Gier, Mordaufträge und der russische Geheimdienst: Hinter den Kulissen des größten Cannabis-Betrugs aller Zeiten

Hunderttausende Anleger fielen auf das Versprechen von Juicy Fields herein: Jeder kann reich werden mit medizinischem Cannabis. Nun hat CORRECTIV mit sieben Partnermedien in vier Ländern die Netzwerke der Drahtzieher verfolgt. Die Recherche zeigt, wie eine Riege mutmaßlicher Serienbetrüger aus Russland auf Raubzug in Europa ging.

Hunderttausende Anleger fielen auf das Versprechen von Juicy Fields herein: Jeder kann reich werden mit medizinischem Cannabis. Nun hat CORRECTIV mit sieben Partnermedien in vier Ländern die Netzwerke der Drahtzieher verfolgt. Die Recherche zeigt, wie eine Riege mutmaßlicher Serienbetrüger aus Russland auf Raubzug in Europa ging.

8. November 2024

Er soll Millionen erbeutet haben. Von Menschen, die an seine Versprechen glaubten.

Nun sitzt er in einem Gefängnis in Spanien und schickt eine E-Mail voller Spott, Zwinkersmileys und kühler Drohungen.

Sergei Berezin gilt als Drahtzieher des größten Cannabis-Betrugs aller Zeiten. Hunderttausende haben bei Juicy Fields Geld angelegt und verloren. Berezin aber schiebt die Schuld auf andere: „Ich habe selbst Vorwürfe gegen zahlreiche in das Projekt verwickelte Personen“, schreibt er, „und ich weiß, dass die Bestrafung für ihren Verrat unvermeidlich ist“.

In Berlin-Moabit sitzt die Oberstaatsanwältin Ina Kinder in ihrem Büro, von drei Seiten eingekastelt in Regale voll roter Papphefter, vom Boden bis zur Decke, in jedem steckt eine Anzeige im Fall Juicy Fields. „Wir wissen, wer dahintersteckt, und dass die obere Ebene wohl der russischen Mafia zuzuordnen ist“, sagt sie. „Aber in Russland kommen wir nicht weiter.“

Ganz in der Nähe steuert ein Mann, der sich Neo nennt, durch die Lobby eines Viersterne-Hotels. Er will eine Botschaft abliefern, deshalb ist er hier: Die Stories von den kriminellen Russen, die solle man nicht glauben. „Wenn man sagt: russische Mafia, ist das eine ernste Sache. Damit ist nicht zu spaßen“, sagt er und dann ruft er in die Stille des Saals: „Da ist nichts mit Mafia.“

Juicy Fields hieß die Online-Plattform, die mit einem großen Versprechen warb: Jeder kann reich werden mit medizinischem Cannabis. Es geht ganz leicht, nur ein paar Klicks, dann wachsen die Pflanzen, ganz ohne Risiko, nach gut drei Monaten kann die Ernte beginnen.

Jetzt steht der Name Juicy Fields für einen Betrugsfall mit gewaltigen Ausmaßen. Er verbindet 186.000 geprellte Anleger mit einer kleinen Riege mutmaßlicher Serienbetrüger aus Russland.

Den Häftling in dem spanischen Gefängnis mit der Staatsanwältin und dem Mann mit Decknamen „Neo“.

Berlin und Sankt Petersburg.

Die organisierte Kriminalität und die Crowd.

Für das Berliner Landeskriminalamt ist Juicy Fields der größte Fall, in dem es je ermittelt hat. Er hat Schlagzeilen gemacht, auch international; in Deutschland berichtete zuerst die Zeitschrift Finanztest. Es gibt einen Podcast der Deutschen Welle und eine Doku des ZDF.

Ein Krimi mit Grafen und russischen Ganoven

Nun hat CORRECTIV in Kooperation mit DR (Dänischer Rundfunk), Spiegel, Paper Trail Media, dem ZDF, dem niederländischen Rundfunk BNNVARA, dem Standard in Österreich und Svenska Dagbladet in Schweden rund ein Jahr lang recherchiert. Das Reporterteam hat mit Zeugen, Aussteigern, früheren Managern, Ermittlern und Fachleuten gesprochen und Firmennetzwerke analysiert, Zahlungsströme sowie geheime Unterlagen ausgewertet.

Die Recherchen ermöglichen einen neuen Blick hinter die Kulissen des organisierten Verbrechens made in Russia: Sie zeigen, wie eine Bande international agierender Gangster in Berlin angesetzt hat, um eine ausgeklügelte Täuschungsmaschinerie in Gang zu setzen – und nach dem Zusammenbruch weiter versucht, die Opfer in die Irre zu führen.

Es ist ein Fall wie ein Krimi, ein überdrehter Schundroman mit Auftragsmorden, falschen Grafen, goldenen Lamborghinis, Fonds in Liechtenstein, Paketbomben und Connections in die russische Unterwelt.

Russische Cyber-Kriminalität: Angriffe auf Europa

Der Bereich Cyber-Kriminalität wächst seit Jahren rapide. Im April brachte ein internationales Forscherteam den ersten „World Cybercrime Index“ heraus. Das Ergebnis ist hochbrisant. Denn der größte Teil der Bedrohung geht von einer kleinen Anzahl von Staaten aus – und Russland steht auf Platz 1 der Liste. Forscher und Fachleute werten Cyberbetrug auch als Angriff des Kreml auf die demokratischen Staaten Europas. „Eine Taktik Russlands Krieg zu führen, ist der Einsatz des organisierten Verbrechens als Instrument staatlicher Politik im Ausland“, schreibt der führende Russland-Experte Mark Galeotti in einem Briefing.

Für die, die auf das System hereinfielen, steht Juicy Fields vor allem für einen persönlichen Schlag. Manche haben ihre Ersparnisse verloren. Existenzen wurden ruiniert, Pläne zunichtegemacht.

„Für mich bedeutet das eine Enttäuschung über mich selbst. Dass ich auf die reingefallen bin“, sagt ein Sozialpädagoge, 45 Jahre, aus Lübeck. Der Mann ist chronisch krank und hat nicht viele Rücklagen, 7.500 Euro. Also fragte er einen Freund nach Tipps: Hast du eine Idee, wie man seine Rente aufbessern kann? Der empfahl Juicy Fields, das Geld ist jetzt weg: „Ich bin in ein richtiges Loch gefallen“, sagt der Pädagoge, „das begleitet mich bis heute“.

