Er soll Millionen erbeutet haben. Von Menschen, die an seine Versprechen glaubten.
Nun sitzt er in einem Gefängnis in Spanien und schickt eine E-Mail voller Spott, Zwinkersmileys und kühler Drohungen.
Sergei Berezin gilt als Drahtzieher des größten Cannabis-Betrugs aller Zeiten. Hunderttausende haben bei Juicy Fields Geld angelegt und verloren. Berezin aber schiebt die Schuld auf andere: „Ich habe selbst Vorwürfe gegen zahlreiche in das Projekt verwickelte Personen“, schreibt er, „und ich weiß, dass die Bestrafung für ihren Verrat unvermeidlich ist“.
In Berlin-Moabit sitzt die Oberstaatsanwältin Ina Kinder in ihrem Büro, von drei Seiten eingekastelt in Regale voll roter Papphefter, vom Boden bis zur Decke, in jedem steckt eine Anzeige im Fall Juicy Fields. „Wir wissen, wer dahintersteckt, und dass die obere Ebene wohl der russischen Mafia zuzuordnen ist“, sagt sie. „Aber in Russland kommen wir nicht weiter.“
Ganz in der Nähe steuert ein Mann, der sich Neo nennt, durch die Lobby eines Viersterne-Hotels. Er will eine Botschaft abliefern, deshalb ist er hier: Die Stories von den kriminellen Russen, die solle man nicht glauben. „Wenn man sagt: russische Mafia, ist das eine ernste Sache. Damit ist nicht zu spaßen“, sagt er und dann ruft er in die Stille des Saals: „Da ist nichts mit Mafia.“
Juicy Fields hieß die Online-Plattform, die mit einem großen Versprechen warb: Jeder kann reich werden mit medizinischem Cannabis. Es geht ganz leicht, nur ein paar Klicks, dann wachsen die Pflanzen, ganz ohne Risiko, nach gut drei Monaten kann die Ernte beginnen.
Jetzt steht der Name Juicy Fields für einen Betrugsfall mit gewaltigen Ausmaßen. Er verbindet 186.000 geprellte Anleger mit einer kleinen Riege mutmaßlicher Serienbetrüger aus Russland.
Den Häftling in dem spanischen Gefängnis mit der Staatsanwältin und dem Mann mit Decknamen „Neo“.
Berlin und Sankt Petersburg.
Die organisierte Kriminalität und die Crowd.
Für das Berliner Landeskriminalamt ist Juicy Fields der größte Fall, in dem es je ermittelt hat. Er hat Schlagzeilen gemacht, auch international; in Deutschland berichtete zuerst die Zeitschrift Finanztest. Es gibt einen Podcast der Deutschen Welle und eine Doku des ZDF.
Ein Krimi mit Grafen und russischen Ganoven
Nun hat CORRECTIV in Kooperation mit DR (Dänischer Rundfunk), Spiegel, Paper Trail Media, dem ZDF, dem niederländischen Rundfunk BNNVARA, dem Standard in Österreich und Svenska Dagbladet in Schweden rund ein Jahr lang recherchiert. Das Reporterteam hat mit Zeugen, Aussteigern, früheren Managern, Ermittlern und Fachleuten gesprochen und Firmennetzwerke analysiert, Zahlungsströme sowie geheime Unterlagen ausgewertet.
Die Recherchen ermöglichen einen neuen Blick hinter die Kulissen des organisierten Verbrechens made in Russia: Sie zeigen, wie eine Bande international agierender Gangster in Berlin angesetzt hat, um eine ausgeklügelte Täuschungsmaschinerie in Gang zu setzen – und nach dem Zusammenbruch weiter versucht, die Opfer in die Irre zu führen.
Es ist ein Fall wie ein Krimi, ein überdrehter Schundroman mit Auftragsmorden, falschen Grafen, goldenen Lamborghinis, Fonds in Liechtenstein, Paketbomben und Connections in die russische Unterwelt.
Russische Cyber-Kriminalität: Angriffe auf Europa
Der Bereich Cyber-Kriminalität wächst seit Jahren rapide. Im April brachte ein internationales Forscherteam den ersten „World Cybercrime Index“ heraus. Das Ergebnis ist hochbrisant. Denn der größte Teil der Bedrohung geht von einer kleinen Anzahl von Staaten aus – und Russland steht auf Platz 1 der Liste. Forscher und Fachleute werten Cyberbetrug auch als Angriff des Kreml auf die demokratischen Staaten Europas. „Eine Taktik Russlands Krieg zu führen, ist der Einsatz des organisierten Verbrechens als Instrument staatlicher Politik im Ausland“, schreibt der führende Russland-Experte Mark Galeotti in einem Briefing.
Für die, die auf das System hereinfielen, steht Juicy Fields vor allem für einen persönlichen Schlag. Manche haben ihre Ersparnisse verloren. Existenzen wurden ruiniert, Pläne zunichtegemacht.
„Für mich bedeutet das eine Enttäuschung über mich selbst. Dass ich auf die reingefallen bin“, sagt ein Sozialpädagoge, 45 Jahre, aus Lübeck. Der Mann ist chronisch krank und hat nicht viele Rücklagen, 7.500 Euro. Also fragte er einen Freund nach Tipps: Hast du eine Idee, wie man seine Rente aufbessern kann? Der empfahl Juicy Fields, das Geld ist jetzt weg: „Ich bin in ein richtiges Loch gefallen“, sagt der Pädagoge, „das begleitet mich bis heute“.
Ein Schneeballsystem mit Hunderttausenden Opfern
Das System Juicy Fields gaukelte ein Fantasiegebilde vor, mit Cannabis-Farmen in aller Welt und märchenhaften Renditen: Die Anleger konnten ihr Geld über ein virtuelles Gewächshaus in medizinisches Cannabis investieren. Für jede digitale Pflanze sollte eine reale wachsen, und wenn sie geerntet und verkauft ist, winkten den Anlegern hohe Gewinne.
Aber es gab wohl kein Produkt, kaum Cannabis und Plantagen nur zu Showzwecken. Die Polizei spricht von einem Schneeballsystem: Offenbar wurden frühere Investoren mit dem Geld der späteren ausgezahlt. Das ging eine Weile gut. Aber im Juli 2022 kamen die Nutzer nicht mehr in ihre Konten. Da waren die Betreiber bereits mit dem Geld auf und davon.
Aber schon nach einer Weile kursierten im Internet und auf Telegram neue Versprechen. Die Geschichte ist nicht zu Ende.