Gewalt im Sport

Nacktbehandlungen durch Spielerberater? Staatsanwaltschaft sucht Betroffene

Sexualisierte Übergriffe im Fußball: Nach Enthüllungen zu Vorwürfen gegen den Spielerberater N. sucht die Staatsanwaltschaft München nach möglichen Zeugen, während sich sechs weitere Betroffene bei CORRECTIV melden.

von Jonas Hummels , Jonathan Sachse

Training Gewalt Spielerberater
Spieler berichten, wie sie vor dem Spielerberater mit freiem Oberkörper mit sogenannten Power Ropes Krafttraining gemacht haben. Illustration: Mohamed Anwar

Ende März teilt Matthias* einen CORRECTIV-Artikel im Familienchat mit seinen Eltern auf Whatsapp: Der einflussreiche Spielerberater N. soll in über hundert Fällen minderjährige Fußballer im Intimbereich berührt haben. N. wies die Anschuldigungen im März zurück. Die Unschuldsvermutung gilt.

Die Mutter von Matthias, der lieber anonym bleiben will, fragt im Chat: „Ist N. gemeint?“. Matthias antwortet kurz mit „ja“. Beim Abendessen spricht er erstmals mit der Familie über das, was er erlebt haben will.

Die Vorwürfe gegen den Spielerberater N. sind offenbar umfangreicher als bislang bekannt: Nach der Veröffentlichung am 26. März meldeten sich sechs weitere Fußballer bei CORRECTIV. Auch sie schildern, wie N. sie unter dem Vorwand einer sportmedizinischen Behandlung nackt behandelt und berührt habe. Die meisten geben an, dass sie zum Zeitpunkt der Berührungen noch minderjährig gewesen seien.

N. äußert sich erneut. Er verweigert zwar ein zitierfähiges Gespräch, antwortet aber schriftlich auf einen neuen Fragenkatalog von CORRECTIV. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt jemals Spieler gezielt grenzverletzend intim oder gar mit irgendeiner sexuellen Intention berührt“, schreibt N. Er habe niemals unter „medizinischem Vorwand“ oder „machtmißbräuchlich“ gehandelt. „Sämtliche Angebote entstanden aus konkreten Bedarfen von Spielern und waren niemals Selbstzweck.“

Ein Spieler spricht von kostenlosen Fußballschuhen und körperlichen Untersuchungen

Was alle Fußballer eint, die ihre Erfahrungen mit N. gegenüber CORRECTIV teilen: Sie träumten vom Profifußball, als N. zwischen 2005 und 2018 ihr Berater wurde. Die meisten spielen heute noch im Amateurfußball, wenige schafften es in den Profifußball.

Matthias ist einer der betroffenen Spieler. Am Abend, als er mit seiner Familie zum ersten Mal über das Erlebte spricht, sitzen sie in einem Restaurant. Sie sprechen noch verhalten, da sie oft in diesem Lokal sind und Bekannte dort ein und aus gehen.

Mitte der 2000er Jahre begann der Spielerberater N., ihn zu betreuen. Matthias erinnert sich an Vorteile, die N. ihm verschaffte: neue Fußballschuhe, schnelle Arzttermine und Unterstützung bei privaten Problemen.

Gleichzeitig berichtet er von unangenehmen Erlebnissen. Regelmäßig habe er leicht bekleidet Übungen bei N. durchgeführt, oft Krafttrainings. Immer wieder sei es zudem zu körperlichen Untersuchungen gekommen, bei denen er nackt gewesen sei.

