Denkanstoß

Presse unter Verdacht

Es war ein Skandal und ein Schlag gegen die Pressefreiheit: Vor genau 10 Jahren ermittelte der Generalbundesanwalt gegen das gemeinnützige Medium netzpolitik.org wegen Landesverrat. Am Ende wurde das Verfahren eingestellt. Aber die Medien waren vorgewarnt. Sind solche Angriffe auf die Pressefreiheit zunehmend zu befürchten? Ein Denkanstoß.

von Markus Beckedahl

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Heute, vor genau zehn Jahren, bekam ich Post, die mein Leben – und ein Stück weit auch die deutsche Debatte über Pressefreiheit – erschütterte.

Mittags lag ein Einschreiben des Generalbundesanwalts im Briefkasten. Darin: die Mitteilung, dass seit Monaten gegen mich als damaligen Chefredakteur von netzpolitik.org, gegen meinen Redakteur Andre Meister und gegen unsere Quellen ermittelt werde. Vorwurf: Landesverrat – ein Delikt, das bei Verurteilung mindestens ein Jahr Haft bedeutet.

Was war passiert?

Monate zuvor hatten wir bei netzpolitik.org Auszüge aus Budgetplänen des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlicht und so den heimlichen Ausbau seiner Internetüberwachung offengelegt. Wir stellten die Dokumente bewusst online, weil wir überzeugt waren: Nur wer unsere Quellen prüfen kann, kann unsere Arbeit wirklich hinterfragen.

In unserer Kategorie Denkanstoß sammeln wir kluge Ideen, zu Themen, die wir als Gesellschaft bewältigen müssen. In loser Folge kuratieren wir hier Gast-Beiträge.

Zwei Jahre nach den Snowden-Enthüllungen behandelte die Bundesregierung diese eher als Machbarkeitsstudie denn als Warnung. Unser Ziel war deshalb klar: Wir wollten eine öffentliche Debatte darüber ermöglichen, ob im Geheimen beschlossene Pläne zur Internetüberwachung überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Hans-Georg Maaßen, damals Präsident des Verfassungsschutzes, passte das nicht.

Er konstruierte eine Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen, zeigte uns beim Generalbundesanwalt Harald Range an – und brachte ihn dazu, Ermittlungen wegen Landesverrats einzuleiten. Ein absurder Vorwurf. Es waren die ersten seit Jahrzehnten gegen Journalistinnen in Deutschland. 

Landesverrat: Instrumente aus „Kampf gegen den Terror“

Wir hatten Glück: Irgendetwas hielt den Bundesanwalt davon ab, sofort unsere Wohnungen und die Redaktion zu durchsuchen. Stattdessen suchte man hinter verschlossenen Türen nach Gutachtern, die das Upgrade der klar als „Dienstgeheimnis“ gestempelten Dokumente zu „Staatsgeheimnis“ rechtfertigen konnten. Weil die Sache zu verjähren drohte, wurden wir schließlich per Post über die laufenden Ermittlungen informiert. Uns wurde auch bewusst, dass das volle Arsenal möglicher Überwachungsmaßnahmen gegen uns damit genutzt werden konnte – Instrumente, die einst als Waffen im „Kampf gegen den Terror“ verkauft worden waren. Dass man sie angeblich nicht eingesetzt hat, versicherte die Bundesregierung später.

Markus Beckedahl ist Gründer des Zentrums für Digitalrechte. Er hat netzpolitik.org gegründet und die re:publica mit ins Leben gerufen, die größte Konferenz zur digitalen Gesellschaft in Deutschland.

Dank dieses Briefes konnten wir genau vor zehn Jahren an die Öffentlichkeit gehen – und der Angriff auf die Pressefreiheit wurde zur Staatsaffäre mitten im Sommerloch.

