Klimawandel

Kleine Veränderungen, große Wirkung

Nordsee, Watt und Krabbenbrötchen – für viele Urlauber heißt das kurz Cuxhaven. Doch wie lange noch? Die Küstenstadt zeigt, wie der Klimawandel deutschen Urlaubsorten zusetzen kann. Wie die lokale Wirtschaft den Wetterwandel spürt, er Zugvögel aus ihrem Rhythmus bringt und heimische Arten auf Veränderungen ihrer Umwelt reagieren. Mit den Folgen haben die Menschen zu kämpfen, die direkt an der Küste leben. Die CORRECTIV Klimaredaktion war vor Ort.

von Annika Joeres , Hüdaverdi Güngör

GERMANY-WEATHER
Cuxhaven gehört zu den deutschen Urlaubsparadiesen. Aber das Idyll ist bedroht. (Foto: Patrik Stollarz / AFP)

Neben den Stränden und Campingplätzen, den vielen bunten Strandkörben und der nordischen Ruhe lockt vor allem das Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe Besucher in die Stadt an der Nordsee. 2017 brach Cuxhaven seinen eigenen Rekord: Fast sieben Millionen Übernachtungen zählte die Stadt, die gerade einmal 50.000 Einwohner hat. 

Doch die Lage an der Nordsee und der Mündung zur Elbe ist Fluch und Segen zugleich, denn das Idyll ist bedroht: In den vergangenen 150 Jahren ist die Nordsee vor Cuxhaven um rund 30 Zentimeter angestiegen. Das belegt eine Datenauswertung von CORRECTIV von weltweit 700.000 Pegeldaten aus den vergangenen hundert Jahren. Auf einer interaktiven Karte haben wir den Anstieg des Meeresspiegels visualisiert und an 500 Häfen und Küstenstädten auf dem gesamten Globus abrufbar gemacht.  

Die Daten zeigen: Weltweit steigt das Meer an. Und es steigt von Jahr zu Jahr schneller. Am schlimmsten betroffen sind asiatische Küstenstädte, aber auch an deutschen Küstenregionen, wie zum Beispiel in Cuxhaven, in Warnemünde und Wismar, stieg das Wasser seit Beginn der Aufzeichnungen im Durchschnitt um mehr als 20 Zentimeter. Inzwischen kommen jedes Jahr rund drei Millimeter dazu. Was wenig klingt, hat große Folgen für Anwohner, Wirtschaft und Tierwelt. 

Vier Tage, ein Thema: Unsere Klimawoche im Besucherzentrum Wattenmeer in Cuxhaven. (Foto: CORRECTIV)

Die CORRECTIV Klimaredaktion ist deswegen im Sommer für eine Woche nach Cuxhaven gezogen, hat im Rahmen von offenen Diskussionsabenden mit Expertinnen und Experten sowie mit Bürgern und Betroffenen gesprochen. Die CORRECTIV-Klimawoche fand im Besucherzentrum Wattenmeer statt, das direkt am Meer liegt und in seinen lichtdurchfluteten Hallen heimischen Tiere und Pflanzen aus dem Wattenmeer ausstellt. Wie sehr der Klimawandel die Welt des Watts verändert und in den kommenden Jahrzehnten verändern wird, ist hier noch nicht zu sehen.

Cuxhaven würd es ohne Deiche nicht mehr geben

Die steigenden Meere können für die Bewohner der Nordsee-Küste lebensbedrohend werden. Viele Städte würde es ohne Deiche schon jetzt nicht mehr geben. Die kilometerlangen Barrieren halten Hochwasser und Sturmfluten fern. Deshalb luden wir auch den Geschäftsführer des Cuxhavener Deichverbands Jürgen Schubel zum Auftaktabend unserer mobilen Klimaredaktion ins Besucherzentrum Wattenmeer ein. 

„Die Deiche sind erst einmal sicher“, sagt Schubel mit typisch nordischer Gelassenheit. Seit zwei Jahrzehnten ist er dafür zuständig, die Deiche instand zu halten – ein Beruf, den er von seinem Vater gelernt habe. „Wenn das Wasser steigt, müssen wir eben höher bauen“, sagt der Deichexperte lakonisch. Man müsse heute davon ausgehen, dass der Anstieg stärker ausfallen werde als in den vergangenen hundert Jahren. „Um wieviel mehr, kann niemand mit Gewissheit sagen“, sagt Schubel. „Weil aber die Veränderung nicht von heute auf morgen kommt, wird Zeit bleiben, darauf zu reagieren.“

Stetiger Kampf gegen das Meer

Laut des Jahresberichts 2018 des niedersächsischen Landesbetriebes für Küsten- und Naturschutzes (NLWKN) bieten die Deiche des Bundeslandes Schutz für insgesamt 1,1 Millionen Küstenbewohner. Wie es sich anfühlt, wenn die Deiche gegen eine Sturmflut nicht ankommen, erlebte Cuxhaven zuletzt 1962 und 1976. Während der Sturmflut von 1962 brachen Deiche an insgesamt 63 Stellen, das Meer überflutete Küstenstädte, ein Sechstel von Hamburg versank im Wasser. Mehr als 300 Menschen verloren ihr Leben. 1976 setzte der Orkan „Capella“ Cuxhaven zu. Bis zu 17 Meter hoch schlugen die Wellen vor der Küste und richteten in der Stadt massiven Schaden an.

