Fußballdoping

Warum Fußballer Schmerzmittel nehmen

Was motiviert Fußballer, Schmerzmittel zu nehmen, Jens Kleinert?

von Daniel Drepper

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Was motiviert Fußballer, Schmerzmittel zu nehmen?
Jens Kleinert:
Das vordergründige Motiv ist ganz banal: Schmerzen bekämpfen. Um in der Folge – und das ist wichtig – bestimmte Konsequenzen besser zu erreichen. Eine Konsequenz kann sein, dass ich einen bestimmten Trainingsumfang eher aushalte. Oder dass ich in einem Spiel spielen kann, obwohl ich normalerweise nicht fit genug wäre. Daran sieht man schon die Zwiespältigkeit: Wenn ich in einem Spiel spiele, obwohl ich eigentlich Probleme hätte, dann ist das sehr kurzfristig gedacht. Der Schmerz sagt mir ja, dass ich Ruhe brauche. Das Schmerzsignal ist wichtig, um meinen Trainings- und Wettkampfalltag zu regeln. Schmerzmittel sind in dieser Hinsicht unsinnig.

Gut 20 Prozent der Fußballer nehmen im Training Schmerzmittel, das hat das Kölner Dopinglabor vor Jahren mal rausgefunden. Warum nehmen Spieler auch Pillen im Training?
Kleinert:
Da werden viele Begründungen genannt, die reichen aber alle nicht aus, um Verhalten komplett zu erklären. Die Spieler sagen teilweise, dass sie schon vorher prophylaktisch Schmerzmittel nehmen, was pharmakologisch eigentlich unsinnig ist, da Schmerzmittel sich kaum zur vorbeugenden Bekämpfung eignen. Die Spieler glauben, dass ihre Leistung bei bestimmten Schmerzmitteln sogar besser wird. Das ist wissenschaftlich nur bedingt erklärbar und damit Teil einer naiven Theorie. Es gibt Aberglauben und Falschannahmen. Manchmal gehört es auch zum guten Ruf dazu, es wird in einer Gruppe als normal, als ganz banal wahrgenommen. Wir sprechen dann von sozialen Normen: Das machen ja alle, also mach ich das auch. Der Einfluss solcher kollektiven Überzeugungen ist nicht überragend, aber er ist vorhanden und messbar.

Wenn man vor dem Spiel eine Tüte mit Voltaren rumreicht und jeder mal reingreift, führt das zu einem laxeren Umgang mit Schmerzmitteln.
Kleinert:
Genau. Der Sportler hat weder einen persönlichen Nachteil, weil es auf keiner Dopingliste steht, noch ist er in der Gruppe weniger anerkannt. Im Gegenteil, es ist vielleicht sogar cool, vorher was zu nehmen. Man zeigt dadurch, dass man Schmerzen hat. Und wer Schmerzen hat, der ist auch gut. Hartes Training muss weh tun. Das sind Glaubenssätze von Sportlern. Ich bekomme also mehr Anerkennung, wenn ich Schmerzmittel nehme. Das reduziert die Hürde. Die Nachteile von Schmerzmitteln werden eher gering vermutet und wenn sie bedacht werden, sind diese Bedenken oft nicht verhaltensrelevant. Damit ist schon der ein oder andere Sportler reingefallen, der dann zum Beispiel Leberschäden hatte.

In Ihrer Studie haben 36 Prozent der Sportler angegeben, Schmerzmittel zu nehmen. Sie sagen, Fußballer nehmen Schmerzmittel, weil sie damit ihre Leistung steigern wollen. Sind Schmerzmittel Doping?
Kleinert:
Eine sehr kontrovers diskutierte Frage. Ich kann beide Meinungen verstehen, wobei mir die Meinung der Dopingforscher wie Dr. Hans Geyer näher liegt. Die sagen: Ich nehme eine Substanz und diese Substanz ermöglicht mir, Trainingsumfänge auszuhalten, meine Leistung zu verbessern. Ohne diese externe Substanz hätte ich nicht die Chance, über meine normale Leistungsfähigkeit hinaus zu gehen. Das geht natürlich in Richtung Doping, da braucht man nicht drum herum zu reden. Auf der anderen Seite stehen die Therapeuten, die sagen: Das ist ein Therapeutikum. Das kennen wir auch aus anderen Bereichen: Die Grauzone, zum Beispiel bei Asthmamitteln, die auch eine leistungssteigernde Funktion haben können. Das ist der Zwiespalt zwischen dem Mittel als Therapie einerseits, die ich keinem Sportler untersagen darf, und Leistungssteigerung andererseits. Wenn ich aber Schmerzmittel nehme, obwohl ich keine großartigen Schmerzen habe, dann brauchen wir gar nicht drüber zu reden, was das dann ist.

Sollte man einen Grenzwert für Diclofenac und Co einführen, ähnlich wie bei Asthmamitteln?
Kleinert:
Eine Bestrafung hätte natürlich eine wichtige Funktion. Ich brauche bei vielen Sportlern eine Strafandrohung, um sie von den Mitteln abzuhalten. Es gibt Sportler, so wie Lukas Podolski, die haben Spaß am Fußball, die machen das aus intrinsischen Motiven. Schmerzmitteleinnahme hat aber nichts mit intrinsischen Motiven zu tun, im Gegenteil. Extrinsische Motive sind ausschließlich auf die Konsequenz ausgerichtet, auf den Gewinn von Geld, von Prestige oder Tabellenplätzen. Das ist kritisch.

