Wenn Beamte und Politiker Dokumente mit nach Hause nehmen
Am Ende ihrer Amtszeit nehmen Politiker schon einmal Unterlagen mit in ihre Privatarchive. Der Zugang zu diesen Dokumenten ist bisher verwehrt. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt jetzt einen Weg auf.
Am Ende seiner langen Amtszeit soll Helmut Kohl Dokumente aus dem Bundeskanzleramt einfach mit nach Hause genommen haben. Anstatt sie ins Bundesarchiv zu geben. Auch von Helmut Schmidt fehlen Unterlagen im Archiv. Ein häufiges Problem, bestätigt der Präsident des Bundesarchivs Michael Hollmann gegenüber CORRECTIV. Obwohl Behörden verpflichtet sind, Unterlagen aufzubewahren.
Das Bundesarchiv ist der Ort, wo die Papiere nach einigen Jahren eigentlich landen sollten. Damit die Öffentlichkeit Zugang zu ihnen hat und das Handeln von Beamten und gewählten Politikern überprüfen kann. In der Ära Kohl zum Beispiel gibt es noch nicht aufgeklärte Skandale wie Schmiergeldzahlungen bei der Privatisierung der ostdeutschen Leuna-Raffinerie Anfang der 1990er Jahre und der Parteispenden-Skandal der CDU.
Bürger haben grundsätzlich das Recht, Akten und Dokumente aus der Verwaltung einzusehen – schwierig wird es aber dort, wo diese Akten sich nicht in den staatlichen Archiven, sondern im Privatbesitz befinden. Etwa weil Beamte oder Politiker die Papiere nach Ende ihrer Amtszeit mit nach Hause genommen haben. Und sie anschließend an private Archive, zum Beispiel von Parteistiftungen oder Unternehmen, gegeben haben.
Der Fall
Offiziell hat Israel keine Atomwaffen. Doch es gibt Hinweise (etwa geleakte Emails des ehemaligen US-Außenministers Colin Powell), dass Israel sehr wohl welche besitzt. Es gibt schon lange Spekulationen, dass Deutschland Anfang der 1960er Jahre bei der Beschaffung geholfen hat: mit 630 Millionen Mark. Die Gelder sollen Teil der sogenannten Aktion „Geschäftsfreund“ gewesen sein.
Die Historikerin und Journalistin Gabriele Weber will genaueres über diese Aktion herausfinden. Dabei sucht sie nach bestimmten Dokumenten: Unterlagen des ehemaligen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, Hans Globke, und des ehemaligen Vorsitzenden der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Herrmann Abs.
Privatarchive
Die Papiere, die Gabriele Weber für ihre Recherche braucht, befinden sich aber in Privatarchiven, genauer: bei der Deutschen Bank und der Konrad Adenauer Stiftung. Die haben ihr die Einsicht in die Dokumente weitgehend verweigert. Um dennoch Einsicht zu bekommen, hat sie das Bundesarchiv verklagt.
Weber und ihr Anwalt argumentieren, dass die Akten eigentlich im Bundesarchiv liegen sollten und sie daher über die Zugangsrechte eingesehen werden dürften. Die Richter aller Instanzen entschieden aber anders. Sie sagen, dass die Gesetze nur für Akten gelten, die sich tatsächlich in der Behörde befinden.
Es geht um eine „Privatisierung“ von Akten, wie es der Präsident des Bundesarchivs, Michael Hollmann nennt. Er ist auch unzufrieden, wenn Akten in privaten statt in staatlichen Archiven landen.
Historikerin Weber geht weiter und legt eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Unterstützt hat sie dabei der Verein „Forum Justizgeschichte“. Dieter Dieseroth, Mitglied des Vereinsbeirats und ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht hat ein detailliertes Gutachten für diesen Fall geschrieben.
Auch da das Hauptargument: Dokumente, die im Amt erstellt werden, müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Die Tatsache, dass sie in einem Privatarchiv liegen, kann nicht heißen, dass die Auskunftsrechte plötzlich nicht mehr gelten.
Die Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Beschwerde ab. Allerdings gab es einen entscheidenden Hinweis: Weber hätte einen sogenannten Wiederbeschaffungsantrag an das Bundeskanzleramt stellen sollen – an die Behörde, die die Akten vor vielen Jahren erstellt hat.
Der Bund könne die Akten schließlich auf Grundlage mehrerer Gesetze zurückfordern: etwa weil die Dokumente Eigentum des Staates sind, oder weil die Dokumente als öffentlich-rechtlich gelten. Das würde also bedeuten, dass der Staat auch über Akten im Privatbesitz verfügen kann.
Am Tag nach der Verkündung der Entscheidung im Juni haben Weber und ihr Anwalt einen entsprechenden Antrag an das Kanzleramt gestellt. Bisher haben sie noch keine Antwort erhalten.
Was bedeutet das?
Wer also Akten haben möchte, die sich nicht in einer staatlichen Behörde sondern in Privatbesitz befinden, sollte einen Antrag auf Wiederbeschaffung bei der (ehemals) zuständigen Behörde stellen.
Wenn der Antrag erfolglos ist, könnte die Behörde verklagt werden. Diesen Weg empfiehlt zumindest das Bundesverfassungsgericht.