Für Heidelberg ist es ein Tag wie jeder andere.

Für China ist er entscheidend.

Einer der führenden chinesischen Quantenforscher kommt endlich nach Hause. 

Und er bringt sein ganzes Labor mit.

Fragwürdige Forschungskooperation: Wie die Uni Heidelberg Teil von Chinas Quantenstrategie wurde

Der
Quanten
Coup

Wie die Uni Heidelberg Teil von Chinas Quantenstrategie wurde

Fragwürdige Forschungskooperation: Wie die Uni Heidelberg Teil von Chinas Quantenstrategie wurde

Der
Quanten
Coup

Wie die Uni Heidelberg Teil von Chinas Quantenstrategie wurde

13. Juni 2023

An diesem Tag im Jahre 2009 wird ein hochkarätiges Quantenlabor einer deutschen Universität an eine chinesische verfrachtet, die später Verträge mit der Rüstungsindustrie schließen wird. Bei dem Umzug wandert nicht nur teures Material über die Landesgrenze, sondern auch Mitarbeitende. So kaufte sich China geballtes Wissen um eine Technologie mit riesigem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Potential ein.  

Der Laborumzug ist seit 2019 bekannt. Damals veröffentlicht eine US-amerikanische Sicherheitsfirma einen Report dazu. Die Washington Post berichtete in mehreren Artikeln darüber, auch die Wirtschaftswoche griff das Thema 2022 auf. Konsequenzen blieben bislang aus.

Quanten-Forschungskooperation zwischen Uni Heidelberg und China läuft seit zwei Jahrzehnten

Es ist nicht der einzige Vorgang zwischen der Universität Heidelberg und der Volksrepublik, der Fragen aufwirft. Seit Jahrzehnten gibt es einen Wissenstransfer zwischen Deutschland und China. Und das, obwohl Expertinnen immer wieder darauf hinweisen, dass Quantentechnologie auch militärisch genutzt werden könnte. Vor allem für verschlüsselte Kommunikation. CORRECTIV und Deutsche Welle konnten jetzt neue Dokumente einsehen, Geldflüsse nachvollziehen und mit Verantwortlichen und Zeugen in Heidelberg sprechen. So rekonstruierten wir eine über zwei Jahrzehnte umspannende Forschungsbeziehung. 

Im Zentrum dieses Austausches stehen zwei Quantenforscher: Der Chinese Pan Jian-Wei und der Deutsche Matthias Weidemüller.

Pan Jian-Wei
China-Heidelberg-Quanten-Militaer-Matthias-Weidemueller-Foto
Matthias Weidemüller
China-Heidelberg-Quanten-Militaer-Matthias-Weidemueller-Illustration

Beide lernten sich in den 2000er-Jahren an der Universität Heidelberg kennen. Es ist eine Zeit, in der Deutschland und China sich politisch annähern, in der eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen gewünscht und gefördert wird. 

Seitdem hat sich viel getan: Aus dem einstigen Partner China ist ein „Systemrivale“ geworden. Doch diese beiden Männer halten bis heute den Wissenstransfer zwischen Heidelberg und China am Laufen. Deren Beziehung ist geprägt vom gemeinsamen Interesse an Quanten. Es geht aber auch um viel Geld, Einfluss und um Reputation in der Wissenschaftsszene. 

Der Austausch der Forscher hat weitreichende Folgen. China entwickelt neue, disruptive Quantentechnologien, die unsere Zukunft beeinflussen werden.

Das sagen die Beteiligten

Sowohl der deutsche Forscher Weidemüller, als auch die Universität Heidelberg betonen konfrontiert von CORRECTIV und Deutsche Welle, dass an der Hochschule nur Grundlagenforschung betrieben werde. Pan Jian-Wei sagt, dass im Grunde jede Forschung auch für militärische Zwecke eingesetzt werden könnte. Wissenschaftler könnten das „nicht vorhersehen“.

Kapitel #01

Quanten verstehen, Freunde finden​

Kapitel #01

Quanten verstehen, Freunde finden​

»Die seltsamen Eigenschaften der Quantenwelt faszinieren mich, also habe ich mir ein Ziel gesetzt: mich mit Quanten auseinanderzusetzen und Freunde zu finden.«

Pan Jian-Wei

Es ist Hochsommer, als der 33-jährige Pan Jian-Wei in Heidelberg ankommt. Die nächste Etappe seiner Mission kann beginnen. 

Nach seinem Studium an der University of Science and Technology (USTC) im chinesischen Hefei macht er in Innsbruck und Wien seinen Doktor. Später arbeitet er dann in Wien bei dem Quantenforscher Anton Zeilinger, der im Jahr 2022 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden wird. 

Tag und Nacht verbringt Pan im Labor, beherrscht vom Wunsch, Quanten zu verstehen. Dann zieht er weiter nach Wien, wo er ein Institut für Experimentalphysik leitet.

Genug ist ihm das aber noch nicht. Er will Forschung auf Spitzenniveau betreiben. Das geht nur mit der richtigen Uni im Rücken.

Die Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg brachte zahlreiche Nobelpreisträger hervor. Sie ist die älteste Hochschule Deutschlands und genießt einen überragenden Ruf. Sie ist perfekt geeignet für hochkomplexe Experimente. Perfekt geeignet für Pan. Also heuert er im Juli 2003 dort an.

Pan Jian-Wei kommt 2003 als Quantenforscher an die Universität in Heidelberg (Foto: Stefan Czimmek, ©DW)
Pan Jian-Wei kommt 2003 als Quantenforscher an die Universität in Heidelberg (Foto: Stefan Czimmek, ©DW)

Hier in Heidelberg will der junge chinesische Forscher richtig loslegen. Schnell findet er einen Verbündeten: Jörg Schmiedmayer, den er aus Innsbruck kennt. 

Der Physikprofessor ist wie Pan an der Quantenkommunikation interessiert. Gemeinsam tüfteln sie ab 2004 an winzigen atomaren Schaltkreisen. Eine Kernfrage der Forscher: Wie kann man sichere Kommunikation über weite Distanzen möglich machen?

Säulendiagramm großer deutscher und EU-Förderung für Pan Jian-Wei 2004–2008 (in Millionen Euro) Säulendiagramm großer deutscher und EU-Förderung für Pan Jian-Wei 2004–2008 (in Millionen Euro)

Gemeinsam besorgen sie in den kommenden Jahren mehrere Millionen Euro an Fördergeldern. Das Geld kommt aus Töpfen der EU (), von der Baden-Württemberg-Stiftung (), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) () oder der Humboldt-Stiftung (). Das zeigen Dokumente, die CORRECTIV und Deutsche Welle einsehen konnten.

Für ein Projekt fließt rund eine Million Euro von der EU an die Forschungsgruppe von Pan. Pan hebt in der Beschreibung dieser Arbeit im Vertrag hervor, dass bei allen Bereichen der Quantenforschung die Quantenkommunikation am ausgereiftesten sei – und „viel näher an realistischen Anwendungen“.

Bemerkenswert ist vor allem dieser eine Satz: „Das Potenzial der Quanteninformationstechnologie wird allmählich von kommerziellen Unternehmen und Verteidigungseinrichtungen erkannt.“ 

Verteidigungseinrichtungen – sprich das Militär. 

Schon kurz nach seiner Ankunft in Heidelberg deutet Pan in einem Vertrag von 2004 also eine mögliche militärische Anwendung seiner Forschung an. Ein Vertrag, der der Uni Heidelberg und der EU seitdem vorliegt.

Das sagen die Beteiligten

„Zum Zeitpunkt meiner Statements habe ich mich auf öffentliche Quellen gestützt, wie zum Beispiel der wachsende Fokus auf Quantentechnologie der US-amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA)“, sagt Pan heute zu der Vertragspassage. Seiner Einschätzung nach könnte die Entwicklung jeder Technologie für militärische Zwecke eingesetzt werden. Das Ziel aus dem Vertrag 2004 sei bis heute nicht erreicht. „Das beweist, dass Quantenforschung Wissenschaft unter blauem Himmel ist.“ Der Weg zu einer breiten Anwendung sei lang.

Die Universität Heidelberg schreibt auf die Frage, warum sie das Projekt bewilligte: „Wir haben wiederholt dargelegt, dass die Quantenforschung an der Universität Heidelberg Grundlagenforschung war und ist.“ 

Ein Beamter der EU-Kommission teilt mit, dass heute andere Richtlinien für die Bewertung solcher Projekte gelten würden. Damals habe es noch keine spezifischen Kriterien für Dual-Use-Anwendungen gegeben. In Bezug auf die Zusammenarbeit mit China, hätten sich die Voraussetzungen tiefgreifend verändert. Im Jahr 2021 wurden neue Richtlinien erlassen, die die Frage nach ausländischer Einflussnahme im Bereich der Forschung adressierten.