Welche Rolle spielt der Trainer, Manager, Berater, der nur finanzielle Interessen hat?
Kleinert:
Das soziale Umfeld spielt in zweierlei Hinsicht eine große Rolle. Was ist erlaubt? Was ist nicht erlaubt? Wie gehen wir damit um? Was sind unsere Ziele? Welche Rolle spielen dabei Schmerzmittel? Soziale Überzeugungen werden in einer Gruppe gebildet, nicht nur von einem Individuum. Da spielen all diese Bezugspunkte eine Rolle. Zudem beeinflusst das Umfeld natürlich auch, ob ich Gelegenheit zum Schmerzmittelkonsum habe. Wie einfach komme ich an Schmerzmittel? Es wird sicher Mediziner geben, die das schneller rausgeben wohingegen andere sagen: Das ist ein wichtiges Signal deines Körpers, ich möchte nicht, dass du das nimmst. Da gibt es viele Grauzonen bei Medizinern, Physiotherapeuten und Trainern, die die Einstellungen des Athleten mitprägen.

Haben Sie auch Trainer und Betreuer befragt? Wie haben sie ihre Studie aufgebaut, mit wem haben sie gesprochen?
Kleinert:
Wir haben unsere Befragung hauptsächlich mit Athleten selbst gemacht. Wir haben aber die Sichtweise der Therapeuten aus Athletensicht einbezogen. Also: Was glaube ich, wie mein Physiotherapeut das sieht, wie mein Arzt das sieht. Die soziale Perspektive des Spielers ist ja letztlich auch die Wichtige. Es ist nicht wichtig, was der Arzt sagt, sondern es ist entscheidend, was der Athlet wahrnimmt von dem, was der Arzt sagt. Wie nehmen die Athleten ihren Trainer war? Glaubt der Fußballer, dass ihr Trainer gegen Schmerzmittel ist? Das ist ja das handlungsleitende für einen Sportler. Das ist ein Teil in dem Mosaik, das bestimmt, ob ein Athlet Schmerzmittel nimmt.

Was haben Sie für Athleten befragt?
Kleinert:
Wir haben von der Bundesliga bis hinunter in den niedrigen Leistungsbereich befragt. Und wir haben uns auch andere Sportarten angesehen, zum Beispiel Handball, die ähnliche Probleme haben. Es gibt geringe Tendenzen, dass die Einnahme im Handball gängiger ist als im Fußball, Hockey oder Basketball. Aber die Effekte sind nicht stark. Die Einnahme ist eher abhängig vom sozialen Umfeld und vom Individuum, als von der Sportart. Das ist ein wichtiges Ergebnis.

Gibt es Unterschiede zwischen Amateuren und Profis?
Kleinert:
Gar nicht so viele, wie wir erwartet hätten, und auch nicht statistisch belegbar. Es geht gar nicht so sehr darum, welche Leistung ein Sportler objektiv bringt, sondern wie wichtig diese Leistung für ihn subjektiv ist. Stellen sie sich einen Bezirks- oder Landesliga-Spieler vor, für den dieser Sport alles in der Welt bedeutet. Der hat genauso viel Motivation wie ein Bundesligaspieler, etwas Verbotenes oder etwas Falsches zu tun wie etwa Schmerzmittel zu nehmen. Es geht um die subjektive Bedeutung und nicht um die Leistungsstärke.

Über den Missbrauch von Schmerzmitteln wird nur hin und wieder gesprochen.
Kleinert:
Mir wäre wichtig, dass in der Trainerausbildung, in den Vereinen, in den Gremien mehr darüber gesprochen wird. Wir müssen das ansprechen, damit sich auch die Athleten damit auseinandersetzen. Wir müssen informieren, welche Nachteile es gibt und welche Vorteile sich die Fußballer nur einbilden. Auf der Basis müssen Athleten, Trainer, Vereine selbstbestimmt entscheiden, solange es im Erlaubten bleibt. Am Ende bleibt natürlich die Frage: Ist es Doping oder nicht?

Über die Studie habe ich auch für den Deutschlandfunk (Text und Audio, 3:35 Minuten) und in der heutigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeine Zeitung (noch nicht online) berichtet.

Die wichtigsten Fakten der Studie

  • 412 Profi- und Amateursportler (51 Prozent männlich, 48 Prozent weiblich) aus den Sportarten Fußball, Basketball, Handball und Hockey
  • 36 Prozent gaben an, aktuell Schmerzmittel einzunehmen — hiervon fast die Hälfte sogar mehr als einen Wirkstoff
  • Die Absicht Schmerzmittel zu nehmen, lässt sich fast zur Hälfte erklären durch die persönliche Einstellung und das Gefühl der Kontrolle über den Schmerzmittelkonsum
  • Das tatsächliche Verhalten konnte durch dieselben Faktoren nur durch 16% aufgeklärt werden
  • Die persönliche Einstellung ist hierbei abhängig von wahrgenommenen Konsequenzen des Konsums (positiver und negativer Art)
  • wahrgenommenen Konsequenzen des Konsums (positiver und negativer Art) haben jedoch keinen direkten Einfluss auf die Konsumabsicht oder den Konsum selbst
  • Auch die finanzielle Abhängigkeit hat keinen Einfluss auf die Absicht, Schmerzmittel zu nehmen