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Die Cannabis-Connection der Bundesrepublik: Snoop Dogg und Staatsauftrag

Die Firma Cansativa agiert praktisch als Großhändler für medizinisches Cannabis im Auftrag des Staates. Dahinter stehen auch Offshore-Firmen, zum Teil in Steueroasen. Finanzexperten halten die Auftragsvergabe für fragwürdig.

von Gabriela Keller

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Der Markt mit medizinischem Cannabis wächst rapide. Das lockt auch internationale Investoren. Foto: Annette Riedl / picture alliance

Es geht um 10,4 Tonnen Cannabis, um Blüten, die Schmerzen, Krämpfe oder Übelkeit lindern, und um die Frage, wie der Stoff vom Anbau in die Apotheken kommt. 

Seit 2017 dürfen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis verschreiben. Das Gesetz sieht vor, dass der Staat sich bei einheimischen Pflanzen um Vertrieb und Handel kümmern muss. Diese Aufgaben – Lagerung, Lieferung, Bestellwesen, Transport – wurden an eine Privatfirma vergeben: Das Startup Cansativa agiert als Cannabis-Großhändler im Auftrag der Bundesrepublik – eine GmbH mit zum Teil undurchsichtigen Offshore-Strukturen; darunter Hedgefonds, Investmentgesellschaftern und Kapitalfirmen in Steuerparadiesen. 

Der öffentliche Auftrag an die hessische Firma eröffnet einen Blick in die unübersichtliche Gemengelage des Cannabismarktes. Unklar ist, ob die Behörden wissen, wer sich hinter den Offshore-Firmen verbirgt – oder wie gründlich die Firmenstruktur des staatlichen Dienstleisters durchleuchtet wurde. Der Finanzexperte Markus Meinzer von Tax Justice Network hält das für ein Problem – besonders bei Vertragspartnern des Staates Deutschland: „Ohne eine verpflichtende Offenlegung der Offshore-Investoren deutscher GmbHs und AGs lädt die Bundesregierung zu Interessenkonflikten, Marktmanipulation und anderen Unregelmäßigkeiten ein.“ 

Snoop Doggs Firma als mittelbarer Geschäftspartner der Bundesregierung

Während die Bundesregierung eine teilweise Legalisierung von Cannabis als Genussdroge vorbereitet, wirft schon der Umgang der Behörden mit medizinischen Cannabis Zweifel auf; Brancheninsider sprechen von fehlendem Wissen und geringem Einsatz. Die Frage ist also, inwiefern die Behörden die Branche einschätzen können – ob Sie wissen, mit wem sie es zu tun haben, und wie gründlich sie geprüft haben.

Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM teilt dazu mit: „Im Rahmen des europäischen Vergabeverfahrens wurden die vorgesehenen Prüfungen der Teilnehmenden durchgeführt.“ Konkreter wird das Institut nicht.

Die  Cansativa GmbH geht auf Anfrage nicht detailliert auf den Vorwurf der teilweisen Intransparenz ein. Nur so viel: Bei den Offshore-Teilhabern handele es sich nur „um Minderheitsgesellschafter.“ Bei Fragen zu den „Vergabe- und Zuschlagskriterien“ für den öffentlichen Auftrag solle man sich an Vergabestelle wenden – also den Staat. 

Ein prominenter Investor im Netzwerk von Cansativa wurde bereits vermeldet: Calvin Broadus, besser bekannt als: Snoop Dogg. Der Rapper und bekennende Kiffer steht hinter einer Kapitalgesellschaft, die 2022 einen Millionenbetrag in das hessische Startup investiert hat: Drei Fonds, die sich dessen Firma Casa Verde zuordnen lassen, gehören insgesamt knapp 20 Prozent von Cansativa. Damit ist Snoop Doggs Firma zumindest mittelbar Geschäftspartner der Bundesrepublik Deutschland.