Ehemaliger Spielerberater äußert sich: Es haben kein Abhängigkeitsverhältnis bestanden

Über acht Jahre sei es zu solchen Nacktbehandlungen gekommen. Matthias erinnert sich, dass N. ihn schon im jungen Alter, deutlich unter 18 Jahren, im Intimbereich berührte. Über die Jahre hinweg habe N. ihn hunderte Male im Genitalbereich berührt. Warum hat er sich dagegen nicht gewehrt? „Wer bin ich, dass ich als 15-jähriger Junge dem Berater sage, der hundert Spieler betreut: Halt stopp, das ist falsch“, sagt Matthias heute. „Im Nachhinein bereue ich, dass ich dabei gewesen bin.“

N. bestreitet die Vorwürfe. In seiner schriftlichen Stellungnahme an CORRECTIV äußert er, dass der Begriff „Nacktbehandlungen“ irreführend sei. Die Spieler seien immer teilweise bekleidet oder mit einem ausreichend großen Tuch bedeckt gewesen. 180 mal 70 Zentimeter groß sei das Tuch gewesen. Zudem habe es einen Umkleide-Bereich mit Sichtschutz gegeben. „Ein, wie auch immer geartetes, Abhängigkeitsverhältnis bestand nie“, schreibt N.

Seit der CORRECTIV-Veröffentlichung haben Matthias’ Eltern häufiger mit ihrem Sohn darüber gesprochen. Auch andere Fußballer, die von N. betreut wurden, berichten, dass sie nach dem Artikel erstmals offen mit ihren Eltern über die Behandlungen gesprochen haben. Die Mutter und der Vater von Matthias reflektieren auch zu zweit, ob sie ihren Sohn enger hätten begleiten sollen.

„Natürlich macht man sich Vorwürfe und überlegt, ob man das hätte bemerken müssen“, sagt die Mutter im Juli gegenüber CORRECTIV. Sie seien grundsätzlich nicht so sensibilisiert gewesen zum Thema Missbrauch. Für die Zukunft wünscht sie sich Aufklärung zum konkreten Fall und fordert Vereine auf, Eltern mit Infoblättern über „Go’s und No-Go’s“ in der Zusammenarbeit mit Spielerberatern zu informieren.

Staatsanwaltschaft: „Wir brauchen immer namentlich benannte und aussagebereite Zeugen“

Noch am Abend der Veröffentlichung im März trennte sich die Fußballagentur, bei der N. angestellt war, von ihm. Ein CORRECTIV vorliegender Beschluss bestätigt seine Freistellung an diesem Tag. In derselben Woche nahmen bayerische Ermittlungsbehörden erstmals die Vorwürfe gegen N. unter die Lupe und prüfen seitdem eine mögliche Straftat.

Die Staatsanwaltschaft München I sucht Betroffene. „Unsere Ermittlungen dauern an.“ Sie bräuchten immer namentlich benannte und aussagebereite Zeugen oder Geschädigte. „Allein mit anonymen Hinweisen können wir keinen Tatnachweis führen. Uns ist klar, dass das für Zeugen und insbesondere Geschädigte sehr belastend sein kann, aber ohne sie geht es leider nicht.“

Zu den bekannten Vorwürfen sagte die Strafrechtlerin Christina Clemm bereits im März, dass diese Handlungen strafrechtlich „unter den Aspekten der sexuellen Nötigung, der sexuellen Belästigung, der Körperverletzung oder Nötigung relevant sein“ können. Clemm, Anwältin für Familien- und Strafrecht, hat viele Betroffene sexueller Gewalt vertreten.

Sie hat immer wieder erlebt, wie schwer es Betroffenen fällt, eine Anzeige zu erstatten oder als Zeuge vor Gericht auszusagen, etwa aus Angst vor Schmutzkampagnen oder Unterlassungsaufforderungen. Sie betont, wie wichtig es ist, „Betroffene zu stärken, Täterstrategien zu entlarven und denjenigen, die es wagen, öffentlich zu werden und gegebenenfalls Anzeigen zu erstatten, Respekt entgegenzubringen.“

Häufig wenden sich Betroffene eher an Medien, weil diese besser Informanten schützen können. Anders ist es bei Ermittlungsbehörden, die keine absolute Vertraulichkeit garantieren können, weil Aussagen protokolliert und eventuell vor Gericht offengelegt werden müssen.

Hintergrund: Journalistischer Quellenschutz und Aussagen bei strafrechtlichen Ermittlungsbehörden

Wenn Menschen Missstände erfahren, haben sie die Möglichkeit, diese Dritten gegenüber zu äußern. Dabei unterscheidet sich bei Medien und Ermittlungsbehörden grundlegend, was vor einer Kontaktaufnahme beachtet werden sollte.

Warum CORRECTIV keine Quellen an Ermittlungsbehörden übergibt

CORRECTIV schützt Hinweisgeberinnen und Informanten. Wer sich vertrauensvoll an die Redaktion wendet, kann sich sicher sein, dass sein Name nicht preisgegeben wird. Dieser Quellenschutz gilt für jedes Gespräch der Journalistinnen und Journalisten. Deshalb wissen im Fall des Spielerberaters N. die Fußballer nicht, wer mit der Redaktion gesprochen hat, es sei denn, sie informieren sich gegenseitig.

Auch an Ermittlungsbehörden gibt CORRECTIV keine Namen weiter. Dazu können Journalistinnen und Journalisten auch nicht gezwungen werden. Denn Medienschaffende verfügen gegenüber der Justiz über ein Zeugnisverweigerungsrecht. In ganz besonderen Ausnahmen gilt dieses Privileg für Medien nicht, wenn etwa der Verdacht besteht, dass Hinweise zum Verhindern einer besonders schweren Straftat (z. B. Terrorismus) führen können.

Grundsätzlich gilt: Quellen sollten selbst entscheiden, ob sie mit der Polizei oder Staatsanwaltschaft sprechen, ob sie dort aussagen oder rechtliche Schritte gegen eine Beschuldigte einleiten. Sie sind es, die am Ende die Folgen eines möglichen Verfahrens tragen.

Sind Sie betroffen? Oder überlegen Sie, mit einer Ermittlungsbehörde Kontakt aufzunehmen?

Neben spezialisierten Anwältinnen und Anwälten für Sexualstrafrecht können Sie sich an Fachberatungsstellen als Erstanlaufstelle wenden. Davon sind einige auf den Sport ausgerichtet:

Ansprechstelle Safe Sport: 0800 11 222 00 (montags, mittwochs und freitags von 10 Uhr bis 12 Uhr und donnerstags von 15 bis 17 Uhr)

Anlauf gegen Gewalt: ‭0800 90 90 444 (montags, mittwochs und freitags von 9 Uhr bis 13 Uhr, dienstags und donnerstags von 16 Uhr bis 20 Uhr)

Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 (montags, mittwochs und freitags von 9 Uhr bis 14 Uhr, dienstags und donnerstags von 15 Uhr bis 20 Uhr)

Kein Täter werden: Hilfestelle für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen

Wann ermittelt eine Staatsanwaltschaft?

Ein Ermittlungsverfahren beginnt erst, wenn sich ein Anfangsverdacht bestätigt, also die Möglichkeit einer Straftat besteht. Ein solcher Anfangsverdacht kann durch eine schriftliche Dokumentation gegeben sein oder eine Aussage, die Betroffene oder andere Zeugen tätigen. Wer einen solchen Schritt geht, kann dies bei einer Staatsanwaltschaft oder der Polizei tun. In der Regel hilft es, sich dort direkt an Fachpersonen für Sexualdelikte vermitteln zu lassen.

Zu einer Anklage kommt es erst, wenn einer Staatsanwaltschaft so viele Belege vorliegen, dass sie eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung sieht. Ein Gericht entscheidet dann, ob es zu einem Verfahren kommt.

In den ersten Wochen nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen N. berichteten mehrere nationale Medien, darunter Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Welt, Süddeutsche Zeitung und das Fußballmagazin 11Freunde.