Ein Schneeballsystem mit Hunderttausenden Opfern

Das System Juicy Fields gaukelte ein Fantasiegebilde vor, mit Cannabis-Farmen in aller Welt und märchenhaften Renditen: Die Anleger konnten ihr Geld über ein virtuelles Gewächshaus in medizinisches Cannabis investieren. Für jede digitale Pflanze sollte eine reale wachsen, und wenn sie geerntet und verkauft ist, winkten den Anlegern hohe Gewinne.

Aber es gab wohl kein Produkt, kaum Cannabis und Plantagen nur zu Showzwecken. Die Polizei spricht von einem Schneeballsystem: Offenbar wurden frühere Investoren mit dem Geld der späteren ausgezahlt. Das ging eine Weile gut. Aber im Juli 2022 kamen die Nutzer nicht mehr in ihre Konten. Da waren die Betreiber bereits mit dem Geld auf und davon.

Aber schon nach einer Weile kursierten im Internet und auf Telegram neue Versprechen. Die Geschichte ist nicht zu Ende.

Kapitel 1:
Berlin: Eine Firmenfassade, ein zwielichtiger Scheindirektor und ein Auftragsmord

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Der Anfang vom Ende liegt an einer Ausfallstraße in Berlin, Bezirk Schöneberg. Potsdamer Straße 147. Der Verkehr dröhnt an fleckigen Fassaden vorbei, ringsum billige Kosmetikstudios, Imbissbuden, Wettbüros. Hier war der Sitz der Firma Juicy Grow GmbH.

Am 6. November 2019 wird die Firma angemeldet, der Geschäftsführer heißt Victor Bitner. Ein Russlanddeutscher, geboren 1969 in Nowodolinka, Kasachstan, das war damals Sowjetunion. Viel lässt sich nicht über ihn herausfinden: Laut britischem Handelsregister gründete er vor Jahren eine Firma für tragbare Würstchengrills. Die Firma machte wohl nicht viel außer Schulden, der Betrieb ruhte jahrelang und inzwischen wurde sie liquidiert.

Für die Staatsanwaltschaft stehen aktuell zwei Männer im Fokus der Ermittlungen. Bitner ist einer von ihnen. Der zweite trägt einen Grafentitel, lebt in einer denkmalgeschützten Villa in Berlin-Grunewald und unterhielt einen ganzen Strauß Kapital- und Investmentfirmen an einer noblen Adresse am Kurfürstendamm. Aber soweit sind wir noch nicht.

Der Vormieter betrieb ein Automaten-Café

Zunächst richtet die Juicy Grow GmbH das Ladenlokal an der Potsdamer Straße ein, bringt eine Markise und ein Firmenlogo mit Cannabisblatt an. Heute ist an der Stelle ein Friseursalon.

Der Fall von Juicy Fields zeigt auch, wie die mutmaßlichen Betrüger zunächst an Strukturen in der russischen Community anknüpften. In dem Ladenlokal betrieb zuvor ein Mann namens Wladimir M. ein Spielautomaten-Café. Fragt man bei der Hausverwaltung nach, erfährt man, dass Juicy Grow als Untermieterin einzog, M. habe die Miete meist bar bezahlt, bis Juicy Grow kam. Danach blieb die Miete aus. Im Februar 2022 wurde das Büro geräumt.

Da hatte Juicy Fields Berlin längst verlassen.

Deppen und Strohleute gesucht

Wie es aussieht, diente die Firma als reine Fassade, auch Bitner spielte wohl nur zum Schein eine Rolle. Er selbst schweigt dazu, eine Anfrage von CORRECTIV und den Medienpartnern über seinen Anwalt blieb trotz mehrerer Nachfragen unbeantwortet.

„Schon damals hatte ich das Gefühl: Die haben sich Deppen gesucht. Strohleute“, sagt einer, der bei der Gründung der Firma in Berlin dabei war, auch er stammt aus Russland und will anonym bleiben; er hat Angst, bis heute. Er sei beim Kampfsport angesprochen worden, von einem Bekannten. „Der wusste, dass ich eine neue Arbeit suche und hat mich gefragt, ob ich Geschäftsführer werden will“, sagt er, an Nachnamen könne er sich nicht erinnern.

Nur an den von Bitner. Den habe er zwei Mal getroffen, bei Kontoeröffnungen in Banken. Er beschreibt einen Mann, der naiv wirkte, ein schlichtes Gemüt. Der Eindruck kann täuschen.

Laut Experten ist es praktisch ausgeschlossen, dass so ein großer Betrug in Russland ohne Wissen oder gar Unterstützung der Geheimdienste aufgesetzt wird. Beweise für eine Zusammenarbeit gibt es nicht – allerdings lassen sich mehrere Verbindungen nachweisen.

„Trübe Verbindungen zu russischen Geheimdiensten“

Zum Beispiel gibt es Hinweise, dass Bitner in Kontakt mit russischen Geheimdiensten steht. 2018 berichtete die New York Times über eine gescheiterte Geheimdienst-Operation in Berlin: Ein nicht namentlich genannter Russe soll den USA kompromittierendes Material über Trump zum Kauf angeboten haben. Der Mann werde verdächtigt, „trübe Beziehungen zu russischen Geheimdiensten und osteuropäischen Cyberkriminellen“ zu haben. Nach Informationen von CORRECTIV und dem Reporterteam ging es um Bitner.

Rund ein Jahr später taucht er als Geschäftsführer von Juicy Grow wieder auf. Die Webseite geht im März 2020 ans Netz; da diskutiert Deutschland über die Legalisierung von Cannabis als Genussdroge; auf dem Markt herrscht Goldgräberstimmung.

„Become a potpreneur and benefit from the booming cannabis industry“ – der Slogan prangte auf der Webseite. Vier Sorten Cannabis stehen zur Auswahl, die günstigste heißt Juicy Flash, ist für 50 Euro zu haben und nach 108 Tagen erntereif – mit Renditen bis zu 65 Prozent. Hinter den Kulissen halten die Betreiber die Illusionsmaschine am Laufen, mit Social Media, gekauften Influencern, Onlinemarketing-Kaskaden. Und abseits vom schönen Schein mit Einschüchterung, Gewalt und Kontakten in die organisierte Kriminalität.

Der „Mann fürs Grobe“ steigt aus und redet

Im Frühjahr 2021 reist ein Mann nach Berlin, dessen Job es ist, Probleme zu lösen: Igor Kekshin ist offiziell als „Sicherheits-Chef“ bei Juicy Fields tätig, man könnte auch sagen, als Mann fürs Grobe: „Wir haben eine Menge Dreck überall in Europa hinterlassen“, so beschreibt er das Ende 2023 im Interview mit dem Reporterteam. „Und meine Aufgabe war, den Dreck wegzuräumen. Nicht Dreck im wörtlichen Sinne, natürlich.“ 

Zu dieser Zeit gibt es Ärger in Berlin: Die russischen Drahtzieher glauben, dass ihr Scheindirektor Bitner Geld von den Konten der Juicy Grow gestohlen hat und dann untertauchte, es geht um anderthalb Millionen Euro – so schildert es Igor Kekshin. 