Nach den Sturmfluten rüstete man die Deiche nach. Zum Teil wurden sie um 1,5 Meter höher gebaut, sagt Schubel. 43 Jahre später bereiten sich die Verantwortlichen nun schon vor einem Unglück auf die nächste Katastrophe vor. Niedersachsen nennt dies „vorsorglichen Küstenschutz“. Jeder Deich wird heute so berechnet, dass er eine Jahrhundertflut auch mit einem 50 Zentimeter höheren Meeresspiegel – als bislang bis 2100 erwartet – aushalten kann. Ähnlich wie Niedersachsen plant auch das Land Schleswig-Holstein. Jabcobus Hofstede, Wissenschaftler am Umweltministerium in Schleswig-Holstein, erklärt, dass die Deiche einem sogenannten 200jährigen Ereignis standhalten sollen, das heißt, einer Sturmflut, die so extrem ist, dass sie nur einmal in 200 Jahren zu erwarten ist. Egal ist es dabei allerdings, ob sie schon im ersten Jahr über das Land zieht oder erst im 199ten Jahr Verwüstung bringt. Neben dieser Berechnung wird noch ein halber Meter hinzugepackt, um den steigenden Meerespiegel auszugleichen. 

Aktuell müssen 90 Kilometer der Landesschutzdeiche in Schleswig-Holstein verstärkt werden. Dafür gibt es ein Programm, den „Generalplan Küstenschutz“, welcher Jahrzehnte laufen werde. Die Kosten dafür belaufen sich auf mehrere hunderte Millionen Euro. Hinzu kommen jährliche Kosten für den Küstenschutz in Schleswig-Holstein und Niedersachsen von jeweils rund 60 Millionen Euro. 

Ihren letzten großen Kampf gegen eine Sturmflut hatten Cuxhavens Deiche 2013. Das Orkantief „Xaver“ sorgte damals für Unruhe. Doch die Deiche hielten. Schubel teilte der Presse mit: „Wenn man bedenkt, dass am Nikolaustag nachts um 3 Uhr eine der höchsten Sturmfluten getobt hat, die Cuxhaven je erlebt hat, dann können wir vor allem sehr erleichtert sein über den glimpflichen Ausgang, aber auch stolz auf die getroffene Vorsorge, die sich jetzt ein weiteres Mal bewährt hat.“ 

Wie lang die Höhe der Deiche noch ausreicht, entscheiden laut Schubel die kommenden 20 bis 30 Jahre. 

Wird es reichen?

Die Klimatologin Susanne Nawrath vom Klimahaus Bremerhaven teilt sich mit Schubel die Bühne am ersten Klima-Abend. Sie sagt: „Bislang steigt das Meer schneller an, als wir jemals gedacht haben. Bei den Naturgewalten, die das Klima auf uns ausübt, ist es schwer zu sagen, ob wir das alles händeln können“. In einer Erklärung des Bundestags heißt es, das steigende Meer bedrohe in Deutschland rund drei Millionen Menschen, die in flachen Küstenregionen leben. 

Rund zwei Drittel der Küste Cuxhavens gelten als überflutungsgefährdet. Anwohner und Tiere werden von insgesamt 152 Kilometern Deichen geschützt. „Die Anpassung von Deichen kostet pro Kilometer mindestens eine Million Euro. Wahrscheinlicher sind 2 bis 3 Millionen mit allem drum und dran“, sagt Deichexperte Schubel. In ganz Niedersachsen sind es rund 1000 Kilometer Deich.

Wandel in der Unterwasserwelt

Krabbenfischer Hans-Robert Hinners fährt seit über einem Jahrzehnt von Cuxhaven aus zur See. Er sagt: „Wir kämpfen mit viel krasseren Stürmen als früher.“. Immer häufiger könne er mit seinem Kutter nicht auf die See fahren, weil sich Unwetter zusammenbrauen. In den vergangenen 30 Jahren wurden in Cuxhaven jährlich etwa 75 Sturmtage erfasst, also Tage an denen der Wind mit mindestens 62 Km/h blies, sprich Winstärke 8 Bft. Ob ein Fischer rausfährt, muss er selbst entscheiden, sagt deutsche Fischerei Verband. Es gebe keine Stelle, die Ausfahrverbote erteile, denn wie viel Sturm ein Schiff verträgt, sei sehr unterschiedlich.