Zehn Tage lang duckte sich die Bundesregierung weg. Niemand wollte damit zu tun haben, obwohl viele davon gewusst haben müssen. Dann schickte man den Generalbundesanwalt kurzerhand in den einstweiligen Ruhestand. Ein Bauernopfer, damit Maaßen Verfassungsschutzpräsident bleiben und andere Verantwortliche sich in Sicherheit bringen konnten. Die vollständigen Akten können wir frühestens in 20 Jahren einsehen.

Wie würde das heute ausgehen?

Damals war es vielleicht der erste ernsthafte Versuch, um zu testen, wie man kritische Medien ausschalten kann. Ein Warnschuss an alle, die ähnlich brisante Themen anpacken. Ausgeführt von einer Person – Hans-Georg Maaßen –, deren rechtsextremes und verschwörungsideologisches Denken erst nach seiner Absetzung richtig offensichtlich wurden.

Was, wenn ähnlich denkende Personen zukünftig wieder in Verantwortung kommen, die ein anderes Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat haben als wir es gewohnt sind?

Stärke der Solidarität

Die Zivilgesellschaft und fast die gesamte Medienlandschaft – von Correctiv bis Bild – stellten sich damals hinter uns, über politische Grenzen hinweg. Viele Medien spiegelten aus Solidarität die von uns veröffentlichten Dokumente. 

Nur wenige stachen negativ hervor: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung versuchte mehrfach, uns als „Aktivisten“ zu framen und übernahm damit die Erzählung des Verfassungsschutzes. Wäre das aufgegangen, hätten wir im Prozess auf die Privilegien der Pressefreiheit verzichten müssen. Doch die FAZ blieb isoliert; den Rest erledigten nur noch verschwörungsideologische Blogs, die Kampagnen gegen uns fuhren, auch weil wir nicht mit dem russischen Propagandasender Russia Today über die Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland reden wollten.

Ich war seinerzeit Mitglied der Bundespressekonferenz, hatte einen offiziellen Presseausweis und eine Presseakkreditierung beim Bundestag. Wir arbeiteten journalistisch und orientierten uns selbstverständlich am Pressekodex. Wir waren selbstverständlich Journalisten, die nur ihren Job machten. Das sahen auch fast alle Medien und ihre Verbände so.

Was, wenn sich damals mehr Leitmedien diesem Framing des „Aktivismus“ angeschlossen hätten? Und würde es heute, in einer immer stärker polarisierten Öffentlichkeit, erneut eine solch breite Solidarität geben? Ich fürchte: nein. Ein Problem für die Pressefreiheit – und für die Demokratie.

Denn die Angriffe nehmen zu.

Anzweifeln der Glaubwürdigkeit

Rechte Akteure schießen auf Zivilgesellschaft und Medien, unterstützt von „Scharnier-Medien“, die am rechten Rand nach Klicks und Abos fischen. Ein Vorgeschmack war die 551 Fragen umfassende Attacke der CDU/CSU-Fraktion auf die Gemeinnützigkeit zahlreicher Organisationen – darunter auch Medien wie CORRECTIV – kurz vor der Regierungsübernahme der neuen Koalition.

International zeigt ein autoritäres Playbook, wie man zivilgesellschaftliche Akteure und gemeinwohlorierentierte kritische Medien aushungert: Gemeinnützigkeit anzweifeln, Finanzierung infrage stellen, Unabhängigkeit brechen, Öffentlichkeit spalten, Solidarität entziehen. Traurig, wie reibungslos das inzwischen auch hierzulande greift – und wie viel von jedem Vorwurf kleben bleibt, selbst wenn nichts daran ist.

Wenn heute noch einmal ein solcher Angriff käme, wäre die Solidarität wohl kleiner.

Genau das macht mir Sorge. Denn Pressefreiheit braucht mehr als schöne Verfassungsartikel – sie lebt von gesellschaftlichem Rückgrat und der lautstarken Verteidigung durch alle, die eine offene Demokratie wollen.

Redaktion: Justus von Daniels