Er sagt, er sollte Bitner aufspüren und unter Kontrolle bringen. Für ihn ist das ein lukrativer Job, er verdient 50.000 Euro im Monat, und am Ende des Projekts soll er noch eine Prämie kommen. „Legt man zugrunde, was sie eingenommen haben, hätte mein Bonus um zehn Millionen sein müssen“, sagt er. „Aber dann ist die Sache mit Bitner passiert.“

So kam das eine zum anderen. Und am Ende wird Kekshin vom Gangster zum Hauptzeugen der Berliner Polizei. Auch mit Journalisten hat er bereits mehrmals gesprochen. Zum Interview mit dem Reporterteam kommt er Ende 2023 nach Finnland, unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Seit seiner Aussage wird Jagd auf ihn gemacht: Sein Auto sei in die Luft gesprengt, sagt er, und seine Hunde vergiftet worden.

Kekshin nutzt seine Kontakte in die russische Mafia

All das kann er Anfang 2021 nicht ahnen. Juicy Fields macht damals mit großspurigen Auftritten auf Messen und Partys von sich reden. Ein Geschäftsführer, der einfach verschwindet – das hätte Fragen aufwerfen können, die nicht zu dem schönen Bild passen. 

Zunächst läuft für Kekshin alles nach Plan. Er sagt, er habe seine Kontakte in der russischen Mafia genutzt, um den Geschäftsführer zu finden. Aber einige Monate später habe er einen neuen Auftrag erhalten: Bitner soll sterben, und er ist es, der ihn töten soll.  

Kekhsin sagt, er habe seine Aufträge direkt von der Spitze bekommen – von Sergei Berezin, dem mutmaßlichen Juicy-Fields-Drahtzieher, der nun im Gefängnis in Spanien sitzt. Das  Reporterteam hat ihn mit allen Vorwürfen konfrontiert und um Stellungnahme gebeten. Berezin widerspricht der Darstellung des Aussteigers: Dieser sei als Sicherheits-Chef entlassen worden, nachdem Bitner die Konten geplündert hatte, schreibt er, und das habe ihn „offenbar so aufgewühlt“, dass er „eine Geschichte über den Auftragsmord“ erfand.

Im Herbst 2021 steckt Juicy Fields im Umbruch. In Amsterdam und der Schweiz entstehen neue Firmen. Bald wird Juicy Fields in internationale Strukturen wechseln. Der Standort in Berlin ist jetzt nicht mehr wichtig. Bitner wird nicht mehr gebraucht. Kekshin sagt, er habe sich geweigert. Zum einen habe er seinen Mafia-Kontakten zugesagt, dass Bitner nichts passiert. Daran musste er sich halten, sonst hätte es Ärger gegeben. Auch habe er keinen Menschen töten wollen, einen Mord – das habe er nicht mit sich vereinbaren können. 

Sein Verhältnis zu seinen Auftraggebern hatte nun einen Riss. Und Kekshin, der in seinem Leben schon öfter die Seiten gewechselt hat, wird wieder einmal umschwenken.

Kapitel 2:
Die Russland-Connection

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Drei, vier Tage lang hat Kekshin bei der Polizei ausgesagt. Er war früher selbst Polizist, in Sankt-Petersburg, Abteilung Wirtschaftsverbrechen. Dann wurde er zum Kriminellen und kam für drei Jahre ins Gefängnis wegen Entführung, Erpressung, Freiheitsberaubung. 

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ließ er sich von Jewgeni Prigoschin anheuern – dem damaligen Chef der Wagner-Gruppe, einer Privatarmee im Dienste Russlands. Das zeigen geleakte Daten aus Prigoschins Firmengeflecht: Laut Einträgen in Prigozhins Terminkalender war Kekshin zeitweise in dessen Abteilung für innere Sicherheit beschäftigt.

Bei Juicy Fields war er in einem ähnlichen Bereich tätig. Worum es ging, sagt er, habe er von Anfang an gewusst. „Es war ganz klar, dass das ein Betrugssystem war“, sagt er, „das war Berezins Plan von Anfang an, dass wir – einfach so – das Geld von allen nehmen und sagen, dass wir es investieren.“

Was man die Drahtzieher auch fragt: Es kommt immer mehr Nonsens

Markevich gehören mehrere Unternehmen in Russland, darunter eine IT-Firma und eine Autowerkstatt. Auch eine dubiose Drohnen-Fabrik lässt sich ihm zuordnen. Auf der Webseite ist das Wappen des russischen Verteidigungsministeriums zu sehen. Wozu waren die Drohnen gedacht?

Was man auch fragt, es kommen nur immer mehr Witze und Nonsens. Auf die Bitte um Stellungnahme zu den Betrugsvorwürfen und Ermittlungen gegen ihn, schreibt Markevich: „Ein wahrer Pionier ist stets bereit, sich für das zu verantworten, was er getan hat. (Alternative Version: Sag mir, wem die Krim gehört, und ich beantworte deine Frage).“

Im Gegensatz zu ihm wurde Berezin gefasst. Ihm drohen viele Jahre im Gefängnis. Aber er tut, als kümmere ihn das alles nicht. Nur gegen einen Vorwurf wehrt er sich klar: Nicht er habe betrogen, sondern andere: „Wir haben in echte Produktionen investiert“, schreibt er. „Fragen Sie sie, warum sie ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind.“

Ein früherer Scam: Investments in Plastikmüll

Nach Recherchen von CORRECTIV und den Medienpartnern lassen sich in der Organisation hinter Juicy Fields mehrere Stufen identifizieren: Ganz oben stehen Berezin und Markevich. Darunter gibt es acht bis zehn Leute, vor allem Männer, aber auch Frauen, fast alle aus Russland, Geldwäscher, Fixer, Manager, die sich um Geldtransfers, Social Media Kommunikation oder Bankgeschäfte kümmerten oder Kontakte zu Plantagen knüpften. Ein Mann soll nach Darstellung Kekhsins Gelder bei kriminellen Syndikaten in Sankt Petersburg eingeworben haben, quasi als Anschubfinanzierung für die betrügerischen Projekte.