Die Cansativa GmbH nahe Frankfurt am Main erhielt im August 2020 als einziges Unternehmen den Zuschlag für Logistik und Vertrieb von einheimischem Cannabis für therapeutische Zwecke und setzte sich gegen 18 weitere Bewerber durch. Der Vertrag läuft über vier Jahre und umfasst insgesamt ein Volumen von 10,4 Tonnen. 

Die Stelle, die im BfArM den Anbau von Cannabis steuert und kontrolliert, nennt sich Cannabisagentur. Fachgebiet 44, Abteilung Zulassung 4. Gibt man im Internet www.cannabisagentur.de ein, landet man aber nicht bei dem Bundesinstitut, sondern auf einer von Cansativa betriebenen Seite, auf einer Art Bestellportal. Dort können Apotheken das einheimische Cannabis kaufen – oder werden über einen Link gleich weitergeführt auf  Unternehmenswebsite von Cansativa mit weiteren, internationalen Sorten.

Denn die Firma agiert nicht nur als Vertragspartner der Bundesregierung, sondern zählt selbst zu den großen Importeuren von medizinischem Cannabis in Deutschland. 

Vorwürfe von Wettbewerbsverzerrung und Interessenkonflikten

Die Doppelrolle der Firma sorgt in der Branche für Skepsis; manche sprechen von Wettbewerbsverzerrung. „Sie verwalten das Cannabis für die Cannabisagentur. Die Apotheken bestellen es über die Website,  und nur einen Klick entfernt findet sich das, was sie selbst als Privatfirma importieren“, sagt Cannabis-Autor und -Experte Michael Knodt. „Das verschafft denen einen ziemlich großen Wettbewerbsvorteil.”

Anders als der Handel mit einheimischem Cannabis ist der Import-Markt nicht vom Staat gesteuert – und sehr viel größer: Während in Deutschland pro Jahr 2,6 Tonnen vertrieben werden, beliefen sich die Einfuhren 2022 auf fast 25 Tonnen. Cansativa hat nach eigenen Angaben seit 2020 fünf Tonnen Importware abgesetzt.

Auch Maximilian Plenert, selbst Cannabis-Patient und Geschäftsführer einer Cannabis-Beratungsagentur in Berlin, stört sich an der unübersichtlichen Lage. Er sagt, die zuständigen Behörden machten auf ihn den Eindruck von Ahnungslosigkeit und fehlendem Engagement: „Sie machen es sich ganz einfach, indem sie alles an einen Dienstleister auslagern – sogar die Website.“ Dies laufe in anderen Ländern anders: In den Niederlanden oder in Kanada etwa trete der Staat selbst als Akteur auf dem Markt auf und stelle zudem offizielle Informationen zu medizinischen Cannabis für Ärtzinnen und Patienten bereit. In Deutschland hielten sich die Behörden weitgehend raus und überließen einem privaten Großhändler das Feld. 

„Es wirkt nicht ganz sauber, wegen der Interessenkonflikte“, sagt Plenert. Der Markt für medizinisches Cannabis beläuft sich auf geschätzt 300 Millionen Euro und wächst rapide. Auch dank des öffentlichen Auftrags wurde Cansativa zu einem dominanten Akteur. Die Firma nutzt dies für Eigenwerbung: Als „Marktführer“ und „exklusiver Partner der Bundesrepublik Deutschland“ habe seine Firma die Branche geprägt, schreibt einer der Geschäftsführer Jakob Sons auf der Unternehmenswebsite. 

Hedgefonds in Kanada, eine Firma auf den Cayman Islands

Cansativa teilt auf Anfrage von CORRECTIV dazu mit, man nutze „die positive Referenz als Auftragnehmer eines öffentlichen Auftraggebers“, dies diene „der öffentlichen Darstellung unseres Dienstleistungsportfolios.“ 

Gegründet wurde die Firma von den Brüdern Jakob und Benedikt Sons. Zu den Anteilseignern zählen Privatleute, darunter die Brüder Sons selbst und ihr Vater, Hedgefonds in Kanada, eine Investmentfirma auf den Cayman Islands und mehrere Firmen mit Sitz in der amerikanischen Steueroase Delaware, die zu Casa Verde gehören – einer auf Cannabisunternehmen spezialisierte Kapitalfirma – der Fonds wurde mitgegründet von Snoop Dogg. Der Fonds des Rappers investiert weltweit in Cannabisfirmen und sieht offenbar Potenzial auf dem deutschen Markt.

Zwar machen Offshore-Strukturen nur einen Teil der Gesellschafter von Cansativa aus, auch sind solche Konstrukte nicht rechtswidrig und auch nicht unüblich. Dennoch verweisen Finanz- und Steuerexperten auf die Risiken, vor allem, wenn eine Firma mit Verbindungen in Steueroasen als Partner der Bundesregierung Aufträge erhält. Generell müsse der Staat sicherstellen, dass die Eigentümerstruktur seiner Auftragnehmer auch öffentlich in deutschen Registern einsehbar sei, fordert der Experte von Tax Justice Network Markus Meinzer: „Diese Transparenz darf man von den Empfängern öffentlicher Aufträge durchaus verlangen.”

Keine Auskunft zur Höhe der Gebühren für Cansativa

Ähnlich sieht es Konrad Duffy, Finanzexperte bei der Bürgerbewegung Finanzwende: „Da kommen auf jeden Fall Fragen auf, vor allem wenn es um eine Firma mit Quasi-Monopolstellung geht“, sagt er. „Der Fall zeigt, dass es generell kein Bewusstsein dafür gibt, welche Folgen es hat, wenn Firmen mit intransparenten Eigentümerstrukturen in Schattenfinanzplätzen Geschäfte machen.“ Die Behörden müssten sich die wirtschaftlich Berechtigten offenlegen lassen, meint Duffy. Denn letztlich laufe der Staat Gefahr, mit seinen Aufträgen das Konstrukt Schattenfinanzplätze zu fördern.

Auch, wie viel Geld Cansativa als Cannabis-Dienstleister des Staates verdient, bleibt unklar: Die Firma erhält für ihre Dienstleistungen eine Verwaltungsgebühr; finanziert wird diese bei ärztlich verschriebenem Cannabis von den Krankenkassen. 

Auf die Frage nach der Höhe verweisen die Firma und das BfArM aufeinander: „Die Angebotskonditionen unterliegen der Geheimhaltung“, teilt Canativa mit. „Hierzu können wir leider keine Angaben machen.“ Beim BfArM indessen heißt es, man könne dazu nichts sagen und beruft sich auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der Privatfirma. Allerdings würden alle Kosten in den Abgabepreis des Cannabis einkalkuliert und seien für den Steuerzahler „kostenneutral“. 

Der Markt für medizinisches Cannabis boomt

Derzeit dürften die Einkünfte aus dem öffentlichen Auftrag bei Cansativa nur einen kleineren Teil des Umsatzes ausmachen. Der Markt mit medizinischem Cannabis wächst rapide, und die Branche rechnet damit, dass der Boom mit der geplanten Lockerung der Regeln erst richtig losgeht.  Ob sich Cansativa in einer ähnlichen Rolle als Partner des Staates beim Genuss-Cannabis engagieren wird, ist offen; die Firma selbst teilt dazu mit, dazu sei derzeit „keine Einschätzung möglich“. 

In der Branche aber wisse jeder, dass der Freizeitkonsum der große Kuchen ist, auf den jede Cannabis-Firma schielt, sagt Cannabis-Experte Michael Knodt: „Das wollen alle Anbieter.“ Auf der Website von Cansativa ergibt sich der Eindruck, dass sich die Firma von den geplanten Gesetzesänderungen viel erhofft: Bei der anstehenden Legalisierung, heißt es dort, sehe sich Cansativa als „Vorreiter bei der Demokratisierung des Cannabismarktes“.