Pan Jian-Wei hält Kontakt zur USTC in China und forscht auch dort zu Quanten

Während seiner gesamten Zeit in Europa hielt Pan nach eigener Aussage auch den Kontakt zur USTC aufrecht, der Uni, an der er seine ersten wissenschaftlichen Schritte machte. Mehr noch: Während er in Heidelberg die „Quantum Optics and Quantum Information Group“ gründete, suchte er in China nach jungen Talenten und hielt für die USTC Vorträge. Auch dort, in Hefei, gründete er nebenher eine eigene Forschungsgruppe. Allein 2004 pendelte er sechs Mal hin und her. Kurz: Pan fuhr zweigleisig.

2008, fünf Jahre nach seiner Ankunft in Heidelberg, kehrt Pan nach China zurück. Ein Jahr später wird er noch zum Honorarprofessor der Baden-Württemberger Hochschule ernannt.

Mission erfüllt, fürs Erste.

»Während ich mich mit großem Enthusiasmus mit Quanten befasse, habe ich das Land im Visier und kann es kaum erwarten, dass das Mutterland schnell mit der Entwicklung dieses aufstrebenden Technologiefelds Schritt halten und diese Gelegenheit nutzen kann.«

Pan Jian-Wei

Kapitel #02

Gute Freunde in Heidelberg

Pan bringt Souvenirs von unschätzbarem Wert mit nach Hause: neben seinem Labor – für das aus China 170.000 Euro bezahlt wurden – wandern auch drei hochkarätige Projekte über die Landesgrenzen. Darunter eines zu sogenannten „Quantenspeichern“. Es geht darum, Signale für die Informationsübertragung so zu speichern, dass sie nicht verloren gehen.

Man kann sich das vorstellen wie sehr kleine Kühlschränke, in denen die Atome liegen, die sich später über lange Strecken miteinander austauschen sollen. Ein Meilenstein für die sichere Quantenkommunikation. Pan wird mit seinen Arbeiten zum Superstar in der Wissenschaftsszene. In China nennen sie ihn längst „den chinesischen Einstein“. Das ist nicht einmal übertrieben: Tatsächlich trägt Pan mit seiner Arbeit dazu bei, Albert Einstein in zentralen Punkten zu widerlegen.

Während Pan seine Forschungen in China weiter vorantreibt, beginnt sein Kollege Matthias Weidemüller mit der Arbeit an der Universität Heidelberg. 

Die beiden könnten sich unähnlicher nicht sein. Der eine wird in eine Welt der staatlichen Kontrolle hineingeboren, der andere in die junge westdeutsche Nachkriegsdemokratie. Aber sie eint die Faszination für Quantenphysik. 

Weidemüllers Geschichte ist die eines rasanten Aufstiegs: Wie Pan arbeitet er ebenfalls als Gastwissenschaftler mit einem Forscher zusammen, der später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird, Theodor Hänsch.

Nach Stationen in Garching, Amsterdam und Freiburg, kommt er 2008 als Lehrstuhlprofessor für experimentelle Physik nach Heidelberg. Genau in dem Jahr, als Pan zurück nach China geht. In diesem Zeitraum lernen die beiden sich kennen.

Nach seiner Ankunft in Heidelberg leitet Weidemüller eine Forschungsgruppe zum Thema „Quantum Dynamics of Atomic and Molecular Systems“ und übersteht dem hauseigenen Zentrum für „Quantum Dynamics“.

Weidemüller in Chinas Tausend-Talente-Programm

Ebenso schnell steigt Weidemüller auch in der Gunst Chinas: Als einer von wenigen ausländischen Forschern wird er 2013 in das prestigeträchtige „Tausend-Talente-Programm“ aufgenommen, die höchste akademische Auszeichnung des Landes. Es handelt sich um eine Institution der chinesischen Regierung, die in der Regel exzellente chinesische Forschende im Ausland fördern soll – und vor allem wieder zurück ins Mutterland locken. Auch mit Nachdruck. 

CORRECTIV konnte mit einem chinesischen Forscher in den USA über ein Angebot sprechen, das er abgelehnt habe. Er berichtet von Lockmitteln in Höhe von rund 100.000 Euro. Zudem habe er von weiteren Angeboten erfahren, wie Lehrstühlen oder Laboren. Die US-amerikanische Sicherheitsbehörde FBI schreibt, dass solche Talent-Programme häufig für den „illegalen Transfer von Wissen und Technologie“ verwendet würden.

Teil des Programms ist auch, sogenannte „oversea talents“ zu rekrutieren. Weidemüller gilt für die chinesische Regierung offensichtlich als einer von diesen Experten. Laut ihm habe er als Teil des „Tausend-Talente-Programm“ einen Lehrstuhl und eigenes Labor in Shanghai erhalten. An der USTC, also genau an der Universität, an der Pan seine ersten wissenschaftlichen Schritte machte. Die beiden Forschungspartner sind an der USTC auch Nachbarn, so soll Weidemüllers Labor direkt neben einem von Pan liegen und sei diesem untergeordnet.

Das sagen die Beteiligten

Weidemüller sagt bezüglich seiner Aufnahme in das Tausend-Talente-Programm, er habe sehr klare Bedingungen gesetzt. Darunter etwa, dass alle Ergebnisse veröffentlicht würden. Und: „Mir redet niemand rein über das, was ich forsche.“ Zudem habe es 2014 noch ein anderes Narrativ um das Tausend-Talente-Programm gegeben.

Die chinesische Botschaft hat nicht auf unsere Fragen zum Tausend-Talente-Programm reagiert.

Nicht nur China unterstützt die Forschungen Weidemüllers. Auch in Deutschland kassiert Weidemüller Geld für seine Projekte. Ein Forschungsverbund, an dem er beteiligt ist, wird ab 2016 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. 

Vertrag zwischen der Universität Heidelberg und der USTC Vertrag zwischen der Universität Heidelberg und der USTC

Gemeinsam mit Pan will er an einem neuen deutsch-chinesischen Quanten-Zentrum in China arbeiten, wie Dokumente zeigen, die CORRECTIV vorliegen.

Darin findet sich ein interessantes Detail: Der chinesische Kooperationspartner im Vertrag ist ein Zentrum innerhalb der USTC. Mitgegründet wurde es von der National University of Defence Technology (NUDT) – einer militärischen Spitzenuniversität, mit Sitz im chinesischen Changsha. Auch dieser Vertrag liegt der Uni Heidelberg vor, die dortigen Verantwortlichen haben ihn selbst unterschrieben. Das Zentrum ist jedoch nie entstanden, die USTC machte am Ende einen Rückzieher.

Das sagen die Beteiligten

Die Universität Heidelberg scheint ihre Rolle mittlerweile zu hinterfragen. Auf Anfrage von CORRECTIV und Deutsche Welle zu diesem Vertrag und der Verbandlung mit der Militäruniversität NUDT teilt die Hochschule mit: „Aus heutiger Perspektive würde man aufgrund der in vielerlei Hinsicht veränderten Randbedingungen im Vergleich zu damals ein Agreement in dieser Form nicht mehr abschließen.“

Weidemüller wird in Heidelberg zum Prorektor ernannt

Weidemüller macht 2019 einen weiteren Karrieresprung. In Heidelberg wird er zum Prorektor für „Innovation und Transfer“ berufen, im selben Jahr wird er Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Wissenschaft des Stadtrates. Bis zuletzt war Weidemüller auch an Forschungsarbeiten der USTC beteiligt, taucht etwa in einer Studie von 2022 als Autor auf. 

Dass die beiden Männer nicht nur für wissenschaftlichen Austausch sorgen, sondern auch zwischen ihren Heimatländern vermitteln, zeigte eine Situation aus dem Jahr 2016. Anlässlich der Verleihung eines chinesischen Freundschafts-Preises an Weidemüller sagte dieser, er wolle Brücken bauen.

Man könnte auch sagen: Er grub mit an einem Tunnel.

Kapitel #03

Ein Tunnel nach China

Pan schwärmt rückblickend von seiner Zeit in Europa. Besonders stolz ist er auf all die „Talente“, die er fördern konnte. Eines dieser Talente ist Chen Yuao. Ein begabter Wissenschaftler, der sein Können auch zum Vorteil der Kommunistischen Partei (CCP) einsetzt – und des chinesischen Militärs.

Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei

Pan holte Chen 2004 von der USTC nach Heidelberg, wo er seinen Doktor im Bereich der Quantenkommunikation macht.

2011 kehrt er nach China zurück. Als Professor ist er anschließend an zahlreichen Rekorden der Quantenforschung beteiligt, arbeitet unter anderem als Chef-Ingenieur eines wichtigen staatlichen Projekts. Chen ist Mitglied der CCP, wird 2021 als „herausragendes Mitglied der Provinz Anhui“ ausgezeichnet.

Chen ist auch an mehreren chinesischen Quanten-Start-Ups beteiligt. Eines davon unterstützt nach eigenen Angaben das chinesische Militär. Chen betont selbst den Nutzen der Quantenkommunikation für Staat und Verteidigung.

Chen ist nicht der einzige Zögling von Pan, der sein Wissen einsetzt, um die Quantentechnologie auch militärisch nutzbar zu machen.

Wie Chen kam auch Zhang Qiang von der USTC nach Heidelberg, ist dort zwei Jahre sogar dessen Zimmernachbar. Zhang und Chen verbindet eine tiefe Freundschaft.

Die beiden sind an den gleichen Quanten-Start-ups beteiligt. Viele Jahre arbeiten sie zusammen an mehreren Quantenforschungsarbeiten.

Seit seiner Rückkehr nach China ist Zhang nicht nur entscheidend für den Erfolg vieler Quanten-Start-Ups; er wird in eine wichtige Position des Landes gehoben. Als „Chief Scientist of National Key Research and Development Program“ des Landes China arbeitet er seit 2018 eng mit dem Wissenschaftsministerium zusammen.

Zhang unterhält auch enge Verbindungen zur Rüstungsindustrie.

Das sind nur zwei ausgewählte Beispiele für mindestens 14 Talente, die unter Pan wuchsen. Seit 2011 ist der Fluss an Studierenden von USTC nach Heidelberg und wieder zurück offiziell mit der deutschen Universität abgestimmt: Das zeigt ein Dokument, das CORRECTIV und Deutsche Welle vorliegt. Das Abkommen wurde unterzeichnet von Pan – und Matthias Weidemüller.

Chen Yuao und Zhang Qiang haben nicht auf Fragen von CORRECTIV und Deutsche Welle reagiert.

Von Austausch zwischen Heidelberg und China profitiert Rüstungsindustrie

Pan stellte also sicher, dass konstant junge Forscher nach Heidelberg kommen konnten. Und noch immer kommen. 

Davon profitieren die USTC und die chinesische Rüstungsindustrie. Die Universität ist, auch dank Pans Bemühen, heute eines der Schwergewichte der Quantentechnologie-Forschung. Denn viele der jungen Wissenschaftler aus Pans Talente-Pool bekleiden heute hohe Positionen an der Universität oder arbeiten mit militärnahen Quanten-Start-Ups.

Bereits seit 2012 betreibt die USTC laut eines australischen Thinktanks Labore, die auch für Militärforschung genutzt werden. Entwickelt würden dort sogenannte „Dual-Use“-Technologien, also solche, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können.

Das sagen die Beteiligten

Pan sagt heute, dass die meisten der Studierenden, die er nach Heidelberg geschickt habe, heute Grundlagenforschung aufgrund ihrer Erfahrung in seinem Team betrieben. Und: „Die Studenten haben aus eigenem Antrieb nach befriedigenden Arbeitsplätzen gesucht.“ Seit Pan 2008 nach China zurückgekehrt sei, habe er „kein Projekt, das vom Militär unterstützt wird“. Die USTC hat nicht auf eine Anfrage von CORRECTIV und Deutsche Welle reagiert.

Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei Das Netzwerk rund um Pan Jian-Wei

Im Bereich der Quantenforschung kooperiert die USTC etwa mit dem Unternehmen „China Aviation Industry Corporation“ (AVIC), das während des russischen Angriffskriegs in der Ukraine Teile für Kampfflugzeuge an Russland verschickte. Mit einem weiteren Rüstungshersteller gibt es einen ähnlichen Vertrag – unterschrieben von Pan Jian-Wei.

Pan gründete im Jahr 2009 auch das Start-up „QuantumCtek“ mit. Die Firma gehört heute zu den Marktführern kommerzieller Quantentechnologie. Das Unternehmen wandelt die Quantenforschung der USTC in konkrete Technologien um.

Technologie, die vom chinesischen Militär eingesetzt werden könnte: Vertreter der Firma verweisen auf die sogenannte „militärisch-zivile Fusion“. Diese ist seit 2015 offizielle Regierungs-Richtlinie. Sie schreibt vor, dass jede Technologie militärisch anwendbar sein soll. „QuantumCtek“ gewann einen chinesischen Preis für „Militärwissenschaft“.

Eine Tochterfirma des Start-up verfügt über ein militärisches Qualifikations-Zertifikat und steht der Kommunistischen Partei nahe. So sorgte das Unternehmen für Informationssicherheit beim 19. Nationalkongress der Partei.

„QuantumCtek“ betreibt darüber hinaus ein Ableger-Büro in Xinjiang. Die Region war in der Vergangenheit vor allem durch Unterdrückung der uigurischen Minderheit in den Schlagzeilen

„Dass ein Unternehmen, das so neu ist, dort eine Niederlassung eröffnen kann, lässt vermuten, dass es sehr enge Beziehungen zum chinesischen Sicherheitsstaat unterhält“, sagt Yangyang Cheng, Physikerin an der Universität in Yale und ehemalige Studierende der USTC. Der Würzburger Sinologe Björn Alpermann sieht den Einsatz von Quantentechnologien „als Möglichkeit, Xinjiang weiter abzuschotten“. Auch Leaks aus der Region – wie die „Xinjiang Police Files“ – würden dann schwieriger werden.

Das Unternehmen und die USTC-Abteilung, zu der Pans Labor gehört, stehen seit 2021 auf der US-Sanktionsliste für „militärische Endbenutzer“. Die Begründung: Unterstützung der „militärischen Modernisierung der Volksbefreiungsarmee“. Und: „Erwerb und der Versuch des Erwerbs von Gütern mit US-Ursprung zur Unterstützung militärischer Anwendungen.”

Das sagen die Beteiligten

Pan sagt heute, er sei zwar Gründer und Shareholder von „QuantumCTek“, sei aber seit 2011 nicht mehr am Management beteiligt. Und: „Ich bin mir nicht sicher, warum eine Niederlassung in Xinjiang gegründet wurde.“ Zur Aufnahme der USTC-Abteilung, zu der auch sein Labor gehört, in die US-Sanktionsliste sagt er: „Die Motivation meiner Gruppe ist es, nach bahnbrechenden physikalischen Erkenntnissen zu suchen und modernste Quantentechnologie voranzutreiben. Mir ist nicht bekannt, ob andere Gruppen des Labors versuchen, Technologie und Wissen für militärische Zwecke zu erwerben.“ 

Die Firma „QuantumCTek“ hat nicht auf eine Anfrage von CORRECTIV und Deutsche Welle reagiert.

Kapitel #04
Der Quanten-Sprung

Das Start-up „QuantumCtek“ ist nicht der einzige Erfolg von Pan. Im Jahr 2022 gelingt ihm ein Durchbruch, der Chinas Vorsprung in der Quantentechnologie vorerst zementiert: Sein Team stellte den Jinan-Satelliten fertig. Eine Schlüsseltechnologie der Quantenkommunikation. 

Während Europa noch mit der ersten Generation solcher Satelliten hadert, hat China damit die zweite Generation fertig entwickelt. Sie soll schneller und präziser sein als die Vorgängertechnologie.

Seit Jahrzehnten arbeiten Militärforschende daran, wie Kommunikation abhörsicher werden kann. Mit der Quantenverschlüsselung durch den Jinan-Satelliten könnten militärische Gegenparts nicht mehr mithören. 

All die Jahre der Forschung, des Austauschs und des Förderns von Talenten: Sie haben sich endlich bezahlt gemacht für Pan. Und für China. 

Von Austausch zwischen Heidelberg und China profitiert Rüstungsindustrie

Kapitel #05
Schachmatt (?)

Nach Einschätzung von Beobachtern ist die Universität Heidelberg in den vergangenen Jahren zu einem Treppenlift für die chinesische Quantenforschung geworden. 