Die Drahtzieher stehen unter Verdacht, seit Jahren europäische Anleger ins Visier zu nehmen. Das geht aus geleakten Dokumenten, Social Media Posts und Internet-Archiven hervor: Ein Teil der Gruppe steckte zum Beispiel hinter dem Projekt „Miracle Tele“ in Prag, da ging es um ein Telefonnetz auf Blockchain-Basis. Ein zweites, Recyclix, lief 2015 bis 2017 in Warschau und bot falsche Anlagen im Bereich Recycling an, investiert wurde in Plastikmüll, der in ein lukratives Granulat verwandelt werden sollte. Da lag der Schaden bei 39 Millionen Euro.

Russland-Fachleute und Ermittler sagen, dass Kriminelle in Russland eine Art politische Deckung brauchen. Also Schutz. Es gibt sogar einen Begriff dafür: Kryscha. Das heißt Dach.

„Cyber-Kriminaität ist ein Teil der hybriden Kriegsführung“

CORRECTIV und die Medienpartner haben den Fall Juicy Fields mehreren Fachleuten vorgelegt. Sie alle sagen So ein Megabetrug wäre ohne Duldung des Staates kaum möglich. „Das ist absolut sicher”, sagt Olga Lautman, Senior Fellow am Center for European Policy Analysis (CEPA) in New York, Expertin für Organisierte Kriminalität und Geheimdienste in Russland. „Ohne Einverständnis der Geheimdienste kannst du in Russland praktisch nichts machen, und gewiss nichts, was mit großen, internationalen Cyber-Angriffen zu tun hat.“

Ein Manöver wie Juicy Fields sei viel zu auffällig, um unbemerkt zu bleiben. Und komme dem Regime vermutlich entgegen. „Cyber-Kriminalität ist ein Teil der hybriden Kriegsführung“, sagt sie. „Es geht darum, Chaos zu stiften und Menschen gegen ihre Regierung und die Behörden aufzubringen. Das ist, als wenn Gift in die Systeme des Westens gespritzt wird.“

Ähnlich sieht es L. Sergio Germani, der ein Thinktank in Rom führt und zu Organisierter Kriminalität und Geheimdiensten in Russland forscht: „Solche kriminellen Operationen sind nützlich: Die Geheimdienste kriegen entweder einen Prozentsatz des Geldes oder sie nutzen sie, um Informationen beschaffen.“ Eine Plattform wie Juicy Fields, mit Zugang zu Daten von Hunderttausenden, dürfte für Russland hochinteressant gewesen sein.

Kapitel 3:
Finanzmänner und Grafen: Die Manager hinter den Kulissen

Ibiza-Affäre in Österreich: Das Video von Julian Hessenthaler führte zum Sturz der Regierung

Im Laufe des Jahres 2021 geht der Höhenflug von Juicy Fields richtig los. In den Sozialen Medien posten Anleger begeistert Screenshots mit ihren Erträgen: die Plattform setzt sich protzig in Szene, mit goldenen Lamborghinis, halbnackten Hostessen und aufwendigen Videos, in einem singt der deutsche Rapper Veysel, Money, Money, Green.

Das Versprechen für die Anleger bleibt gleich, aber hinter den Kulissen verschieben sich die Gefüge: Im Herbst 2021 kauft die Berliner Juicy Grow GmbH 20 Prozent einer Schweizer Briefkastenfirma, der Luxburg Carolath Holding AG, die firmiert um und heißt dann Juicyfields AG. Im Verwaltungsrat der Firma tauchen Deutsche mit Adelstiteln auf, ein Prinz, mehrere Grafen.

Im Impressum der Seite erscheint wenige Monate später eine holländische Firma, die Juicy Holding BV in Amsterdam. Diese ist eine Tochter der Juicyfields AG und damit Teil eines unübersichtlichen Geflechts aus Fonds und Kapitalfirmen in der Schweiz und in Liechtenstein. Die Fäden laufen vor allem bei einem Mann zusammen: Er nennt sich Friedrich Ulrich Graf von Luxburg Fürst zu Carolath-Beuthen. Für die Staatsanwaltschaft zählt er zu den Hauptakteuren. Die Ermittler vermuten, dass der Graf Geldwäsche wie eine Service-Leistung für die russischen Drahtzieher angeboten hat.

Auf die Anfrage von CORRECTIV und den Medienpartnern an seinen Anwalt antwortet Luxburg nicht. Aber man kann ihn anrufen. Dann klingt er aufgebracht und ruft, er habe mit Juicy Fields gar nichts zu tun gehabt – er habe „nur eine Firma verkauft“. Sonst nichts. Das deckt sich mit einer Pressemitteilung der Luxburg-Carolath-Gruppe nach dem Kollaps des Systems: Darin steht, die Vorstände und Geschäftsführer sähen sich „selbst als Opfer der kriminellen Cannabis-Plattform“ und hätten „nie Zugang zu den Geldern“ gehabt.

Die Betreiber, heißt es darin weiter, hätten auf der Website Namen und Bilder von Mitarbeitern der Luxburg-Carolath-Gruppe ohne deren Zustimmung veröffentlicht.

„Für mich war klar, dass das der große Shit werden könnte“

Menschen, die in den Monaten vor dem Ende dabei waren, erinnern sich anders. „Der Friedrich kam wie aus dem Nichts und hat sich als Hauptanwalt von Juicy Fields vorgestellt“, sagt Thomas Stieger, ein Schweizer Finanzfachmann, der ab Ende 2021 für Juicy Fields arbeitete und am Ende selbst dazu beitrug, die Drahtzieher zu enttarnen.

Es gibt Interviews mit ihm aus dieser Zeit, da jubelt er wie berauscht: Man werde „Geschichte schreiben“ im Bereich Geldanlage mit medizinischem Cannabis. Heute klingt er kleinlaut und verängstigt. „Für mich war klar, dass das der große Shit werden könnte“, sagt er.

