Fußballdoping

„Doping bringt nichts? Das ist ein Märchen“

Doping im Fußball bringt nichts, weil im Fußball technische Fähigkeiten entscheiden. Glauben Sie das – oder ist das ein Märchen?Perikles Simon:

von Daniel Drepper

Perikles Simon - professor

Doping im Fußball bringt nichts, weil im Fußball technische Fähigkeiten entscheiden. Glauben Sie das – oder ist das ein Märchen?
Perikles Simon:
Das ist absolut ein Märchen. Das wissen aber auch die Spezialisten, die dieses Märchen verbreiten. Dafür müssen die sich nur die komplexe Sportart Baseball angucken, wo die Bedeutung des physischen Anteils noch etwas geringer ist, als beim Fußball. Selbst Baseball hat ein massives Dopingproblem, viele Spieler haben Designer-Steroide konsumiert. Eine physisch noch anspruchsvollere Sportart wie Fußball hat bei gleicher technischer Komplexität wie Baseball sicherlich ein Problem.

Manche sagen, Doping schade sogar, weil dadurch andere Fähigkeiten eingeschränkt würden.
Simon:
Im Gegenteil. Beispiel Ausdauer: Bei Leistungsdiagnostiken fällt auf, dass die Ausdauer von Fußballern durch die vielen unterschiedlichen körperlichen Anforderungen beschränkt ist. Weil sich ein Fußballer in jede Richtung schnell bewegen muss, ist irgendwann ein Ausdauerlimit erreicht, dass sich durch Training kaum mehr verbessern lässt. Oder eine weitere mögliche Verbesserung würde zumindest zu Lasten anderer physischer Fähigkeiten gehen. Das ist besonders perfide, weil dann für eine Steigerung der physischen Gesamtleistung Doping am effektivsten wäre. Besonders bei technisch talentiertem Nachwuchs, ist das gefährlich: Wenn ein Spieler konditionell nicht stark genug ist, zum Beispiel für ein internationales Turnier, aber am Ball besonders begabt, ist die Doping-Versuchung groß.

Welche Dopingmittel ergeben für einen Fußballer Sinn?
Simon:
Das ist die volle Palette. Sinn ist natürlich fraglich, sie bezahlen für jede Dopingaktion an irgendeiner anderen Stelle. Aber besonders in der Rekonvaleszenz wäre es für viele Spieler natürlich hilfreich, schnell die alte Muskelmasse aufzubauen. Dafür könnten Steroide eingesetzt werden. Auch für die Ausdauer gibt es eine Palette von Substanzen und Methoden. Mit Peptidhormonen könnten sie das Doping rein theoretisch bis in die Spielphasen hinein am Laufen halten. Der gedopte Sprinter Dwain Chambers hat in seinem Buch Dutzende Substanzen aufgezählt. Sie müssen davon ausgehen, dass dieses ganze Arsenal auch für Fußballer relevant ist.

In der Bundesliga gibt es keine Blutkontrollen und auch in Trainingslagern wird kaum getestet. Wie groß sind die Lücken bei den Dopingtests im Fußball?
Simon:
Die Lücken würde ich als recht enorm bezeichnen. Vor allem, wenn man sich anguckt, wie getestet wird. Vor der WM 2010 in Südafrika wurde klar gesagt, wann getestet wird. Da hat man sich in einem Expertenkonsortium zusammengesetzt, um dann den Spielern mitzuteilen:Innerhalb dieser Wochen werden wir testen. Diese Tests können sie sofort vergessen. Das ist reine Geldverschwendung. Sie erwischen nur die Unwissenden, niemand anderen.

Warum gibt es so große Kontrolllücken?
Simon:
Da gibt es mehrere Gründe. Wenn ich mal im Positiven anfange, also keine Absicht unterstelle, nenne ich die internationale Heterogenität. Wie wollen Sie sicherstellen, dass ein Team aus Nordkorea für Kontrollen rund um die Uhr zur Verfügung steht? Das ist derzeit nicht möglich. Deshalb müssen die Teams bei der WM oder EM in einem bestimmten Zeitraum vor dem Turnier zur Verfügung stehen. Das ist, als wenn man sagt: Wir können aus der Atomkraft nicht aussteigen, weil alle um uns herum weiter auf Atom setzen. Europa könnte ausscheren und sagen: Wir machen im Fußball jetzt unangekündigte Kontrollen, wir machen auch weit vor der EM Kontrollen zu physiologisch hochrelevanten Zeitpunkten und in Momenten, in denendie Spieler nicht mit einer Kontrolle rechnen.

Sie haben grad gesagt, das wäre die positive Interpretation. Was ist denn das negative?
Simon:
Das negative ist die Unverfrorenheit, wie man mit diesen ganzen negativen Proben rumprahlt. Die Verbändeverweisen auf den Testumfang von 30.000 Proben und sagen: Schaut her, so gut wie alle negativ. Und damit deklariert man einen dopingfreien Fußball. Aber das geht auf dieser Basis, mit angekündigten, nicht intelligenten Kontrollen einfach nicht.

Es gibt hin- und wieder Dopingfälle, es gibt den Skandal um Juventus Turin, es gibt die Spekulationen um Fuentes. Warum gibt es trotzdem kaum öffentliche Diskussionen?
Simon:
Das will man einfach nicht diskutieren, beim Fußball guckt die Mehrheit lieber nicht so genau hin. Aber: Dass in Turin eine Mannschaft systematisch gedopt wurde, das hätte Anlass sein müssen für mehr Untersuchungen. Das ist ja wie im Radsport und da hätte man sich fragen müssen: Hoppla, was bedeutet das eigentlich für die Gesundheit der Spieler? Wenn man Sport als Kulturgut sieht, muss man sich als demokratischer, aufgeklärter Staat um seine Leistungseliten kümmern. Man kann nicht den finanziellen Druck auf die Spieler beliebig erhöhen und dann davon ausgehen, dass die ihre Gesundheit im Auge behalten. Wenn Teams in der Lage sind, systematisch Spieler zu dopen, scheint der Druck in der Szene so hoch zu sein, dass sich die Spieler kaum wehren können. Und dann sind das de facto nicht menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Perikles Simon ist einer der bekanntesten Dopingexperten Deutschlands und berät die Welt-Anti-Doping-Agentur in Sachen Gendoping. An der Universität Mainz leitet der Professor die sportmedizinische Abteilung.