Hinners kommt an jenem Abend ohne Eile zur Podiumsdiskussion ins Besucherzentrum: Er muss die nächsten Tage nicht rausfahren. Stürme sind aber nicht der Grund. Sein holländischer Großhändler hat Hinners drei Wochen Fangverbot erteilt, um die Krabbenpreise oben zu halten. 

Denn Hinners und die übrigen Krabbenfischer an der Nordsee fangen zurzeit unerwartet viel.

Hinners Krabben fühlen sich im wärmeren Wasser der Nordsee wohl. Blickt er auf seine  fünfzehnjährige Laufbahn als Krabbenfischer zurück, hatte er noch nie so viele Tiere im Netz wie jetzt. Auch sein Vater, von dem er seinen Job gelernt hat, beobachtet dieselbe Entwicklung. Laut Alfred-Wegner-Institut bei Helgoland hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren, von 1962 bis 2012, die Meeresoberflächentemperatur der Nordsee im Jahresmittel um 1,7 Grad erhöht. Die Erwärmung wird auch im Klimareport 2018 bestätigt. 2014 war mit 10,8 Grad im Durchschnitt das wärmste Jahr bisher in Niedersachsen war. In den Folgejahren blieb die Temperatur über der 10 Grad-Marke. Außerdem wird das Wetter immer extremer: Die Tage mit „sehr“ hohen Temperaturen haben laut Report zugenommen. Auch lang anhaltende Hitzeperioden seien häufiger aufgetreten. 

Während das neue Klima den Krabben bislang zu bekommen scheint, wird es den typischen Heringen in der Nordsee langsam zu warm. Sie werden seltener an Bord geholt. Dafür hat Hinners im Beifang immer mehr wärmeliebende Fische wie Sardinen und Sardellen – Fischarten, die eigentlich vor den Küsten des Mittelmeeres schwimmen. Auch die Plattfußkrabbe zieht er manchmal auf seinen Kutter – sie ist eigentlich südlich der Niederlande beheimatet und kam laut Biologen des Nationalparks Wattenmeer bis vor wenigen Jahren an der deutschen Küste überhaupt nicht vor. Arten verschwinden mit dem Temperaturanstieg des Meeres, neue kommen hinzu. „Ob ich in ein paar Jahren noch Krabben fischen kann – wer weiß das schon?“, sagt Hinners.

Neue Arten, neue Probleme

Es ist ein warmer Sommermorgen, als die Kinder einer Schulklasse aus Bremerhaven barfuß durch das Watt laufen. Das norddeutsche Wattenmeer ist das größte der Welt – es erstreckt sich von den Niederlanden über die westdeutsche Küste bis hinauf nach Dänemark. Ein einzigartiger Lebensraum für unzählige Tierarten. Doch er ist bedroht: Jedes Jahr werde es heißer, erklärt eine Wattführerin den rund zwanzig Grundschülern. Im Sommer 2018 heizte sich das Wasser in den Prielen auf bis zu 30 Grad. Zu warm für viele Bewohner des Watts, die zu dieser Jahreszeit eigentlich an Temperaturen von rund 20 Grad gewöhnt sind. Ebenso wie in den Netzen des Krabbenfischers Hinners gerät auch die Welt des Watts aus ihren Fugen.

Die gemeine Miesmuschel zum Beispiel, die zur Saison mit Weißwein und Suppengrün auf deutschen Tellern landet, mag es bevorzugt kühl und feucht – so wie das „Moos“, der niederdeutsche Ursprung von „Mies“. Ihr Name beruht darauf, dass sie grün-braune Fäden spinnt, die sogenannten Byssusfäden, die Moos ähneln. Mit diesen Fäden heftet sie sich am Schlicksand fest. Miesmuscheln leiden gleich doppelt unter Hitze: Ihr wärmeliebender Konkurrent, die pazifische Auster, wandert nordwärts und besiedelt inzwischen viele von ihren angestammten Flächen. Außerdem können sich Miesmuscheln nur nach eisigen Wintern gut vermehren, weil bei Kälte junge Krebse, die sich wiederum von den Jungmuscheln ernähren, erst später erscheinen. 