Stieger hat früher als Investmentbanker gearbeitet, in London und Zürich, Privatbanken, Private Equity, Family Offices. Er sagt, es wurde von fünf Partnern gesprochen, die hinter Juicy Fields stehen. Wer das war, habe keiner gewusst: „Aber das ist im Bereich Private Equity nicht außergewöhnlich.“ Zwar sei der Name Paul Bergholts gefallen – der falsche Name des mutmaßlichen Kopfes  Sergei Berezin. Man habe geraunt, er sei der Erfinder von Juicy Fields, ein „Genie“. Gesehen habe er ihn nie: „Der Paul war wie ein Phantom.“

„Lieber Paul, ich mag das Passwort. Du bist so lustig“

Aber das Phantom handelte. Damals wurden ständig neue Firmen aufgesetzt oder umstrukturiert. Eine heißt Alpine Assets Management. Und Berezin selbst hat die Login-Daten für die E-Mail-Adressen einer Webseite verschickt. Eine Frau erhält das Passwort „CryptoQueen.“ Das zeigt ein Screenshot, der CORRECTIV vorliegt. Die Frau schreibt: „Lieber Paul, danke für die E-Mail und ich mag das Passwort! Du bist so lustig!“

Ins Kippen gerät alles am 14. Juli 2022. Zwei, drei Tage zuvor fliegt Stieger mit zwei anderen Managern nach Zypern: Es gab Probleme mit dem Zugriff auf ein Konto, die wollten sie direkt vor Ort mit der iSX-Bank lösen. Stieger sagt, der Bankchef habe ihnen fingierte Dokumente mit falschen Unterschriften gezeigt. Er soll gesagt haben: In sechs Monaten sei eine halbe Milliarde Euro über das Konto gelaufen, und sie stünden im Zentrum eines Geldwäsche-Falls: „Macht euch gefasst, dass ihr die Insel nicht so schnell wieder verlasst.“

Da, sagt Stieger, hätten es die drei mit der Todesangst zu tun gekriegt.

Der CEO der Bank, Nikogiannis Karantzis, bestreitet diese Darstellung: Auf Anfrage teilt er mit, die bei dem Termin vorgelegten Dokumente seien nicht gefälscht gewesen. Auch habe er nicht den Betrag von einer halben Milliarde Euro genannt. Allerdings habe er Anzeige bei der Polizei erstattet. Seine Bank habe „das Schneeballsystem erkannt und zu Fall gebracht“.

Leaks auf beiden Seiten, Chaos und Verwirrspiele

Fest steht, dass das Konto nach dem Termin sofort gesperrt wurde. Gut möglich, dass der Eklat geplant war: Kein Schneeballsystem ohne Exit-Scam, also den Moment, an dem die Betreiber mit dem Geld verschwinden. Aber offensichtlich lief aus Sicht der russischen Hinterleute etwas schief: „Die Reise der Kollegen“, schreibt Berezin in Bezug auf die Zypern-Reise der Manager, „nennt man Verrat und Sabotage nach unserer Auffassung.“

Sofort brach Chaos bei Juicy Fields aus. Die Anleger konnten sich nicht mehr in ihre Accounts einloggen. Und auf Telegram kursierten Dokumente: falsche Pässe der russischen Betreiber, Listen mit wirtschaftlich Berechtigten, darauf die Bilder und Pseudonyme von Berezin, Markevich und anderen. Bisher dachten die Anleger, hinter Juicy Fields stünden Firmen in Berlin, Amsterdam oder der Schweiz. Nun sah alles nach russischer Mafia aus.

Erstmals gibt Stieger, der Finanzberater aus der Schweiz, zu: Er war es, der die Dokumente öffentlich machte. Graf Friedrich von Luxburg habe ihm die Papiere gegeben, er habe sie auf Telegram verbreitet. Er sagt, er wollte tun, was er konnte, damit alles ans Licht kommt.

Aber das Verwirrspiel ging damit erst los.

In einem Video verspricht eine verzerrte Stimme neue Ernten

Auch die Ausweise und die Kontaktdaten der Grafen werden nun lanciert – offenbar wollten die russischen Hinterleute die Schuld auf die Geschäftsmänner im Vordergrund schieben.

Auch Stiegers Daten wurden veröffentlicht, er erhielt Drohungen. „Ich bin bis heute nicht ruhig“, sagt er. „Ich habe Angst vor den Hintermännern in Russland, Angst vor Vergeltung.“

In den folgenden Tagen gehen hunderte Strafanzeigen bei der Polizei ein. Und es werden immer mehr.

Auf der Website von Juicy Fields erschien ein paar Wochen später ein neues Video. Sechs Männer sitzen um einen Couchtisch, sie tragen schwarze Hoodies, Masken vor dem Gesicht und rauchen Joints durch die Mundschlitze. Eine verzerrte Stimme vermeldet: Nun sei es Zeit, „das Geschäftssystem zurückzuholen und Millionen von gestohlenen Euro an die E-Grower zurückzuzahlen“. Die Rede war von neuen Möglichkeiten – und neuen Ernten.

Kapitel 4:
Die Netzwerke der Geldwäscher

Ibiza-Affäre in Österreich: Das Video von Julian Hessenthaler führte zum Sturz der Regierung

Als die Kriminalbeamten im Sommer 2022 die Spuren aufnehmen, stoßen sie zuerst auf die deutschen Geschäftsleute und Manager, die Luxburg Carolath Gruppe. Die Verantwortlichen behaupten, selbst betroffen worden zu sein und zeigen in Richtung der Russen mit den Fantasienamen; das halten die Ermittler da noch für eine reine Schutzbehauptung.

Der Hauptverdächtige nennt sich Friedrich Ulrich Maximilian Johann Graf von Luxburg Fürst zu Carolath-Beuthen. Menschen, die ihn kennen, beschreiben einen jovialen Mann, der Zigarre raucht und sich mit Luxusgütern schmückt, mit Bentleys, Louis-Vuitton-Koffern. Er scheint gute Beziehungen zu haben: Es gibt ein Foto von ihm und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder; auf einem anderen posiert er neben dem Botschafter von Aserbaidschan.

Allerdings ist er eigentlich kein Graf: Geboren wurde er als Sohn eines Bauern in Rittsteig, einem Ortsteil von Neukirchen beim Heiligen Blut, im Bayerischen Wald, mit sieben Brüdern.

Der falsche Graf hat neun Jahre im Gefängnis verbracht

„Wir kennen diesen Friedrich nicht und hatten auch nie Kontakt“, sagt jemand aus dem Umfeld der Familie von Luxburg, einem kleinen Adelsgeschlecht aus Unterfranken. Er habe versucht, sich als Nachkomme der Familie von Luxburg darzustellen. „Lügengespinste“. Ein Angehöriger habe schwer krank und kurz vor seinem Tod in den 90ern einen Mann adoptiert, und der soll den Titel danach weitergegeben haben, offenbar auch für Geld. Und offenbar besteht eine Nachfrage nach adeligen Namen, hört man aus der Familie. „Gesellschaftlich hat so ein Titel Bedeutung, und das ist ein großes Problem.“

Der falsche Graf hat insgesamt neun Jahre im Gefängnis verbracht; ein Urteil von 2006 liegt CORRECTIV und den Medienpartnern vor. Unter anderem handelte er  im Namen einer Fake-Bank mit wertlosen Anlagen und verkaufte Aktien einer Firma für Solarwindanlagen, die es nicht gab. Bereits zuvor soll er  – damals unter dem Namen Dr. Uli Kaen – mit betrügerischen Methoden Gelder von Anlagen eingeworben und Millionen veruntreut haben.

