Angst und Sippenhaft: Wie China seine Studierenden in Deutschland kontrolliert
Der chinesische Überwachungsapparat reicht bis in deutsche Universitäten: Studierende aus China unterschreiben nach Recherchen von CORRECTIV und Deutsche Welle Verträge, die sie zu Gehorsam und Staatstreue verpflichten. Die Botschaft will über jeden Schritt Bescheid wissen. Bei Vertragsbruch drohen hohe Strafen.
Miechell Yang hat Angst. Die Vorstellung, nach China zurückzukehren, verfolgt ihn bis in den Schlaf. „Ich wurde mit vielen Bekannten in einen Raum gebracht. Dann begann die Untersuchung“, erzählt er über einen Albtraum. Deshalb wurde sein Name in diesem Text geändert.
Der junge Mann ist als Stipendiat des China Scholarship Council (CSC) nach Deutschland gekommen, einem Programm für erstklassige Studierende. Doch die Förderung hat ihren Preis: Der CSC lässt seine Stipendiaten Verträge unterschreiben, die ihnen verbieten, sich an Aktivitäten zu beteiligen, „die den Interessen des Mutterlandes schaden“. Was genau damit gemeint ist, lassen die Verträge offen. Wenn die Studierenden jedoch gegen die Auflagen verstoßen, drohen hohe Strafen.
Wie Miechell Yang studieren und studierten bisher nach Schätzungen vom Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) zwischen 4.000 und 5.000 Chinesinnen und Chinesen mit einem CSC-Stipendium in Deutschland. Offizielle Zahlen darüber, wie viele CSC-Stipendiaten insgesamt in Deutschland studieren, gibt es nicht. CORRECTIV und Deutsche Welle haben CSC-Verträge aus mehreren Jahren und Ländern vorliegen. Der aktuellste Vertrag stammt von 2021 und gilt für ein Stipendium an einer deutschen Universität. Eine China-Expertin ordnete den Inhalt für uns ein.
Der Vertrag zeigt, dass es bei dem CSC-Stipendium nicht nur um Eliten-Förderung geht, sondern um staatliche Kontrolle und Einflussnahme: So ist ein ständiger Kontakt zur chinesischen Botschaft Pflicht. Die Studierenden verpflichten sich außerdem zur Treue gegenüber China. Eine Grundvoraussetzung für das Stipendium ist die Unterstützung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).
Studierende willigen auch ein, nach China zurückzukehren. Das ist bei Stipendien nicht unüblich. Die angedrohten Sanktionen hingegen schon: Verstoßen die Studierenden gegen die Vertragsinhalte, drohen hohe Geldstrafen und rechtliche Konsequenzen. Und nicht nur für sie. Die Stipendiaten müssen Kontaktpersonen angeben, die für sie bürgen und China während des Vertragszeitraums nicht länger als drei Monate verlassen dürfen. Die Chinesische Botschaft und der CSC äußerten sich gegenüber CORRECTIV und Deutsche Welle trotz wiederholter Nachfrage nicht zum Thema.
CORRECTIV sprach für diese Recherche mit mehreren chinesischen Studierenden, darunter einem CSC-Stipendiaten, und Professoren an verschiedenen deutschen Universitäten. Die Gespräche zeichnen ein deutliches Bild: Freie politische Meinungsäußerung ist für chinesische Studierende quasi unmöglich, auch aus Angst vor Einschüchterungsversuchen oder den Konsequenzen für die Familie zu Hause.
Akademische Freiheit an deutschen Unis gilt offensichtlich nicht für CSC-Stipendiaten
Dem Bundesforschungsministerium (BMBF) scheint bekannt, dass der CSC von Studierenden „ideologische Konformität“ einfordert. Eine Sprecherin verweist auf die öffentlich einsehbaren Auswahlkriterien auf der CSC-Internetseite. Darin heißt es etwa, eine Kommission prüfe die „politische Ideologie“ der Kandidaten.
Als Grundvoraussetzung für die Bewerbung gilt: „Unterstützen Sie die Kommunistische Partei Chinas und das sozialistische System chinesischer Prägung, lieben Sie das Mutterland, haben Sie eine gute Moral (…).“
Die Sprecherin des BMBF teilt weiter mit, es sei wichtig, dass sich die aufnehmenden deutschen Institutionen über die möglichen Zwänge der CSC-Studierenden bewusst seien und „und dafür Sorge tragen, dass die grundgesetzlich verankerte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit auch für diese Personengruppe frei entfaltet werden kann.“ Verträge aus anderen Ländern mit ähnlichen Voraussetzungen seien dem BMBF nicht bekannt.
Der CSC-Vertrag aus dem Jahr 2021, auf den CORRECTIV und Deutsche Welle sich in dieser Recherche beziehen, besteht aus 16 Artikeln auf 9 Seiten, einige Absätze gleichen Stipendien-Verträge hierzulande. Andere wiederum machen deutlich, dass es vor allem um die Kontrolle der Stipendiaten geht: Sowohl die Stipendiaten als auch ihre zwei Bürgen verpflichten sich zu den Vorgaben. Sie können haftbar gemacht werden, bürgen mit ihrem Privatvermögen.
Die Strafzahlungen können allerdings durch „Schadensersatzzahlungen“ von 30 Prozent höher ausfallen als das Stipendium selbst, für das offenbar bis zu umgerechnet 76.000 Euro ausbezahlt werden. Die Strafe wird nach 45 Tagen fällig. Auch nach der Rückkehr bleiben die Vorschriften noch zwei Jahre für die Stipendiaten gültig. Erst nach der sogenannten zweijährigen „Service-Zeit“ gilt der Vertrag als abgeschlossen.
Eine nahezu identische Version des Vertrags, der uns vorliegt, ist auch im Netz abrufbar. Diese ist von 2018.
In Schweden hat das Karolinska Institut ihr CSC-Programm mittlerweile ausgesetzt. Der Grund sind Formulierungen in den Verträgen. So sei unklar, was „gegen die Interessen des chinesischen Staates“ bedeute, wird die Universität in der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter zitiert. Die Universität hat sich mit den Verträgen genauer beschäftigt, nachdem eine Stipendiatin sich aufgrund schlechter Noten um die Familie und deren finanzielle Situation sorgte. Dagens Nyheter hatte daraufhin berichtet.
Studierende aus China sind an deutschen Universitäten gern gesehen. Die Recherchen von CORRECTIV und Deutsche Welle haben ergeben, dass an rund 30 Hochschulen bundesweit und in sämtlichen Fachbereichen CSC-Stipendiaten zu Gast waren oder es aktuell sind.
Zahlreiche Universitäten, wie beispielsweise die FU Berlin und die LMU München, verweisen auf ihrer Homepage auf das Stipendium. CORRECTIV und Deutsche Welle haben die Unis gefragt, wie viele Menschen mit CSC-Stipendium dort studieren oder studierten: In Berlin haben demnach seit 2009 um die 487 Chinesinnen und Chinesen mit einem CSC-Stipendium studiert. In München waren bis Ende des vergangenen Jahres 492 CSC-Stipendiaten eingeschrieben.
Auf Anfrage, ob den Universitäten die Verträge bekannt sind und wie sichergestellt wird, dass die freiheitliche Lehre auch für CSC-Studierende gilt, antwortete die FU Berlin, dass ihr solche Verträge nicht bekannt seien.
Auch die LMU München, die circa 40 CSC-Stipendiaten jährlich aufnimmt, gibt an: Vereinbarungen mit der chinesischen Regierung seien der Universität „bislang nicht bekannt gewesen“, genauso wenig wie konkrete Fälle von Einschüchterung. Kritisch hinterfragen möchte die Universität die Kooperation offensichtlich nicht, schließlich treffe die Uni selbst die Vorauswahl der Kandidaten. Kürzlich feierte die LMU das 15-jährige Jubiläum des Austauschs. Die Verbindung zum CSC scheint eng: Gratuliert hat der Generalkonsul der Volksrepublik China in München persönlich.
CSC als Instrument der Kommunistischen Partei im Ausland
Der CSC ist dem chinesischen Bildungsministerium und damit auch der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt. Er ist einer der wichtigsten Stipendiengeber Chinas und gehört zur Gesamtstrategie des Landes. Zu den Zielen des CSC sagt Sheng Jianxue, Generalsekretär der Organisation, er werde der von der Partei vorgegebenen Richtung für China folgen: „Zuallererst müssen wir darauf bestehen, unseren Verstand mit Xi Jinpings sozialistischer Ideologie chinesischer Prägung in der neuen Ära zu bewaffnen.“
Die deutsche Wissenschaftslandschaft scheint diese Rhetorik nicht zu stören. Der DAAD etwa, der den internationalen Austausch fördern soll und ebenfalls Stipendien an Studierende vergibt, bietet in Kooperation mit dem CSC das Programm „Sino-German Postdoc Scholarship“ an.
Auf diese Kooperation angesprochen, teilt ein DAAD-Sprecher gegenüber CORRECTIV mit: „Das Verständnis der Rolle von Forschung und Lehre unterscheidet sich stark zwischen Deutschland und China.“ Die CSC-Bedingungen spiegelten die Realität in China wider, in der Universitäten immer stärker den ideologischen Vorgaben genügen müssten.
Von den CSC-Verträgen und den Zwängen, die sie den chinesischen Studierenden auferlegen, hat der deutsche Austauschdienst aber keine Kenntnis, trotz der Jahrzehnte alten Partnerschaft.
China-Expertin sieht hohes Risiko für Studierende und Bürgende
Mareike Ohlberg, China-Expertin und Fellow im Asien-Programm des German Marshall Fund, ordnet den Vertrag von 2021, der CORRECTIV und Deutsche Welle vorliegt, ein. Für sie symbolisiert der Schriftsatz vor allem den „Kontrollwahn“ des chinesischen Staates. „Auch im Ausland sind Chinesen nicht frei, sondern sollen weiterhin unter Beobachtung der Partei stehen“, sagt sie.
Der Vertrag schüchtere die Stipendiaten ein, als schlimmstes Vergehen gilt, den Interessen Chinas zu schaden. „Das steht noch vor der Beteiligung an Verbrechen, also praktisch auch noch vor Mord. Da setzt China ganz klar seine Prioritäten“, so Ohlberg. Gleichzeitig sei der Absatz zum nationalen Interesse Chinas bewusst breit gefasst: „Auf eine Demonstration gegen die chinesische Regierung zu gehen, fällt klar darunter, aber wenn man Pech hat, kann es auch mal ein Social Media Post sein.“ Für die Studierenden seien die Folgen bei möglichen Verstößen gegen die Auflagen kaum abzuschätzen. „Aber die Konsequenzen für relativ kleine Verstöße sind natürlich potenziell extrem hoch.“
Daneben enthalte der Vertrag aber auch Mobilisierungsaufrufe: „Leute werden aktiv ermutigt, einzuschreiten, wenn irgendetwas passiert, was nicht im Interesse des Landes sein könnte.“ Das kann die Lehre an der Universität einschließen, wie beispielsweise parteikritische Vorträge, aber auch die Weitergabe von Informationen an die Botschaft.
Für Ohlberg haben die Stipendiaten mit solch einem Vertrag wenig Spielraum: „Wenn man so etwas unterschrieben hat, kann man eigentlich nur extrem vorsichtig sein. Denn es besteht ein sehr hohes finanzielles und persönliches Risiko bei Vertragsbruch für einen selbst und die bürgende Person.“
Grünen-Politiker Gehring: „Praxis ist nicht mit Wissenschaftsfreiheit vereinbar“
Für Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Forschungsausschusses des Bundestags, ist es im Gesamtkontext chinesischer Einflussnahme auf die Wissenschaft „problematisch“, dass CSC-Stipendien an ideologische Bedingungen geknüpft werden. Vorgeschriebene Loyalität und „Sippenhaftung bei angeblichem Vertragsbruch“ machten eine unabhängige Forschungsarbeit unmöglich.
„Diese Praxis ist mit der in unserem Grundgesetz verankerten Wissenschaftsfreiheit unvereinbar. Die Verankerung von Staatspropaganda und Kontrolle führt den Sinn von internationalem akademischen Austausch ad absurdum“, sagt Gehring gegenüber CORRECTIV und Deutsche Welle.
Chinesische Studierende spüren Einfluss des Regimes deutlich
Der CSC-Vertrag hat Auswirkungen auf das Leben der Stipendiaten im Ausland: Der Stipendiat Miechell Yang, mit dem CORRECTIV sprechen konnte, sagt, dass der Vertrag Studierenden verbiete, an Protesten und Demonstrationen in Deutschland teilzunehmen. Den Stipendiaten besorgt das: Er meint, die Regeln würden „sehr streng“ durchgesetzt.
Auch viele weitere chinesische Studierende ohne CSC-Stipendium, mit denen CORRECTIV für diese Recherche sprach, nennen ihre Familie als Grund, sich generell nicht offen zu politischen Themen äußern zu können. Dabei ist es egal, ob sie dem Regime von Xi Jinping zugetan sind oder es kritischer sehen: Immer halten sie sich zurück, verweisen auf die Familie in China.
Ihre Sorge ist begründet: 2020 wurde der Vater einer Studentin in Australien in eine Polizeistation zitiert, weil sie die KPCh öffentlich kritisiert hatte. Im selben Jahr wurde ein chinesischer Student nach seiner Rückkehr aus den USA für sechs Monate inhaftiert, sein Vergehen: kritische Memes auf Twitter. Erst vergangenen November wurden Demonstrationen von Studierenden einer chinesischen Universität durch die Polizei gewaltsam beendet.
Mehrere von uns befragte Professoren an deutschen Universitäten beobachten, dass sich ihre chinesischen Studierenden überwacht fühlen oder sich aus politischen Unterhaltungen raushalten, gerade wenn andere Chinesen anwesend sind.
Die Recherche zeigt: Der chinesische Überwachungsapparat funktioniert über die Landesgrenzen hinaus. Die deutsche akademische Freiheit mag zwar ein hohes Gut sein. Aber sie gilt nicht für alle.