Antibiotika im Wasser
Britische Umwelt-Aktivisten schlagen Alarm: In der Umgebung von indischen Pharmawerken gibt es besonders viele resistente Bakterien. Schuld daran seien Rückstände von Antibiotika im Abwasser. Wir haben Experten gefragt, wie sie den Befund einschätzen.
Diese Recherche erscheint auch auf „Deutsche Apotheker Zeitung Online“.
Die britische Nicht-Regierung-Organisation (NGO) Changing Markets hat Wasserproben in der Nähe von indischen Pharmawerken sammeln und untersuchen lassen auf resistente Bakterien. Sie wertete dabei nur ein Bakterium aus. Das Ergebnis: Von den 34 Wasserproben waren in 16 Proben E. coli Bakterien enthalten, die bereits resistent waren.
Resistente Bakterien sind gegen einige Antibiotika immun – das heißt, wer sich damit ansteckt, kann nur unter höherem Aufwand geheilt werden. Gerade in armen Ländern sind solche Resistenzen ein großes Problem, weil die medizinische Versorgung weniger gut ist. Laut einer Studie sterben in Indien pro Jahr rund 60.000 Neugeborene an resistenten Bakterien.
Indien ist führend bei der Produktion von Billig-Medikamenten – auch bei Antibiotika etwa, deren Patentschutz abgelaufen ist. Diese Medikamente finden sich auch in deutschen Apotheken. Zum Teil werden sie unter laxen Umweltbedingungen hergestellt; Abfälle mit antibiotischen Wirkstoffen werden in Flüsse gekippt. Dort können sie resistente Bakterien erzeugen, wie auch der vorliegende Test nahelegt.
Wir haben Joakim Larsson gefragt, wie er die Studie einschätzt. Larsson von der Uni Göteborg ist Pionier, was diese Art von Forschung angeht. Er sucht seit über zehn Jahren nach resistenten Bakterien in indischen Abwässern. Larsson begrüßt deshalb die Studie – und kritisiert sie zugleich.
81 Resistenzen in einem See
Das Hauptproblem, sagt er: Es gebe keinen Nachweis, dass die Rückstände aus den Pharmawerken die Resistenzen erzeugt haben. Die resistenten Erreger könnten genauso gut von Menschen stammen, die mit Antibiotika behandelt wurden. E. coli kommt bei jedem Menschen im Darm vor, wird es in der Umwelt gefunden, ist das meist ein Hinweis auf Verunreinigung mit menschlichen Ausscheidungen. Larsson: Man hätte zumindest messen müssen, wie viel Antibiotika-Rückstände im Wasser waren, um Hinweise dafür zu haben, ob die Resistenz in der Umwelt oder im Menschen entstanden ist. Das hat die britische NGO versäumt.
Mit anderen Worten: Die vorliegende Arbeit liefert keinen harten Beweis und bleibt unter dem Standard bereits veröffentlichter Studien zurück. Larsson und seine Mitarbeiter haben wiederholt resistente Bakterien in indischen Gewässern nachgewiesen. In einer Studie von 2014 etwa fanden die Forscher 81 Resistenzen gegen alle bekannten Klassen von Antibiotika in einem einzigen verschmutzten See. Er lag bei Hyderabad in Zentralindien, in ihn wurden Abwässer aus der Antibiotikaherstellung geleitet. Verglichen mit einem sauberen See in Schweden kamen Resistenzen hier rund 7000 Mal häufiger vor.
Aber Larsson begrüßt auch, dass die NGO viel Wirbel gemacht hat mit dem nicht ganz so wissenschaftlichen Experiment. Denn das Problem, auf das die Aktivisten aufmerksam gemacht haben, ist tatsächlich drängend.
Konzentration wie im Blut
Das findet auch der deutsche Forscher Thomas Berendonk, der an der TU Dresden untersucht, was Antibiotika-Rückstände im Abwasser bewirken. „Dieser Befund ist in der Tat sehr besorgniserregend“, sagt er
Klaus Kümmerer, Professor für Nachhaltige Chemie an der Uni Lüneburg, kritisiert, dass die Pharmaindustrie ihre Verantwortung nicht wahrgenommen habe, etwa durch strikte Umweltstandards. In indischen Gewässern hat etwa Larssons Team wiederholt extrem hohe Antibiotika-Konzentrationen gemessen. Sie waren teils hoch wie im Blut eines Patienten, der gerade mit Antibiotika behandelt wird. Das habe im Westen aber niemanden geschert, weil es ja „nur“ in Indien war. „Es ist an der Zeit, dass das Problem endlich die notwendige Aufmerksamkeit erhält“, sagt Kümmerer.
Die Organisation Changing Markets, die das Experiment durchgeführt hat, sieht auch Konsumenten in den westlichen Industrienationen in der Pflicht. Sie sollten darauf drängen, dass bei der Herstellung von Arzneimitteln hohe Umweltstandards eingehalten werden. Auch Politiker und Institutionen sollten entsprechende Verordnungen erlassen.