Im August 2022, gut einen Monat nach dem Kollaps von Juicy Fields, durchsucht die Polizei sein Büro am Kurfürstendamm und seine Villa in Grunewald. In dem neoklassizistischen Prachtbau hat von Luxburg eine ganze Etage gemietet. Bei der Razzia finden die Ermittler  stapelweise 50-Euro-Scheine, portionsweise eingeschweißt. Insgesamt 349.000 Euro. Nach Informationen von CORRECTIV und der Medienpartner deuten Unterlagen auf sehr viele in- und ausländische Firmengründungen und Kontos, vor allem in Venezuela und in der Schweiz. Wie es aussieht, wurden private Kosten von Geschäftskonten beglichen.

Von Luxburg wehrt sich gegen Vorwürfe

Bei Juicy Fields, das glaubt die Staatsanwaltschaft Berlin, soll der falsche Graf von Luxburg als Geldwäscher engagiert worden sein. Er soll zwischen drei und fünf Millionen Euro erhalten haben. Ob dieser Verdacht sich erhärtet, wird ein Gerichtsverfahren zeigen müssen. Luxburg selbst äußert sich aktuell nicht auf Fragen. Bislang hat er stets alle Vorwürfe zurückgewiesen und behauptet, er habe kein Geld erhalten.

Die Ermittler verfolgten die Finanzströme von Juciyfields in große, internationale Geldwäsche-Netzwerke mit mehr als 50 Firmen in etwa 20 Ländern. Die Einzahlungen gingen zuerst nach Zypern zur iSX-Bank und dann weiter nach Litauen, Malta, Estland, werden weiter geschleust, in Kryptowährung aufgespalten und verlieren sich dann.

Die iSX-Bank selbst ist ins Zwielicht geraten: Die Zahlungsströme werfen Fragen nach der Rolle der Bank auf. Laut der Auswertung der Ermittler sollen mehr als 446 Millionen Euro über zypriotische Konten gelaufen sein. Der Chef der Bank weist alle Vorwürfe vehement zurück. Allerdings könnten der iSX auch zivilrechtliche Ansprüche drohen: Der Berliner Anlegeranwalt Wolfgang Schirp vertritt zahlreiche geprellte Juicy-Fields-Anleger und will gegen die Bank klagen: Diese habe gegen die Geldwäschevorschriften verstoßen und den Betrug damit mitermöglicht.

Auffällige Geldflüsse über eine Kryptobörse in Moskau

Als die Konten eingefroren wurden, waren nur noch wenige Millionen Euro darauf übrig.

Wo also ist das Geld hin? Berezin und seine Partnerin sollen Immobilien auf Teneriffa gekauft haben; er soll dort laut ortsansässigen Quellen in Cannabis-Clubs investiert haben.

Eine Analyse der Krypto-Währungsströme zeigt eine auffällige Verbindung nach Russland: Rund fünf Millionen Euro sollen über Zwischenstationen zu der Kryptobörse Garantex in Moskau geflossen sein – in den USA steht diese Börse unter Sanktionen, da Terroristen und Kriminelle sie nutzen, um im großen Stil Geld zu verschieben; laut Recherchen von Journalisten gibt es außerdem Verbindungen der Plattform zur russischen Regierung

Kapitel 5:
Die Jagd nach den Drahtziehern

Ibiza-Affäre in Österreich: Das Video von Julian Hessenthaler führte zum Sturz der Regierung

Als Juicy Fields kollabierte, waren die Drahtzieher verschwunden. Sergei Berezin, so hieß es, kreuze mit einer Yacht in der Karibik. Markevich ist wohl in Russland, einige hielten sich in Spanien und in Lettland auf.

Oberstaatsanwältin Ina Kinder, Abteilung 241, Geldwäsche und Kapitalmarktstrafrecht, erinnert sich an die erste E-Mail aus dem Landeskriminalamt, ein Ermittler schrieb: „Da kommt etwas Großes auf uns zu.“

In Deutschland sind die meisten Anleger betroffen, mit weitem Abstand vor Frankreich, Spanien, Portugal. Bei Kinder sind 3.000 Anzeigen eingegangen; die Akten stapeln sich entlang der Wände in ihrem Büro. Es dauerte fast zwei Jahre, die Verfahren zu erfassen. Allein in Deutschland wird gegen rund 30 Verdächtige ermittelt. „Es gab ein ganzes System“, sagt Ina Kinder, „das Marketing, die Vermittlung. Manche haben einfach ihr Gesicht hergegeben. Und ganz oben waren die Leute um Berezin, eine überschaubare Gruppe.“

In Berlin arbeitet die Ermittlungsgruppe „Gras“ an dem Fall

Im Berliner Landeskriminalamt arbeitet die Ermittlungsgruppe „Gras“ zu dem Fall. Und es gibt immer wieder Momente, da sieht es so aus, als wären die Kriminellen der Polizei eine Nase voraus. Für die Täter gibt es keine Grenzen, sie sind agil und global vernetzt. Nach dem Kollaps der Plattform hat sich eine internationale Arbeitsgruppe formiert, die Polizei nennt das ein Joint Investigation Team (JIT), Deutschland ist daran beteiligt, Frankreich und Spanien.

Im Herbst 2022 kommt an einer Adresse in London eine Paketbombe an. Das war für die Ermittler ein Schlüsselmoment. Er brachte sie auf die Spur der russischen Gruppierung.

Die Sendung war für einen Finanzberater bestimmt, der für Juciy Fields Firmen aufgesetzt hatte. Der Mann war stutzig geworden, hatte über eigene Kanäle in Russland recherchiert – und machte sich gefährliche Feinde. Es wird noch zu weiteren Anschlägen kommen.

Der Geschäftsmann wandte sich danach an das Berliner LKA. Da wurde den Ermittlern klar, dass die Verdächtigen um den Grafen von Luxburg nicht alleine agierten.

Ein paar Wochen später meldete sich der Aussteiger Igor Kekshin bei den Ermittlern.