Das Wattenmeer ist Lebensraum für unzählige Tierarten. Leider ist es auch vom Klimawandel bedroht. (Foto: CORRECTIV)

Die Schulkinder finden an diesem Morgen neben Miesmuscheln und Wattwürmern aber vor allem eines: Wattschnecken. Wattschnecken heften sich bei Flut unter die Wasseroberfläche und graben sich bei Ebbe in den Sand. Stoßen die Zweitklässler zunächst noch angewiderte Schreie aus, suchen sie schließlich mit der Schaufel nach dem Tier mit dem hoch gewundenen Gehäuse. Auch die Wattschnecke wird seltener: Immer mehr Kohlendioxid wird aus der Atmosphäre im Meerwasser gelöst; dadurch wird das Wasser saurer. Und die Kalkschale der Muscheln und Schnecken wird durch die zunehmende Versauerung brüchiger, beobachten Wattforscher.

 „Schade“, sagt ein kleines Mädchen aus der Schülergruppe mit der Naivität und Unschuld, wie man sie nur in diesem Alter haben kann. Denn welche Kettenreaktion hier im Kleinen beginnt, lässt sich als Kind nur schwer vorstellen.

Hungrige Schnäbel

Das Wattenmeer ist jedes Jahr Landeplatz von mehr als zehn Millionen Zugvögeln. Einer dieser Vogelarten ist der Knuttstrandläufer, von den Einheimischen kurz und liebevoll „Knutt“ genannt. Knutts pendeln zwischen den warmen Gefilden in Afrika und ihrer Brutstätte in Nordsibirien. Auf ihrer fast 4000 Kilometer langen Reise machen die Marathonvögel nur einen einzigen Halt – an der Nordsee. Dort müssen sie innerhalb weniger Wochen ihr Gewicht verdoppeln. Von 100 auf 200 Gramm. Was nicht viel klingt, ist überlebenswichtig für die Knutts, die nicht größer sind als eine Amsel. 

Wenn das Ökosystem durcheinander gerät, wird die Nahrung im Watt knapp. (Foto: CORRECTIV)

Normalerweise kamen die Zugvögel im Wattenmeer an, wenn dieses am meisten Nahrung anzubieten hatte: im späten Frühjahr, wenn sich gerade allerlei Kleinsttiere, Watt- und Schalenwürmer vermehrt hatten und die vom wochenlangen Flug abgemagerten Vögel aufpäppeln konnten. Die Cuxhavener Biologin Heike Niemann beobachtet, dass die Knutts nun immer früher im Wattenmeer ankommen. „Das Wattenmeer ist die Kinderstube und die Futterküche von zahlreichen Zugvögeln – mit der Temperaturerwärmung ändern sie ihre Route.“ 

Der Klimawandel lässt die Vögel zu anderen Zeiten ziehen, so dass sie oftmals kein Futter finden. Manche Vögel blieben zu schwach, um weiterzuziehen und ihre Brutgebiete beispielsweise in Sibirien, Grönland oder Skandinavien nie erreichen. 

Cuxhaven bewegt

Auch die Besucher unserer Klimawoche in Cuxhaven bewegt die Frage ihrer Mobilität. Sie scheitert aber nicht am Nahrungsangebot, sondern am Öffentlichen Nahverkehr. Immer wieder beschweren sie sich in den Diskussionen während unserer Klimawoche darüber, dass sie nicht wissen, ob ihr Bus nun käme oder nicht. Eine Dame über 80, die langsam und mit krummem Rücken zur Veranstaltung erschienen ist, vermisst in diesem Jahr ihren Bus. „Meine Linie fährt nicht mehr – und die nächste Station ist zu weit. Ich komme nicht mehr ins Zentrum“, sagt sie. 

Martin Adamski, Baurat und Klimabeauftragter der Stadt, verspricht mehr Busse und bald auch ein günstigeres Ticket für die Region: „Wir wollen langfristig den Autoverkehr mindern und mehr öffentlichen Nahverkehr einsetzen.“ Ganz vorne dabei ist Cuxhaven bereits mit seinem Wasserstoff-Zug, der zwischen Cuxhaven und Buxtehude fährt. Er wandelt Wasserstoff in einer Brennstoffzelle direkt in elektrische Energie um und hinterlässt statt Kohlendioxid, Ruß und Feinstaub lediglich ein paar Tropfen Wasser. Der solle doch bitte auch zwischen Hamburg, Bremen und Cuxhaven verkehren, wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger.

Außerdem hat sich in Cuxhaven ein Kreis für Radfahrer gebildet, die breitere Radwege fordern, insbesondere wenn die Touristen mit ihren Autos kommen, könne es eng werden. Die Cuxhavener wollen auf ihr Auto verzichten. 

Der Kampf gegen den Klimawandel wie auch seine Folgen fangen im Kleinen an. 

Alle Interviews mit den Gästen und Gesprächspartnern unserer Klimawochen finden Sie hier: