Klimawandel

Der Wald steht im Weg

Den Wald roden, um Solarparks zu bauen? An mehreren Orten gerät die Energiewende in Konflikt mit dem Naturschutz. Anfang Mai hatten CORRECTIV und RBB über ein umstrittenes Vorhaben in einem Brandenburger Waldgebiet berichtet. Auch im sächsischen Ort Schleife wollen Investoren Wald abholzen.

von Gabriela Keller

So wie auf diesem Bild hat sich auch auf den Mulkwitzer Hochkippen ein wertvolles Biotop entwickelt. Naturschützer haben dort weit mehr als 100 Tier- und Pflanzenarten gezählt. Foto: Lum3n / pexels.com

Am östlichen Rand Sachsens soll die Zukunft beginnen, auf zwei künstlich aufgeschütteten Hügeln zwischen den Dörfern Rohne und Mulkwitz: Ein Vorzeigeprojekt ist dort geplant, ein „Ökologisches Kraftwerk“ mit einer Leistung von insgesamt einem Terrawatt, Solaranlagen, Windräder, Biothermie, dazu eine Fabrik für Wärmespeicher. 

Der CDU-Politiker Jörg Funda, Bürgermeister der zuständigen Gemeinde Schleife, sprach in den Lokalmedien von einer Chance für die Region, einem „Meilenstein“. Die Oberlausitz steht vor dem Ende des Braunkohle-Tagebaus und ist dringend auf der Suche nach neuen Perspektiven. Aber die Zukunft hat einen Haken: Auf der 870 Hektar großen Vorhabenfläche steht ein Wald, und der passt nicht ins Konzept, jedenfalls nicht komplett.

Seit über einem Jahr kreist um die Vorhaben in Schleife ein heftiger Streit. Der Ort ist gespalten. Eine Bürgerinitiative läuft Sturm gegen die Pläne. „Man kann nicht sagen: Das ist erneuerbare Energie und zerstört dafür so viele Hektar Natur“, sagt Daniel Jakubik, der zum Kern der Bürgerinitiative zählt. „Das ist für mich ein Widerspruch, das überhaupt als grüne Energie zu bezeichnen.“

Neue Konflikte zwischen Solar-Ausbau und Naturschutz

Die Vorhaben in Schleife zeigen einen kritischen Punkt in der Energiewende auf: Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss sich beschleunigen, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will. Die Politik steht unter Druck, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Dringlichkeit bei der Suche nach Lösungen noch einmal massiv verstärkt.

Die Zeit drängt. Zugleich deuten sich neue Konflikte zwischen dem Solar-Ausbau und dem Naturschutz an. Die hohen Renditen ziehen inzwischen auch fragwürdige Akteure an. Anfang Mai wies eine Recherche von CORRECTIV und RBB die zum Teil umstrittenen Methoden der Lindhorst-Gruppe nach, die unter anderem einen Solarenergie- und Indurstriepark in der Brandenburgischen Ortschaft Hohensaaten plant und dafür rund 350 Hektar Wald roden will. 

Kann Waldrodung im Sinne der Energiewende sein? Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) sieht das nicht so. In Folge der Veröffentlichung erteilte er dem Projekt auf RBB24 Inforadio eine Absage: Es sei „völlig absurd“, für Solaranlagen Wälder zu roden. 

„Warum wir?“, fragte sich der Bürgermeister

Wie das Beispiel aus Schleife zeigt, gibt es weitere Fälle; tatsächlich gibt es auffällige Parallelen zwischen den Vorhaben. Wie in Hohensaaten wird auch in dem sächsischen Örtchen ein Solar-Kraftwerk auf Waldflächen geplant. Und an beiden Orten werden die Projekte sogar von demselben Planungsbüro betreut, der Firma Gicon Großmann Ingenieur Consult in Dresden. Die gehört dem Unternehmer Jörg Großmann, der als ehemaliger Technikchef am Hauptstadtflughafen BER in eine Korruptionsaffäre verstrickt war und 2014 wegen Bestechlichkeit und Betrugs rechtskräftig verurteilt wurde. Fragen von CORRECTIV zu den Vorhaben und den Umweltfolgen ließ die Firma unbeantwortet.

Schleife, 2.400 Einwohner, Landkreis Görlitz, Oberlausitz, erlebt dieser Tage einen bemerkenswerten Andrang von Investoren. Die Nachfrage habe ihn „im ersten Moment überrascht“, sagt Bürgermeister Jörg Funda zu CORRECTIV. Zuletzt stand ein ganzes Konsortium da, mit fertigen Plänen, Präsentationen, Entwicklungsbüros und einem 500-Millionen-Euro Budget. „Ich habe mir die Frage gestellt: Warum wir?“, sagt Funda. Aber er kennt die Antwort. In Schleife gibt es Platz. Vor allem das bewaldete Gelände am nordwestlichen Ortsrand weckt Begehrlichkeiten. 

Zu dem Waldgebiet gehören die Mulkwitzer Hochkippen, zwei Halden aus Erde und Gestein, Abraum aus dem Tagebau, in die Landschaft gekippt ab Mitte der 1960er Jahre. Auf diesen Halden hat sich ein Biotop entwickelt, eine kleine Idylle, sagen Anwohnerinnen und Naturschützer.

Platz für große Investoren-Projekte

Zunächst stellten sich Ende 2020 zeitgleich zwei Firmen mit Plänen für Solarkraftwerke auf den Hochkippen vor, eine auf der westlichen, die andere auf der östlichen Kippe. Im Westen treibt eine Hamburger Firma namens Solizer ein insgesamt gut 115 Hektar großes Vorhaben auf drei Flächen voran. Dass dafür einige Stücke Wald gerodet werden müssen, kalkuliert Geschäftsführer Lars Büsching ein. 

„Das ist nicht schön“, sagt er. „Deswegen haben wir uns den Wald genau angeschaut, und der ist in seiner Qualität sehr unterschiedlich.“ Ausgewählt habe man Flächen, auf denen der Wald „minderwertig“ sei. Auch werde Solizer anderswo Ausgleich schaffen. Büsching kennt die Kritik an seinem Vorhaben: „Umwelt- und Klimaschutz sind ein Konfliktfeld“, sagt er. „Aber wir werden die Energiewende nicht schaffen, ohne Abstriche zu machen.“

Aus Sicht von Büsching spricht vieles für den Standort Schleife. Ein wichtiger Faktor sei, dass es eine passende Fläche gebe und nur einen Eigentümer, die Firma Forst Rohne. Das bedeutet, dass Investoren nur mit einem Ansprechpartner verhandeln, dies sei gerade bei Großprojekten ein seltener Vorteil. Zudem steht nahe dem Areal eine komplette Energie-Infrastruktur bereit, die für den Tagebau angelegt wurde, aber derzeit ungenutzt ist, Hochspannungsleitungen, Stromtrassen, ein Umspannwerk. 

Die geplanten Rodungen sorgen in der Region für Proteste. Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Tagebau hat in der Oberlausitz ein Vielfaches dessen an Natur vernichtet, was jetzt für den Solar-Ausbau zur Disposition steht. Wo jetzt die Hochkippen aufragen, gab es früher einen alten Eichenwald. Den begrub der Bergbau unter einer Masse aus Schutt. Inzwischen aber ist  darauf ein neues Ökosystem entstanden.

Ungestörte Landschaft für seltene Tiere und Pflanzen

Schon in den 1970er Jahren in der DDR wurden die Halden aufgeforstet. Nach der Wende haben die Menschen das Areal mit viel Mühe und Feingefühl renaturiert. „Wir haben mit Laubhölzern gearbeitet und Mischwälder angelegt, genau wie es heute gefordert wird“, sagt der ehemalige Revierförster Hubertus Scammel; sie pflanzten Sträucher mit kräftigen Wurzeln, um einer Erosion der Hänge entgegen zu wirken, legten auch Teiche und Feuchtgebiete an: „Und das soll jetzt plattgemacht werden für eine Solaranlage.“

 Naturschützer und Anwohner haben auf den Hochkippen weit mehr als 100 Tier- und Pflanzenarten dokumentiert, darunter viele bedrohte Spezies, Wolf, Seeadler, Wiedehopf. Der Nabu hält das Projekt für nicht genehmigungsfähig. In einer Stellungnahme zu dem Solar-Projekt, die CORRECTIV vorliegt, schreibt der Nabu, es handele sich um ein „Vorhaben in der freien, weitgehend unzerschnittenen und ungestörten Landschaft handelt, somit um Flächen mit hohem Habitat-Potenzial für große und seltene Tier- und Pflanzenarten.“

Christian Hoffmann, Vorsitzender der Nabu-Ortsgruppe Weißwasser, weist das Argument von den „minderwertigen“ Waldflächen zurück; das Areal erfülle eine wichtige ökologische Funktion, nicht nur die Kippen selbst, auch die forstwirtschaftlich genutzten Kiefernwälder daneben. „Es ist zwar kein geschütztes Biotop“, sagt er. „Aber der Natur ist das egal.“ 

Rieseninvestition im Waldgebiet

Der Nabu plädiert dafür, statt Naturflächen bereits versiegelte Standorte zu nutzen, Dachflächen, Industrie- oder Gewerbegebiete, Flächen entlang Autobahnen. Wald so sieht es Hoffmann, sollte für Solar-Vorhaben ein Ausschlusskriterium sein. 

Die Gemeinde Schleife sieht das anders: Der Aufstellungsbeschluss für die Solarparks ist gefasst, das Genehmigungsverfahren läuft. Und jetzt stellt sich heraus, dass das erst der Anfang war. Vor wenigen Wochen stellte sich ein Konsortium mit einer geplanten Rieseninvestition in dem Waldgebiet vor. Für die meisten in Schleife kam das überraschend: Ein 500-Millionen-Euro-Vorhaben, 30 Windräder, ein Holzkraftwerk, die Herstellung von Wärmespeichern, das als erster Schritt, später soll eine Indoor-Farm mit Öko-Lebensmittelanbau, Fischzucht und Pilzkulturen folgen. 

Für das Projekt ist ein 870-Hektar-Grundstück vorgesehen, das komplett der Firma Forst Rohne gehört, alles Waldflächen einschließlich Hochkippen. Die Bürgerinitiative schloss daraus, dass damit 870 Hektar Wald vor der Vernichtung stehen. Die Investoren dagegen bestreiten das. 

Die Rede ist offiziell bislang von 22 Hektar, die für die Windräder gerodet werden sollen; zusätzlich zu gut 115 Hektar für die bereits geplanten Solaranlagen. Wie viel Wald insgesamt weichen soll, wurde bislang nicht bekannt gegeben. 

Mysteriöser Auftritt eines Dresdner Ex-Bürgermeisters

Die Kritiker der Vorhaben macht das misstrauisch; sie vermuten, dass die Pläne der Investoren in Wahrheit noch sehr viel weiter gehen. „Es ist eindeutig Salami-Taktik“, sagt Daniel Jakubik von der Bürgerinitiative: „Für uns sieht das so aus, als wenn sie sich erst mit einem kleineren Projekt vorgetastet haben, und jetzt kommt das größere hinterher.”

Die Investoren bestreiten Verbindungen zwischen den  geplanten Solarparks und dem neuen Großprojekt. Aber so manches an den Vorhaben wirkt widersprüchlich und intransparent: Denn eine Beschlussvorlage des Gemeinderats Schleife von Anfang März, die CORRECTIV vorliegt, legt durchaus gemeinsame Planungen nahe: „Zudem soll die derzeit in drei gesonderten Bauplanungsverfahren verfolgte Errichtung von mehreren, insgesamt ca. 117 umfassenden Photovoltaik-Anlagen der Solizer Invest 01 GmbH & Co. KG als viertes Modul in das Gesamtvorhaben ,Ökologisches Kraftwerk (ÖLW)’ eingebunden werden.“

An dem Großvorhaben beteiligt sind die Enercity Erneuerbare, eine Tochter des Hannoverschen Energieversorgers Enercity, die Bautzner Firma BME Dr. Golbs und Partner und die Ingolstädter Prolignis AG, die für Investoren Holzkraftwerke entwickelt. 

Vorgestellt wurden die Pläne aber von Wolfgang Berghofer, einem früheren SED-Spitzenfunktionär, der in den 1980ern als Oberbürgermeister in Dresden amtierte. Was Berghofer mit dem Vorhaben zu tun hat, erschloss sich einigen Zuhörern nicht. Auf Nachfrage von CORRECTIV antwortet er, er sei als Unternehmensberater tätig. Welche der Firmen ihn beauftragt habe? Er sei, sagte er, „nicht befugt, darüber Auskunft zu erteilen.“

Weggebaggert für den Braunkohle-Tagebau

Auch wie viel das Vorhaben von dem Wald übrig lässt, bleibt einstweilen unklar. Damit steht, sagen Anwohner, das letzte Stück Wald in der Region auf dem Spiel. Die Bagger des Tagebaus Nochten hätten hier in den vergangenen Jahrzehnten bereits 20.000 Hektar Wald verschlungen. Noch ist in Bezug auf das „ökologische Kraftwerk” nichts entschieden, auch eine konkrete Flächenplanung liegt noch nicht vor. Die Gemeinde unterstützt das Vorhaben, die Investoren versprechen Arbeitsplätze und ein Bürgerstrommodell. 

Der Nabu hatte in seiner Stellungnahme angeregt, dass die Gemeinde selbst ein Konzept für einen verträglicher Ausbau der erneuerbaren Energien erstellen und darn festlegen soll, welche Flächen dafür in Frage kommen. Sonst könnten „Investoren das Planungsvakuum zur Durchsetzung ihrer Interessen“ ausnutzen. Solche Pläne gibt bisher nicht, es gibt für das Gelände nicht einmal einen Flächennutzungsplan. Denn noch bis vor Kurzem, sagt Bürgermeister Funda, war vorgesehen, dass ein großer Teil des Gebiets für den Tagebau weggebaggert wird.