N. äußerte sich weder auf Social Media noch proaktiv gegenüber Medien. Er reagierte jedoch auf Anfragen von Journalisten mit einem Gesprächsangebot, solange diese zusagten, aus den Gesprächen mit ihm nicht zu zitieren. Unter anderem rief N. einen FAZ-Journalisten an, der ihn zuvor mit den Vorwürfen zu möglichem Machtmissbrauch und sexualisierten Übergriffen konfrontiert hatte. Am Telefon habe N. sich ausführlich geäußert, aber nur unter der Bedingung, dass seine Aussagen nicht öffentlich verwendet werden dürfen. Über den genauen Inhalt des Gesprächs ist CORRECTIV nichts bekannt.

N. suchte auch bei CORRECTIV den Weg für ein vertrauliches Hintergrundgespräch. Die Redaktion forderte, dass die „groben Themen“ in einem Artikel beschrieben werden können und unabhängig von einem solchen Gespräch zitierfähige Antworten zu den Vorwürfen für das öffentliche Interesse wichtig seien. N. lehnte ein Gespräch in diesem Rahmen ab.

Sie haben Hinweise?

Hier wird erklärt, wie Sie CORRECTIV vertraulich und sicher Informationen zukommen lassen können. Sie entscheiden, welchen Kontaktweg Sie nutzen. Ein Weg für besonders sensible Hinweise ist der anonyme Briefkasten.

Direkter Kontakt zu den Autoren:

Jonas Hummels: Signal-Messenger und j.hummels@proton.me

Jonathan Sachse: Signal-Messenger und jonathan.sachse@correctiv.org

„Es war ein offenes Geheimnis und jeder wusste es.“

Relevante Fußballmedien wie der Kicker und die Sport Bild berichteten bisher nicht über die Vorwürfe gegen N. Auch prominente Persönlichkeiten aus der Fußballbranche äußerten sich nicht öffentlich. Gleichzeitig waren die Vorwürfe gegen N. in der Branche wochenlang ein Thema, wie Insider gegenüber CORRECTIV bestätigen.

Auch bei CORRECTIV meldeten sich dutzende Menschen, die nicht selbst von N. betreut wurden, aber Beobachtungen, weitere Erfahrungen zu N. oder auch Kritik am Artikel teilen. Darunter waren Berater, Anwälte, Trainer, Ärzte, Pädagogen und weitere Insider aus der Sport- und Fußballbranche.

Einer schrieb: „Es war ein offenes Geheimnis und jeder wusste es.“ Eine andere Person sagt: „Es gab viele Freunde, die von N. beraten wurden und (…) nackt behandelt. Jetzt fragen sie sich im Nachhinein, ob das grenzüberschreitend war.“ Ein weiterer Insider kritisiert Teile der Berichterstattung und betont, dass N. vielen Spielern „sozial und medizinisch“ geholfen habe.

Es bleibt abzuwarten, ob künftig offen diskutiert wird, wie der Kinder- und Jugendschutz in Vereinen und Fußballagenturen verbessert werden kann.

N. selbst will nicht mehr in der Spielerberatung tätig sein. Aktuell befinde er sich in einer beruflichen Auszeit, schreibt er an CORRECTIV. „Ich werde erst nach einem Sabbatjahr für mich entscheiden, in welchem Kontext ich dann beruflich tätig werde.“

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Mitarbeit:

Redigat: Elena Kolb
Faktencheck: Finn Schöneck
Illustration: Mohamed Anwar

Weitere Informationen:

*Matthias ist ein Pseudonym. Der echte Name ist den Autoren des Artikels bekannt.

Korrektur am 22. Juli 2025: In einer ersten Version des Artikels war der Satz „Die Staatsanwaltschaft sucht Betroffene“ missverständlich einer konkreten Aussage der Oberstaatsanwältin Anne Leiding zugeordnet. Das haben wir korrigiert.

CORRECTIV recherchiert gemeinsam mit dem Fußballmagazin 11Freunde und Lokalmedien aus ganz Deutschland langfristig zum Thema Gewalt und Machtmissbrauch im Kinder- und Jugendfußball: Weitere Informationen