Gefährliche Keime

Warum wir über Impfungen berichten

Impfen? Auf keinen Fall, das macht doch Autismus. Das ist nicht nur falsch, sondern auch extrem gefährlich. Masern, Diphterie, Tetanus und Keuchhusten: Viele tödliche Krankheiten können wir schon seit Jahrzehnten erfolgreich bekämpfen, doch wir schaffen es nicht. Warum? Unser Schwerpunkt zum Thema Impfen.

von Eva Belmonte

© Füllmaschine von Impfstoff von Christian Fleury/Sanofi unter CC-Lizenz

Diese Recherche ist Teil unserer Kooperation „Medicamentalia“ mit dem spanischen Recherchebüro „Civio“ und erscheint in unserem Schwerpunkt über resistente Keime.


Hunderttausende Menschen sterben weltweit jedes Jahr an vermeidbaren Krankheiten. Weil sie nicht geimpft wurden. Ein Beispiel sind die Masern. Rund 85 Prozent aller Menschen weltweit haben die erste Impfung gegen Masern erhalten. 2015 verfehlten rund die Hälfte aller Länder die notwendigen Impfraten, um die Ausbreitung von Masern zu verhindern. Und: Seit 2010 haben sich die Impfraten für diverse Erreger im Durchschnitt kaum verbessert.

Wieder einmal bilden Entwicklungsländer das Schlusslicht. Die Gründe: De Preise sind zu teuer. Und sie sind nicht an Länder mit schlechten Transportmöglichkeiten und fehlender elektrischer Infrastruktur angepasst. Viele Impfstoffe müssen konstant auf Kühlschranktemperaturen gekühlt werden. Und wer sein Kind durch ein Kriegsgebiet zum Arzt bringen muss, verpasst eher eine von den empfohlenen fünf Impfungen im ersten Lebensjahr als Eltern in Berlin, Hamburg oder München. 

Aber auch in einigen Industriestaaten gibt es Lücken, selbst in Deutschland. Immer mehr Impfgegner schüren Misstrauen gegen Impfungen. Besonders ausgeprägt ist dieses Misstrauen in Europa. Spitzenreiter ist Frankreich, wo in einer Studie 41 Prozent der Befragten den Satz ablehnten: „Impfungen sind sicher.“

Unterdessen kehren besiegt geglaubte Erkrankungen zurück: In Europa* infizierten die Masern allein im Jahr 2015 rund 26.000 Menschen – während in ganz Nord- und Südamerika nur 611 Masernfälle gemeldet wurden. In Deutschland erkrankten fast 2.500 Menschen – mehr als in jedem anderen EU-Land. In Berlin starb ein einjähriges Kleinkind an der Erkrankung.

Auch in der Heimat von Google, Facebook & Co., im Silicon Valley, gibt es neue Ausbrüche, befördert durch Lifestyle-getriebene Impfskepsis. Die Immunisierungsraten liegen im Silicon Valley unter dem Minimum. Und der neue US-Präsident Donald Trump ist berüchtigt dafür, dass er sich mit Wortführern der Anti-Impf-Bewegungen trifft.

Zeit für ein paar Fragen: Wie, wo und warum infizieren sich Menschen? Was sind die Konsequenzen? Warum sind manche Impfstoffe hier günstig und dort teuer? Warum ist der Handel mit ihnen so intransparent? In den kommenden Tagen veröffentlichen wir unter correctiv.org/keime in Kooperation mit dem spanischen Recherchebüro Civio mehrere Texte zum Thema Impfungen: zu Masern, zu Preisen und zu Humanen Papillomviren, die unter anderem Gebärmutterhalskrebs auslösen.


*Europa in der Datenbank der WHO: In der Statistik der Weltgesundheitsorganisation umfasst die Region Europa neben den Staaten der EU auch die Länder: Island, Norwegen, Schweiz, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Moldawien, Weißrussland, Ukraine, Russland, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan, Turkmenistan. Setzt man die Masernfälle in Deutschland aus 2015 in Vergleich mit all diesen Staaten und nicht nur den 28 der Europäischen Union, so liegt Deutschland immer noch an zweiter Stelle, hinter Kirgisistan.

Medicamentalia Vaccines ist ein Rechercheprojekt unseres Partners Civio, einem spanischen Newsroom für investigativen Journalismus, Das Projekt untersucht den gegenwärtigen Stand von Impfungen weltweit und stützt sich dafür auf Datenanalysen und Recherchen vor Ort in mehreren Ländern. Es wird von „Journalism Grants“ gefördert, einem Projekt des „Euroepan Journalism Centre“ mit Mitteln der Bill & Melinda Gates Foundation. Die Stiftung engagiert sich für Impfprogramme weltweit, hatte aber auf diesen Beitrag keinen Einfluß.

Übersetzung aus dem Englischen: Nándor Hulverscheidt