Russland ist für die Ermittler praktisch ein schwarzes Loch

Inzwischen wissen die Ermittler recht gut, wie der Betrug organisiert war und wer profitierte. Aber Ina Kinder macht sich nichts vor. Sie steht einem hochkomplexen Gebilde gegenüber, mit verzweigten Finanzströmen, Dutzenden Strohleuten und vielen falschen Fährten. Und ein Problem bleibt immer, egal wie weit die Ermittlungen sind: Russland ist seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine praktisch für die Ermittler ein schwarzes Loch. Denn es gibt so gut wie keine Zusammenarbeit mehr mit Russland und keine Auslieferungen, das bedeutet: Cyberkriminelle können sich in Russland sicher und unangreifbar fühlen.

Die Auswirkungen sind in vielen Ländern zu spüren: In der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Österreich hat aktuell etwa eines von drei Großverfahren mit Cybercrime zu tun, heißt es von dort. Sie ist bei Betrugsfällen immer dann zuständig, wenn ein Schaden bei mehr als fünf Millionen Euro liegt, also auch für den Fall Juicy Fields.

„Wir haben in fast jedem Fall eine internationale Komponente“, sagt Matthias Purkart es aus der Wiener Cybercrime-Gruppe. Seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine sei Organisierte Kriminalität mit Bezug zu Russland förmlich explodiert: „Im Cybercrime-Bereich treten oftmals kriminelle Organisationen auf, die wie ein Unternehmen agieren und hochprofessionell betrügen“, sagt Purkart. Sie überlegten im Voraus, wo sie möglichst unbehelligt agieren könnten und suchten sich die Länder gezielt aus: „Diese professionelle Vorgehensweise erschwert die Aufklärung und bindet große Ressourcen.“

Im April 2024 gelang dem internationalen Ermittlerteam im Falle Juicy Fields ein Durchbruch: Bei einem Einsatz mit rund 400 Beamten in elf Ländern wurden neun der Verdächtigen verhaftet, in den folgenden Tagen vier weitere. Ina Kinder war an dem Tag per Videocall mit ihren Kollegen in der Einsatzzentrale in Den Haag verbunden. Zugleich stürmte ein spanisches SWAT-Team in der Dominikanischen Republik die Touristen-Anlage, in der sich Sergej Berezin aufhielt. „Die Koordination war hervorragend“, sagt sie.

In Berlin wurde Graf Friedrich von Luxburg in seiner Villa festgenommen, auch Victor Bitner wurde verhaftet.

Ein Drahtzieher hatte eine Meldeadresse im Russischen Haus

Vitaly Markevich, die Nummer zwei, suchte die Polizei im Russischen Haus, dem russischen Kulturzentrum in Berlin. Dort war er gemeldet, aber vor Ort fehlte von ihm jede Spur. Das könnte bedeuten, dass er Unterstützer im Innern hatte – eine Anmeldung beim Einwohnermeldeamt ist ohne Mietvertrag oder Bestätigung des Vermieters nicht möglich.

Aus dem Russischen Haus heißt es, Markevich habe sich offenbar „in betrügerischer Absicht oder unter Verwendung falscher Dokumente“ dort angemeldet.

Seit April ist die Stimmung bei den Ermittlern wieder abgekühlt. Es heißt, die Sache ist kompliziert, und noch ist die Auswertung der Handys und Server nicht beendet. „Wir können nicht alles machen“, sagt Ina Kinder, „unsere Kapazitäten sind beschränkt.“ Dennoch ist die Staatsanwältin guter Dinge: Ende des Jahres will sie die Anklageschrift einreichen.

Kapitel 6:
Nachbeben - die große Show geht weiter

Ibiza-Affäre in Österreich: Das Video von Julian Hessenthaler führte zum Sturz der Regierung

Im Fall Juicy Fields warten hinter jeder Biegung neue, irrwitzige Wendungen. Gut möglich, dass die Drahtzieher Polizei und Medien mit kalkulierten Manövern ablenken wollen. „Schnallt euch an für einen Ritt durch die kaleidoskopische Reise, auf der wir uns befinden“, steht in einem Juicy-Fields-Newsletter. „Unser Pfad ist gesprenkelt von Wachstum, Innovation und einer Prise Geheimnis.“

Igor Kekshin, Hauptzeuge der deutschen Ermittler, nahm Ende 2023 alle seine Aussagen zurück: „Jetzt ist es an der Zeit, die Wahrheit zu sagen“, sagte er in einem Video, den Kopf in ein Tuch gewickelt. „Wir haben eine Geschichte für die Polizei und die Journalisten erschaffen.“ Man habe ihm Geld geboten, damit er Lügen über die Mafia erzählt.

Es war eine rätselhafte und beunruhigende Botschaft. War Kekshin zu seinen alten Auftraggebern zurückgekehrt? Oder wurde er entführt und zu der Aufnahme gezwungen worden? Manche Beobachter fragten sich, ob Kekshin überhaupt noch lebt.

Die Juicy-Fields-Websites als Plattform für Desinformation

Auch auf der Plattform, juciyfields.io, erscheinen immer neue, seltsame Updates. Zeitweise wurden auch wieder Investments angeboten. Regelmäßig kommunizieren die Betreiber über Newslettern und über Telegram. Unterzeichnet sind sie von einem angeblichen DAO-Team.

DAO steht für: Decentralised Autonomous Organisation, das ist ein Begriff aus der Kryptowelt und bezeichnet eine Organisation ohne zentrale Führung. Nach Recherchen von CORRECTIV und den Medienpartnern gab es nie eine DAO, sondern es stecken weiter die alten Betreiber dahinter. Auf dem Video, in dem Männer in Hoodies Joints rauchen, sind laut eines Zeugen zwei der Russen zu sehen, einer war Markevich. Er streitet das nicht ab, sondern schreibt: „Clown zu sein ist keine leichte Aufgabe. Meine Aktivitäten sind legal.“

Der Betrug ist offenbar nicht vorbei. Im Sommer 2022 wenden sich die Organisatoren mit einem Newsletter an alle Anleger die Geld verloren haben. Sie versprechen Rückerstattungen, in Härtefällen könnten Anleger eine Eil-Erstattung beantragen. Dazu müssten sie nur ein Video aufnehmen, ihren Ausweis in die Kamera abfilmen und weitere Angaben machen, zu Ihrem Arbeitsverhältnis, zu möglichen Schulden oder Krankheiten.

Ein Betrogener gibt mit letzter Hoffnung seine Daten preis

Auch der betrogene Sozialpädagoge aus Lübeck hat ein Video von sich gemacht; er sagt, er war verzweifelt und wollte die Hoffnung nicht loslassen: „Sie haben versprochen, dass sie besonders schwer Betroffene ganz nach oben auf die Liste setzen.“ Aber eine Rückzahlung hat er nie erhalten. Vielleicht bereitet die Gruppierung schon den nächsten Betrug vor, etwa Identitätsdiebstahl oder Handel mit den erbeuteten Daten.

