Flucht & Migration

Die Feuertaufe

Eine Woche lang begleitet unser Reporter auf Malta die Arbeit der Hilfsorganisation Sea-Watch – die erstmals mit einem Flugzeug die Rettung der Flüchtlinge unterstützen will. Das ist dringend nötig. Gleich bei ihrem ersten Einsatz spotten die beiden Piloten drei Boote. „Beim Reinfliegen haben wir schon gewusst: Verdammt, jetzt geht was“, sagt Einsatzleiter Fabio Zgraggen.

von Bastian Schlange

Ein überfülltes Schlauchboot. Von hinten nähern sich die Retter.© Bastian Schlange

Ruben Neugebauer von Sea-Watch stützt seine Ellenbogen auf den Glastisch, legt die Fingerspitzen zusammen. Noch ein Tag. Noch ein Einsatz. Dann muss das Flugzeug zurückkehren in die Schweiz.

„Ich hatte gerade einen Anruf vom Militär“, sagt der 26-Jährige und schaut die beiden Piloten ihm gegenüber ernst an. „Nach dem schlechten Wetter der vergangenen Tage soll es morgen wieder besser werden. Damit könnten neue Flüchtlingsboote auf See sein. Die Offiziere wollen wissen, ob wir fliegen.“

Die Piloten — Walter Frei, 64, Fabbio Zgraggen, 31 — 5.png

Fabio Zgraggen und Walter Frei von der Schweizer Human Pilot Initiative.

Bastian Schlange

Zusammen mit der Schweizer Human Pilot Initiative will die Rettungsorganisation Sea-Watch die libysche Küste aus der Luft überwachen – und so verhindern, dass Menschen ertrinken. Am 18. August war die Tecnam, eine zweimotorige Chartermaschine, zum ersten Mal im Einsatz. Der erste Tag und direkt „die Feuertaufe“. Über Funk kommen Notrufe rein, als sie das Einsatzgebiet erreichen. Flüchtlinge sind im Wasser. „Beim Reinfliegen haben wir schon gewusst: Verdammt, jetzt geht was“, sagt der 31-Jährige Fabio Zgraggen, einer der beiden freiwilligen Piloten.

Drei Holzboote können er und Walter Frei entdecken, entscheidende Erstsichtungen. Ein Erfolg für die Piloten – nachdem sie im Juli an der Bürokratie in Tunesien gescheitert waren, bei dem Versuch, einen Flieger von der Insel Djerba aus ins Einsatzgebiet vor der libyschen Küste zu bekommen.

Jetzt haben sie einen Testlauf von Malta aus gestartet. „Was vorher ist und was nachher ist, ist Politik“, sagt Walter Frei. Der 64-jährige Pilot hat mit seinem Schweizer Verein das Flugzeug zur Verfügung gestellt. „Dazwischen sind die armen Schweine auf den Booten. Und da können wir helfen.“ Walter Frei, seit 35 Jahren Fluglehrer, bedient den Steuerknüppel. Fabio Zgraggen sitzt als Einsatzleiter daneben, behält das Meer im Blick.

Klare Abläufe

„Es ist wichtig, die Aufgaben klar zu trennen“, sagt Zgraggen. „Ich als Einsatzleiter habe die Mission im Blick“, also die Rettung der Flüchtlinge. Der Pilot habe die Verantwortung für die Maschine und die Sicherheit. „Wenn er ein Problem sieht, muss er abbrechen. Da ist die Luftfahrt gnadenlos. Nur Einsen und Nullen. Und dazwischen kein Spielraum.“

Klare Abläufe, feste Routinen: Entdecken sie ein Boot, gehen sie von ihrer normalen Flughöhe von 3000 Fuß auf 1000 Fuß hinunter. Die Koordinaten der Flüchtlinge werden handschriftlich festgehalten, dazu Informationen wie Bootstyp, Zustand, Erkennungsmerkmale, ungefähre Zahl der Menschen. Bevor die Daten weitergeleitet werden, werden sie nochmal abgeglichen. „Ein Grad Abweichung können schnell 60 Seemeilen bedeuten“, sagt Zgraggen.

Per Textnachricht werden die Koordinaten über eine Satellitenverbindung dann an die Bodenstation geschickt. Ruben Neugebauer übernimmt dort die Koordination, leitet die Informationen weiter ans MRCC, die Zentrale der italienischen Küstenwache zur Flüchtlingsrettung in Rom. In dringenden Fällen können die Flieger auch über Funk direkt mit den Einsatzschiffen Kontakt aufnehmen. Der ständige Austausch ist wichtig. Gerade in der aktuellen Situation.

Die Nerven liegen blank

„Wir wurden in den vergangenen Tagen häufiger angefunkt, um unbekannte Boote zu identifizieren“, sagt Zgraggen. Nach dem Angriff vor zwei Wochen auf die Bourbon Argos, dem Rettungsschiff von Ärzte ohne Grenzen, liegen die Nerven der Retter blank. Die Piloten können schnell und gefahrlos Schiffe auskundschaften. Auch Flüchtlingsboote, die sich nahe der Zwölfmeilenzone zur libyschen Hoheitsgewässer befinden, können sie ohne Mühe bewerten: Ist eine sofortige Rettung in der gefährlichen Region notwendig?

„Es ist schon heftig. Die große Weite des Meeres, so dunkel und bedrohlich, und die kleinen Nussschalen voller Menschen“, sagt Zgraggen. Es sei frustrierend nicht jeden Tag in der Luft sein und helfen zu können. Doch das Wetter lässt es häufig nicht zu.

Schlechtes Wetter: Frust

Der letzte Einsatztag: Zgraggen, Frei und Neugebauer stehen am Rollfeld des Flughafens von Malta und diskutieren. Walter Frei schüttelt den Kopf. Das Wetter ist einfach zu schlecht. „Wir können nicht raus“, sagt er bestimmt. An vier von acht Einsatztagen waren die Piloten in der Luft. An vier Tagen mussten sie am Boden bleiben. Ein Anfang. „Wir werden versuchen, sobald wie möglich wieder fliegen zu können“, sagt Ruben Neugebauer.

Sea-Watch und die Human Pilot Initiative arbeiten nun an Alternativen: eine Kooperation mit einer Flugschule auf Malta, eine eigene, größere Maschine. Auch der Ultraleichtflieger auf Djerba ist noch eine Option. Neugebauer: „Nächstes Jahr müssen wir eine Lösung haben.“


Unser Reporter Bastian Schlange war vergangene Woche auf Malta und hat die Seenotretter bei Ihrer Arbeit begleitet. Weitere Texte, Videos und Fotos von seiner Reise findet Ihr in unserem Schwerpunkt „Flucht und Migration“, auf unserer Facebook-Seite, in unserem YouTube-Kanal und bei Twitter.