Ibiza-Affäre

Der Fall Hessenthaler: Zweifel am Rechtsstaat werden lauter

Nach einer CORRECTIV-Recherche zu Unstimmigkeiten im Strafverfahren gegen den Macher des Ibiza-Videos wächst die Kritik an der österreichischen Justiz: Politikerinnen und Juristen fordern Konsequenzen. Auch Prominente äußern sich empört. Die ÖVP schweigt.

von Jean Peters , Gabriela Keller

Oesterreich-Justiz-Hessenthaler-Ibiza-Video-Zensur

Wenige Tage nach der Freilassung des Ibiza-Video-Machers aus dem Gefängnis sehen Politikerinnen, Juristen und Prominente erheblichen Aufklärungsbedarf: Julian Hessenthaler war 2022 in Österreich zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden – nicht wegen des Videos, sondern wegen des Vorwurfs des Drogenhandels. CORRECTIV hatte ihn als erstes Medium nach dem vorzeitigen Ende seiner Haft am 7. April interviewt und eine Reihe von Unstimmigkeiten in dem Strafverfahren aufgedeckt. 

Der Fall zeige, „wie groß die Gier und die Bereitschaft, sich korrumpieren zu lassen, im Politikbetrieb offenbar sind“, sagt Viola von Cramon-Taubadel, grüne Abgeordnete im EU-Parlament, gegenüber CORRECTIV. Ein rechtsstaatliches Verfahren könne sie nicht erkennen; vielmehr seien Vorwürfe gegen Hessenthaler „konstruiert“ worden, um „eine politisch missliebige Person einzuschüchtern, ihr Umfeld auszuschalten und sie im Gefängnis festzusetzen.“ 

Die Parlamentarierin pocht auf eine Aufklärung des Falls auf EU-Ebene. Die Justiz in Österreich sei offensichtlich von politischen Interessen unterwandert, sagt von Cramon-Taubadel und spricht von Anzeichen für „State Capturing“. Dieser Begriff bezeichnet eine systematische politische Form von Korruption, bei der private Interessen von Einzelnen die Entscheidungen eines Staates maßgeblich beeinflussen.

Die sogenannte Ibiza-Affäre brachte 2019 die österreichische Regierungskoalition zu Fall. Der ehemalige Privatdetektiv Julian Hessenthaler hatte den damaligen Chef der rechtspopulistischen FPÖ Heinz-Christian Strache und einen seiner Parteifreunde auf Ibiza in eine Falle gelockt und heimlich bei einem Treffen mit einer angeblichen russischen Oligarchennichte gefilmt. Mit dem Video entlarvte Hessenthaler 2019 die Korruptionsbereitschaft der FPÖ-Politiker und löste einen politischen Skandal aus. 

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Kurze Zeit nach Veröffentlichung des Videos wurden Ermittlungen gegen Hessenthaler eingeleitet – wegen Drogenhandels. Wie CORRECTIV berichtete, hatte die Staatsanwaltschaft während Hessenthalers monatelanger Untersuchungshaft seine Anwaltspost mitgelesen. David Stögmüller, grüner Abgeordneter im österreichischen Nationalrat, bewertet dieses Vorgehen als „sehr verstörend.“ Allein die Formulierung im Schriftverkehr der Justizanstalt, die Post sei  „erst nach erfolgter Zensur an den Insassen“ zu übergeben, sei „haarsträubend“, sagt Stögmüller und kritisiert: „Letztlich höhlt eine derartige Überwachung das Recht auf umfassende Verteidigung aus.“

In Deutschland wie auf europäischer Ebene fordern Politiker nun Konsequenzen: „Sichergestellt sein muss, dass die Tätigkeit deutscher Behörden im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Julian Hessenthaler rechtmäßig erfolgt ist und allen rechtsstaatlichen Standards entspricht“, sagt der Grünen-Politiker und Bundestags-Abgeordnete Konstantin von Notz, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes, gegenüber CORRECTIV: „Angesichts der jüngsten Berichterstattung sollte das nochmal genau überprüft werden.“

Lautes Schweigen in der ÖVP

CORRECTIV hat mehrere ÖVP-Politiker um Stellungnahme gebeten. Keiner von ihnen antwortete. Rouven Ertlschweiger, Sprecher des Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka, teilte mit, dieser habe persönlich entschieden, nicht zu reagieren. Auch Bundeskanzler Karl Nehammer, ebenfalls ÖVP, ließ mehrfache Anfragen unbeantwortet. Seit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos steht die ÖVP im Zentrum mehrerer Anti-Korruptions-Ermittlungen.

