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Panzerlobby kann auf Türkei-Deal hoffen

Bevor Außenminister Gabriel öffentlich einen Panzerdeal mit der Türkei verteidigte, traf er den Chef des Rüstungskonzens Rheinmetall. Der Bau einer Panzerfabrik in der Türkei rückt näher, trotz aller Dementis. Eine gemeinsame Recherche mit #ÖZGÜRÜZ und dem Magazin „stern“.

von Hans-Martin Tillack , Frederik Richter

Außenminister Sigmar Gabriel mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu in Goslar Anfang Januar.© Tobias Schwarz / afp

Sigmar Gabriel spricht von einer „irren Vorstellung“. Mit deutscher Hilfe soll eine Panzerfabrik für die Türkei entstehen? „Ich weiß nicht, wie man auf solche Ideen kommt“, beteuerte der Außenminister dieser Tage nach einem Besuch seines türkischen Ministerkollegen in Gabriels Heimatstadt Goslar.

Tatsächlich rückt die Verwirklichung dieser irren Idee immer näher; das ergeben neue Recherchen des „stern“ und von #ÖZGÜRÜZ, der türkischsprachigen Redaktion von CORRECTIV. Und selbst Sigmar Gabriel macht sich neuerdings öffentlich für etwas stark, was noch vor ein paar Monaten undenkbar schien: Dem deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall soll erlaubt werden, Dutzende Leopard-Panzer der türkischen Armee nachzurüsten. Er sehe „keine richtige Argumentation, warum wir das verweigern sollen“, sagt Gabriel.

Der Außenminister erwähnt dann den türkischen Einsatz gegen die Terrormiliz IS. Er spricht davon, dass die türkischen Panzer gegen Minen geschützt werden sollen. Tatsächlich geht es offenkundig um das sogenannte Hard-Kill-System von Rheinmetall.

Mit ihm könnten die Leoparden in die Lage versetzt werden, anfliegende Gefechtsköpfe durch Gegenbeschuss auszuschalten. Etwa 100 ihrer Leos würden die Türken laut Berichten von Branchendiensten gern nachrüsten. Zuletzt hatten sie bei Kämpfen in Nordsyrien um die zehn Panzer durch Beschuss und Minen verloren.

Eigentlich hatte die Bundesregierung wegen der Menschenrechtsverletzungen unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt, weniger Rüstungsexporte Richtung Türkei zu erlauben. Und eigentlich ist die Menschenrechtslage am Bosporus gleichbleibend schlecht. So sehen es selbst Parteifreunde von Gabriel im Bundestag.

Hoffnung für Deniz Yücel?

„Ich halte wenig davon, in der gegenwärtigen Situation Rüstungsgüter in die Türkei zu liefern“, sagt etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Hitschler. Noch schärfer formuliert es die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger: „Die schlimme Menschenrechtslage in der Türkei und das gewaltsame Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden verbieten jeden Rüstungsdeal mit Präsident Erdoğan“, sagt sie.

Doch aus Sicht von Sigmar Gabriel zählt etwas anderes. Er lobt, dass mehrere deutsche Staatsbürger aus der Haft in türkischen Gefängnissen entlassen wurden. Selbst für den seit fast einem Jahr inhaftierten „Welt“-Journalisten Deniz Yücel gibt es neuerdings Hoffnung.

Der lehnt zwar „schmutzige Deals“ ab und will seine Freilassung nicht „mit Panzergeschäften von Rheinmetall oder dem Treiben irgendwelcher anderen Waffenbrüder befleckt wissen“. Käme Yücel wirklich frei, wäre das in der Tat ein schöner Erfolg für den Außenminister.

Dass er gleichzeitig den Panzer-Deal unterstützt, ist aber auch ein schöner Lobbyerfolg für die Leute bei Rheinmetall. Konzernchef Armin Papperger hatte Gabriel nach Recherchen des „stern“ erst im Herbst zu einem Gespräch getroffen und für seine Pläne geworben, zusammen mit Hans-Hermann Tiedje, dem Aufsichtsratschef der PR- und Lobbyagentur WMP Eurocom. Sie hat schon in der Vergangenheit für Rheinmetall und andere Rüstungskonzerne gearbeitet.

Bei Rheinmetall wirbt man schon länger mit der gleichen Begründung für die Nachrüstung der türkischen Leoparden, die sich jetzt auch der Außenminister zu eigen gemacht hat: Das diene dem Kampf gegen den Islamischen Staat. Widerspruch gegen dieses Argument kam jedoch bereits von Guido Steinberg, Terrorexperte bei der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Die letzten Gebiete der Terrormilizen lägen deutlich außerhalb der Reichweite türkischer Bodentruppen, sagte Steinberg der ARD: „Dass die Türkei in Zukunft noch den IS bekämpfen könnte, ist einfach falsch“, so der Experte. Durchaus zu erwarten sind dagegen weitere türkische Militäreinsätze gegen Kurden in Syrien und dem Irak.

Pappergers Firma winkt nun dennoch nicht nur ein Auftrag im Wert von geschätzt 250 Millionen Euro für das Upgrade der Leoparden. Dem Konzern könnte damit überdies der Einstieg in die Panzerproduktion in der Türkei gelingen – also genau das, was der Außenminister als so abwegig abgetan hat.

Geschäfte mit Erdoğans Freunden

Bereits im Herbst 2016 hatten die Düsseldorfer ein Joint Venture mit dem türkischen Unternehmer und Erdoğan-Freund Ethem Sancak gegründet. Bei Rheinmetall erhofft man sich via Ankara lukrative Geschäfte, auch durch den Weiterexport von Waffen in den Nahen Osten und andere Teile der Welt. Das passt in die Strategie der „Internationalisierung“, die man bei Rheinmetall schon seit Jahren verfolgt. Mit ihr kann das Unternehmen deutschen Exportrestriktionen leichter entkommen.

Erdoğan wiederum hätte gern Hilfe beim Bau des türkischen Kampfpanzers Altay. Die Ausschreibung läuft noch. Doch die Rheinmetall-Partnerfirma BMC gilt als Favorit; immerhin ist Firmenchef Sancak sogar Vorstandsmitglied in der islamistischen AKP-Partei des Präsidenten. Jetzt kommt den Rheinmetall-Partnern womöglich zu Gute, dass sich Erdoğan erst Ende Dezember die zuständige militärische Beschaffungsbehörde persönlich unterstellen ließ – per Notstandsdekret.

In einer neuen Fabrikanlage von BMC in Karasu drei Autostunden östlich von Istanbul könnten die Panzer entwickelt und gebaut werden. „Es gibt keine Panzerfabrik und keine Pläne dafür“, beteuerte Rheinmetall zwar noch vor wenigen Monaten. Doch Mitarbeiter des Konzerns arbeiteten – wie „stern“, CORRECTIV und #ÖZGÜRÜZ im August berichteten – bereits im vergangenen Jahr an Unterlagen für das 222 Hektar große Areal. BMC-Chef Sancak will dort künftig Busse, Lastwagen und Motoren bauen lassen, aber auch Militärfahrzeuge.

Arbeiten in vollem Gange

Eine #ÖZGÜRÜZ-Journalistin besuchte am Wochenende das Areal nahe der Schwarzmeer-Küste. Dort waren die Bauarbeiten auch am Sonntag voll im Gange. Bagger fällten Bäume; ein beachtliches Terrain haben sie – anders als noch im vergangenen August – bereits gerodet. Videoaufnahmen seien hier verboten, ermahnten Mitarbeiter vor Ort die Reporterin.

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Bagger bereiten das Gelände an der Schwarzmeerküste vor.

ÖZGÜRÜZ / Onur Öncü

In Karasu soll ein großes Industriezentrum aus dem Boden gestampft werden. Geplant sind eine Eisenbahnverbindung und eine Autobahnverbindung nach Istanbul sowie ein neuer Hafen.

Die Anwohner sorgen sich vor allem um die Umwelt: die Strände der Region und die küstennahen Feuchtgebiete, die teilweise unter Naturschutz stehen. Ein lokales Gericht habe in erster Instanz den Bebauungsplan wegen dieser Bedenken gestoppt, sagt der ehemalige Gemeindevorsteher Bülent Ülkü. Doch die Bauarbeiten seien einfach weiter gegangen.

Von der Idee zur Realität

Wie schon im Sommer flatterten vor dem Gebäude der BMC-Bauleitung auch die Flaggen der Türkei und von Katar. Dem Scheichtum gehören fast 50 Prozent von BMC. Es ist damit indirekt auch an dem Joint Venture zwischen Rheinmetall und der türkischen Partnerfrma beteiligt.

Aber deutsche Hilfe beim Bau von Kampfpanzern in der Türkei? Das hat Gabriel eigentlich explizit abgelehnt; er habe auch bei dem Treffen mit Papperger und Tiedje „beiden Herren seine ablehnende Haltung gegenüber bestimmten Formen des Rüstungsexports erläutert“, heißt es im Auswärtigen Amt. Doch schon in einer Präsentation im Dezember 2015 hatte ein Rheinmetall-Manager die jetzt von Gabriel befürwortete Nachrüstung der Leoparden als ein „Schlüsselprojekt“ des Gemeinschaftsunternehmens bezeichnet.

Rheinmetall würde diese Arbeiten gerne zusammen mit BMC übernehmen – in der Türkei. Dank des Leo-Upgrades, so sagen es Insider, könnten die Partner damit beginnen, in der Republik am Bosporus das Personal zu finden und auszubilden, das für den künftigen Bau eigener Kampfpanzer gebraucht wird. Aus einer irren Idee – würde so Realität.

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Der Autor Hans-Martin Tillack ist Redakteur beim Magazin „stern“.