So kommt die amerikanische Sicherheitsfirma „Strider“ schon im Jahr 2019 zu dem Schluss, dass die Universität Heidelberg „wohl der wichtigste Partner hinter Chinas schnellem Fortschritt in der Dual-Use-Quantentechnologien“ ist (PDF). Und weiter: „In den letzten zehn Jahren hat die Universität Heidelberg Ausrüstung für das Quantenlabor des USTC zur Verfügung gestellt und eine Generation von USTC-Quantenwissenschaftlern ausgebildet und betreibt gemeinsame Spitzenforschung mit der USTC.“

Kooperation zwischen Heidelberg und USTC war auch Thema bei der NATO

Der Austausch zwischen Heidelberg und der USTC sowie „QuantumCTek“ war 2022 auch Thema in einem Webinar für eine Abteilung der NATO. Dieser Bereich soll das Verteidigungsbündnis auf die Kriegsführung der Zukunft vorbereiten. Die NATO entwickelt derzeit eine Strategie für Quantentechnologien. Sie schreibt: „Die Auswirkungen der Quantentechnologien auf die Verteidigung sind weitreichend und umfassen wichtige Anwendungen in den Bereichen Datenverarbeitung, Kommunikation und Sensorik.“ 

Die Prorektorin Anja Senz sieht eine Verantwortung bei ihrer Universität. „Wir müssen sicherstellen, dass die Leitlinien für die wissenschaftliche Arbeit eingehalten werden“, sagt Senz. Im Gespräch mit CORRECTIV und Deutsche Welle argumentiert sie auch, dass in Heidelberg lediglich Grundlagenforschung betrieben werde. Eine konkrete Anwendung stünde nicht im Raum.

Im Gespräch verweist Senz auf rechtliche Rahmenbedingungen, die von der Bundesregierung vorgegeben werden, die auch Forschungskooperationen mit chinesischen Einrichtungen betreffen können. Noch ist unklar, wie stark die China-Strategie, die derzeit in Ausarbeitung ist, auf das Problemfeld eingehen wird und klare Leitplanken formuliert. Die Zeiten haben sich in den vergangenen Jahren verändert, der Ton verschärft: Vorbei ist die Zeit der vorbehaltslosen Zusammenarbeit, China gilt jetzt als „Systemrivale“. Forschungskooperationen stehen auf dem Prüfstand. Auch auf der europäischen Ebene.

»Man muss zur Kenntnis nehmen, dass Jian-Wei da seinen eigenen Standpunkt hat, der nicht so eindeutig ist.«

Matthias Weidemüller

Im Gespräch mit CORRECTIV und Deutsche Welle im Mai 2023 ringt Weidemüller sichtlich mit sich: Auf der einen Seite scheinen ihm die Risiken von Forschung mit chinesischen Einrichtungen bewusst zu sein, auf der anderen hält er daran fest, dass Heidelberg nur Grundlagenforschung betreibe. An der USTC sei er seit 2019 nicht mehr gewesen; zudem habe man ihm dort nie in seine Forschung hinein geredet. Das sei eine Bedingung für ihn gewesen. Wie sein Kollege Pan dazu steht, weiß er nicht: „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass Jian-Wei da seinen eigenen Standpunkt hat, der nicht so eindeutig ist.“

Dass zumindest Pan daran interessiert war, „Grundlagen in Technologie zu verwandeln“, ist Weidemüller offensichtlich klar. Er erwähnte das im vergangenen Jahr selbst in einem Interview mit der Wirtschaftswoche.

Das bestätigt auch Jörg Schmiedmayer, ein früherer Wegbegleiter von Pan Jian-Wei in Heidelberg. Der Quantenforscher ist heute in Wien tätig. Er sagt, dass Grundlage eben sehr schnell in Anwendung münden könne. Gerade für seinen chinesischen Forscherkollegen habe darin ein großer Reiz gelegen: „Pan Jian-Wei war immer interessiert an fundamentalen Fragestellungen und wie man das weiterentwickeln kann, wie man daraus vielleicht auch einmal Technologie entwickeln kann.“

Pan habe während seiner Heidelberger Zeit alle wichtigen Förderungen gewonnen, die man sich vorstellen kann und sich so seine bahnbrechenden Experimente finanziert. 