In Deutschland indes wächst nun auch die Kritik an der Rolle der deutschen Justiz bei der Strafverfolgung Hessenthalers: Dessen ehemaliger Anwalt Johannes Eisenberg spricht von einem „Missbrauch“ der europäischen Strafrechtszusammenarbeit: Österreich habe das System benutzt, „um Julian Hessenthaler in Deutschland durch die deutschen Behörden auf der Grundlage von Fake-Vorwürfen verfolgen und ausliefern zu lassen.“

Das Verfahren in Österreich sei nicht rechtsstaatlich abgelaufen, die Unschuldsvermutung habe für seinen Mandanten nicht gegolten. Die zuständige Generalstaatsanwältin in Berlin und das Kammergericht seien dennoch nicht bereit gewesen, „sich mit den Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit der Verfolgung Hessenthalers in Deutschland zu beschäftigen.“

In dieser Woche griffen mehrere Medien, darunter t-online, netzpolitik und die taz, die CORRECTIV-Recherche auf und gingen besonders auf die Überwachung von Eisenbergs Berliner Anwaltskanzlei ein. Diese war auf Wunsch der Justizbehörden in Wien eingeleitet worden. Eisenberg hatte deshalb Strafanzeige wegen Rechtsbeugung „gegen Justizangehörige sowie österreichische Ermittlungsbeamte“ gestellt, teilt die Staatsanwaltschaft Augsburg mit. Das Verfahren sei eingestellt worden, da aus Sicht der Behörde keine Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Verhalten ersichtlich gewesen seien.

„Das System ist krank“ – Promis melden sich zu Wort

Auch einige Prominente reagierten mit Kritik auf die Berichterstattung von CORRECTIV, etwa aus dem Skisport, der in Österreich erhebliches Gewicht hat. „Dass nur drei Beamte mit der Untersuchung der Korruptionshinweise gegen Strache, für das Auffinden des Aufdeckers aber 20 abgestellt wurden, erzeugt bei mir Kopfschütteln“, sagt die ehemalige Skilaufmeisterin Nicola Werdenigg. „Ich glaube, man wollte an Hessenthaler ein Exempel statuieren, dass man den Großen und Mächtigen gefälligst nicht ans Bein zu pinkeln hat“,  vermutet der Musiker und Kabarettist Paul Pizzera. 

Für die Schauspielerin und Antifaschistin Mavie Hörbiger deutet der Fall auf politische Probleme in Österreich: „Fakt für mich ist, dass unser System krankt und Whistleblower keine Chance haben“, sagte Hörbiger gegenüber CORRECTIV. Dass es gelungen sei, aus den eigentlichen Korruptionsvorwürfen einen „Fall Hessenthaler“ zu konstruieren und ihn jahrelang ins Gefängnis zu bringen, demonstriere die rechtsstaatlichen Mängel „auf erschreckende Art und Weise.“ Der prominente österreichische Fernsehmoderator Armin Wolf twitterte, wenn man „die ganze Geschichte rund um das Ibiza-Video mit deutschen Augen sieht, wird sie nochmal bizarrer.“

Kulturveranstaltung von FPÖ skandalisiert

Heute Abend tritt Julian Hessenthaler bei einem Gespräch im Wiener Volkstheater in Kooperation mit CORRECTIV auf. Die FPÖ reagierte empört auf die Ankündigung und fordert sogar den Rücktritt des Intendanten Kay Voges. Er habe „ausgedient“, sagt der FPÖ-Klubobmann Maximilian Krauss: „Das Theatermachen soll jenen überlassen werden, die ehrliches Interesse daran haben, Kultur zu vermitteln und nicht Nestbeschmutzung zu betreiben.“

„Nestbeschmutzer“ hätten in Österreich Tradition, sagte Voges gegenüber CORRECTIV, es seien „große Namen wie Jelinek, Bernhard oder Peymann, die so bezeichnet wurden. Dass Julian Hessenthaler nun laut der FPÖ Teil dessen ist, freut uns sehr.“

Die Tickets waren nach kurzer Zeit ausverkauft, einen Link zum Livestream gibt es auf der Webseite des Volkstheaters. 

 

Update vom 12. Mai 2023: In einer vorherigen Version haben wir den österreichischen Politiker Hans-Christian Strache genannt. Korrekt ist der Vorname Heinz-Christian Strache.

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