Die Betreiber nutzten ihre Kanäle auch, um Desinformation zu verbreiten und die Schuld auf andere zu schieben: Erst konzentrierten sie sich auf die Grafen. Dann auf den letzten Geschäftsführer der Juicyfields AG, einen südafrikanischen Cannabis-Geschäftsmann.

Und es bleibt nicht bei Narrativen im Internet. Auch Einschüchterungen, Anschläge und Attacken auf Wohnhäuser mehren sich. Mehrfach trifft es den früheren Chef der Juicyfields AG – Graf Stefan von Luxburg, einen angeblichen Bruder von Friedrich.

Ein Leichenwagen und ein Graffito: „From Russia with Love“

Ende 2023 wird im niedersächsischen Diepenau sein Auto angezündet. Und einige Wochen später wurde vor seinem Haus über Stunden ein Leichenwagen geparkt. Auch das Haus des letzten Juicy-Fields-CEO wurde angegriffen. Jemand warf einen Molotow-Cocktail an die Fassade. Und dann erschien an seinem Haus ein Graffito: „From Russia with Love.“

Wer ist für die Angriffe verantwortlich? Es gibt keine Beweise, dass sie in der Juicy-Fields-Führungsriege beschlossen wurden. Berezin aber scheint zumindest den Angriff gegen den südafrikanischen Ex-CEO einzuräumen, er schreibt: „Alle unsere Handlungen sind immer gerechtfertigt, und bei diesen Aktionen wurde leider keine einzige Ratte verletzt.“

Das Ziel der Betreiber ist offenbar, Verwirrung zu stiften. Sie versuchen auch gezielt, die Berichterstattung von CORRECTIV und den Medienpartnern zu beeinflussen.

Juicy Fields hat eine Presse-Mailadresse, presse@juicyholdings.io, die bis vor wenigen Monaten noch funktionierte. Fragt man dort nach Informationen, kommt nach ein paar Tagen eine Antwort: Das „DAO recovery team“ schlägt ein Gespräch in Berlin vor; sie bieten ein Interview mit geprellten Juicy-Fields-Anlegern an, denen Geld zurückerstattet wurde.

Ein Mann mit Fantasiennamen „Neo“ stellt sich als geprellter Anleger vor

Zu dem Termin in der Lobby des Berliner Grand Westin Hotel erscheint ein Mann mit Sweatshirt und kurzen grauen Haaren. Er nennt sich „Neo“, wie der Held in dem Science-Fiction-Film Matrix. Er setzt sich und beginnt, die Geschichte auszubreiten, die er vorbereitet hat: Auch er habe Juicy Fields Geld verloren, 25.000 Euro und sich dann bei denen gemeldet, die eine Rückerstattung versprachen. „Es gab da eine Gruppe von Leuten, die sich tatsächlich gekümmert hat“, sagt er. Er sei auch bei dem Gründungstreffen des neuen Teams  dabei gewesen, in Lissabon in einem Sushi-Restaurant namens „Yakuza“.

Das Team habe Geld gesammelt und ein neues Geschäftsmodell mit Cannabis vorbereitet.

Eine einfache Online-Recherche ergibt: „Neo“ ist Kroate und Geschäftsführer einer windigen Cannabisfirma mit Sitz in London, die wiederum zu Juicy Fields zurückführt: In einem Post auf Telegram schreibt das angebliche DAO-Team kurz zuvor – in einer Nachricht an die Journalisten: „Übrigens solltet ihr uns besuchen kommen, wenn ihr Zeit habt – wir haben einen HANAPIZ Club in Afrika, damit wir näher bei unserem Lieblingsgras sind.“ Eine Firma namens Hanapiz in Kapstadt, Südafrika, taucht im Mai 2023 als einziger Aktionär bei der Gründung von „Neos“ Firma auf – sie ist offenbar Teil der Verwirrspiele.

Nach den Verhaftungen wird es still auf der Plattform

Aber davon spricht „Neo“ nicht, was er stattdessen erzählt: 520.000 Euro seien bereits an Anleger zurückerstattet worden, behauptet er, aber an wen konkret, das bleibt unklar.

„Deshalb wollte ich Sie treffen“, sagt er. „Ich wollte Ihnen klarmachen, wie wichtig das ist, wer das Recoveryteam ist, und unsere Entschlossenheit, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Und um den ganzen negativen Bullshit zu beseitigen.“

Aber warum treten die Mitglieder der DAO dann nicht offen auf? Neo sagt: Sie wollen sich schützen. „Aber sie arbeiten im Hintergrund“, sagt er, „und sie geben nicht auf.“

In den vergangenen Monaten ist es stiller auf der Seite juicyfields.io geworden. Die DAO-Gruppe auf Telegram ist jetzt nicht mehr öffentlich zugänglich.

Wenn man „Neo“ fragt, schreibt er: Die Gruppe habe ihre Aktivitäten eingestellt. „Der aufrichtige Versuch, die Dinge richtigzustellen“, habe keine Beachtung gefunden.

Die Staatsanwältin Ina Kinder bereitet ihre Anklageschrift vor. Der Fall ist riesig, die Kapazitäten der Justiz sind begrenzt. Sie konzentriere sich auf Victor Bitner und Friedrich von Luxburg. „Sie müssen sehen, dass sie die Anklage möglichst überschaubar halten“, sagt sie, „je mehr auf der Anklagebank sitzen desto unübersichtlicher wird es. Und dann kommt am Ende nichts bei herum.“

Sergei Berezin kann jetzt nicht mehr viel tun. Nur noch auf seinen Prozess in Spanien warten und vom Gefängnis aus seine Geschichten verbreiten.

Igor Kekshin, der Aussteiger, meldet sich doch noch einmal. Er ist wohlauf und er sagt, Berezin habe ihm zwischenzeitlich neue Arbeit angeboten. Zum Beispiel, einen Leichenwagen vor einem Haus in Niedersachsen zu parken. Auch die Videobotschaft habe er auf Anweisung Berezins hin aufgenommen. Aber das stimme alles nicht, sagt er nun: „Ich ziehe meine Zeugenaussagen nicht zurück, im Gegenteil. Ich stehe fest dazu.“


Ein Absatz über die Ermittlungen gegen die Gruppierung wurde aus redaktionellen Gründen nachträglich gekürzt. Die Passage über die mutmaßliche Rolle der iSX-Bank wurde präzisiert.

Die Aussagen des Aussteigers Igor Kekshin sowie dessen richtiger Name wurden nachträglich eingefügt.

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