur einmal persönlich getroffen.
Auf Fragen zur mangelnden Transparenz der IACA sowie ihre Nähe zu autoritären Regimen antwortete Kreutner wenig konkret. Alle Projekte seien von unabhängigen Wirtschaftsprüfern geprüft. „IACA hat trotz sehr spärlicher Ressourcen und verbesserungsfähiger Unterstützung durch die Mitgliedsstaaten in kurzer Zeit breite internationale Anerkennung erfahren“, schreibt Kreutner.
Kritik an den Verbindungen der IACA zu autoritären Regimen weist er zurück. Schließlich habe der UN-Menschenrechtsbeirat die Programme der IACA im Jahr 2015 explizit als förderlich für die Verbesserung der Menschenrechtslage anerkannt. „Dass wir hierzu auch in allen Ländern – und nicht nur den korruptionsfreien – tätig sein sollen, ist ureigenster Zweck einer internationalen Organisation.“
Konnte Siemens ahnen, dass wichtige Funktionsträger der IACA in Zusammenhang mit österreichischen Skandalen auftauchen würden? Auf jeden Fall muss sich der Konzern – angesichts der mickrigen Beiträge der Mitgliedsstaaten vielleicht der wichtigste Förderer der IACA – die Frage gefallen lassen, warum er ausgerechnet mit einer derart intransparenten Einrichtung wie der IACA zusammenarbeitet. Siemens teilte auf Anfrage lediglich mit, die IACA habe über die Verwendung der Mittel im Detail berichtet.
Vorreiterrolle? Von wegen.
Zumal Siemens selbst zwischenzeitlich mehr Transparenz bei der IACA anmahnte. Siemens förderte die IACA zunächst mit etwa zwei Millionen US-Dollar. Nach den ersten Erfahrungen warf am 4. Dezember 2013 eine Siemens-Mitarbeiterin in einer Email an IACA-Chef Kreutner die Frage auf, ob die Akademie nicht ihre Finanzen transparent darlegen könne. Wie es bei anderen Geldempfängern der Siemens-Initiative der Fall sei. „Wir sind der Meinung, dass Transparenz wichtig ist für die Glaubwürdigkeit von Organisationen, die sich der Förderung von Ethik, Integrität und dem Kampf gegen Korruption verschrieben haben“, schrieb sie.
Konkret mahnte die Siemens-Vertreterin auch eine genauere Aufschlüsselung der Personalkosten der IACA an. Trotzdem erhöhte das Unternehmen die Förderung für den zweiten Fünf-Jahres-Zeitraum der Siemens Integrity Initiative noch auf fünf Millionen US-Dollar.
Die Siemens-Mitarbeiterin schrieb in ihrer Email an Kreutner: Die von Siemens geförderten Projekte sollten doch eine Vorreiterrolle bei der freiwilligen Veröffentlichung von Informationen spielen. Das lässt von der Akademie mit Sicherheit nicht sagen.
Diese Recherche ist eine Kooperation mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin „News“