Er sei damals ein absoluter Star gewesen, sagt Norbert Herrmann, der geschäftsführende Direktor des Physikalischen Instituts. Mit Pan sei es gelungen, das Forschungsfeld Quantum in der Tiefe zu etablieren. „Das hat natürlich den Stellenwert des Instituts auf der internationalen Skala hochgeschraubt.“

Schmiedmayer berichtet heute:„Wir haben gemeinsam dann fünf, sechs Jahre an richtig coolen fundamentalen Dingen geforscht.“ In Sachen Forschung zu Quantenkommunikation habe Europa lange die Nase vorn gehabt. „Aber kommerziell groß technisch umgesetzt haben sie es nicht direkt.“ Das habe China übernommen. 

Wichtige Grundlagen für Quantensatelliten, die China in späteren Jahren entwickelte, sind laut Schmiedmeyer in Europa und teils in Heidelberg gelegt worden: „Wir haben überlegt, ob ein Quanten-Satellit überhaupt Sinn macht. Ob das geht und was man dazu braucht, das haben wir ausgerechnet.“

Pan selbst sagt heute, dass sein Satellitenprojekt „völlig unabhängig“ von seinen Forschungsaktivitäten in Heidelberg entstanden sei. Alle Techniken seien von Kollegen an der Chinese Academy of Science (CAS) entwickelt worden. Und entgegen seiner früheren, recht konkreten Aussagen zur Anwendbarkeit seiner Forschung, rudert er gegenüber CORRECTIV und Deutsche Welle heute zurück: Bei allen Arbeiten, die in Heidelberg entstanden seien, handele es sich um reine Grundlagenforschung. „Ich möchte betonen, dass jede wissenschaftliche Entdeckung und Technologie einen ‘Dual-Use’ haben kann, und dass dies kein Aspekt ist, den ein Wissenschaftler kontrollieren oder vorhersagen kann“, sagt Pan heute. Er glaube daran, dass Quantentechnologien breiten Nutzen für die Gesellschaft haben werden.

Pan Jian-Wei hält daran fest, dass er nur Grundlagenforschung betreibe

»Ein Laborumzug wie 2009 geschehen ist so heute nicht mehr denkbar«

Norbert Herrmann Leiter des Physikalischen Instituts Universität Heidelberg

Mit der Uni Heidelberg ist er noch eng verbunden. Er ist dort Honorarprofessor und betreut noch zwei Doktoranden. Immerhin: Ein Laborumzug wie 2009 geschehen wäre so heute nicht mehr denkbar, teilt uns Herrmann, der aktuelle Leiter des Physikalischen Instituts der Uni mit. 

Doch die Zeichen könnten nicht besser für Pan stehen. In China gilt er längst als „Father of Quantum“ und steht dadurch auch den Mächtigen des Landes nahe. 2017 wurde er vom Magazin Nature zu den zehn einflussreichsten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Welt gezählt. Mittlerweile ist er Vize-Präsident der USTC und wird auch schonmal von Xi Jinping besucht.

Der Staatspräsident dürfte zufrieden sein mit Pans Leistungen für China: Die absolute Hoheit in der Quantenforschung bis 2030 ist ein ausgewiesenes, strategisches Ziel für das Land. 

China ist dank Pan und seinen Freunden in Heidelberg nah dran.

Über die Autorinnen

Till Eckert
Till Eckert

Investigativreporter

Till Eckert ist spezialisiert auf OSINT-, Daten- und Cross-Border-Recherchen. Er beschäftigte sich jahrelang mit der Wirkung von Desinformation auf Demokratien, zeigte mit einer bislang einmaligen Datenrecherche, wie Instagram zum Werkzeug für Rechtsextreme wurde und legte chinesische Einflussnahme an deutschen Universitäten offen. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Deutschen Reporter:innenpreis ausgezeichnet.

Sophia Stahl
Sophia Stahl

Junior Global Reporter

Sophia ist Reporterin in der Berliner Redaktion von CORRECTIV. Davor hat sie in Dortmund Journalistik und in der italienischen Stadt Perugia Politikwissenschaft studiert. Mit Vergnügen lernt Sophia Menschen und deren Geschichten kennen, überall und zu jeder Zeit. Der Taxifahrer in Armenien, die Frauenrechtlerin in Italien, die Investigativ-Reporterin aus Tschechien, der Sitznachbar in der Bahn oder der Schalke-Fan aus Gelsenkirchen vor dem Stadion, sie und viele anderen haben ihre Recherchen geprägt. Sophia möchte als Journalistin dicht an den Menschen bleiben. Für sie die wichtigste Informationsquelle. 

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